Schlagwort: Deutsches Rotes Kreuz

Sterben hautnah — eine AZ-Media-Reportage und ihre Folgen

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) will die Zusammenarbeit mit Filmteams, die seine Helfer bei Einsätzen begleiten, überprüfen. Anlass ist eine Blaulicht-Reportage von AZ Media auf RTL vor zehn Tagen.

„Ein 46-jähriger Mann gibt keine Lebenszeichen mehr von sich. Seine Ehefrau hat den Notruf abgesetzt.“ So nüchtern beschreibt der Sprecher den Fall, zu dem ein Rettungswagen des Hamburger Roten Kreuzes gerufen wurde. Aber die Filmemacher wissen, was für ein Hingucker die Aufnahmen sind, die sie in den folgenden Minuten gemacht haben. Deshalb haben sie sie gleich am Anfang ihrer Reportage schon gezeigt. Und dann noch einmal vor der Werbepause, um die Zuschauer vom Umschalten abzuhalten.

Die Filmemacher sind dabei, als die beiden Rettungsassistenten zum Einsatzort fahren. Sie laufen hinter ihnen die enge Treppe hinauf in das Zimmer, in dem der Mann auf einem Bett liegt. Sie zeigen, wie die Helfer fühlen, ob er noch warm ist. Sie zeigen, wie sie versuchen, ihn vom Bett auf den Fußboden zu tragen. Sie zeigen, wie die Ehefrau mit anfassen muss, weil der Mann stark übergewichtig ist. Sie zeigen, wie der Sanitäter im Rhythmus auf das Brustbein des Mannes presst, um ihn wiederzuleben.

Wir hören, wie die Frau im Hintergrund stöhnt und schreit, und sehen, wie der Sanitäter weiterpumpt, während er zu ihr sagt: „Wir geben jetzt unser Bestes. Setzen Sie sich hin. Beruhigen Sie sich. Ok?“

Dann übernimmt seine Kollegin, und während sie mit beiden Händen sein Herz massiert, sagt sie zu den Fernsehleuten, die neben ihr stehen: „Wir drücken jetzt auf jeden Fall so lange weiter, bis der Notarzt kommt.“

Der Notarzt kommt, und der Sprecher sagt aus dem Off: „Der Patient hat es nicht geschafft. Todesursache: Vermutlich Herzversagen. Todeszeitpunkt …“ Der Satz wird von der Sanitäterin im Bild vervollständigt: „… elf Uhr zwölf.“

Gesicht und Teile des Körpers des Mannes sind unkenntlich gemacht. Aber die Aufnahmen sind auch so drastisch und schockierend. Ein Glücksfall. Wie man den Arm des Sterbenden im Rhythmus des Pumpens seiner Brust rudern sieht. Wie seine Frau wimmert. Wie sie mit anfassen muss, um den schweren Körper vom Bett zu hieven.

„Die Retterinnen“ heißt die Sendung. Sie lief in der Reihe „Die große Reportage“. Angefloskelt wurde sie mit den Worten: „Drei Frauen gehen täglich an ihr Limit, im Kampf ums Überleben. Von Null auf Hundert innerhalb kürzester Zeit. Adrenalin pur.“

Die Sendung läuft im Fensterprogramm der Produktionsfirma AZ Media, das RTL laut Rundfunkstaatsvertrag zeigen muss. Solche Zwangsausstrahlungen von irreführend „unabhängige Dritte“ genannten Firmen dienen vorgeblich der Sicherung der Meinungsvielfalt, tatsächlich aber ausschließlich als Mahnmal für die Idiotie des deutschen Rundfunkrechts. Sie müssen eigentlich „einen zusätzlichen Beitrag zur Vielfalt … insbesondere in den Bereichen Kultur, Bildung und Information leisten“.

AZ Media steht nach den Worten von AZ Media „für exzellente Information und Unterhaltung mit dem Anspruch, wahrheitsgetreu und glaubwürdig zu berichten unter Beachtung der journalistischen Grundsätze, die der Rundfunkstaatsvertrag vorgibt“.

Ich habe die Firma angesichts der Aufnahmen gefragt:

  • Hatte das Filmteam das Einverständnis der Ehefrau, mit den Rettungsassistenten in die Wohnung zu kommen und die Reanimation zu filmen?
  • Hat die Frau nachträglich die Erlaubnis gegeben, die Aufnahmen zu verwenden?
  • Glauben Sie, dass man es, wenn man selber in einer solchen Notlage ist, hinnehmen muss, dass man selbst sowie die Retter dabei gefilmt werden?
  • Gab es Auflagen vom DRK Hamburg-Harburg, was den Einsatz des Kamerateams angeht?
  • Hat AZ Media selbst Richtlinien, die festlegen, wie weit Kamerateams in solchen Situationen gehen dürfen und welche Aufnahmen gezeigt werden?

Die Antwort von AZ-Media-Chefredakteur Markus Engelhart auf diese Fragen lautet vollständig:

Wir können Ihnen versichern, dass alle für die Dreharbeiten der Reportage „Die Retterinnen“ notwendigen Genehmigungen rechtzeitig eingeholt wurden.

Der Sender RTL hat zwar keinerlei redaktionellen Einfluss auf die Fensterprogramme, betrachtet aber anders als die im Dienste der Meinungsfreiheit privilegierten AZ-Media-Verantwortlichen nicht schon das Beantworten kritischer Fragen als Zumutung. Ein Sprecher erklärt:

Wir haben interne redaktionelle journalistische Richtlinien für die Arbeit unserer Redaktionen von infoNetwork [der RTL-Magazin- und Nachrichtentochter]. Sie sind Leitfaden für das journalistische Vorgehen und Umsetzen insbesondere kritischer Situationen wie dieser. Für Auflagenprogramme gelten die Richtlinien nicht. In diesem Fall ist das Thema jedoch aus unserer Sicht angemessen und mit der nötigen Sorgfalt dargestellt worden. Dass Rettungssanitäter bzw. -Assistenten Menschen in Notsituationen medizinisch erstbehandeln, ist Titel und somit auch Gegenstand der Reportage. Reanimationen gehören zum Alltag der dargestellten Berufsgruppe dazu. Die Angehörige wurde im Bild nur kurz und hier auch verpixelt gezeigt.

Richtig: Reanimationen gehören zum Alltag von Rettungsassistenten. Das beantwortet aber ebenso wenig die Frage, ob sie deshalb auch im Fernsehen gezeigt werden müssen, wie die, ob wir wirklich wollen, dass in einer solchen Extremsituation plötzlich nicht nur Retter, sondern auch Fernsehleute in unserem Wohnzimmer stehen, und die Retter neben ihrer Arbeit den Fernsehleuten noch erklären, was sie da tun. Es gibt Rettungsdienste, die das Filmen von Reanimationen und das Filmen in Wohnungen untersagen.

Der Kreisverband Hamburg-Harburg des DRK, für den die gezeigten Sanitäter arbeiten, erklärte mir: „Das Filmteam hat die Ehefrau des Verstorbenen bei Betreten der Wohnung gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn in der Wohnung gefilmt wird.“

Man stelle sich das kurz praktisch vor.

Die gezeigte Assistentin habe versichert, so das DRK Hamburg-Harburg weiter, „dass sie und ihr Kollege durch die Kamera und das Filmteam zu keinem Zeitpunkt in ihrer Arbeit beeinträchtigt wurden. Das Filmteam hatte von uns die Vorgabe, Personen unkenntlich zu machen, keine Namen und Adressen zu nennen und die Arbeit der Rettungsdienstmitarbeiter nicht zu stören.“

Zusätzlich werde das DRK-Harburg aber in Zukunft darauf hinweisen, „dass Filmteams keinen Zutritt zu Privaträumen erhalten“.

Das ist vermutlich eine Reaktion darauf, dass die Szene in der Berliner Zentrale des DRK gar nicht gut angekommen ist. „Wir sind der Auffassung, dass die angesprochene Reportage-Szene die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet und so nicht hätte gesendet werden dürfen“, sagt der Kommunikationschef Jörg Angerstein. Und weiter:

Das DRK regelt diese spezielle Form der Zusammenarbeit zwischen Medien und Einsatzeinheiten bisher nicht. Wir unterstützen und wertschätzen die Arbeit der Medien —  und verlassen uns darauf, dass die Medien den Pressekodex einhalten. Die vorliegende Kooperation zeigt uns aber, dass das nicht immer der Fall ist. Daher werden wir den Fall zum Anlass für eine verbandweite Diskussion über die Grenzen von Medienkooperationen nehmen.

Nachtrag, 25. Oktober. Ein Kommentator weist darauf hin, dass auch Spiegel-TV keine Hemmungen hat, solche Aufnahmen zu drehen und zu zeigen.