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Das „Eigentor“ der ARD

Eigentlich produziert die ARD genug echte Skandale — man müsste ihr nicht noch zusätzliche Aufreger unterschieben. Aber wer will schon zurückstehen, wenn es so leicht scheint, einen Skandal zu erfinden, der all die Zutaten enthält, die dieser Tage das Blut des interessierten Publikums und besonders der unermüdlichen anti-öffentlich-rechtlichen Lobby in Wallung bringen.

Auslöser war unwahrscheinlicherweise ein Artikel in der „Financial Times Deutschland“ vom vergangenen Donnerstag, der eigentlich nur noch einmal all das aufwärmte, was zum Streit um Digitalkanäle und Smartphone-Anwendungen längst bekannt war, und mit ein bisschen Alarmismus („Es geht um die Zukunft der Medienbranche“) würzte. Darin standen die Sätze:

Die Öffentlich-Rechtlichen dagegen haben ihre sicheren Einnahmen. Und werden in diesem Jahr ihre Internetinvestitionen in etwa verdoppeln.

Das ist natürlich falsch. Die ARD will in diesem Jahr 113,9 Millionen Euro für Telemedien ausgeben — gegenüber 109,9 Millionen 2010. Beim ZDF ist ein Anstieg von 38,8 Millionen Euro auf 40,6 Millionen Euro geplant.

Was die FTD vermutlich meint: Der Gesamtaufwand für Online ist in der Gebührenperiode von 2009 bis 2013 ist mehr als doppelt so hoch wie in den vier Jahren zuvor. Das liegt aber zu einem großen Teil daran, dass die Systematik geändert wurde, welche Ausgaben der öffentlich-rechtlichen Sender dem Internet zugeordnet werden.

Die ARD hat in einer Stellungnahme auf den Fehler hingewiesen. Der Medienaggregator turi2 macht daraus nun einen Skandal und ein „Eigentor“. Die ARD habe:

mit ihrem Dementi bestätigt, was Insider schon lange vermutet hatten: Dass die ARD ihre Web-Investitionen jahrelang kleingerechnet hat.

Ich nehme mal an, dass Peter Turi sich diese „Insider“ der Einfachheit halber ausgedacht hat. Denn jeder Interessierte konnte die Zahlen und die Änderung der Systematik, die die ARD vermeintlich jetzt „bestätigt“ hat, immer schon öffentlich nachlesen.

Im 17. Bericht der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Sender KEF heißt es:

In den Telemedienkonzepten weisen die Anstalten darauf hin, dass den Meldungen des Aufwands eine neue, gegenüber dem letzten KEF-Bericht deutlich erweiterte Systematik zugrunde liegt. Die Beträge seien deshalb mit den Zahlen in früheren Berichten der Kommission nicht mehr vergleichbar. Durch die neue Systematik soll der Aufwand für Telemedien vollständig erfasst werden.

Dieser Bericht stammt aus dem Dezember 2009. Nun kann man es tatsächlich problematisch finden, dass ARD und ZDF in den Jahren zuvor viele Ausgaben, die ihre Online-Aktivitäten betrafen, nicht in ihre Internet-Etats einberechnet hatten. Die Öffentlich-Rechtlichen hatten ein Interesse daran, diese Etats möglichst kleinzurechnen, weil damals noch Selbstverpflichtungen galten, die die Ausgaben deckeln sollten.

Nichts an dieser Tatsache ist aber neu oder bislang nur von „Insidern“ „vermutet“ worden. Es war, im Gegenteil, detailliert bekannt, wie ARD und ZDF vorgegangen sind. So berichtete etwa die „Zeit“ am 22. November 2007 unter der Überschrift:

ARD und ZDF geben offenbar mehr für ihre Online-Angebote aus als versprochen — die private Konkurrenz schäumt.

Nicht nur die privaten Fernsehsender protestierten damals; auch die KEF war damit nicht einverstanden, wie ARD und ZDF Posten aus den Internet-Etats (teils mit besseren, teils mit schlechteren Argumenten) herausrechneten. Umstritten war zum Beispiel etwas, das den schönen Namen „Überwiegenheitsprinzip“ trug: Die ARD rechnete nur solche Kosten als Internet-Kosten, wenn sie überwiegend für das Internet entstanden sind.

So entstehen Branchennachrichten und Kampagnenstoff im Sommer 2011: Die „FTD“ macht einen Fehler; turi2 entdeckt einen Skandal aus dem Jahr 2007 als neu; „Meedia“, das nicht Abschreibedienst genannt werden will, schreibt ab: „ARD machte falsche Angaben zu Online-Investitionen“.

Und der einschlägig bekannte Ekkehard Kern nutzt es als Munition für die Springer-Propaganda gegen die Öffentlich-Rechtlichen und fragt in der „Berliner Morgenpost“ treuherzig: „Hat die ARD ihre Onlineausgaben kleingerechnet?“

Man könnte sich jetzt noch streiten, ob der Versuch der ARD, die Behauptung der FTD richtigzustellen, tatsächlich, wie Turi behauptet, ein „Eigentor“ war. Oder ob die scheinbaren Schiedsrichter nur, aus Ignoranz oder Eigeninteresse, fälschlicherweise behaupten, dass da ein Ball eine Linie überquert habe. Das Ergebnis ist natürlich leider dasselbe.