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Geschenke für Terroristen

Okay, das war jetzt nicht der beste Sendeplatz, nachts um halb eins bei RTL. All die Terroristen da draußen wird es trotzdem gefreut haben; all jene, die darauf lauern, uns in Angst und Schrecken zu bannen. Gut 25 Minuten Sendezeit. Im deutschen Fernsehen. Und zudem Ausschnitte in anderen Sendungen, im Netz, in Zeitungen – das lohnt sich. Vor allem, wenn man so schön seine Punkte unterbringen kann, wie heute Nacht ein deutscher IS-Überläufer aus Solingen bei RTL.

Der Publizist Jürgen Todenhöfer hat ihn im Irak besucht, in Mossul. Und das muss man natürlich respektieren. Todenhöfer hat hartnäckig den Kontakt gesucht und sich im Dezember, noch vor den Attentaten in Paris, nach Mossul gewagt. Nur leider ist das, was er mitbringt und was da jetzt, als „Nachtjournal spezial“, über den Sender gegangen ist, auch ein Geschenk an die Terroristen.

Screenshot "Nachtjournal spezial" (RTL) 15.1.2015

Todenhöfer bummelt erst Mal ein bisschen durch die City, über die Straßen, den Markt, zum Freitagsgebet. Und er erzählt, dass es dort „eine gewisse Normalität“ gebe. Die Verkehrspolizei funktioniere. Das Gesundheitswesen auch. Und neben ihm habe sogar, total abgefahren, einer im Bayern-München-Trikot (Robben) gebetet. Zwar verschweigt Todenhöfer nicht, welche Gräuel geschahen, bis es zu dieser (Pseudo-)Normalität kam. Er sagt, Mossul sei die „gefährlichste Stadt der Welt“, aber eben auch, „mit aller Vorsicht“: irgendwie normal.

Ein bisschen erinnerte das dann doch an das Video des IS, das vor zwei Wochen im Netz landete. Nur dass es da nicht Todenhöfer war, der rumlief, sondern der vom IS entführte britische Journalist John Cantlie. Auch er berichtete, vielmehr: musste vermeintlich gelöst berichten, wie normal es in Mossul doch sei, wofür ebenfalls die funktionierende Polizei als ein Beispiel herhalten durfte.

Mag ja sein, dass Todenhöfer tatsächlich den Eindruck hatte, dass es in Mossul ganz heiter ist. Dass dies aber bloß eine geschickte Illusion ist, zeigt sich doch schon im Interview mit dem Überläufer, bei dem vier schwer bewaffnete IS-Kämpfer mit Sturmhauben permanent ringsum stehen. So normal ist das da in Mossul.

Natürlich ist es interessant, wie diese Typen ticken, die aus Deutschland nach Syrien oder den Irak gegangen sind, um sich dem IS anzuschließen, aber darüber, über den persönlichen Antrieb, erfährt man bei Todenhöfer nichts. Und was im Kopf der Terroristen vor sich geht (Alle umbringen!), kann man sich inzwischen auch ganz gut selbst ausmalen. Doch bei RTL darf der Terrorist das alles noch mal verbreiten. Todenhöfer fragt, ob denn mit Anschlägen in Deutschland zu rechnen sei? Der Überläufer sagt, man müsse sich gefasst machen. Und Todenhöfer hakt nach: „Größere Anschläge? Oder Anschläge von Einzelpersonen?“ Da fehlte es nur noch, dass sie eine Deutschlandkarte auspacken und rote Kringel einzeichnen.

Ich verstehe, ehrlich gesagt, den Mehrwert dieser Fragen und Antworten nicht. Wieso muss man sie senden? Wenn Terroristen im deutschen Fernsehen erzählen dürfen, dass sie Anschläge planen, und dass bitte alle dabei mitmachen sollen, die denken wie sie, machen sich Journalisten zwangsläufig zu Handlangern. Denn die Worte schüren weitere Angst. Sie bewirken, was die Terroristen beabsichtigen: Dass wir uns fürchten. Geduckt leben. Bibbern. Und unter Umständen animieren sie andere Terroristen, jene, die hier leben, konvertierte Deutsche. Die schauen RTL. Und hören dann, wie der Überläufer zum Beispiel einen Satz beginnt mit: „Wie unser Sprecher des Islamischen Staates gesagt hat…“ Um dann ausführlich referieren zu dürfen, wie der Pressesprecher an andere Islamisten appelliert, gegen die westliche Welt zu kämpfen. Und was im Detail zu tun sei.

Wie gesagt: Ich verstehe es nicht. Wieso müssen gerade (und immer wieder, wenn es um Terror geht) alle senden und schreiben, wozu Terroristen so aufrufen? Es sind ja nicht nur Todenhöfer und RTL, es sind auch die Online-Postillen, Zeitungen und Nachrichtensender, die mithelfen. Unlängst etwa wurde das Bekennervideo des Terroristen, der den jüdischen Supermarkt in Paris überfallen hat, bei Youtube hochgeladen. Nach seinem Tod. Ein Propagandavideo. Und ab diesem Punkt muss man das mal aus Sicht des IS-Pressesprechers denken: Wie toll das klappt! Weil die auch in Deutschland diese absurde Pressefreiheit haben, zeigen die alles, was wir rausschicken. Und sie lassen sogar, inklusive Texttafeln, den Aufruf drin, den unsere Brüder an die anderen Brüder da draußen richten.

Absurd, oder?

Es ist ja ganz edel, dass wir den Terroristen jene Pressefreiheit zuteil werden lassen, die sie in tiefer Verachtung bekämpfen. Dass wir ihnen Bilder und Infos vom Polizeieinsatz vor der Tür auf die Displays senden, wenn sie Geiseln genommen haben. Dass wir ihre Botschaften über die Sender jagen, ihre Manifeste drucken. Sehr edel. Aber vielleicht erkennt irgendwann jemand den Widerspruch.