Schlagwort: Volker Schütz

Rückrufaktion für Journalismus

Mitte der neunziger Jahre habe ich als Medienredakteur bei der Zeitschrift „Werben & Verkaufen“ gearbeitet. Es waren knapp eineinhalb Jahre, in denen ich viel gelernt habe, darunter auch, dass ich dort nicht mehr arbeiten möchte.

Die Bedingungen für kritischen Journalismus bei solchen Fachtiteln sind schlecht. Das liegt schon daran, dass die Leute, für die man schreibt, dieselben sind wie die Leute, über die man schreibt, und dieselben wie die Leute, deren Anzeigen die Haupteinnahmequelle darstellen. Um Druck auf Journalisten auszuüben und ungewünschte Berichterstattung zu verhindern, haben die Unternehmen gleich drei Möglichkeiten: Sie drohen damit, einen nicht mehr zu informieren. Sie drohen damit, die Abos zu kündigen. Und sie drohen damit, ihre Anzeigen zu stornieren. Die letzte Variante ist die wirkungsvollste, aber alle drei kommen vor. Und die Mimosenhaftigkeit von Verlagsvertretern und ihre Unwilligkeit, so etwas abwegiges wie kritischen Journalismus zu akzeptieren, muss man erlebt haben, um sie zu glauben.

Man braucht, um in dieser Konstellation mehr zu sein als ein Kuschel- und Verlautbarungsorgan für die Verlage, Sender und Agenturen, einen Chefredakteur mit Rückgrat, der die vielfältigen und bedrohlichen Einschüchterungsversuche abwehrt. Der weiß, dass es zwar kurzfristig existenzbedrohend scheinen mag, sich mit den Verlagen anzulegen, es aber langfristig viel existenzbedrohender ist, nicht das aufzuschreiben, was ist, sondern das, was die Verlage gerne läsen. Solche Chefredakteure sind rar.

Die Fachzeitschrift „Horizont“ hat in dieser Woche eindrucksvoll ihre Rückgratlosigkeit demonstriert. Die Hamburger Korrespondentin Elke Jacob, eine Fachfrau für Mediaplanung (mit der ich mir vor Jahren ein Büro in Hamburg teilte), hatte eine gute Idee für einen Artikel über das bevorstehende Zeitschriftensterben. Bei den mächtigen Mediaplanern, die im Auftrag der Werbekunden entscheiden, wann und wo die Werbung gebucht wird, fragte sie nach, welche Titel ihrer Meinung nach das kommende Jahr nicht überleben werden.

Der Rücklauf war laut „Horizont“ sehr anständig: 14 Mediaplaner nannten die Titel, die sie in der Werbekrise am gefährdetsten halten und begründeten ihre Wahl; drei weitere gaben immerhin besonders bedrohte Zeitschriftensegmente an. Jürgen Blomenkamp, Chef der Düsseldorfer Mediaagentur Group M, erklärte sich sogar bereit, in einem Interview Klartext zu reden. „Das Marktpotenzial könnte in den kommenden fünf Jahren um bis zu 50 Prozent schrumpfen“, sagte er, „mit den entsprechenden Konsequenzen für viele Einzeltitel.“

Der Artikel und die Liste waren fertig. „Horizont“ gab, wie üblich bei mehr oder weniger exklusiven Geschichten, einen Tag vor Erscheinen der Zeitung eine kurze Vorabmeldung heraus. In der wurden auch die drei Titel genannt, die nach Ansicht der Mediaplaner die Schwarze Liste der vom Aussterben bedrohten Titel anführten: „Tomorrow“ (Burda-Verlag), „Bravo Screenfun“ (Heinrich Bauer Verlag) und „Emotion“ (Gruner + Jahr). Eine entsprechende Meldung veröffentlichte die Zeitung auch in ihrem Online-Auftritt:

Die betroffenen Verlage und der Verband der Zeitschriftenverleger (VDZ), der mit „Horizont“ gerade noch eine redaktionelle Sonderbeilage produziert hatte, müssen schockiert und empört auf soviel unabhängigen Journalismus reagiert haben, den sie sonst von der Fachpresse nicht kennen. Offenbar übten sie Druck auf „Horizont“ aus, und „Horizont“ gab dem Druck nach. Die Pressemitteilung wurde zurückgezogen, der Online-Artikel kommentarlos gelöscht, die Produktion gestoppt, der Artikel ausgetauscht. Die aktuelle Ausgabe „Horizont“ erschien deshalb erst heute, einen Tag verspätet.

Dass die Verlage unglücklich sind, wenn einer ihrer Titel auf einer solchen schwarzen Liste steht, kann man verstehen: Schließlich lässt es ein für die Werbewirtschaft ohnehin schon unattraktives Heft noch unattraktiver erscheinen. Aber das müssen sie aushalten. Das nennt man Journalismus.

Die Verlage aber glauben, dass das schlimmste, was man mit Problemen tun kann, ist, sie zur Kenntnis zu nehmen. Wenn man auf einen Abgrund zurast, muss man sich vor allem die Augen zuhalten (und, wenn möglich, noch den mahnenden Rufer am Wegesrand überfahren).

Und „Horizont“? Chefredakteur Volker Schütz hat gegenüber Peter Turi die Rückrufaktion für den Artikel damit erklärt, der Artikel sei „nicht durch die Qualikontrolle“ gegangen und deshalb wieder rausgeflogen — das sei „der normale Redaktionsalltag“. Das ist natürlich nicht die Wahrheit. Nebenbei betreibt Schütz damit auch Rufschädigung, indem er impliziert, die langjährige Autorin Elke Jacob habe einen nicht druckbaren Text abgeliefert. Er beschädigt fahrlässig eine Journalistin, die den Fehler gemacht hat, eine journalistische Geschichte zu schreiben. Soviel zum Thema Rückgrat.

Volker Schütz bemüht sich inzwischen auch an dieser Front um Schadensbegrenzung und erklärt mir gegenüber auf Anfrage: „Elke ist eine unserer erfahrensten, mir persönlich liebsten und besten Mitarbeiter.“ Er bestreitet auch, dass „Horizont“ die Tabelle „erst auf Druck des VDZ, der Verlage oder der ‚Horizont‘-Verlagsleitung gestoppt“ habe: Das sei „wirklich vollkommener Käse“. Die verspätete Rückrufaktion sei die Entscheidung der Chefredaktion gewesen — „sicherlich nach Rücksprache mit Verlagsleitung Markus Gotta“. Schütz‘ Fazit:

„Das Ganze ist bitter, mehr als ärgerlich und hat [Co-Chefredakteur] Herrn Scharrer und mir zwei schlaflose Nächte und ein wahrscheinlich auch eher unentspanntes Wochenende beschert. Punkt. Aber: ‚Horizont‘ wird, auch wenn die Zeiten härter und rauher werden, nicht in Ranküne, Häme oder Print-ist-tot-Kolportage abgleiten, wie es andere machen.“

Das ist, gelinde gesagt, niedlich formuliert angesichts der Art, wie „Horizont“ nun die schmerzhaften Aussagen auf homöopathische Dosis reduziert und in dicke Watteschichten verpackt. Die Zeitung macht nun mit der unendlich nichtssagenden Schlagzeile auf:

Top-Mediaplaner sieht Verlage unter Zugzwang.

Und der Artikel selbst schafft es sogar, die äußerst negative Prognose des Mediaplaners Blomenkamp zunächst ins Positive zu drehen:

Mit einer schonungslosen Analyse des deutschen Printmarkts macht Jürgen Blomenkamp den Verlagen zumindest in einem Punkt Mut. „In der fragmentierten Medienwelt gewinnt die Reichweite wieder an Wert, deshalb haben wir ein großes Interesse daran, dass starke Printtitel bestehen bleiben.“

Der Text ist dann frei von jeder konkreten negativen Titelnennung — allein drei als positive Ausnahmen erwähnte Zeitschriften dürfen namentlich genannt werden.

Nicht, dass das zum Beispiel eine Zeitschrift wie „Bravo Screenfun“ retten wird, deren Anzeigenumfang in den letzten sieben Jahren um 70 Prozent zurückgegangen ist. Die Zahl der verkauften Exemplare ist in den vergangenen drei Jahren um 91 Prozent geschrumpft. Im Schnitt betrug die Auflage im vergangenen Quartal noch 14.602 Exemplare. Es spricht nichts dafür, dass „Horizont“ versucht hätte, gesunde Zeitschriften kaputtzuschreiben.

Es gibt eine schöne, traurige Ironie an der Sache. Man kann die Zitate von Jürgen Blomenkamp auch so lesen, dass Zeitschriften vor allem Relevanz bräuchten, um zu überleben. Die Rückrufaktion von „Horizont“ in dieser Woche war auch ein klares Bekenntnis gegen eigene Relevanz.

[via Turi2]