Heulen Sie beim Fernsehen, Herr Zeiler?

Ein Grundsatzgespräch mit dem RTL-Geschäftsführer, dem mächtigsten Mann im deutschen Fernsehen.

Herr Zeiler, ich möchte mit Ihnen übers Fernsehen reden.

Ich hätt‘ mit Ihnen auch nicht über Politik geredet.

Passiert Ihnen das oft? Reden Sie nicht sonst nur über Zahlen, Synergien, Formate . . .?

Über Synergien rede ich fast nie, weil ich das Wort schon nicht aushalte. Zahlen habe ich im Kopf, da brauch‘ ich gar nicht viel zu reden. Nein, ich rede eigentlich die meiste Zeit übers Fernsehen.

Aber in Ihrer Position doch sicher auf einer sehr abstrakten Ebene.

Wenn Sie sich vorstellen, der Chef von RTL ist jemand, der von früh bis spät über Zahlen nachdenkt oder sie präsentiert bekommt, muß ich Sie enttäuschen. Ich bin ein Zahlenmensch; ich hab‘ ein gutes Zahlengedächtnis. Aber Zahlen sind ja nichts, was man senden kann – Gott sei Dank. Fernsehen ist ein Produkt. Fernsehen sind die Programme. Ohne die Verbindung zu den Programmen wäre es nicht so spannend, diesen Job zu haben.

Viele Leute sagen: Der Zeiler guckt alles. Mit so einem Tonfall: Das ist sonst nicht üblich.

Ich lese auch noch immer Drehbücher. Von jeder amerikanischen Serie auf dem Markt habe ich zumindest drei Folgen gesehen. Jede deutsche Serie habe ich gesehen, nicht alle Episoden natürlich. Wenn wir eine neue Serie machen, wie „Krista“, schaue ich alle acht Folgen an. Punkt. Das ist zusammen irrsinnig viel, aber es macht Spaß.

Die Videos sehen Sie abends zu Hause auf dem Heimtrainer.

In meinem kleinen Fitneßcenter, das ich im Keller hab‘. Da habe ich ein Laufband und einen Hometrainer, jetzt kaufe ich mir noch so einen Stepper – und dann schau‘ ich. Ich bin dort in schlechten Wochen drei Stunden, in guten fünf Stunden. Natürlich schaue ich viel im Durchlauf. Aber die wesentlichen Fiction-Formate, da muß man sich hineinfallenlassen. Das muß man schon ganz spüren. Das kann man nicht im Schnellvorlauf machen. Ich liebe ja auch Fernsehen. Ich mag einfach dieses Produkt. Ich bin keiner, der sagt: Ich bin zwar RTL-Geschäftsführer, aber bei mir läuft abends nur Arte. Ich bin durchaus Mainstream. Mein Musikgeschmack ist Mainstream, mein Filmgeschmack ist Mainstream – das heißt nicht, daß mir künstlerische Filme nicht gefallen. Aber ich bin Mainstream. Ja!

Gibt es Sendungen, die Sie als hart rechnenden Geschäfts-Fernsehmenschen richtig gepackt, zum Lachen oder Weinen gebracht haben?

Ja, gibt es immer wieder. Ich muß sagen – das klingt wie aufgesetzt, aber es stimmt: Es gibt wenige Fernsehproduktionen, die mich so bewegt haben wie „Deutschland sucht den Superstar“.

Waren Sie im Publikum, als Gracia rausgewählt wurde?

Das war die einzige Folge, bei der ich nicht im Studio war, sondern die ich mir im Ski-Urlaub angeschaut habe. Meine Frau hat schon geschlafen und war sauer auf mich, daß ich meine Tochter, die sieben ist, nicht habe schlafen lassen.

Was ist in Ihnen da vorgegangen?

So eine Sch. . .

Scheiße.

Ja, das habe ich mir gedacht. Und das ist mehr, als je ein CEO der RTL-Group einer Zeitung anvertraut hat. Gracia war meine Favoritin und die meiner Tochter. Ich mußte immer für sie anrufen.

Als Daniel Küblböck zusammenbrach, ist mir mulmig geworden.

Mir nicht. Wir haben uns lange vor der Show intensiv über Vor- und Nachteile von Live-Shows unterhalten. Ich habe immer gefragt: Haben wir das im Griff? Wir haben’s immer im Griff gehabt. Das war ein emotionaler Moment, wo es einmal an der Kippe stand. Und wo interessanterweise der viel geschmähte Carsten Spengemann letztlich die Kurve gekriegt hat, daß es nicht von der Kippe fällt.

Aber es gibt heute kaum noch Momente im Fernsehen, wo man merkt: Hier passiert was!

Es gibt wenig Konzepte, die massenwirksam packend sind. Ich bin einer, der, wenn die Nationalhymne gesungen wird, eine Gänsehaut am Rücken hat. Ich weiß schon, das kann man nicht nur mißverstehen, sondern auch ausnutzen. Ich habe lange Psychologie studiert, die Kombination von Massenmedien und Massenhysterie ist mir schon klar. Trotzdem: Es gibt wenige Programme, über die man nicht nur redet, die uns nicht nur intellektuell beschäftigen, sondern die auch bewegen. „Superstar“ war so etwas.

Bei einigen Folgen von „Six Feet Under“ oder „Ally McBeal“ kann ich heulen. Sie auch?

Das kann mir schon passieren. Aber eher im Kino. Fernsehserien, die mich in letzter Zeit emotional sehr gepackt haben, fallen mir jetzt im Moment nicht ein.

RTL ist extrem erfolgreich – aber was packt mich da? Das ist alles Routine, Alltag, Füllstoff.

Gewisse Sportevents sind packend, die muß man aber dramaturgisch so hinkriegen. Eine andere Geschichte, die mich sehr gepackt hat, war die „70er Show“ mit Hape Kerkeling. Die letzte Sendung . . .

Comedians sangen die Schlümpfe und waren ganz gerührt.

. . . war Spitzenklasse. Oder unsere Sitcoms. Wir haben ein paar wie „Bernds Hexe“, wo ich von der ersten Sekunde dasitze und schmunzle und zwei Mal lache – und wenn es fertig ist, hab‘ ich es vergessen. Es ist nicht wirklich relevant, es ist leicht, aber das soll es auch sein. „Mein Leben und ich“ ist etwas anderes. Das ist auch tiefgehend. Oder auch Atze Schröder zu positionieren. Da haben alle am Anfang gesagt: Das wird ein schrecklicher Absturz. Wir haben lange gezögert und noch eine zweite Staffel gemacht. Aber Atze findet immer mehr seine richtige Positionierung. RTL ist Positionierung. Das ganze Leben ist Positionierung.

Aber Fernsehen, das relevant ist, Gesprächsstoff – daß man im Büro fragt: Habt ihr das gestern gesehen? -, gibt es immer weniger.

Weil die Fragmentierung zunimmt, das ist doch logisch. Aber das gibt es doch noch. Wie oft hat man gesagt: „Die Samstagabendunterhaltung ist tot!“? Und plötzlich haben wir mit „80er Show“, „Superstars“, „70er Show“ einen Hit nach dem anderen. Das sind auch Dinge, über die die Leute reden. Oder über „Wer wird Millionär“.

Aber spielt Leidenschaft noch eine Rolle beim Fernsehmachen, Kreativität, die Lust: Diese Idee will ich unbedingt ins Fernsehen bringen, das will ich sagen? An die „Superstars“ noch x Best-Ofs dranzuhängen oder jetzt eine Kinder-Version zu machen, sind doch rein betriebswirtschaftliche Entscheidungen.

Sie verwechseln zwei Dinge. Das eine heißt im Geschäftsleben: Ich versuche, meine Marken zu diversifizieren. Das gibt es überall: „Bild“ macht „Computerbild“. Deswegen gehen aber, wenn sie es richtig machen, nicht die Emotionen verloren. Deshalb ist nicht weniger Leidenschaft dabei. Die Frage ist, ob du das gut machst oder nicht gut machst. Wir haben leidenschaftlich darüber diskutiert, ob wir „Pop Idol“ Deutschland machen und wie wir das machen. Wenn wir so etwas entscheiden, dann volle Pulle. Dann sind wir Perfektionisten. Wir gehen den Produktionsfirmen schwer auf die Nerven. Wenn ich höre, daß eine Produktionsfirma unsere Redakteure lobt in dem Sinne: die lassen uns frei arbeiten, sage ich: Da läuft was schief.

Die Firmen sagen umgekehrt, daß der Sender ihnen mangels Mut alles Spannende aus ihren Konzepten wieder rausstreicht.

Das stimmt für RTL nicht. Wir sind mutig. Aber das muß nicht immer das sein, was Produktionsfirmen unter Mut verstehen. Und ich mache die Fehler lieber selber, als daß ich sie andere machen lasse.

Ist es, wenn man so erfolgreich ist wie RTL, schwerer, mutig zu sein?

Ja.

Und Ihre Konkurrenz sagt, sie könne es sich nicht leisten, weil sie zu klein ist. Na super.

Nein, bei einem kleinen Sender kannst und mußt du viel mutiger sein als bei einem großen. Wir sind ja nicht das Flugzeug, das erst 100 Meter vom Boden aufgestiegen ist, wir sind in 10 000 Metern Höhe.

Also bloß nix riskieren.

Nein, ich sage nur: Wir haben viel zu verlieren. Andererseits wissen wir: Wenn wir nicht jedes halbe Jahr zwei, drei neue Programme bringen und den Innovationsmotor einmal stottern lassen, ist das der Anfang vom Ende. Wir müssen ins Risiko. Wenn das Mißerfolgsvermeidungsdenken beginnt, ist es aus. Dann müssen Sie mich von dem Job wegnehmen.

Was war im vergangenen Jahr innovativ, riskant, außer vielleicht dem „Superstar“?

Die „70er“, die „80er Show“ . . .

Ist es innovativ, nach der „80er“ eine „70er Show“ zu machen, bald die „90er“ und die „DDR-Show“?

Also, die „80er Show“ war ganz bestimmt innovativ. Im fiktionalen Bereich waren wir in der Vergangenheit mit „Hinter Gittern“ innovativ. Den Sitcom-Boom haben wir ausgelöst. Wir haben uns auch getraut, „Wie war ich, Doris“ gegen den Schröder zu machen – leider nur eine schlechte Produktion.

Setzt RTL die gesellschaftlichen Trends in Deutschland?

Medien setzen keine Trends. Medien können Trends verstärken und abschwächen. Sie können als Medium nicht die Meinung der Leute umdrehen.

Auch nicht mit Ihrer Größe?

Nein. Und das ist auch gut so.

Aber Sie setzen Medientrends.

Ja, klar. Wenn ein Modehaus etwas Neues macht und das trifft auf Akzeptanz beim Konsumenten, dann setzt der erste, der’s macht, einen Trend. Ja. Aber davor muß man sich nicht fürchten; es verändert ja die Welt nicht.

Es verändert die Fernsehwelt.

Mich plagt beim Einschlafen nicht der Gedanke, ich hätte mit meinen täglichen Entscheidungen die Welt verändert und wüßte nur nicht, in welche Richtung.

Und wenn im Herbst auf jedem Sender eine „Superstar“-Kopie läuft, haben Sie da nicht manchmal das Gefühl: Oh Gott, was hab‘ ich da ausgelöst?

Ehrlich gesagt, wir schauen nicht so sehr auf die anderen Kanäle. Wirklich nicht. Das ist das Schöne an der Mannschaft, die ich da habe: Die Leidenschaft für das Produkt – das sind lauter Verrückte, inklusive meiner Person. Und die Identifikation mit der Marke RTL. Das ist ein Teil des Erfolges.

Wenn es bergauf geht mit den Werbeerlösen, gibt es einen Traum, den Sie sich dann erfüllen wollen?

Wir haben auch gespart, deutlich gespart. Aber wir haben uns unsere Träume eigentlich immer erfüllt. Wir haben sogar „Held der Gladiatoren“ gemacht, die teuerste deutsche Fiction-Produktion bis dato, weil ich gesagt habe: Das probieren wir aus. Das ist ein historisches Drama, eine Art Soap. Es gibt ein Projekt im Jahr, bei dem wir sagen, da trauen wir uns was ganz Besonderes. Wir haben nicht alle Wünsche erfüllt, keine Frage. Aber daß große Träume unerfüllt geblieben sind? Nee. Die Champions League hätte ich sowieso nicht genommen.