2004

Es gibt zwei Möglichkeiten, den Aufstieg Barack Obamas zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu beschreiben. Einerseits als eine Art Wunder oder wenigstens unglaubliches Kunststück, sich als Schwarzer, als angeblich liberalster Senator, ohne irgendeine Art von Regierungserfahrung gegen die Clintons und die Republikaner durchgesetzt zu haben. Und andererseits als das bloß etwas verfrühte Eintreffen dessen, was alle vorhergesagt haben.

Vielleicht ist es nur ein Zeichen dafür, wie sehr die Performance zum entscheidenden Kriterium amerikanischer Wahlen geworden ist, wie sehr sich alles auf das Gelingen von Auftritten konzentriert, den kleinen ebenso wie dem großen Ganzen, dass ein einziger Auftritt Barack Obamas vor vier Jahren beim demokratischen Parteitag genügte, um ihm unisono vorauszusagen, dass er gute Chancen hätte, einmal Präsident zu werden.

Der Blick ins Archiv bringt Dutzendfach Artikel zutage, die heute fast prophetisch wirken:

„Berliner Zeitung“, 27. Juli 2004:

In zehn Jahren wird Barack Obama der erste schwarze Präsident der USA. Davon sind viele Demokraten und vielleicht sogar einige Republikaner schon heute überzeugt.

„Süddeutsche Zeitung“, 28. Juli 2004:

Barack Obama: Demokratischer US-Politiker auf dem Weg nach ganz oben

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 29. Juli 2004:

Ja, er ist es. Jetzt kann man es mit Gewißheit sagen. Vor seiner Rede in der Nacht zum Mittwoch durfte man noch nicht ganz sicher sein, aber jetzt gibt es keinen Zweifel mehr: Barack Obama ist eine der größten Hoffnungen, daß der Demokratischen Partei eine Führungspersönlichkeit vom Schlage eines Bill Clinton, vielleicht sogar eines John F. Kennedy zuwachsen wird. (…)

Wenn nicht alles täuscht, hat in Boston die große Laufbahn eines schwarzen Politikers begonnen, die sehr weit, vielleicht sogar bis ganz nach oben führen dürfte.

„Süddeutsche Zeitung“, 29. Juli 2004:

Vor wenigen Tagen kannte den 42-Jährigen selbst unter den Demokraten noch kaum jemand, diesen Jungen aus Illinois, der gerade dabei ist der erste demokratische Senator mit schwarzer Hautfarbe zu werden. Inzwischen wird er als einer der Geheimkandidaten für das Präsidentenamt im nächsten Jahrzehnt gehandelt.

„Spiegel Kultur“, 19. Oktober 2004:

Barack Obama, 43, steht für die glorreiche Zukunft der USA. Vielleicht wird er ihr erster schwarzer Präsident.

„Die Welt“, 2. November 2004:

Obama hat sich bei seinen Auftritten als Redner hervorgetan und auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten im Juli die Hauptansprache neben Kerry gehalten. Er gilt als künftiger Anwärter auf das Weiße Haus.

„Tagesspiegel“, 4. November 2004:

„Ich habe harte Ellbogen“, verspricht Obama. Schafft er es, die meisten der in ihn gesetzten Hoffnungen zu erfüllen, könnte er durchaus im Weißen Haus landen. Vielleicht auch schon in vier Jahren – als Vize einer demokratischen Präsidentin Clinton.

Okay, „prophetisch“ ist vielleicht das falsche Wort.

(Lesetipp für die heutige Nacht: Mein Kollege Nils Minkmar in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ über Barack Obamas Politikstil — „Endlich ein Erwachsener“.)

21 Replies to “2004”

  1. „Lesetipp für die heutige Nacht“

    Gibt es auch einen TV-Tipp für die heutige Nacht, ich weiß nicht auf welchem Sender ich mir die Wahlnacht anschauen soll. Und auf Zapping habe ich keine so große Lust.

  2. „Süddeutsche Zeitung”, 28. Juli 2004:
    Barack Obama: Demokratischer US-Politiker auf dem Weg nach „ganz oben

    „Frankfurter Allgemeine Zeitung”, 29. Juli 2004:
    (…) vielleicht sogar bis ganz nach oben führen dürfte.

    Für manche ist „ganz oben“ der Himmel.
    Für manche ist der Himmel das „Weisse Haus“
    Für manche ist das „Weisse Haus“ eine Irrenanstalt, in dem angeblich der „(sch)mächtigste Mann der Welt“ seine, mit Millionen Dollar erkaufte Macht, wieder verspielen darf.

  3. „den Aufstieg Barack Obamas zum Präsidenten der Vereinigten Staaten“

    weißt du schon mehr als wir?

    @Thomas, also ich denke ich werde CNN wählen. Schließlich haben die die Magic Wall.

  4. Man könnte noch hinzufügen, dass Obama im Nov. 2004 mit einer überwältigenden Stimmenmehrheit als Neuling in den Senat gewählt wurde. Ich persönlich hatte ich ab dem Punkt auf der Rechnung als das nächste große Ding. Ich erinnere mich, war noch total fertig wegen Bushs Wiederwahl und da war dieser etwas versteckte SZ-Artikel über Barack Obama, den ich im Zuge der Wahlberichterstattung las, und da stellte sich so etwas wie Trost und Hoffnung nach einem schlechten Fußballturnier ein.

  5. @1 „TV-Tipp für die heutige Nacht“

    CNN, ich vermute stark, dass die anderen eh nur nachplappern was die vermelden. (Unglaubliche Gebührenverschwendung wieder!!). Nur die haben einen John King mit dem Riesen-iPod, und falls es doch knapp wird, wird N24 rechtzeitig Wurstreportagen schalten.

  6. Tjahaaa – man stelle sich vor: Obamas damaliger Gegner wurde durch den schmutzigen Scheidungskrieg mit seiner Frau diskreditiert. Und die ist wer gewesen? Seven of Nine!!! Da steckt doch was dahinter!!!

  7. Ach danke schön!
    Hatte im Archiv der Zeit danach gesucht und war fast enttäuscht, keine Prophezeihung von 2004 zu finden.

    (Ist aber auch zu einfach: liegt man falsch, spricht nie einer davon.)

  8. Ich erinnere mich vor allem an einen Artikel aus der ZEIT über die US-Kongresswahlen 2006. Da steht ganz am Ende:

    Establishment-Kandidaten wie John McCain und Hillary Clinton dürften bei der Präsidentschaftswahl 2008 starke Konkurrenz erhalten. Im Wirbel um den Politaufsteiger Barack Obama steckt schon diese uramerikanische Sehnsucht nach dem Neuanfang.

  9. Monika Lierhaus? Da hat die ARD wohl eine Exzellenzinitiative gestartet? Kommt der Netzer auch?

    Die CNN-Technologie ist klasse: Kann man auch Moderatoren AUS dem Studio beamen?

  10. Vielleicht ist es nur ein Zeichen dafür, wie sehr die Performance zum entscheidenden Kriterium amerikanischer Wahlen geworden ist, …, dass ein einziger Auftritt Barack Obamas vor vier Jahren beim demokratischen Parteitag genügte, um ihm unisono vorauszusagen, dass er gute Chancen hätte, einmal Präsident zu werden.
    Auch wenn es nicht so schick zynisch ist: Kann es nicht einfach sein, dass der Auftritt damals ganz, ganz große Klasse war? Und das folgerichtig einem Politiker, der einen solchen Auftritt hinbekommt auch viel zugetraut wurde?
    Daraus leitet sich Nichts über die Bedeutung der Performance ab in US-Wahlen ab. Obama ist einfach einer der besten Redner in der derzeitigen amerikanischen Politik und allen war immer klar, dass das helfen würde, wenn er kandidiert. Gewonnen hat er nicht deswegen, sondern aus anderen Gründen.

  11. @11

    Bitte a wengerl mehr Infos zur naechsten, hirnigen* Anspielung.

    *SciFi-Bullshit, wie ich nun erlesen habe.

  12. Erfrischend fand ich, in dem verlinkten FAZ-Artikel „con Kollege Nils Minkmar“ das unschuldige Wort „Schwarzer“ zu lesen – anstatt eine der gerade momentan üblichen verkniffenen Umschreibungen.

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