Wie sie wurden, was sie nicht mehr sind

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Der Musiksender Viva ist heute erst zehn Jahre alt, hat aber fast schon einen Nachruf verdient – Eine Geschichte in acht Gesichtern.

Ohne Viva wären DJ Bobo, Scooter und das Comeback von „Modern Talking“ nicht denkbar gewesen. Das mag ein zweifelhafter Erfolg sein, aber es ist ein Nachruhm, den dem Musiksender niemand nehmen kann, egal was kommt. Durch Viva, das Kind der Plattenindustrie mit Mindestanteil an Videos aus deutschen Landen, hat die deutsche Musikszene einen Schub bekommen, der kaum überschätzt werden kann. Welche Bedeutung der Sender heute, zehn Jahre nach dem Sendestart, noch hat, ist dagegen weniger gewiß.

Er ist gegenüber MTV in die Defensive geraten und leidet massiv unter der Werbeflaute. Musik ist im laufenden Programm von Viva nur noch ein Element unter vielen, die Beliebigkeit und die Austauschbarkeit des Senders wächst. Der Ableger Viva Plus betrachtet Musikfernsehen konsequent als Hintergrundmedium und Dudelfunk mit Grußmöglichkeit per teurer SMS. Er kommt ganz ohne Moderatoren aus, die bis vor kurzem noch als unentbehrlich galten, um einem Sender die nötige Unverwechselbarkeit zu verschaffen, und hat trotzdem schon fast so viele Zuschauer wie die große Schwester.

Vielleicht ist der zehnte Geburtstag von Viva die letzte Gelegenheit, eine Gattung zu würdigen, an die man sich bald nicht mehr erinnern wird: den Viva-Moderator. Er oder sie ist inzwischen verschwunden oder bei einem anderen Sender zu dem Typus mutiert, der dort gepflegt wir. Dies ist der Versuch einer kleinen Typologie der Gesichter eines Musiksenders.

Charlotte Roche.
Die Alibifrau.

Seit kurzem sieht man sie wieder häufiger im Viva-Programm oder wenigstens ihren Namen oder wenigstens den ihrer Sendung. Denn seit kurzem blendet Viva tagsüber oben eine Zeile ein, in der auch Sendungen angekündigt werden, die erst nach Mitternacht laufen. Das hat sich insofern schon gelohnt, daß man sich nicht mehr fragen muß, ob Charlotte Roche da überhaupt noch ist. Doch, ist sie. Aber vorher müssen halt noch diverse Wiederholungen von traurigen alten Pro-Sieben-Sendungen gezeigt werden, die kann man ja schlecht tief in der Nacht versenden. Man müßte Charlotte Roche mit ihrer Rotzigkeit und ihrem Interesse an Musik die „Vorzeigefrau“ von Viva nennen, aber natürlich ist sie die „Versteckfrau“: Es reicht völlig, daß sie da ist, man muß sich mit ihrer kleinen Sendung „Fast Forward“ ja nicht auch noch die Quoten versauen. Das eigentlich Traurige ist, daß ihr etwas verunglückter Ausflug zu Pro Sieben zeigte, daß sie bei einem kleinen Sender richtig gut und viel besser aufgehoben ist. Wenn dieser nur wüßte, was er an ihr hat.

Mola Adebisi.
Der Übriggebliebene.

In einem Interview hat Mola Adebisi einmal gesagt: „Von all meinen Aktivitäten, die ich seit meiner Jugend betrieben habe, ist Moderator mehr oder weniger ein Abfallprodukt gewesen.“ Und: „Ich bin zum Moderieren gekommen wie die Jungfrau zum Kind.“ Dem ist wenig hinzuzufügen. Als Mola Adebisi zu Viva kam, war er zwanzig und moderierte Kinderquatsch, im Februar wird er 31 und moderiert immer noch Kinderquatsch. Jeder andere wäre vermutlich nicht nur längst gegangen (okay, Mola hat zwischendurch „Die dümmsten Urlauber der Welt“ bei RTL 2 moderiert, das zählt aber kaum als Karriereschritt), sondern hätte sich wenigstens ein neues, gar reiferes Format bei seinem Sender erkämpft. Nicht einmal die Jubiläumssendung durfte er moderieren, wahrscheinlich ist er aber für das Clip-Special „25 Jahre Viva“ im Jahr 2018 schon gebucht. Andererseits: Für wen ist es trauriger, sich nicht zu verändern, für Mola oder einen trendigen Musiksender? Womöglich ist Molas Erstarren in Wahrheit eine große Erfolgsgeschichte. Was macht eigentlich Kristiane Backer?

Heike Makatsch.
Der Star.

Dutzendfach ist er gelaufen, der Clip von den ersten Minuten im Leben von Viva, in denen sie sagt: „Wir sind mehr als nur ein Fernsehsender, denn wir sind euer Sprachrohr und euer Freund, und ab heute bleiben wir für immer zusammen, okay?“ und sich zur Kamera beugt und ungelenk mit den Händen ein Sprachrohr formt. Immer noch hat er eine schräge Magie, weil Heike Makatsch so entschieden unprofessionell dasteht und doch so anders unprofessionell als all die anderen, die dachten, es reicht, nichts zu können, um Viva-Moderator zu werden. Sie steht da wirklich als neue Freundin und ist die einzige, die diesen Satz sagen kann, ohne daß er peinlich ist. Natürlich war sie klug genug, nicht für immer mit uns und Viva zusammenzubleiben, sie hat die wohl erstaunlichste Karriere gemacht und dreht heute Weihnachtskomödien mit Hugh Grant. Sie wirkt dabei so wenig wie eine richtige Schauspielerin wie damals wie eine richtige Moderatorin, und trotzdem möchte man sagen, daß sich das ganze Projekt Viva schon gelohnt hat, nur um der Welt Heike Makatsch zu schenken.

Stefan Raab.
Der Nervige.

„Du weißt auch nie, wann Schluß ist“, wirft man Kindern vor, wenn sie einen „Scherz“ zu weit getrieben haben. Dabei ist das exakt das Erfolgsgeheimnis von Stefan Raab. Alle Viva-Moderatoren profilierten sich über Penetranz, die meisten beließen es dabei, sich dafür eine möglichst affige, immer gleiche Begrüßungs- und Abschiedsfloskel auszudenken. Raab war konsequenter: Er verfolgte seine Opfer mit Mikrofon und Dauergrinsen, bis sie ihm eine reinhauten. Schon „Vivasion“ funktionierte durch die Wiederholung der immer gleichen Witze, so wie er später bei „TV Total“ geschätzte drei Millionen Mal das Geländer herunterrutschte, um den „Weltrekord“ zu brechen, und vermutlich noch öfter mit den Worten „Wir haben doch keine Zeit“ auf seine Armbanduhr tippte. Jahrelang hatte er erzählt, das mit dem Fernsehen nicht ewig machen zu wollen, sondern nach ein paar Jahren aufzuhören, um die Welt zu umsegeln. Gerade hat er dieses Versprechen gebrochen. Stefan Raab weiß, wann Schluß ist, nämlich genau dann, wenn der Spaß aufhört: nie.

Enie van de Meiklokjes.
Das eigentliche Nichts.

Es ist schwer zu sagen, was Enie van de Meiklokjes richtig gut kann. Sie moderiert, aber man weiß eigentlich nicht, warum. Sie ist bekannt, aber man weiß eigentlich nicht, woher. Sie redet, aber man weiß eigentlich nicht, worüber. Sie hat sich irgendwann diesen lustigen Künstlernamen anstelle von Doreen Grochowski ausgedacht, das hilft, und darüber kann man in jeder Talkshow ein bißchen plaudern. Und sie hat sich irgendwann diese lustige rote Frisur ausgedacht, das hilft auch, und als die Telekom sie als Modell für die Werbung verpflichtete, wurden die Haare magentarosa, warum nicht, besser, als wenn die Hausfarbe des Unternehmens Schlammbraun oder Giftgrün gewesen wäre. Ihre offensichtliche Talentlosigkeit ist Teil ihres Erfolges, schließlich können die meisten Zuschauer zu Hause auch nicht besser Englisch, ist doch nett, daß man trotzdem ins Fernsehen kommt, nicht nur diese arroganten Alleskönner. Jetzt moderiert sie im ZDF eine Sendung über klassische Musik, die Menschen ansprechen soll, die nichts von klassischer Musik verstehen. Sie ist die perfekte Wahl.

Oliver Pocher.
Harald-Schmidt-Imitator.

Die selbstironische Brechung, die Harald Schmidt ins Fernsehen brachte, war eine erfrischende neue Haltung, bis jeder siebzehnjährige Nachwuchsmoderator dachte, es solle auch die seine sein. Bis eine ganze Generation entdeckte, daß es zwar geil ist, Viva-Moderator zu sein, aber cooler, nur einen Viva-Moderator zu spielen. Daß man jeden schlechten Auftritt dadurch auffangen kann, daß man so tut, als sei es ohnehin nicht ernst gemeint gewesen, zwinker, wir verstehen uns, hey. Wenn Schmidt es schafft, jedem PR-Auftritt irgendeines Viva-Sternchens einen doppelten Boden zu geben, der ihn glänzen läßt, kann man es als cleverer Bursche sicher auch überleben, auf dem Interaktiv-Sofa zu sitzen und peinliche Fanpost von Teenagern vorzulesen – so die Logik von Oliver Pocher. Immerhin brachte er es zu einer Art Late-Night-Show bei Pro Sieben namens „Rent a Pocher“, in der nicht einmal das Saalpublikum über die Witze lacht. Sein eigenes „Höhö“ ist das einzige, was man hört. Aber in irgendeiner postmodernen Fernsehlogik ist das sicher ein Qualitätsmerkmal.

Sarah Kuttner.
Die Distanzierte.

Was für ein Glücksfall. Vor zwei Jahren kam Sarah Kuttner zu Viva und rettete den Sender – soweit eine Moderatorin das kann – vor kompletter Bedeutungslosigkeit. In kürzester Zeit stieg sie zum neuen Star des Senders auf, brachte ihn in die Schlagzeilen (bevor sie sich für den „Playboy“ auszog) und bewies, daß es einen dritten Musikfernseh-Moderationsweg gibt zwischen zynischer Dauerironie und dem völligen Einssein mit dem Teenageruniversum. Sarah Kuttner wirkt, als sei sie nur zu Gast in dieser Viva-Welt, als hätte sich selbst nie ein Poster von Alexander oder Westlife ins Kinderzimmer gehängt, und wenn doch, wäre es nicht sehr wichtig gewesen. Aber zugleich schaut sie nicht herab auf die „Bravo“-Leser, die sich ihre Sendungen anschauen. Sie ist unangepaßt in ihrem merkwürdig konservativen Auftreten und wirkt viel älter als die vierundzwanzig Jahre, die sie ist, wohl weil sie so wunderbar gelassen ist bei dem, was sie tut und was passiert. Auf ihrer Homepage steht: „Und ich frage mich gelegentlich: Bin das ich, oder bin ich schon so wie die im Fernsehen?“ Keine Sorge.

Dieter Gorny.
Der Philosoph.

Er hat noch keine eigene Sendung, aber wenn es mal soweit ist, müßte sie „Solo“ heißen oder „Astro-TV“, ein Format, in dem Viva-Chef Dieter Gorny ohne große Unterbrechung erzählen könnte, was die Zukunft bringt. Das wäre eine Neunzig-Minuten-Show, darunter ist es kaum zu machen. Wenn Gorny in Fahrt ist, mäandert er fröhlich durch Musikwissenschaft, Trendforschung, PR-Analyse und eigene Erfahrungen als Vater. Es wäre eine unterhaltsame Sendung, bei der man am Ende kurzzeitig das Gefühl hätte, jetzt hätte einem endlich jemand erklärt, was die Zukunft bringt. Später würde einem auffallen, daß richtig viel Handfestes nicht dabei war und das wenige genau das Gegenteil dessen, was er in der vorigen Ausgabe gesagt hatte. Es kämen Sätze darin vor wie der, den Gorny gerade dem „Musikmarkt“ zur Zukunft der Branche sagte: „Musikfernsehen als Brücke zwischen digitaler Distribution, sprich Downloading, und normalem Fernsehkonsum“, und: „Wir stehen hier am Anfang der digitalen Revolution.“ Wer wollte dem widersprechen, was immer es bedeuten mag?