Anders, wie alle anderen

Süddeutsche Zeitung

MTV will mit neuen Shows wieder schräg werden.

MTV hat jetzt eine richtige Musiksendung. Doch, das ist eine Nachricht! In den vergangenen Jahren wurde der Platz zwischen den Videos wie bei Viva vorzugsweise mit Informationen darüber gefüllt, welche Haarfarbe der Künstler gerade ausprobiert und mit wem er vorletzte Woche im Restaurant gesehen wurde. Bei Brand:neu erfährt man tatsächlich, welche Leute an der Platte mitgewirkt haben und warum die Single nur in den USA rauskam. Kein Meilenstein des Journalismus – aber den erwartet auch niemand. Eine Offenbarung ist immerhin der Moderator: Gerd Bischoff, der erste Video-Jockey, der nicht ausgewählt wurde, weil er aussieht wie Holger Speckhahn oder Kristiane Backer, sondern weil er 15 000 Platten, Erfahrung als Journalist und Ahnung von Musik hat. Der erste über 40 ist er außerdem.

Brand:neu ist eine von vier neuen deutschsprachigen Sendungen auf MTV – und die einzige, die hausintern nicht umstritten ist. Klar: In unsicheren Zeiten funktioniert die Rückbesinnung auf den Kern am besten. MTV ist trotz steigender Quoten in einer Identitätskrise. Das liegt zum einen daran, daß es schwerer denn je zu sein scheint, zu wissen, was die Jugend will – im allgemeinen und vom Musikfernsehen im besonderen. Aufmüpfigkeit, Rebellion? Och nö. Kooperationen mit Greenpeace? I bäh!

Sterni steht und sächselt

Ein weiterer Grund ist Christiane zu Salm, seit 15 Monaten Deutschlandchefin von MTV. Als sie antrat, gab sie die Devise aus, um jeden Preis Quote zu machen. Das Ergebnis war die Show Live aus Berlin, die den Begriff „Infotainment“ als kombinierte Abwesenheit von Sinn und Witz definierte und auch nach Salms Ansicht ein Fehler war. Jetzt sollen die Sendungen wieder schräg sein, ironisch, respektlos – anders. Das ist nicht leicht, da die Fernsehwelt heute bevölkert ist von Harald Schmidts und Stefan Raabs und die MTV-Welt nicht mehr von Ray Cokes und Christian Ulmen.

Die neue Show emtevau mit deutscher Musik moderiert Sterni, ein netter 24jähriger Koch, den Salm in Leipzig getroffen hat. Sie war begeistert von seinen „Nüs“ und „Geleschenheiten“, gab ihm ein altes Mikrophon im handlichen Riesensalamiformat, stellte ihn vor eine Panoramatapete und bat ihn, sich seine Unbeholfenheit und seinen Dialekt nie abzugewöhnen. Da steht er nun und sächselt. Das ist zwar innovativer als bei Viva, wo sich die Moderatorinnen nur durch ihre Gesichtspiercings unterscheiden – aber seit Stefan Raab die „Öla Palöma Boys“ groß rausgebracht hat, ist Sterni so originell wie Toastbrot in Scheiben.

Salms Vorgänger machte den Fehler, nur die Hitparaden-Top-40 zu spielen; Salm steuerte um und schuf mit den neuen Shows gezielt Nischen. Dennoch erbleichten ihre Musikredakteure, als sie Kitchen sahen. Erstes Video: Nancy Sinatra. Manchmal gibt es zwischen Smashing Pumpkins und Blur auch Ray Charles. Schöne Idee, nur: Wer will das sehen, mittags um eins? Fünftkläßler, die von der Schule kommen? Kitchen ist eine der Sendungen, die dem Prinzip folgen, es reiche, jeden Tag einen anderen Gast „Schnapp die Wurst“ spielen zu lassen. David Copperfield war da. Unsichtbar allerdings, „sein neuester Trick“. Netter Gag. Aber eine Stunde lang? Kitchen krankt am fehlenden Mut, wirklich radikal zu sein. Salms MTV ist schräg, aber harmlos. Der Kitchen-Moderator Max von Thun ist kein Anarcho; er spielt einen. Einmal hatte er das sprechende Spielzeug Furby in seiner Sendung und taufte es – sein Kollege Niels Ruf hatte auf Viva 2 zuvor zwei Furbies. Er probierte mit ihnen Stellungen des Geschlechtsverkehrs.

Dann ist da noch Enjoy MTV, eine Kooperation mit der Frauenzeitschrift Joy. Paarungswillige Menschen erzählen, was sie toll an sich finden, was nicht und wie das war, als sie beim Sex im Englischen Garten erwischt wurden. Alles komplett in Schwarz-Weiß; das ist fast so cool wie Joy und die Kandidaten. Steve, 26, sucht eine Frau, die gebaut ist wie ein Porsche: „Melde dich, mein Sportwagen, dann fahre ich dich. “ Und Mehmet, 33, bewirbt sich mit dem Satz: „Es ist immer wieder peinlich, wenn ich im Bett zu schnell komme. “ In der Tat.