Gabi Bauer

Gabi Bauer spricht nicht mehr mit mir. Nicht, dass sie neuerdings immer die Mailbox drangehen lässt oder nicht mehr zum Grillen vorbeikommt — wir kennen uns gar nicht. Aber früher hat sie mir fast jeden Tag erzählt, was so passiert ist. Sie hat hinter ihrem „Tagesthemen“-Schreibtisch gesessen und das Weltgeschehen für mich in kurze Hauptsätze zerlegt. Das Erstaunliche war, dass ich das Gefühl hatte, sie erzählt da nichts einer Fernsehnation — sie erklärt das nur mir. So natürlich und entspannt saß sie da und lehnte sich nach vorn und schaute mich an.

Wenn Gabi Bauer heute das „Nachtmagazin“ moderiert, tritt sie erst einmal auf. Das bedeutet, dass sie erst hinten im Studio steht, dann vier Schritte macht und dann vorne im Studio steht. Und dann geht die Sendung los. Und dann steht sie also da. Ohne irgendeinen Tisch zum Aufstützen, ohne eine Wand zum Anlehnen, ohne ein Pult zum Einfach-mal-die-Beine-dahinter-Kreuzen. Zum Festhalten hat sie nur einen kleinen Packen Karten, die sie im Lauf der Sendung immer mehr rollt. Gabi Bauer erklärt immer noch, statt Nachrichten vorzulesen, aber weil sie so haltlos frei im Raum steht, das Gewicht auf einem Fuß, macht sie dazu ausladende Bewegungen. Beschreibt sie etwas Großes, breitet sie die Arme aus. Beschreibt sie etwas Kleines, zeigt sie mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand, wie groß ein Zentimeter ist. Oft gehen ihre Hände synchron nach links, nach rechts, beschreiben ein Einerseits-Andererseits, selbst wenn Gabi Bauer gerade gar nichts erklärt, das zwei Seiten hat. Ihre Haltung ist so entspannt wie die eines Party-Gastes, der nun schon zehn Minuten fern jedes Cocktail-Tischchens in ein Gespräch mit Fremden verwickelt ist und noch nicht mal ein Glas Sekt bekommen hat, an dem er sich festhalten könnte.

Wer denkt sich so was aus? Wer glaubt, dass es die beste Haltung für eine Nachrichtenmoderatorin ist, unentspannt und tischlos mitten im Raum herumzustehen? Und wenn sie da schon stehen muss, warum kann sie da nicht schon vor der Sendung stehen? Warum muss sie am Anfang noch diese lächerlichen vier Schritte aus dem Dunkel eines Studios machen, das so aussieht, als sei es überhaupt nur fünf Schritte lang? Was kommt als nächstes? Eine Showtreppe?

Am Montag sprach Gabi Bauer in der Sendung mit einem Mann, der — wie sie — in Hamburg war und — jede Wette: zwei Meter von ihr entfernt ungefähr an ihrem alten Platz saß. Aber Gabi Bauer schaute nicht zu ihm, sondern starr nach vorn in die Kamera. Und er erschien auf der Multivisionswand hinter ihr und schaute auch starr nach vorn in die Kamera. Aber zwischendurch, wenn sie sprach, guckte er ein paar Mal zur Seite, dorthin, wo anscheinend die echte Gabi Bauer war, der er in die Augen hätte schauen können, wenn sie nicht von ihrem Stehplatz aus nach vorn in die Kamera hätte gucken müssen. Es war sehr verwirrend.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung