Mirja Boes

Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass an einem Abend im September 2043 eine Gala im Fernsehen laufen wird, die die Entertainerin Mirja Boes zu ihrem 70. Geburtstag hochleben läßt und auf ihre schönsten Erfolge zurückblickt (mit einer bewegenden Live-Schaltung zur 102jährigen Heidelinde Weis auf dem „Traumschiff“) und in der Freunde und Kollegen an das Jahr erinnern, in dem diese erstaunliche Karriere begann: an den Sommer 2006, als RTL beschloss, Mirja Boes ganz groß rauszubringen.

Ausgeschlossen ist das nicht. Wahrscheinlicher ist, dass dieses Jahr in Erinnerung bleiben wird als das, in dem Mirja Boes nahtlos den Übergang schaffte von einer mittelbekannten, derben, aber nicht unlustigen Sketch-Komikerin zu einer dieser allgegenwärtigen Scheinprominenten, die, wo man auch hinzappt, immer schon da sind und „lustige“ Sachen sagen. Und das, ohne den früher üblichen Umweg genommen zu haben, zwischendurch ein echter Publikumsliebling gewesen zu sein.

Das kann man Mirja Boes nicht einmal vorwerfen. Und bestimmt hat es auch RTL gut gemeint. Boes spielt für den Sender in einer neuen Sitcom namens „Angie“ eine „chaotische Parfümerie-Angestellte mit Pech in der Liebe“, und offenbar fand jemand, dass die Frau viel zu lustig ist, um nur eine Sendung zu machen. Oder dass auch bei Talentförderung „viel hilft viel“ gilt. Oder auch nur, dass man dem Publikum, das Boes vor allem aus der Sat.1-Sketch-Show „Die dreisten Drei“ kennt, massiv zeigen muss, wo sie jetzt zuhause ist. Jedenfalls saß Mirja Boes am Freitag schon in drei RTL-Sendungen herum: Sie moderierte nüchtern eine Besoffenen-Gröl-Show namens „Karaoke-Showdown“ weg. Sie ist fester Gast bei der Bekifften-Rateshow „5 gegen 100“. Und sie kam im Countdown der „10 größten Showmaster“ zu Wort und sagte, glaube ich, dass Rudi Carrell Holländer war. Sie saß da also neben Menschen wie Ingo Appelt, die sich in diesen Sendungen ihr Gnadenbrot verdienen, und ist jetzt schon dort angekommen, wo Aleksandra Bechtel seit Jahren nicht mehr wegkommt.

Der Sender nennt Boes „Schauspielerin, Sängerin, Musikerin und Moderatorin“ und „vielseitig talentiert“. Komische Logik: Jetzt, wo RTL sie ganz groß raus bringt, wird sie weniger denn je davon zeigen können. Wenn sich jemand neben ihr im Karaoke verausgabt, darf sie „großartig“ sagen. Das ist es schon.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung