Journalismus im Dienst der Angst

Ach, wie mutig sie ursprünglich sein wollten in Köln; ein Zeichen wollten sie setzen. Beim Rosenmontagszug in zwei Wochen sollte es einen Wagen geben, der sich mit dem Terroranschlag auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ auseinandersetzt. Eine Skizze des Wagens kursierte schon länger. Sie zeigt einen Clown, der seinen Bleistift in die Mündung einer Schusswaffe rammt; der Terrorist dahinter schaut doof aus seiner Sturmhaube, während ihm Idefix auf den Schuh pinkelt. Und hinter dem Clown steht: „Pressefreiheit! Meinungsfreiheit!“

Motiv-Skizze des Charlie-Wagens beim Kölner Rosenmontagszug

Das Motiv ist nicht sonderlich provokativ, nicht mal besonders kreativ nach allem, was man in den vergangenen Wochen an Karikaturen zu diesem Thema gesehen hat. Dem Festkomitee Kölner Karneval ist es nun aber plötzlich doch zu heikel. Am Mittwochabend beschlossen die Organisatoren ganz überraschend, dass es den geplanten Wagen doch nicht geben wird:

Wir möchten, dass alle Besucher, Bürger und Teilnehmer des Kölner Rosenmontagszuges befreit und ohne Sorgen einen fröhlichen Karneval erleben. Einen Persiflagewagen, der die Freiheit und leichte Art des Karnevals einschränkt, möchten wir nicht.

Das muss man sich kurz auf der Zunge zergehen lassen: Ein Festwagen, der für Presse- und Meinungsfreiheit steht, wird zurückgezogen, weil er – angeblich – die „Freiheit und Leichtigkeit des Karnevals“ einschränkt. Das ist nicht nur für sich genommen eine denkwürdige Begründung, sie ist noch mal kurioser, wenn man die Genese dieses Wagens kennt. Das Festkomitee hatte kürzlich erst mit viel Tamtam über das Motiv abstimmen lassen, auf Facebook. 14 Entwürfe standen zur Auswahl. Und dieser, der mit dem Clown, gewann den Wettbewerb. Die Reaktionen waren, laut Festkomitee, überwiegend positiv:

Wir sind sehr dankbar über die zahlreichen Rückmeldungen der Menschen zu dem geplanten Wagen. In den sozialen Netzwerken und in den Medien wurde das Thema des geplanten Wagenbaus vielfach diskutiert. Zudem haben uns in den letzten Tagen zahlreiche Rückmeldungen per Email und auf dem Postweg erreicht. Viele Menschen stimmen uns zu und bekräftigen das Vorhaben, ein Zeichen zu setzen.

Viele Menschen stimmten also zu. Es waren sogar Islamwissenschaftler an der Berwertung der Motive beteiligt, damit keine religiösen Gefühle verletzt werden. Lediglich „einige Rückmeldungen“ besorgter Bürger habe es gegeben, „die wir sehr ernst nehmen“, schreibt das Festkomitee. Sonst aber betonen die Organisatoren, wie sehr sie zu dem Motiv stehen, wie unbedenklich und gleichzeitig wichtig es sei, so als Signal, und dass es auch seitens derer keine Bedenken gegeben habe, die für die Sicherheit des Umzugs zuständig sind:

Nach Auskunft hochrangiger Vertreter der Polizei und weiterer Behörden gegenüber dem Festkomitee besteht und bestand keinerlei Risiko für den Kölner Rosenmontagszug, weder für Teilnehmer noch für Besucher – auch ausdrücklich nicht wegen des Charlie-Hebdo-Wagens.

Kein Risiko also. Keine Bedenken. Aber gottseidank kann man sich, wenn gerade mal keine Panik herrscht, darauf verlassen, dass irgendwelche Medien Panik erzeugen, zum Beispiel der „Kölner Stadtanzeiger“, der gestern, noch vor dem Rückzug des Wagens, titelte:

Bildschirmfoto 2015-01-29 um 12.26.38

Die Überschrift ist bemerkenswert, wenn man den Text darunter liest, in dem eher entwarnt wird. Dort sagt zum Beispiel der Kölner Polizeisprecher, dass es „keinerlei Hinweise auf eine konkrete Gefahr“ gebe, und dass man sich zum Sicherheitskonzept des Umzuges (aus gutem Grund) nicht äußere.

Aber das ist dem „Stadtanzeiger“ natürlich wurscht.

Aus einer ungenannten Quelle will die Zeitung „erfahren“ haben, dass der Wagen „unauffällig von getarnten Beamten eines Spezialeinsatzkommandos (SEK)“ begleitet werden soll, worüber sich die getarnten, unauffälligen Beamten sicher gefreut haben, dass das nun auffällig in der Zeitung stand. Zumal es nicht mal etwas Besonderes ist, wie der Leiter des Umzugs der Zeitung sagt: Der Rosenmonatszug sei ein Millionenevent, bei dem „in jedem Jahr“ Polizei dabei sei, zumindest „seit in der Session 2009 ein Wagen mitrollte, der sich mit dem US-Gefangenenlager Guantanamo beschäftigte“.

Dass der Umzug beschützt wird, ist also offenbar Usus. Dennoch verkauft der „Stadtanzeiger“ das als besondere Neuigkeit. Und auch der „Express“ jazzte die Sache mit dem angeblichen Polizeischutz hoch. Auch hier sagt der Polizeisprecher, dass er nichts sagt, dass es aber auch keine Bedenken gebe. Und wieder taucht irgendeine anonyme Quelle auf, dieses Mal „ein ranghoher Beamter“, der darüber plaudert, wie der Wagen angeblich vor Terroristen geschützt werden solle. Dabei dementiert das Festkomitee ausdrücklich, dass überhaupt irgendein einzelner Wagen besonders geschützt werden sollte:

Dies wurde heute in verschiedenen Medien falsch dargestellt und verursachte somit Verunsicherung bei einigen Lesern.

Und noch etwas stand im „Kölner Stadtanzeiger“ und im „Express“, was das Festkomitee nun dementiert:

In den Medien wurde heute publiziert, dass Gruppen oder Karnevalsgesellschaften gegenüber dem Festkomitee Ängste geäußert hätten, vor oder hinter dem geplanten „Charlie-Hebdo-Wagen“ zu gehen. Auch das ist schlichtweg falsch. Gegenüber dem Festkomitee wurden solche Ängste nicht kommuniziert. Dies war bis heute nicht der Fall.

Es waren also offenbar alle, von vereinzelten besorgten Bürgern mal abgesehen, ganz ruhig und besonnen, da die Lage und der harmlose Wagen ja nach Auskunft der Behörden unbedenklich waren – bis bei diversen Medien die Panikmaschine ansprang, auch bei den so genannten Regionalnachrichten von Sat.1, wo schon die Anmoderation karnevalesk doof ist:

Feiern, Trinken, Lachen – der Kölner Rosenmontagszug steht ja vor allem für eins: für Spaß und Halli Galli. Aber jetzt bekommt diese heile Welt einen Riss. Der Charlie-Hebdo-Wagen, der an die tödlichen Anschläge in Paris erinnern soll, soll nämlich wohl sogar vom SEK begleitet werden – aus Angst vor einem möglichen Islamisten-Attentat. Mit welchem Gefühl wir also dieses Jahr Karneval feiern können (…)

Und wie krampfhaft Sat.1 anschließend im Beitrag versucht, ein Gefühl von Angst heraufzubeschwören! Was aber dummerweise kaum jemand bestätigen möchte. Der Polizeisprecher (wieder) nicht. Das Festkomitee (auch wieder) nicht. Und auch die obligatorische Straßenumfrage liefert nicht das, was sich Sat.1 wohl gewünscht hätte. Eine Frau sagt, dass sie zwar ein mulmiges Gefühl habe in Menschenmengen, dass sie das aber nicht vom Feiern abhalte. Eine andere Frau sagt ungefähr dasselbe: Eine gewisse Angst, joah, aber trotzdem müsse man mitmachen, Spaß am Leben haben. Nur eine einzige Frau, wie als Alibi in den Beitrag eingeschnitten, sagt diesen einen Satz: „Ich hätte da schon Bedenken.“ Mehr nicht.

In einem Beitrag der WDR-Lokalzeit Köln, auch von gestern, ist die Tonalität ganz anders, viel entspannter. Die Session, bei der der WDR gedreht hat, ist ausgelassen, alle freuen sich, es ist nirgends von Bedenken die Rede oder von Polizeischutz, alle sind jut druff. Aber, wie gesagt, da sind halt genug andere Journalisten, die Angst und Bedenken haben. Oder vielleicht auch keine Bedenken, sondern Bock auf eine Geschichte, die sich gut verkauft, weil man mit Angst gut Geschäfte machen kann. In diesem Sinne und zur Freude aller Freiheitsgegner: Kölle Alaaf!

45 Replies to “Journalismus im Dienst der Angst”

  1. Leeven Boris,

    du schreibst: „Ein Festwagen, der für Presse– und Meinungsfreiheit steht, wird zurückgezogen, weil er – angeblich – die „Freiheit und Leichtigkeit des Karnevals“ einschränkt.“

    Das ist weder kurios noch denkwürdig. Wer auch nur einmal beim Kölner Zoch dabei gewesen ist, der weiß, wie unpassend ein solcher Wagen dort wäre. Der Stadtanzeiger kommentiert zu Recht heute: man solle sich mal vorstellen, wenn an dem Wagen – wie geplant – Fotos der Toten von Paris hängen, und dann stehen Leute oben und werfen Kamelle und Strüßjer. Und unten schunkeln die Massen. Tolles Bild?

    Zunächst mal sind die Mottowagen im kölschen Fasteleer selten politiknah, anders als etwa in Düsseldorf. Kann man kritisieren, ist aber so. Zweitens sind die politischen Mottowagen auch in Ddorf immer noch so, dass sie lustig sind oder auch lustig sein sollen.

    Insofern ist es – völlig unabhängig von einer realen oder eingebildeten Bedrohungslage – verständlich, so einen Festwagen nicht im Kölner Zug mitfahren zu lassen. Oder sagen wir anders: man muss das nicht verstehen, aber man sollte auch nicht so tun, als hätten Andersdenkende keine Gründe.

    Der wirkliche Fehler war m.E., überhaupt so etwas zu planen.

  2. Aus der vorgenannten Studie:
    „Werden Muslime oder der Islam dargestellt, so mit einem Rekordanteil von 80 Prozent negativer Berichterstattung bei den internationalen Meinungsführern. Außerdem, so die nüchterne Bilanz von Media Tenor, nehme die Dialogbereitschaft zwischen den Kulturen bereits Schaden, dies vor allem infolge der verschärften Berichterstattung über Migranten.“

    Und anschließend, ganz unbedarft tun und die besonders mediengläubigen Bürger aus der „Mitte der Gesellschaft“ als rechte Spinner verdammen, wenn sie zusammen auf die Straße gehen…

  3. @Tünnes

    So ist es!
    Nahe nach den Anschlägen sah sich ja jeder bemüht bemüßigt, ein wie auch immer geartetes Zeichen für die Meinungs- und Pressefreiheit zu setzen, leider auch das Festkomitee Kölner Karneval. Nun setzt aber langsam wieder die Vernunft ein. Die Nichtteilnahme des Wagens ist die einzig richtige Entscheidung, Begründung ist mir egal!
    Es arbeiten doch nicht nur Narren im Kölner Karneval!

  4. Dass sich der Kölner Karneval nicht mit einem Motivwagen dieses Themas annimmt, mag weder kurios noch denkwürdig sein (es ist nämlich vor allem eins: scheiß egal). Die Begründung des Festkomitees für den Rückzug ist aber trotzdem an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Jedenfalls, wenn man vorher wegen eines solch banalen, harmlosen und gänzlich unoriginellen Motivs so einen Wirbel veranstaltet und sich dabei im Sinne der „Narren- und Meinungsfreiheit“ ausgiebigst vorauseilend (wie gestern in der WDR-Lokalzeit) auf die Schulter klopft.

  5. @Tünnes: Dann sollten die Motivwagen (die ja ohnehin nur das letzte Überbleibsel der völlig verdrängten ursprünglichen politischen Dimension des Karnevals ist) aber gleich konsequent ganz abgeschafft oder von politischen Bezügen befreit werden, das wäre dann auch ein ehrliches Bekenntnis dazu, was Karneval heutezutage ist – nämlich eine reine Spaß-Veranstaltung, deren ursprüngliche religiöse und politische Bedeutung in der heutigen Spaßgesellschaft längst verlorengegangen ist.

  6. Wahrscheinlich war aber der Idefix ein tragender Teil, ohne den der Wagen nie durch den TÜV gekommen wäre. Und da der Hausjustiziar des Festkomitees ein paar Probleme mit dem Rechteinhaber gesehen hat, musste der Wagen gestrichen und eine doofe Ausrede gefunden werden.

  7. Sollte das Festkomitee den karnevalistischen Schlachtruf „Kölle Alaaf“ plötzlich etymologisch ernst genommen haben: „Köln (bleibe) am Leben“ – oder hat man die ollen Bee Gees, „Stayin‘ Alive“ wieder entdeckt: „Feel the city breakin‘ and everybody shakin“?!

  8. Karneval WÄRE gerne so relevant. So relevant dass da das SEK mitlaufen muss und von überall in der Welt „die Terroristen“ planen wie man denn den KARNEVAL IN KÖLN verhindern kann. ABER KARNEVAL IN KÖLN LÄSST SICH NICHT KLEINKRIEGEN!!! DIE TERRORISTEN GEWINNEN NICHT!

    Hätten se wohl gerne in Köln. Aber die paar Millionen Saufköppe interessieren halt keinen.

  9. @kampfstrampler
    Na ja, es gibt auch noch andere Erklärungen für die Herkunft und Bedeutung von „Alaaf“!
    Ich spare es mir, die hier darzulegen, kann jeder Interessierte selber ergoogeln!

  10. Jaja, der Bonner Bierkrug mit dem Trinkspruch aus dem 15. Jh. „Al-aff“ – so hätten es die Volkskundler gern (wie in Westfalen: „Das muß alles auf“) – nicht überzeugend. Während der Fastenzeit war Bierkonsum erlaubt (Grundnahrungsmittel): „liquidum non frangit ieiunium“ (Flüssiges bricht Fasten nicht). Es ging immer um Fleisch – im kölnischen Soest (Kalender 14. Jh.) heißt es „Carnis valet“. Achja, und der Elferrat hat sich in Köln ja angeblich nach ELF, Egalité Liberté Fraternité, benannt. Kölscher Karneval unpolitisch?! Heidewitzka, Herr Kapitän – 1936, die Kölner Nationalhymne, eine Parodie auf den Hitlergruß. Tempi passati …

  11. 7 (Sigur Ros)

    Ich kann keine historischen Belege für eine „ursprünglich politische Dimension des Karnevals“ finden. Vielleicht bin ich aber auch zu doof dazu. Karneval ist schon immer vor allem eine Spaßveranstaltung gewesen. Die Düsseldorfer haben die politisch stärkeren Motive im Zoch, gewiss, aber Karneval in Düsseldorf… nee, nicht wirklich… die haben ja noch nicht mal eigene Lieder…

  12. Ich finde das Muster für den Wagen eher witzig. Verstehe das ganze DamDam darum nicht. Man weiß ja schon garnicht mehr, wie man sich in der Öffentlichkeit äußern kann und das ist doch das Schlimme. LG Romy

  13. @kampfstrampler

    die Bedeutung von „Heidewitzka“ ist ja keinesfalls eindeutig geklärt. Und es waren unterm Adolf die allermeisten ganz klein bei den kölnischen Karnevalsgrößen, Typen wie Karl Küpper („es et am rääne?“) eine seltene Ausnahme, dafür hat dann das Festkomitee im Zoch sich über die Juden lustig gemacht. Tempi passati, na Gott sei Dank.

  14. @Tünnes #2:
    Ihre Gründe gegen den Wagen in allen Ehren, aber so wurde offenbar nicht diskutiert und nicht entschieden.

    @Politik im Karneval:
    Zumindest die Funkenmariechen sollen eine Verballhornung preußischen Armeeputzes sein und schon recht alt.

  15. Mit Angst und Sensation Geschäfte machen. Fatal. Jeder Mensch der das hier liest müsste verstehen, oder wenigstens erahnen, dass auch die Pegidahysterie der letzten Zeit von genau solchen Journalisten geschaffen wurde. Ich schlage vor: Straft diese Medien mit der Kündigung von Abonnements!

  16. @Niggemeier: psst, achtung mit solchen rants, am ende kommt noch Konstantin Neven DuMont und spamt hier wieder die kommentarspalten zu!!!
    übrigens: joot drupp bitte sehr.

  17. User unknown: woher wissen Sie, wie diskutiert und entschieden wurde? Aus den Meldungen, die Boris oben zerpflückt hat?

    Dat mit dem Marieche ist noch nicht janz der revolutionäre Akt. Ävver mer arbeede dran.

  18. Ja, Tünnes, das sind die Quellen, die bislang eingebracht wurden. Wenn sie ergänzende, widersprechende, andere Quellen haben, immer her damit – keine falsche Bescheidenheit.

  19. Die Geschichte hat noch einen irren Twist.

    Ein Sprecher von DITIB äußerte lt. Inforadio, dass er den Verzicht auf den Wagen begrüße, denn religiöse Gefühle sollten nicht verletzt werden (genauer Wortlaut fehlt mir noch). Demnach ist ein Terrorist der einen Zeichner dahinmetzelt also geeignet religiöse Gefühle auszulösen?
    Wochenlang wurde versucht allseits zu versichern, dass Terrorismus nicht mit Islam gleichzusetzen ist – hier wurde es umstandslos getan.

    Karneval in Köln: https://demystifikation.wordpress.com/2015/01/30/je-suis-angstase/

  20. Der von mir trotz seiner CDU-Karriere geschätzte Wolfgang Bosbach, Rheinländer und daher im Gegensatz zu manch anderem kompetent in dieser Frage, hat es meiner Ansicht nach treffend ausgedrückt:

    Wolfgang Bosbach (62, CDU), Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag aus Bergisch Gladbach: „Als ich die Zeichnung des Wagens gesehen habe, war mir sofort klar, dass er im Rosenmontagszug, nicht mitgehen würde. Ich bedauere die Entscheidung des Festkomitees, aber ich habe für sie Verständnis. Natürlich ist das ein Einknicken vor extremistischen, radikalen Kräften, aber wir alle wollen Rosenmontag als großes Volksfest unbeschwert erleben ohne, dass es von möglichen Gefahren oder Ängsten überschattet wird.“
    (Quelle: Kölner Express)

    Der Karneval im allgemeinen und der Kölner Rosenmontagszug im besonderen ist nicht in erster Linie eine Satireveranstaltung, sondern soll sinnfreie Fröhlichkeit vermitteln, ein letztes ausgelassenes Feiern vor Beginn der entbehrungsreichen Fastenzeit. Wer mehr erwartet oder gar verlangt, fehlinterpretiert den Sinn des Karnevals!

  21. @ Frank Reichelt
    „ein letztes ausgelassenes Feiern vor Beginn der entbehrungsreichen Fastenzeit.“

    So kann man sich das organisierte Saufgelage natürlich auch kulturell relevant reden.
    Aber mal ernsthaft – waren sie schonmal auf dem Zug in Köln? Glauben sie ernsthaft daran, dass das irgendwas anderes als eine große Mottoparty ist für die Leute da? Die Fastenzeit ist so ungefähr das Letzte was die Leute die da hingehen auf dem Plan haben.

  22. @Christian
    Leider ist Ihnen die leichte Ironie des Satzes entgangen!
    Geschriebene Ironie funktioniert einfach nicht, sollte ich langsam kapiert haben!
    Allerdings war der von Ihnen zitierte Satz ursprünglich wirklich mal eine Intention für den Karneval. Das die Realität heutzutage etwas anders aussieht, brauchen Sie mir als geborenem Kölner nicht zu sagen. Übrigens ist die Kommerzialisierung des modernen Karnevals ein Grund mehr, das weglassen des Mottowagens nicht überzubewerten.

  23. @Sigur Ros

    Klar gab es auch Bissigkeiten gegen die Obrigkeit, aber „politische Dimensionen“ hat es seit hundertfuffzisch Jahren – bis auf wenige Ausnahmen – im offiziellen Karneval zu Kölle nicht mehr gegeben. Gerade deswegen hatten ja in den vergangenen Jahren die alternativen Jecken (Stunksitzung, Deine Sitzung) so einen Erfolg, weil alle anderen so bräsig waren.

  24. Der einzig entscheidende Faktor ist doch: Man wollte es machen, macht es aber nicht – aus Angst. Denn das geht ja aus der Begründung des Festkomitees hervor („ohne Sorgen“!).

    Und das finde ich verheerend.

    Hier geht es doch nichtmal um einen religiösen Kontext oder Bezug. Es wird kein Mohammed gezeigt o.ä., auch kein Moslem, sondern ein gewalttätiger Terrorist. Die Aussage soll doch lediglich sein, dass der Stift letztlich doch mächtiger sei als das Schwert – bzw. das Gewehr -, also dass man sich nicht unterkriegen lasse. Und gerade dieser Wagen mit dieser Aussage wird dann aus Angst – eben vor diesem Schwert – wieder zurückgezogen, womit die Organisatoren genaugenommen die Aussage des Wagens konterkarieren.

    Es geht – hier – nur um Karneval, klar. (Dass übrigens Karneval völlig unpolitisch sei, wie einige oben schreiben, stimmt definitiv nicht, aber egal.) Aber wenn schon bei so einem albernen Motiv die Angst dazu führt, dass es zurückgezogen wird, wie viel mehr dann erst in anderen Bereichen? Entscheiden sich Titanic-Redakteure noch dazu, neben Witzchen über den Papst oder Jesus – die ja wirklich sehr verbreitet sind – auch solche über Mohammed zu machen, ganz einfach, weil sie sich dieses Recht in unserem säkularen Staat herausnehmen dürfen?

  25. Ein letzter O-Ton, dann lasse ich es auch gut sein. Die Zeichnerin des Entwurfes für den Mottowagen, Sabine Voigt, im Kölner Express:

    „Es ging darum, die Pariser Kollegen zu ehren. Mit meinem Entwurf wollte ich niemanden beleidigen.“ Als sie von der Absage gehört hat, war sie fast erleichtert. „Es ist viel Ballast von meiner Seele gefallen“, so Voigt. „Denn es ist doch sehr viel auf mich eingeprasselt.“
    Die Zeichnerin kann deshalb den Baustopp ihres Wagens verstehen. „Wenn etwas passiert wäre, hätte ich das mein Leben lang nicht verkraftet. Deshalb war es, glaube ich, in Ordnung.“

  26. Zu 29: Schön, dann schlage ich vor, wir bauen den Wagen trotzdem. Ich übernehme die Verantwortung. Ich wohne in Köln. Karneval ist mir egal. Meinungsfreiheit nicht. Von mir aus kann man meinen Namen groß hinten drauf schreiben.

    Der Entwurf beleidigt den Islam nicht und ist für mich genau so unoriginell und künstlerisch anspruchslos wie 99% der anderen Zeichnungen, die nach der Terrorattacke im Internet erschienen und 99% der Wägen, die sonst noch so mitfahren.

  27. Es scheint offenbar in Vergessenheit geraten zu sein, dass zur Demokratie und Freiheit zwangsläufig gehört, dass man für beide hin un wieder den eigenen Kopf herhalten muss, wenn man auf der anderen Seite keine Massenüberwachung will.

    Karneval und ähnliche Feste in anderen Kulturen sind von Natur aus konformistisch; die Verhältnisse werden für kurze Zeit pervertiert und es wird eigentlich die bestehende Ordnung gefeiert („zum Glück geht es so nicht jeden Tag zu“). Gerade dann sollte man ruhig mal auf die Probe stellen, wie weit es mit den eigenen Werten noch her ist…

  28. „dann schlage ich vor, wir bauen den Wagen trotzdem. Ich übernehme die Verantwortung.“

    Das ist ein Wort, Peter. Dann mal fix ran ans Werk. Denn an Kommentarschreibern, die andere Leute für ihren fehlenden Mut kritisieren (und dabei kaum in Verlegenheit geraten, ihren eigenen Mut unter Beweis zu stellen), mangelt es ja nun wirklich nicht. Die virtuelle Welt ist proppevoll mit Helden.

  29. Ähmnja, wessen Gefühle ein bösartiger Satireclown verletzen soll, der einen wehrlosen Waffenträger niedermacht, verstehe ich zwar auch nicht, aber ok.

    Generell ist Karneval der Auftakt zu einer katholischen Ramadan-Ersatz-Veranstaltung und somit eine Verletzung islamischer Gefühle. „Du sollst keine Fastenzeiten neben meiner haben!“ Deshalb sind Karnevalszüge bekanntlich die häufigsten Opfer islamistischer Anschläge, ist doch klar. Das wir davon nichts mitkriegen, liegt nur an den starken SEK-Kräften, die regelmäßig als Clowns, Indianer, Cowboys oder SEK-Kräfte verkleidet den Zug begleiten.
    Islamisten erkennt man natürlich beim Rosenmontagszug ganz schnell: das sind die, die weder SEK-Kräfte noch betrunken sind.

    Wer oben sowas wie Satire findet, soll sie behalten und als Charlie-Gedächtnis-Anstecker an den Hut stecken.

  30. @kampfstrampler

    Kann mich noch gut an die Punker in der Nähe vom Dom erinnern, die vor Jahren den Zoch mit inbrünstig gerufenem „Kölle Anal“ begrüßt hatten. Die Reaktionen der umstehenden Jecken waren nicht unbedingt von Sinn für Humor oder von Toleranz geprägt…

  31. Tünnes: Ich meinte das vollkommen Ernst. unabhängig davon, dass ich meine Meinung auch im Internet und sonstwo äußere. Karneval interessiert mich nicht. Aber ich würde mich nie einschüchtern lassen wegen ein paar Irren, die mir mit dem Tod drohen, wenn ich mich über sie lustig mache. Karnevalsvereine, schreibt meinen Namen drauf, meine Anschrift dazu.

  32. Was ist daran so schwer zu verstehen? Wenn man Karneval generell nicht mag, so wie ich, kann man sich auch anders öffentlich zum Umgang mancher Menschen mit der Attacke äußern, was ich bereits getan habe. Sie sollten sich nicht so aufspielen, weil das hier das Internet ist und ihrer Meinung nach nichts, was hier gesagt wird, Auswirkungen auf das Leben jenseits davon hat. Und ja, man hat als Staatsbürger jedes Recht der Welt, zu kritisieren, wie einige Karnevalsmenschen hier den Schwanz eingezogen haben, wo sie sich doch sonst so kritisch geben. Ich werde keinen Wagen bauen, weil ich Karneval an sich dumm finde, so wie ein Atheist nicht an Gott glaubt, aber ich habe nichts dagegen, wenn man in meinem Namen ein Zeichen gegen Intoleranz setzt.

  33. Na da haben die Trroristen doch gewonnen !!!!

    Wir lassen uns einschüchtern ! Wenn Die wirklich einen Anschlag planen würden ,dann Wäre denen egal ob da der Wagen dabei ist oder nicht . Aber der Kölner Karneval macht lieber den „KNIEFALL“ vor den terroristen !!!!

  34. Also, wenn ich den Beitrag richtig interpretiere, dann behandelt er nicht die Frage, ob ein solcher Wagen beim Rosenmontagszug prinzipiell angebracht ist oder nicht.

    Ausgangspunkt ist vielmehr die Tatsache, DASS er von den verantwortlichen Personen für angebracht gehalten und medienwirksam inszeniert wurde. Die Kritik entzündet sich daran, dass dieselben Personen nun einen Rückzieher machen, nachdem von der Sensationspresse eine Gefahr suggeriert wurde, die es offenbar so gar nicht gibt.

    Der Vorgang ist an sich schon befremdlich, hat aber noch schwerer wiegende Folgen. Denn was im Bewusstsein der Öffentlichkeit hängen bleiben wird, ist ein weiterer Fall von vorauseilendem Gehorsam gegenüber islamistischen Tugendwächtern: „Beim Kölner Rosenmontagszug wurde wegen Sicherheitsbedenken sogar ein islamkritischer Wagen zurückgezogen!“

    Nach den niedlichen Sparschweinen fällt jetzt also auch der gute, deutsche Karneval der Islamisierung des Abendlandes zum Opfer …

    Um den Wagen selbst mag es also nicht schade sein. Die Geschichte ist aber ein weiteres Beispiel für den verantwortungslosen Umgang mit sensiblen Themen. Nicht nur, aber auch von Journalisten. Die Kritik daran halte ich für absolut berechtigt.

  35. Natürlich haben die alle einfach nur Angst. Das ist eben menschlich. Peinlich nur, wenn einem das hinterher einfällt und man sich dann fix aus der anfangs eingenommenen wohlfeilen Heldenpose rauswinden muss. In Hamburg hat neulich die Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe auf einem Pressetermin angekündigt, aus aktuellem Anlaß in einer für das Frühjahr geplanten Schau über die Wechselwirkungen der Rezeption Islam-Europa auch ein paar Karikaturen etwa aus Charlie Hebdo zeigen zu wollen (aufgeschrieben von dpa/Hamburger Abendblatt). Schon einen Tag später hat sie gegenüber der Hamburger Morgenpost plötzlich so getan, als hätte sie das alles gar nicht gesagt und auch das Konzept ihrer Ausstellung umgedeutet: nicht die europäische, nur die islamische Perspektive solle gezeigt werden.

  36. @Boris Rosenkranz
    Ich habe eben den Zapp-Beitrag von Ihnen und Ihrer Kollegin gesehen.
    Wenn die Berichterstattung und „Panikmache“ der Kölner Lokalpresse dazu geführt hat, dem Festkomitee Vernunft einzubläuen und dazu geführt hat, auf den Motivwagen zu verzichten, ist sie dafür ausnahmsweise zu loben und nicht zu kritisieren!

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