Reinhold Beckmann

Es war alles nur Tarnung. Jahrelang musste Reinhold Beckmann den Emo-Talker geben. Musste abwechselnd fragen: „Wie fühlten Sie sich dabei“ und: „Was war das für ein Gefühl damals“, musste in eine Prominentenseele nach der anderen hineinkriechen, um ein bislang privates Gefühl herauszukitzeln, das sich dort verängstigt in einer Ecke versteckte. Er musste sich rankuscheln an seine Gäste, sie glauben machen, er sei ihr Freund. Oder ihr Therapeut. Oder ein befreundeter Therapeut. Jedenfalls kein Journalist.

Woche für Woche übte er in seiner Talkshow, bis er es schaffte, nicht einmal den Blick von seinem Gast abwenden zu müssen, wenn er auf dessen Bitte „Das ist mir zu privat, darüber möchte ich nicht reden“ reflexartig mit den Worten reagierte: „Aber der Selbstmord Ihrer Mutter damals . . .“ Er musste sein Profil als ernstzunehmender Journalist aufs Spiel setzen… Moment, nein: Er musste darauf verzichten, sich ein Profil als ernstzunehmender Journalist aufzubauen. Aber er wusste, irgendwann würde einer, der es verdient hat, in die Falle tappen und den wahren Beckmann kennenlernen. Und auf den Satz „Ich kann darüber aus rechtlichen Gründen nicht reden“ würde er antworten: „Dann gehen wir die Sachen mal langsam durch“, und man würde sein Taubsein plötzlich für eine harte Nachfrage halten. Und wenn sich herausstellte, dass der, der es verdient hat, auch noch die schlechtesten Berater der Welt hat, die hinterher sagen, man habe ihnen versprochen, dass das gar kein richtiges Interview werden würde, sondern nur ein beckmannsches Kuschelgespräch, dann würde er sogar als großer Verteidiger des Journalismus dastehen.

(Gut, die andere Möglichkeit ist natürlich, dass Beckmann die bösen Fragen nur als Lockerungsübung vor dem viel spannenderen „Wie fühlen Sie sich“-Gespräch mit Jan Ullrichs Frau gestellt hatte und selbst nicht ahnte, dass der NDR den kritischen Teil hinterher überraschenderweise nicht rausschneiden würde.)

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung