Aserbaidschan und die Pflicht zu hassen

Keine guten Nachrichten aus Aserbaidschan.

Der aserbaidschanische Schriftsteller Akram Ajlisli hat Ende vergangenen Jahres in einer russischsprachigen Zeitschrift die Novelle „Steinträume“ veröffentlicht. Sie spielt während der anti-armenischen Pogrome in Aserbaidschan zum Ende der Sowjetunion und schildert, wie zwei aserbaidschanische Männer versuchen, ihren armenischen Nachbarn zu schützen.

Armenien ist der Erzfeind Aserbaidschans und hält nach dem Krieg vor 20 Jahren die Region Bergkarabach besetzt. Eine freundliche Darstellung von Armeniern ist in Aserbaidschan eine Unmöglichkeit.

Ajlisli sagt, er hätte damit gerechnet, dass sein Werk Aufregung provozieren würde, aber die Heftigkeit des Aufruhrs habe ihn schockiert. Vor seinem Haus versammelte sich ein Mob, rief Beschimpfungen und verbrannte sein Portrait. Ein Präsidentschaftskandidat setzte eine Belohnung von umgerechnet 10.000 Euro aus für jeden, der Ajlislis Ohr abschneidet. Während einer Debatte im Parlament empfahl einer der Abgeordneten, ihm seine Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Der hochrangige Regierungsvertreter Ali Hasanov forderte das aserbaidschanische Volk auf, „öffentlich Hass“ gegenüber Leuten wie Ajlisli kundzutun.

Präsident Alijew erkannte Ajlisli Ehrenpreise, Staatsrente und den Titel des Volksschriftstellers ab. Seine Frau und sein Sohn verloren ihre Stellen. Die Bürgerrechtskämpferin Leyla Yunus spricht von einer „stalinistischen Reaktion“ der autoritären Regierung.

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Der aserbaidschanische Blogger Emin Milli ist heute nach zwei Wochen Arrest freigekommen. Er war wie zahlreiche andere Bürgerrechtler und Oppositionelle bei einer unangemeldeten Demonstration in Baku festgenommen worden. Andere, wie die Enthüllungsjournalistin Khadija Ismailowa, wurden zu Geldstrafen verurteilt.

Milli war 2009 international bekannt geworden, als das Regime gegen ihn vorging, nachdem er mit einem Freund ein satirisches Video über die Korruption von Politikern gedreht hatte. Er war trotz internationale Proteste aufgrund einer höchst zweifelhaften Anklage zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Anlässlich des Internet Governance Forums, das Ende vergangenen Jahres in Baku stattfand, hatte er einen offenen Brief an Präsidenten Alijew geschrieben und die „Gesellschaft der Angst“ in seiner Heimt beklagt.

Die Proteste gegen die Regierung haben in den vergangenen Wochen zugenommen; die Härte, mit denen der Staat dagegen vorgeht, und die Schikanen, denen sich Bürgerrechtsorganisationen ausgesetzt sehen, ebenfalls.

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Das aserbaidschanische Regime hat Freunde in Deutschland, und einer der prominentesten ist die große moralische Autorität der FDP, Hans-Dietrich Genscher. Der ehemalige Außenminister ist Ehrenvorsitzender im Beirat der Agentur Consultum Communications des früheren „Bild“-Journalisten Hans-Erich Bilges, die, wie es der „Spiegel“ formuliert, „undemokratischen Regierungen bei der Imagepflege hilft“. Zu den Kunden gehören oder gehörten neben Ländern wie Kasachstan und Weißrussland auch Aserbaidschan, und Genscher hilft, das Prestige der dortigen Machthaber zu heben.

Als Bilges eine große Feier zum 20-jährigen Unabhängigkeitstag Aserbaidschans in Berlin organisierte, kam neben der damaligen Bundespräsidentengattin Bettina Wulff auch Genscher.

Gleich zweimal reiste Genscher in den vergangenen Jahren auch nach Baku, um Präsident Alijew zu treffen: im November 2010 und im Juni 2012. Laut aserbaidschanischer Regierung lobte der FDP-Ehrenvorsitzende dabei den rasanten Entwicklungsfortschritt des Landes und sagte, Deutschland wolle die Zusammenarbeit mit Aserbaidschan auf allen Gebieten ausbauen. Auch am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz traf sich Genscher im vergangenen Jahr mit dem aserbaidschanischen Präsidenten.

Eine Anfrage vom mir im vergangenen Sommer, was die Absicht des damaligen Treffens mit Alijew war, wer die Mitglieder seiner Delegation waren und ob es einen Zusammenhang mit den Aktivitäten von Consultum gebe, ließ das Büro Genschers unbeantwortet.

32 Replies to “Aserbaidschan und die Pflicht zu hassen”

  1. Mal kurz ergoogelt: „Hans-Erich Bilges ist eine zentrale Figur bei den Werbebemühungen Aserbaidschans in Deutschland. Er war früher Mitglied der „Bild“-Chefredaktion. Heute leitet er die Agentur Consultum Communications. Bilges hat Weißrussland und Kasachstan beraten, die in Sachen Pressefreiheit sogar noch hinter Baku rangieren. Das beeindruckte die Aserbaidschaner.“
    Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-83422496.html

  2. Darf ich an dieser Stelle nochmal an diese ganzen „Wir machen den Eurovision Song Contest dort, damit die sich liberalisieren?“-Vertreter erinnern? Und die Tatsache, dass wir mit unseren Fernsehgebühren massiv Propaganda dieses Regimes finanziert haben?

  3. Mist, wer sagte das damals beim ESC noch: „Wir sind ja nicht als Außenminister hier“?

    Stellt sich raus: Den Außenminister kann man nicht schicken, weil den keiner ernstnimmt (das alles ereignet sich, nachdem Westerwelle im März ’12 da war und auf Einhaltung der Menschenrechte pochte – das Wort hat Alijew allerdings wohl vergeblich im aserischen Wörterbuch gesucht), und den Ex-Außenminister kann man auch nicht dahin lassen, weil der mit Diktatoren wertemäßig auf einer Wellenlänge zu funken scheint.

    Hätt‘ man’s doch beim ESC machen sollen – wenn man nur nicht aserisches Öl und Gas so dringend bräuchte…

  4. „Armenien … hält nach dem Krieg vor 20 Jahren die Region Bergkarabach besetzt“
    Bergkarabach war zu Sowjetzeiten eine autonome Sowjetrepublik innerhalb Aserbaidschans (ASSR). Die Armenier haben den Karabacharmeniern geholfen, ihre Unabhängigkeit durchzusetzen. Ein „hält besetzt“ ist da unzutreffend. Allerdings hält Armenien das gesamte Gebiet zwischen Armenien und Berg Karabach besetzt und hat auch die dort ansässige aserbaidschanische Bevölkerung vertrieben. Die nationale Psychose beider Seiten wird dadurch wieder verständlich. Selbstverständlich ist die Haltung des aserbaidschanischen Regimes „nicht hilfreich“. Und ich wage zu behaupten, dass für das totalitäre Regime dort nicht der verlorene Krieg ursächlich ist. Eher schon der potentielle Reichtum aus Öl und Gas. Nicht zu vergessen: Aserbaidschan hat auch Gebietsansprüche gegen den Iran. Aber das sind ja auch keine Demokraten …

  5. Ja, es stimmt: Das sind erschreckende Zustände in Aserbaidschan, das empfinden auch viele meiner aserbaidschanischen Freunde so.

    Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass es für den Hass der Aserbaidschaner auf die Armenier gute Gründe gibt. Man konsultiere http://www.chodschali.de/fotos.htm für einen kurzen Einblick. Das ist gerade mal 20 Jahre her.

    Dass armenienfreundliche Darstellungen dann so etwas wie Volkszorn heraufbeschwören, ist wohl wenig überraschend. Zumal eine irgendwie geartete Entschuldigung bis heute aussteht.

  6. @Micha: Das ist einmal die englische, einmal die deutsche Transkription desselben Namens Əkrəm Əylisli — aber Sie haben recht, das sollte innerhalb eines Textes einheitlich sein.

  7. @kasuppke:

    Mit der Argumentation „aber die anderen haben auch…“ zeigen Sie das Denkmuster der meisten Staatenlenker. Herzlichen Glückwunsch.

    Allerdings auch das aller 5jährigen.

  8. Ich hatte mich schon gefragt, wie lange es wohl dauern würde bis jemand etwas relativierendes sagt, wie „kasuppke“es getan hat und dann postwendend verbal abgestraft wird!
    Nur bis Kommentar 17, ging recht schnell!

  9. Gehört Relativierung von Verbrechen jetzt zu einer schützenswerten Institution des demokratischen Diskurses oder ist das wieder einer Ihrer Reflexe, Herr Reichelt?

  10. Wie man auch am Beispiel Israel/Palästina sieht, gibt es einige Konflikte, die sich nicht politisch einfach lösen lassen, vermutlich sogar gar nicht. Da sitzt vieles viel zu tief und der Stolz ist viel zu groß.

  11. #21: Hier ging es aber überhaupt nicht um die „Lösung“ des Konfliktes, sondern um die Freiheit der Bürger des Landes Aserbaidschan. Das hat dann mit Stolz nix mehr zu tun. In dem Zusammenhang wird ja auch über Rechte von sexuellen Minderheiten gesprochen, und vermutlich eine Reihe von Themen, die hier noch nicht aufgetaucht sind. Totalitäre Staaten setzen ihre Meinung in allen Bereichen durch. Ich vermute mal, dass die Bürger dort auch Probleme im Geschäftsleben, im Umweltschutz, vielleicht gar in der Mode (willkürlich ausgewählte Bereiche!) bekommen, wenn sie der Staatsmacht nicht gefallen.

  12. Ich frage mich, wer hier angefangen hat, Verbrechen zu relativieren. „Armenien ist der Erzfeind Aserbaidschans… „klingt für mich eher wie die Sache zwischen Dortmund und Schalke und gibt die Realität eines Krieges und der dort erfolgten Gräueltaten doch nur sehr schlecht wieder.

    Dass Aserbaidschan von einer Vorzeigedemokratie so weit weg ist wie Schalke von der Meisterschaft, das weiß ich. Worin genau besteht aber der Vorwurf an Hans-Dietrich Genscher? Dass er in ein Land reist, in dem nicht alles mit rechten Dingen zugeht? (Ex-)Außenminister, die sich nur mit Staatschefs aus Vorzeigestaaten treffen, haben wohl einen eher locker gefüllten Terminkalender. Und wie sollte denn ein irgendwie gearteter Einsatz vielleicht auch für mehr Menschenrechte in Aserbaidschan beginnen, wenn nicht mit der Ankündigung näherer Zusammenarbeit? Meint irgendjemand wirklich, die Aseris würden diesbezüglich auf ein paar mahnende Worte aus dem menschenrechtlich seit jeher vorbildlichen Deutschland reagieren? Nein, wer sich wirklich für die Menschenrechte dort einsetzen will, der wird den Weg über lange Gespräche und Geschäfte gehen müssen. Wer nur im Sog des European Song Contests ein bisschen kritischer Journalist spielen will, der kann und darf hierzulange natürlich trotzdem einfach vor sich hin schreiben.

  13. Es gibt Journalisten, die spezialisieren sich auf bestimmte Regionen. Die verbringen dort Jahre. Die sammeln Informationen aus Gesprächen, die stellen diese Informationen dann zusammen.

    Es gibt Journalisten, die sind eigentlich Medienjournalisten. Und weil das persönliche Steckenpferd ESC mal in Baku stattgefunden hat, hat man auf einmal Aserbaidschan auf dem Bildschirm. Man spricht zwar weder Aserbaidschanisch oder Russisch, mischt aber auf Grundlage irgendwelche Sekundär- oder Tertiärquellen mal ein bisschen mit, und sei es, um seine eigene Reise dorthin im Nachhinein mit moralischem Impetus zur glasieren.

    Ich freu mich schon, wenn hier der erste aserbaidschanische Gastblogger über das bloggt, was er zum Leistungsschutzrecht aufgeschnappt hat.

    Disclaimer: Ich spreche selbst kein Russisch und nur leidlich Aserbaidschanisch.

  14. @ kasuppke

    Einerseits muss ich ihnen Recht geben, vor dem ESC in Baku findet sich in diesem Blog kein Asebaidschankritischer Artikel, insofern scheint das Thema den Bloghausherrn bis dahin nicht besonders interessiert zu haben.

    Andererseits ist es aber völlig wurscht, aus welchem Grund oder Ereignis man sich plötzlich für eine Sache engagiert. Herr Niggemeier hat das Thema anläßlich des ESC scheinbar nun für sich entdeckt und macht mit entsprechenden Artikeln in seinem Blog auf die prekäre Lage für Regimekritiker in Aserbaidschan aufmerksam.

    Ob Herr Genscher mit seinen persönlichen Gesprächen mehr erreicht, wissen wir nicht, kann sein, kann aber auch nicht sein.
    Beide Wege sind legitim und nicht zu beanstanden.

    Insofern wird Herr Niggemeier vielleicht zur Kenntnis nehmen, dass ich aus einer früheren Diskussion hier zum gleichen Thema etwas gelernt habe und meine Argumentation entsprechend anpasse!

  15. @ kasuppke:
    Schreib- und Äußerungseinschränkungen à la „…ist ja eigentlich nur Medienjournalist und kein Aserbaidschan-Kenner…“ finde ich nicht so toll.
    Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist dem vorzuziehen.

  16. Eine inhaltliche Auseinandersetzung hab ich versucht. Diese wird aber nicht unbedingt erleichtert, wenn Kaukasus-Kenner Niggemeier keine einzige Quelle nennt. So verbleibt alles im Anekdotenhaften.

    Zutaten: Ein (angeblich) verfolgter Schriftsteller. Ein (angeblich) unkritischer deutscher Politiker. Ergibt: ein kleines aserbaidschanisches Appetithäppchen. Wem journalistische Kanapees reichen, o.k., guten Appetit.

    Eine vergleichbare Oberflächlichkeit in einem anderen Medium wäre den Machern an selber Stelle (und mit Recht!) um die Ohren gehauen geworden.

  17. Man sollte schreiben: „Die _ehemals_ große moralische Autorität der FDP“

    Spätestens seit Genscher bei der BILD-Werbekampagne mitwirkte, hat er bei mir jede persönliche Reputation verloren.

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