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Florian Stöhr

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Wenn es nicht so absurd irreführende Assoziationen von Klasse und Kreativität mit sich brächte, könnte man Florian Stöhr ein Gesamtkunstwerk nennen. Er selbst nennt sich „It-Boy“ beziehungsweise, seit einer Brust-Operation, „It-Girl“. Angeblich ist er Millionenerbe, angeblich ist er zwanzig Jahre alt, angeblich arbeitet er als Model. In den Medien hat sich die Berufsbezeichnung „RTL-Transe“ durchgesetzt.

Das klingt abfällig, würdigt aber immerhin den Anteil, den der Sender daran hat, dass Stöhr statt in Therapie ins Fernsehen gehen und für einen Star halten kann. Mit fast beneidenswerter Ausdauer verfolgt die RTL-Nachrichtenmagazin-Parodie „Punkt 12“ seit einem Jahr das Leben dieser selbsterschaffenen Kunstfigur, die von sich sagt, Botox sei für sie das wichtigste in ihrem Leben. Die RTL-Leute sehen ihm begeistert angewidert zu, wie er sich den letzten Rest Natürlichkeit wegschminkt und operativ entfernen lässt, begleiten ihn zu Geburtstagsfeiern, wo er sich und anderen als Partyspaß die Lippen aufspritzen lässt, zeigen, wie er erzählt, dass er sich zwei Rippen brechen ließ, um dünner zu sein.

Stöhrs Traum ist es angeblich, Kleidergröße „minus zwei“ zu erreichen, das bedeutet, Kindergröße 176. Er sagt: „Ich bin kein Sänger, ich bin kein Schauspieler, ich bin Florian Stöhr, das macht mich aus“, nennt sich aber inzwischen Valencia Vintage.

Ganze Beiträge macht RTL daraus, wenn Stöhr versehentlich auf der gleichen Party in Frankfurt ist wie Tatjana Gsell (einer früheren Freundin, der er vorgeworfen hat, Drogen zu nehmen), selbst wenn sich die beiden, allen Bemühungen des Fernsehteams zum Trotz, nicht einmal begegnen. Und wenn es gerade mal keine Nachrichten gibt, lassen sich die, äh, Journalisten aufregende Experimente einfallen: „Für RTL ist Florian Stöhr zum ersten Mal seit Jahren ungeschminkt vor die Tür gegangen!“ Sie haben ihm einen Pulsmesser mitgegeben, um seinen Stress zu messen – und, womöglich, falls er kollabiert, einzuschreiten, also: weitere Kamerateams hinzuzurufen.

Die „Bild“ hat auch ihren Spaß mit diesem Geschöpf und erfand den interessanten Superlativ „der irrste Busen-Familien-Zoff Deutschlands“: Als Stöhr sich seinem Vater nach der Busen-OP vorgestellt habe, sei der „ein bisschen handgreiflich geworden“. Überschrift: „Millionär-Vater haut TV-Transe Florian Stöhr Lippe kaputt!“ Getoppt zwei Tage später durch: „Der Prügel-Papa der TV-Transe ist eigentlich der Onkel!“

Stöhr soll im Gespräch sein, für die neue Staffel der RTL-Show „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“, die am Freitag beginnt, in den Dschungel zu gehen. Falls nicht, wüsste man nicht, wohin sonst.

Die Gutbürger

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Wolfram Weimers „Focus“ gebärdet sich als einsames Kampfblatt gegen den Mainstream linker Weltenretter. Und läuft orientierungslos jedem Populisten hinterher.

Leidenschaft ist kein schlechter Antrieb für Journalismus. Manchmal jedoch brechen aus einem Artikel unvermittelt Emotionen in einer Weise aus, dass man sich als Leser fühlt wie ein Bewohner Pompejis im Sommer 79.

Beim „Focus“ ist das in dieser Woche wieder passiert. Die Illustrierte hat die „wichtigsten Debatten-Anzettler 2010“ gekürt, darunter Thilo Sarrazin, Hans-Olaf Henkel, der Papst. Dieses Jahr habe den öffentlichen Debatten eine „zumindest punktuelle Berührung mit der Realtät“ beschert, stellt ein ungenannter Autor in einem Begleittextchen fest, und dann kommt’s: „Nach vielen Jahren des wohlfeilen Gutmeinens, Beschwichtigens und Problemezurechtbiegens durch die Vertreter eines linksliberalen, feministischen, sozialstaatsfixierten Multikulti-Wischiwaschi-Mainstreams mag dies ein Fortschritt sein.“

Da hatte sich wohl was aufgestaut.

Sie dürfen das jetzt rauslassen beim „Focus“. Nicht dass er früher der Sympathie für linke Gedanken verdächtig war, nicht einmal in Form einer Servicegeschichte „Die 100 besten Feministen in ihrer Nähe“. Aber seit Wolfram Weimer vor einem halben Jahr die Chefredaktion übernommen hat, ist eine politische Verortung rechts von der Konkurrenz Teil des Versuches, das Blatt wiederzubeleben.

Weimar sagt natürlich nicht „rechts“. In einem Interview mit dem „Medium Magazin“ hat er die „Grundlegitimation“ des „Focus“ beschrieben als seine „Position als bürgerliches Gegenstück zum ‚Spiegel'“. Nun ist es schwer, sich ein treffendes Adjektiv für den heutigen „Spiegel“ vorzustellen, das einen Gegensatz zu „bürgerlich“ bilden würde; allenfalls „wertelos“. Weimar aber sagt, er identifiziere sich mit den „Werten des Kulturkonservatismus in Deutschland, also mit dem Familiären, Heimatliche, der kulturellen Identität bis hin zu religiösen Facetten“.

Das klingt kuschelig vage, und das ist es auch. Die Familie zum Beispiel, hat der „Focus“ festgestellt, feiert gerade „ein wundersames Comeback“. Die Belege dafür sind dünn. Die Vorwerk-Familienstudie, auf die die Autoren sich berufen, sieht jedenfalls nur eine „unverändert hohe Wertschätzung“ von Familie, während der Freundeskreis an Bedeutung gewinnt. Aber es gibt gerade so viele schöne Fotos, die Staatsoberhäupter zu Weihnachten im Kreis ihrer Angehörigen zeigen. Von Angela Merkel gibt es sogar ein zauberhaftes Bild, auf dem sie eine Dose mit roten Kugeln hält. Der „Focus“ hat dazu geschrieben: „Auch Kanzlerin Merkel weiß: Weihnachten braucht Rituale wie die alljährlich glänzenden Kugeln am Christbaum.“

Vielleicht verliert man als bekennender Wertkonservativer ein bisschen das Gefühl für lächerliche Überinterpretationen; vielleicht hat das aber auch nichts mit der politischen Gesinnung zu tun.

In Wahrheit ist diese publizistische Welt gar nicht kuschelig, sondern definiert sich fast ausschließlich aus ihrem Widerspruch zu einem als links wahrgenommenen Mainstream. Der Medientheoretiker Norbert Bolz (auch in der „Focus“-Debatten-Anzettler-Hitliste) stellt klar, dass Patchworkfamilien keine richtigen Familien sind. (Die Kanzlerin ist da wohl eine Ausnahme. Sie brate zu Weihnachten eine Gans, verrät der „Focus“, „natürlich für die ganze Familie“. Wer damit gemeint ist, bleibt offen.)

Bolz behauptet: „Die Sehnsucht gilt der klassischen Familie. Dieses Sehnsuchtsbild darf man sich indes als moderner Mensch nur verdeckt eingestehen.“ Das eigene „fortschrittliche Bewusstsein“ zensiere diese Wünsche; Familie zeige, „dass Menschen eine archaische Erbschaft in sich tragen, die sie immun macht gegen politische Korrektheit.“

Das ist der perfekte Satz: Aggressiv-konservativ, weil er sich gegen die politische Korrektheit richtet, was immer die in diesem Zusammenhang sein mag. Und kuschelig-konservativ, weil wir genetisch immun seien gegen solche linken Gedanken.

Die „bürgerliche“ Publizistik, die der „Focus“ versucht oder auch das geistesverwandte Online-Angebot „The European“, arbeitet sich mit einem erstaunlichen Furor an den Weltverbesserern und Möchtegernweltverbesserern ab. Sie verachtet die engagierten Kämpfer gegen echte oder wahrgenommene Probleme auf der Welt. Sie sieht sich umstellt von Denkverboten und hat daher einen revolutionären Gestus, obwohl sie eigentlich nur möchte, dass alles wieder wird, wie es früher war. Dass nicht alles in Frage gestellt wird. Die gute alte Familie zum Beispiel. Oder auch die Natürlichkeit des Klimawandels. Hat es sowas nicht früher auch immer schon gegeben, und sind die warmen Sommer nicht schön?

Aus dem Dagegensein entsteht eine oft blinde Lust an der Provokation – dafür steht Michael Miersch, der gerade als neuer Wissenschaftschef zum „Focus“ kam. Er schrieb gleich einmal mit typisch filigraner Ironie die „zehn Öko-Gebote“ des „Gutmenschen“ auf, etwa: „Du sollst nicht zweifeln! Die Ökobewegung irrt nie. Wer daran zweifelt, dient den Ungläubigen.“

Manchmal ist es auch nur ein bräsiges Muss-das-denn-sein, wie es Gunnar Schupelius verkörpert, der gerade engagiert wurde, das Berliner „Focus“-Büro zu leiten. Schupelius hat bislang mit großer Treudoofigkeit in der Boulevardzeitung „B.Z.“ versucht, intellektuelle Debatten anzustoßen wie die, warum Autofahrer eigentlich immer die Dummen sind.

Es geht diesen „bürgerlichen“ Publizisten vor allem darum, dass sie Recht haben. Sie kämpfen verbissen Kämpfe, die sie nach eigener Wahrnehmung längst gewonnen haben. Roger Koeppel hat vor kurzem in einem Editorial seiner Schweizer Zeitung „Weltwoche“ gegen „linke Journalisten“ gewettert, die er zu einer Plage hochstilisierte, schlimmer als Hitler und Brustkrebs zusammen. Das Schlimmste an ihnen sei, dass sie nicht nur keine anderen Meinungen respektierten, sondern immer Unrecht hätten: „Sie werden durch die Wirklichkeit ins Unrecht gesetzt.“ Sie blieben ihren falschen Thesen aus Bequemlichkeit treu, „denn natürlich wissen sie: Es ist anstrengender, gegen den Strom zu schwimmen.“

Dass Koeppels „Weltwoche“ und Weimers ungleich harmloserer „Focus“ so uninspiriert und uninspirierend sind, liegt daran, dass sie herausgefunden haben, dass es genau so bequem ist, reflexartig immer gegen den Strom zu schwimmen – oder gegen das, was sie zum Strom erklären. In Wahrheit schwimmen sie natürlich oben auf der Welle, wenn sie etwa hinter Sarrazin hinterherschwappt.

Sie glauben, dass sie für eine schweigende Mehrheit sprechen, wenn die längst laut grölt. Natürlich ist der „Focus“ begeistert von Theodor zu Guttenberg und der Antagonismus, den Weimer beschwört, besteht darin, die allgemeine Begeisterung ins Absurde zu übertreiben. „Er ist wie eine Mischung aus Armani und Konrad Adenauer“, schrieb er über den Verteidigungsminister. „Und im großen Kulturverlust der Formlosigkeit tut es gut, dass er der Sichtbarkeit der Macht auch durch äußere Form ein Stück Würde zurückgibt.“ Natürlich geht es auch um innere Werte, schreibt Weimer, beziehungsweise nicht: „Dabei ist gar nicht so bedeutsam, welche Haltung er gerade hat, sondern dass er eine hat und diese auch offen vertritt.“

Das scheint auch die Strategie zu sein, die der „Focus“ verfolgt. An den Leserzahlen gemessen, ist das Interesse daran eher gering. Dabei war 2010, wie der „Focus“ über seine Zusammenstellung der „wichtigsten Debatten-Anzettler“ schrieb, „ein Jahr der ‚konservativen‘ Themen“. Konservativ in Anführungsstrichen. Wer weiß schon, was das heißt?

Yvonne Willicks

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Sie ist die Frau, die gerufen wird, wenn Super-Nanny und Peter Zwegat nicht mehr weiter wissen. Wenn es nicht damit getan ist, den Ruin abzuwenden, die Ehe zu retten oder die Kinder von der Straße zu holen, sondern es darum geht, den Ruin abzuwenden, die Ehe zu retten, die Kinder von der Straße zu holen und endlich mal ein Ordnungssystem in den Küchenschrank zu bringen. Wenn sie zu einem Notfall eilt, lässt sie sich zuerst das Innere des Kühlschranks zeigen. Sie ist „Deutschlands bekannteste Hauswirtschaftsmeisterin“.

Es ist nicht ganz leicht, Yvonne Willicks und ihre Sendung „Der große Haushaltscheck“ im WDR-Fernsehen (montags, 20.15) von einer Parodie zu unterscheiden. Im Vorspann läuft sie mit in Zeitlupe wippenden Haaren energischen Schrittes auf die Kamera zu und wirkt dabei so natürlich wie Betongras. Ihre Stärke ist, dass sie weiß, dass Kartoffelbrei nur mit einer Kartoffelpresse so richtig fluffig wird, was sie gleich mal den beiden verzweifelten jungen Leuten zeigt, die Schulden haben und ein krankes Kind und dachten, man könne einfach einen Kartoffelstampfer nehmen.

Nicht so ihre Stärke ist die Simulation menschlicher Wärme. Wenn die Mutter beim Gespräch über die Krankheit ihrer Tochter in Tränen ausbricht, sagt Willicks überrascht: „Och, ist das so belastend, jetzt gerade?“ Wenn sie meint, dass sie kritisch gucken müsste, sagt sie: „Ich guck jetzt mal so’n bisschen kritisch.“ Mit Kindern kann sie nicht so, aber mit Beschriftungszetteln.

Mit einem jungen Paar, das sich gefährlich ungesund ernährt, besucht sie ein Bergwerk und zeigt ihnen tief im Stollen dort zwei Poster von sich als aufgequollene, kranke Alte. „Genau so brauche ich die“, kommentiert sie das Entsetzen. (In die Grube mussten sie fahren, damit der Sprecher zu den Bildern sagen konnte: „Sie sehen kein Licht mehr am Ende des Tunnels.“) Ein älteres Paar setzt die Hauswirtschafts- und Selbstüberschätzungsmeisterin in ein Ruderboot. Der dramatische Effekt, wenn die Ehefrau klagt: „Ich wünsche mir, dass du ernst nimmst, wenn ich Sorgen und Kummer hab“, verliert allerdings ein bisschen dadurch, dass das rostige Ruder dabei fortwährend ironisch quietscht. Willicks fährt schließlich selbst im Tretboot zu ihnen raus und erklärt, dass sie zusammen rudern sollen.

Am Ende kommt es trotzdem zur Trennung, aber nur von Lebensmitteln und Putzutensilien im Keller.

Elmar Theveßen

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Der Innenminister sagt, es bestehe kein Grund zur Hysterie. Das wäre eine beruhigendere Formulierung, wenn man sich vorstellen könnte, wann Hysterie die angemessene Reaktion auf eine Bedrohung sein könnte und unter welchen Voraussetzungen die Bundesregierung der Bevölkerung das mitteilen würde.

Nun ist aber schon die normale Betriebstemperatur des Medienbetriebs höchstens ein Zehntelgrad von Hysterie entfernt, weshalb der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen, der in diesen Tagen wieder seinen „Terrorismusexperten“-Hut aufhat, bei seinen Auftritten nicht nur gegen eine vermutete Panikbereitschaft im Lande ankämpft, sondern auch gegen die konkrete Schnappatmung der ZDF-Moderatoren. Als er Nadine Krüger am Freitag im „Volle Kanne“-Magazin erklärt hatte, dass amerikanische Sicherheitsbeamte bei der Frage nach den Hintergründen einer Bombenattrappe „mit dem Finger nach Deutschland zeigen“, übernahm die: „Und da sind wir mitten im Markt, sozusagen, wo wir hinzeigen, und zwar auf Deutschland. Es heißt ja, Weihnachtsmärkte seien besonders gefährdet.“ Dass Theveßen die 24 Stunden zuvor damit verbracht hatte, ungefähr ununterbrochen darauf hinzuweisen, dass der Vorfall in Namibia (und die Paketbombe im Kanzleramt) wohl nichts mit den aktuellen Terrordrohungen zu tun haben, hatte Frau Krüger irgendwie verpasst. Andererseits, wie soll das der flüchtige Zuschauer auch trennen, wo doch jedesmal der Terrorismusexperte Theveßen zuständig war, der mit seinen Appellen an Ruhe und Besonnenheit ein ganz gutes Indiz ist, wann es Zeit sein könnte, in Panik zu geraten.

Mit der Aura des Experten, der sich rund um die Uhr – wenn er nicht gerade bei „Volle Kanne“ zugeschaltet ist – mit Fachleuten aus aller Welt austauscht, gibt Theveßen auch praktische Alltags-Tipps zur Terror-Bekämpfung. Wenn der Nachbar überstürzt abreist, größere Mengen Chemikalien kauft oder sich Waffen beschafft, sagt Theveßen, dann könnte das ein guter Anlass sein, sich zu überlegen, ob man nicht vielleicht die Polizei benachrichtigen sollte, nur so vorsorglich, manweißjanie. Und wenn wir es alle schafften, schön gelassen zu bleiben, könnte man die Terroristen nach so einer Terror-Warnung auch daran erkennen, dass sie ganz aufgeregt sind.

Früher hätte an Theveßens Stelle Peter Scholl-Latour gestanden. Der neigte zwar auch nicht zur Hysterie. Aber seine Ruhe war die von einem, der die baldige Apokalypse ohnehin für unausweichlich hält.

Teletext: Elton

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Es wäre falsch zu sagen, dass Elton aus dem Fernsehen nicht mehr wegzudenken ist. Er ist ganz einfach wegzudenken; man wüsste nicht einmal, was einem fehlen würde. Er ist nur immer da.

Fast zehn Jahre ist es her, dass Stefan Raab ihn aus dem Lokalfernsehgetto holte und als „Showpraktikant“ bei „TV Total“ verspottete und aufbaute. Im selben Jahr noch bekam Elton seine eigene Show, in der er über Sachen im Internet lachte, „Elton.tv“, selig vergessen wie so vieles danach. Aber so kurzlebig viele der Shows waren, so flüchtig die Auftritte, so egal die Gags – Elton blieb. Man kann das als Zeichen dafür nehmen, wie anspruchslos das Fernsehen und sein Publikum geworden ist, dass dieser Running Gag nun schon so lange läuft und jemand zu einer Art Star wurde, der richtig gut eigentlich nur darin ist, stoffelig durch die Gegend zu stolpern und auszusehen, als ob er hier gar nicht hin gehört. Man kann Elton aber auch als Indiz dafür sehen, dass es selbst im deutschen Privatfernsehen so etwas wie Nachhaltigkeit gibt. (Jedenfalls im Dunstkreis Raabs, für dessen Projekte Elton fast immer gebucht ist – allein die endlose Reihe jährlich ausgetragener Quatschweltmeisterschaften sichert ihm eine beachtliche Bildschirmpräsenz, von der außer Franz Beckenbauer und Renate Künast alle nur träumen können.)

Sein Talent ist die Talentlosigkeit – nicht im Sinne einer alles falsch machenden Witzfigur, sondern als jemand, der nicht anders ist als sein Publikum. Man muss es gesehen haben, wie ihm die Sympathien zufliegen, wenn er vor dem Bundesvision Song Contest die Zuschauer anheizt und wie ein Kind sagt, sie sollen bei ihm ganz besonders jubeln, weil das den Raab immer ärgere. Es ist vermutlich eine Kunst, diesen Job so lange zu machen und immer noch zu wirken, als sei man gerade versehentlich von der Straße auf die Bühne geschlappt. Die Distanz, die mit diesem demonstrativ fehlenden Überengagement verbunden ist, ist hilfreich. So können selbst Sendungsunglücke wie die ProSieben-Show „Die Alm“, die er moderiert hat, der Karriere kaum schaden.

Wo Elton ist, gibt es keine Fallhöhe. Es ist der personifizierte Kindergeburtstag (oder besser: die personifizierte Ferienlager-Party pubertierender Jugendlicher, wenn die Erzieher schlafen). Alles was er will, ist ein bisschen Spaß haben. Das ist nicht viel. Aber wenn es im deutschen Fernsehen nur noch Sendungen gäbe, an denen wenigstens ihre Macher Vergnügen haben, wäre viel gewonnen.

Von kommenden Samstag an moderiert er im ZDF das traditionsreiche und etwas heruntergekommene Kinderquiz „1, 2 oder 3“. Sobald man die Überraschung darüber überwunden hat, erscheint das fast zwingend.

Breaking Bad

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Diese Serie ist eine Zumutung. Das fängt schon damit an, dass sie ihre Zuschauer konsequent im Unklaren lässt, um welches Genre es sich überhaupt handelt. Hat man sich gerade in dem wohligen Gefühl eingekuschelt, eine schwarze Komödie zu schauen, reißt sie einem mit schockierend ernsten Wendungen und einer grausamen Gnadenlosigkeit gegenüber ihren Figuren den Boden unter den Füßen weg. Andererseits lässt sie gerade in die düstersten Momente des Dramas gern Knalleffekte von unfassbarer Komik platzen.

Ungemütlich macht sie es dem Zuschauer aber auch in der Frage, wie er sich zu den Charakteren und ihren Entscheidungen verhalten soll. Natürlich fiebern wir mit der Hauptperson Walter White mit, einem biederen fünfzigjährigen Chemielehrer, der nach der Diagnose, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein, beschließt, für seine Familie zu sorgen, indem er anfängt, im großen Stil die Droge Chrystal Meth zu produzieren. Aber gerade, wenn man es geschafft hat, die Schattenseiten dieses Geschäftes auszublenden, und aus Sympathie zu dem hoffnungslosen ewigen Verlierer wünscht, dass er nicht ertappt wird, führt uns die Handlung die Unhaltbarkeit dieser Position vor, das Elend, die Kriminalität, die Unmenschlichkeit, die diese Droge und der Handel mit ihr produzieren.

„Breaking Bad“ lockt sehr wirkungsvoll mit dem Reiz des Verbrechens, entpuppt sich aber als eine zutiefst moralische Serie, welche die Charaktere mit ihren Selbsttäuschungen, unter bestimmten Bedingungen das Falsche tun zu dürfen, nicht davonkommen lässt. Nur mal ein bisschen Drogen produzieren, in einer persönlichen Notsituation und mit besten Absichten, ist keine Option. Die Figuren geraten in einen Sog, der sie zu immer auswegloseren Entscheidungen zwischen zwei Übeln zwingt, Entscheidungen auf Leben und Tod. Den ersten Menschen hat der brave Walter White schon in der ersten Folge auf dem Gewissen. Danach gibt es kein Zurück. „Breaking Bad“ zeigt uns den Absturz des Walter White, der gleichzeitig eine Befreiung ist. Eine Befreiung aus einem bürgerlichen Alltag voller Routine, Kleinmut und Vernunft, Demütigungen und Zumutungen, symbolisiert schon durch das Auto, das White fährt: einen unförmigen, plastikhaften Pontiac Aztek, schrecklich praktisch und uncool bis weit über die Grenze der Lächerlichkeit hinaus. Als Chemielehrer ist sein Talent verschwendet, die Schüler dämmern vor sich hin, als Drogenproduzent aber kann White seine Genialität zeigen, wird respektiert und schließlich gefürchtet.

„Breaking Bad“ ist eine dieser phänomenalen amerikanischen Serien mit fortlaufender Handlung, die seit einigen Jahren weltweit Furore machen und das Genre zu neuen Höhen und nie geahnten Tiefen geführt haben. Sie stammt nicht von einem der großen Networks oder dem Pay-TV-Kanal HBO, sondern von dem kleinen Kabelkanal AMC, der auch „Mad Men“ in Auftrag gegeben hat und ursprünglich bloß Filme wiederholt hatte. Kreativer Kopf hinter „Breaking Bad“ ist Vince Gilligan, der viele Folgen von „Akte X“ geschrieben und produziert hat.

Das Wichtigste an Figuren, sagt er, sei ihre „Relatability“, das Maß, in dem wir uns in sie hineinversetzen, ihre Hoffnungen und Träume nachvollziehen können. Walter White ist ohne Zweifel eine solche Figur, gespielt von Bryan Cranston, den deutsche Fernsehzuschauer aus seiner Rolle des Vaters in der Sitcom „Malcolm mittendrin“ kennen und der für seine beklemmende Darstellung in „Breaking Bad“ schon drei Emmy-Auszeichnungen in Folge bekommen hat. Am Anfang, sagt Autor Gilligan gegenüber einer kanadischen Nachrichtenseite, hatte er das Gefühl, diesen Walter White zu kontrollieren, ihm Wörter in den Mund zu legen. Aber je weiter sich die Show entwickelte, je mehr Grenzen White überschritt, umso mehr hatte er das Gefühl, dass White ein Eigenleben entwickelte und ihm das Drehbuch diktierte. Die Figur, die er erfunden hatte, erkannte er nicht mehr wieder in dem, was aus ihr geworden war. Dem Zuschauer ergeht es auf eine beklemmend-faszinierende Weise ähnlich.

Sarrazin bei Stuckrad-Barre

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Zum Sinn von Parteiausschlussverfahren sagt Thilo Sarrazin dies: „Jeder Verein hat ja Ziele. Wenn jemand in einem Verein Handball spielen will, und es ist ein Fußballverein, und er will den Ball immer mit der Hand anfassen, dann gehört er nicht in einen Fußballverein, dann soll er in einen Handballverein gehen.“ Was für ein schöner, treffender Vergleich. Was für ein angenehmer Kontrast zu all den Hysterikern und Demagogen, die behaupten, die Meinungsfreiheit sei bedroht, wenn Worte Konsequenzen haben, und damit in Wahrheit gegen das Recht kämpfen, Sarrazin zu widersprechen.

Als Sarrazin den Vergleich machte, hatte er gerade das erste und, wie er damals noch glaubte, einzige Ausschlussverfahren aus der SPD hinter sich. Es war Juni, und er war Gast in der Versuchssendung einer Late-Night-Show mit Benjamin von Stuckrad-Barre, die vom nächsten Jahr an auf ZDFneo laufen soll. Ein kurzer Ausschnitt, in dem beide „Wer bin ich?“ spielen und Sarrazin Stuckrad die Rolle des Joseph Goebbels zugedacht hatte („der Mann war sehr gut mit Worten, ein Menschenverführer“), war bei YouTube aufgetaucht. Das ZDF ließ ihn löschen und veröffentlichte stattdessen dankenswerterweise die ganze Sendung. Es ist ein erstaunliches Dokument – auch dafür, wie unterhaltsam und erkenntnisstiftend eine solche Show mit dem ununterbrochen zwischen sinnloser Albernheit und genialer Wachheit flackernden Stuckrad-Barre sein kann.

Die beiden Protagonisten wirken einander auf merkwürdige Weise ähnlich: ungelenk, faszinierend unberechenbar, süchtig nach Aufmerksamkeit. Stuckrad angriffslustig, hyperaktiv, der mitten im Small-Talk einfach mal die Frage verschießt: „Sind Sie ein Rassist“ (und nach dem kurzen Knalleffekt natürlich sofort wieder vergisst), Sarrazin bedächtig, vorsichtig um die aufgestellten Fallen herumtänzelnd (obwohl die größte schon die war, überhaupt in eine solche Show zu gehen). Und obwohl Stuckrad an den Inhalten am wenigsten interessiert ist, entlockt er Sarrazin kluge Sätze – wie den, auf den ironisch-naiven Vorhalt, dass er seine ausländerkritischen Thesen doch einfach auch „netter“ formulieren könnte: „Sage ich es anders, sage ich auch etwas anderes.“ Das ist auf so selbstblinde Weise hellsichtig und treffend, das es beim Angucken wehtut.

Henryk M. Broder

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Auch Henryk M. Broder ist ein Opfer von Thilo Sarrazin. Seit Jahren müht er sich, Oberprovokateur der Republik zu werden, stapelt unermüdlich Polemik auf Polemik, arbeitet sich am Islam und anderen echten oder imaginären Tabus ab und wettert in den reichweitenstärksten Medien des Landes gegen den Medien-Mainstream, und dann kommt so einer daher und lässt ihn mit einem Mal wie einen Waschlappen aussehen. So bleibt ihm als Fluchtpunkt nur der Nihilismus. In den Talkshows war lange schon sichtbar, dass Broder ungleich mehr an der nächsten Pointe gelegen ist, als an einem inhaltlichen Streit. Das ist nicht die schlechteste Eigenschaft für einen Talkshowgast, aber auf Dauer in ihrer Fruchtlosigkeit oder genauer: ihrem demonstrativen Desinteresse an jeder Form möglicher Fruchtbarkeit ermüdend.

Am Donnerstag bei Maybritt Illner hatte er sich vollkommen in einen bunt schillernden Mirdochegal-Anzug aus Teflon zurückgezogen. Mit wissenschaftlichen Argumenten zum Beispiel muss man ihm gar nicht kommen, denn Broder weiß: „Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse verjähren spätestens nach fünf Jahren und werden durch gegenteilige Ergebnisse ersetzt.“ Bezieht sich jemand auf das Selbstbild Deutschlands zur Weltmeisterschaft, sagt er: „Fußball geht mir sowieso am Arsch vorbei.“ Macht ihn jemand auf einen möglichen Widerspruch zu früheren Positionen aufmerksam, erwidert er reflexartig: „Ich bin älter geworden. Vielleicht auch reifer.“

Es ist sinnlos, mit ihm zu diskutieren – es sei denn, der Sinn bestünde bloß darin, Sätze zu provozieren wie den über einen Möllemann-Vergleich: „Das ist ein Vergleich, den können sie runterfallen lassen aus 4000 Metern Höhe, ohne Fallschirm, es würde nichts passieren.“ Tatsachen, auch nur der bloße Versuch, herauszufinden, wie etwas ist – das interessiert ihn nicht. Er muss nur den Namen eines interkulturellen Projektes hören, um die Augen zu rollen: Das kann nichts sein.

Dass die Kanzlerin Sarrazins Buch als „nicht hilfreich“ bezeichnet hat, „grenzt an die übelste Tradition der Reichsschrifttumskammer“, sagt er noch. Er erntet dafür drei Sekunden Empörung, aber dann diskutieren alle wieder über Sarrazins Entgleisungen und nicht über Broders.

Fast kann er einem leidtun.

Hauck & Bauer

Vorwort zum Buch „Hier entsteht für Sie eine neue Sackgasse“.

Ich finde die Cartoons von Hauck & Bauer total lustig.

In einer perfekten Welt würde dieser Satz reichen. Man würde ihn einfach aufs Cover schreiben, und die Leute in den Buchhandlungen würden beim Vorbeigehen stutzen und zueinander sagen: „Kuck mal, Ulla, ich weiß zwar nicht, wer dieser ‚Niggemeier‘ ist, aber der kennt sich bestimmt aus; lass uns doch ein Buch mitnehmen oder besser gleich zwei, weil Lustiges kann man ja nie genug haben“, und allen wäre gedient: mir, den amüsierbereiten Käufern, dem Verlag und nicht zuletzt den sympathischen jungen Herren namens Elias Hauck und Dominik Bauer.

Dass es keine perfekte Welt ist, merken Sie schon daran, dass dieser Text nicht auf dem Cover steht, sondern sich im Buch versteckt. Und nun weiß ich zwar weder, was das für Menschen sind, die sich in einem Buch mit Witzbildchen ausgerechnet den witz- und bildlosen Text durchlesen, noch, was sie sich davon versprechen, aber ich fürchte: jedenfalls mehr als einen Satz.

Ich habe mir deshalb Gedanken gemacht, was die Cartoons von Hauck & Bauer so lustig macht. Ich bin dafür nicht besonders prädestiniert, ich bin ja kein Experte, sondern schreibe nur zufällig eine Fernsehkolumne in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, in der am Rande des Gesellschaftsteils die wunderbare Reihe „Am Rande der Gesellschaft“ erscheint (wenn Sie die Wirtschaftsteile unauffällig entfernen, liegen sie direkt aufeinander, meine Texte und deren Cartoons). Aber ich bin Fan, und nach längerem Grübeln ist mir eine Erklärung eingefallen: Diese gezeichneten Szenen funktionieren wie Stenographie, wie eine Kurzschrift auf das Leben. Im Geist ergänzen wir die dürren Linien zu kompletten Portraits und die kargen Dialoge zu vollständigen Geschichten.

Ich weiß nicht, wie sie das machen, und ich will nicht ausschließen, dass es nur meine Einbildung ist, aber das Schaf zum Beispiel, das da auf einem Hügel steht und versuchsweise „Mööh“ sagt, bis es vom Schäfer zur Ordnung gerufen wird – ich bin überzeugt davon, dass es mich im vierten Panel mit hochgezogenen Augenbrauen anguckt, wie ein Komiker, der am Ende eines Sketches stumpf in die Kamera schaut. Nun haben nicht nur Schafe keine richtigen Augenbrauen, sondern das Zeichenschaf auch nicht einmal ein Gesicht. Nur einen Kreis mit einem Blumenkohlkringel als Flauschkopf. Und trotzdem guckt es mich provozierend an.

Zwei, drei Striche auf einem Kopf identifizieren wir sofort als einen Scheitel, und den Mann, der ihn trägt, als eine typische Figur aus der Nachbarschaft. Die Leute, die die Cartoons von Hauck & Bauer bevölkern, sehen natürlich selten so aus wie wir oder unsere Freunde, sondern wie die etwas komischen Leute, die im Supermarkt vor einem stehen oder in der Bahn hinter einem sitzen. Es sind keine Karikaturen von Extremen: Der größte Teil des Personals, das in der Welt von Hauck & Bauer lebt, sind mittelalte, unauffällige, ein bisschen spießige Menschen. Aber sie haben Charakter, sie scheinen auch außerhalb der Umrandung der Zeichnung zu existieren, man kann sie wieder erkennen: Sie sind lebensecht. Das ist erstaunlich angesichts der minimalistischen, flüchtig hingeworfen wirkenden Art, in der sie gezeichnet sind. Aber die paar Striche sind alles, was wir brauchen, um die Figuren im Kopf selbst auszumalen.

Jener Mann zum Beispiel, der vor der Seminartür steht und feststellen muss, dass der Kurs „Positiv denken“ leider ausfällt. Der Witz lebt nicht zuletzt von der echten Tragik, die sich in in seinen Augen spiegelt und dadurch noch verstärkt wird, dass er ganz offenkundig seine Hausaufgaben gemacht hat: Worin auch immer sie bestanden haben mögen, er trägt sie als Stapel brav unter dem Arm. Sie sind Papier gewordenes Symbol für die Hoffnung, die sich dieser Mann gemacht hat, und für die unverschuldete Enttäuschung, die sicher Spuren hinterlassen wird. Wir wissen ungefähr nichts über diese traurige Figur, aber wir ahnen alles.

Die Cartoons sind Alltagsbeobachtungen, mal böse, mal tragikomisch. Die Geschichten, die Dominik Bauer sich ausdenkt und Elias Hauck zeichnet, schaffen das Kunststück, gleichzeitig wahr und abseitig zu sein.

Es sind Miniaturen, die die Natur des Menschen und die Komplexität der modernen Welt als Resonanzkörper…

Nein, Moment. Das ist Unsinn. Vermutlich tut man Hauck & Bauer und ihren Cartoons damit Unrecht. Auch ein Strichmännchen hat ein Recht darauf, einfach Strichmännchen zu sein und ein Witz nur ein Witz.

Denn auch und vor allem das zeichnet die Werke in diesem Buch aus: Die hemmungslose Lust am Unfug. Eine bekloppte Situation zu schaffen, einen Kalauer auszureizen, eine billige Pointe zu veredeln – herrlich albern zu sein. Sie schaffen das mit einem traumwandlerischen Gespür für das Absurde, das im Normalen steckt und nur einen winzigen Millimeter neben dem Bekannten liegt, und einer bewundernswerten Leichtigkeit.

Aber ich fürchte, ich bin damit dann doch wieder bei dem Satz: Ich finde die Cartoons von Hauck & Bauer total lustig.

Frank Plasberg

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn man den Moderator einer politischen Talkshow nach Betrachten seiner Arbeit fragen möchte, ob er unser politisches System verstanden hat. Ob er weiß, dass es auf einem Wettstreit von Ideen und Personen beruht. Und es darum merkwürdig ist, einen Politiker wie Norbert Röttgen, der den CDU-Mitgliedern in Nordrhein-Westfalen durch seine Kandidatur um den Parteivorsitz die Möglichkeit gibt, eine Wahl zu treffen, fast als eine Art selbstmörderischen Irren darzustellen. Die Redaktion hat sogar eine fiktive „Bild“-Schlagzeile vom Tag nach der möglichen Niederlage Röttgens gebastelt, damit Plasberg ihn fragen kann, ob er sich das auch gut überlegt hat.

Oder der Einspielfilm, in dem gezeigt wurde, dass auch gegen umweltverträgliche Arten der Energiegewinnung immer irgendwo Naturschützer demonstrieren – als sei das keine Binse, als bestünde Politik nicht immer daraus, Abwägungen zu treffen, als belege der Protest gegen ein Wasserkraftwerk irgendwo, dass die Technik auch nicht verträglicher ist als Atomkraft.

Man müsste mal die Eierlikör-Vorräte in der Redaktion von „Hart aber fair“ kontrollieren, oder welche Drogen auch immer zu der Idee geführt haben, dem Umweltminister drei Landschaftsaufnahmen von Brücken zu zeigen, damit er auswählt, welche seiner Vorstellung vom Einsatz der Atomenergie als Brücken-(!)-Technologie entspricht (Plasberg: „A, B oder C, Herr Röttgen!“).

Es war eine lächerliche einhundertste Sendung im Ersten, die wie eine doppelte Karikatur wirkte. Eine Karikatur auf eine Berichterstattung über Politik, die nur noch daraus besteht, Haltungsnoten zu verteilen. Jeden der erstaunlich zahlreichen Versuche seiner Gäste, über Inhalte zu reden, blockte Plasberg ab und führte die Diskussion auf Stilfragen zurück. Und eine Karikatur auf das, was aus „Hart aber fair“ geworden ist: Die Karnevalsversion einer politischen Talkshow, bestehend nur aus Mätzchen und einer endlosen Abfolge von Tä-täääs. Plasberg stellte Röttgen mit ernster Sinnlosigkeit Fragen wie: „Welche Note würden Sie sich in Rhetorik geben“ und: „Können Sie Kanzler“ – und legte dann treuherzig nach, warum es „politischer Selbstmord“ für einen Politiker wäre, die Frage zu beantworten, als wäre seine Redaktion nicht die erste, die ein entsprechend selbstbewusstes Bekenntnis einem Gast in einem lustigen Einspielfilm immer wieder als selbstmörderische Hybris vorhalten würde…

… was zufällig ein Begriff ist, der einem einfallen kann, wenn man die Interviews liest, die Plasberg zur Jubiläumsshow gegeben hat. Natürlich entspricht es dem üblichen Medienzyklus, dass viele Kritiker den Mann nach Jahren des Lobs jetzt nicht mehr gut finden. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht stimmt.