Den ganzen Freitag, in nicht weniger als fünf Meldungen, verbreitet die Nachrichtenagentur Sport-Informationsdienst (sid) die exklusive Falschmeldung, China habe die „Internet-Zensur aufgehoben“. Während andere Journalisten und die Konkurrenz von dpa korrekt berichten, dass keine Rede davon sein konnte, dass China das Internet „komplett freigegeben“ habe, beharrt der sid auf seiner Ente, und sid-Redaktionsleiter Dieter Hennig lästert in einem Kommentar über die „Schnellschuss-Kommentatoren“, die das IOC wegen seiner nicht eingehaltenen Versprechen kritisieren.
Am Samstagmorgen räumt der sid seinen Fehler ein und zieht die falschen Meldungen mit folgendem Hinweis zurück:
Wir bedauern den Fehler und senden bis 14 Uhr MESZ einen neuen Situationsbericht, der die Lage angemessen wiedergibt.
Das ist offensichtlich nicht ernst gemeint.
Denn der „neue Situationsbericht“, den der sid um 12:52 Uhr über die Ticker schickt und der ebenfalls das Kürzel von Dieter Hennig trägt, überrascht mit der Überschrift:
Verbruggen: „Mehr erlaubt als zugesagt“
IOC würdigt weitere Lockerung der Internetzensur
Was für eine hübsche Idee, die negative Neuigkeit für sid-Abonnenten, dass es doch noch eine Internetzensur gibt, hinter einer positiven Formulierung zu verstecken. Vor allem aber: Eine weitere Lockerung? Vielleicht kann jemand bei Dieter Hennig oder dem sid nachfragen, was er damit meint. Sein Text verrät es nicht.
Auch in anderen Medien, die nicht vollauf damit beschäftigt sind, das IOC und die chinesischen Organisatoren im besten Licht dastehen zu lassen, ist zu diesem Zeitpunkt von „weitergehenden“ Aufhebungen der Zensur die Rede — aber als Forderung, nicht als Tatsache.
Nach einer Pressekonferenz von IOC-Präsident Jacques Rogge berichtet dpa:
Rogge rudert zurück: Nur noch «größtmöglichen» Internet-Zugang
Peking (dpa) – In der Kontroverse um die chinesische Internet- Zensur ist IOC-Präsident Jacques Rogge von seinem Versprechen eines «freien und unzensierten» Zugangs bei den Olympischen Spielen zurück gerudert. Auf seiner ersten Pressekonferenz in der Olympia-Stadt Peking machte der Belgier am Samstag deutlich, dass es nur noch um «größtmöglichen» Zugang für die 25 0000 Journalisten gehe. (…)
Beim sid liest sich das so:
Großes Lob für Chinas Vorbereitungen
Rogge: „Was zählt, ist der Fortschritt“(…) Peking (sid) IOC-Präsident Jacques Rogge hat die Zugeständnisse Chinas beim Internet-Zugang als „beispiellos für dieses Land“ gewürdigt. (…)
Indirekt machte der Belgier klar, dass die Wünsche des IOC nicht in vollem Umfang erfüllt wurden. (…)
sid-Mann Dieter Hennig darf (wie gesagt) laut einem Bericht des „Sportjournalist“ am 6. August auf Vorschlag des IOC ein Stück weit die olympische Fackel tragen.
(Und überrascht es Sie, wenn ich Ihnen sage, dass die vom sid zurückgezogenen Falschmeldungen noch immer von den Online-Auftritten von „Rheinischer Post“ und n-tv weiterverbreitet werden?)