Schlagwort: Financial Times Deutschland

Die FTD hat den Schuss (nicht) gehört

Die „Financial Times Deutschland“ hatte gestern eine originelle Idee. Sie veröffentlichte vor der Parlamentswahl in den Niederlanden eine große Analyse, was Deutschland aus der Parlamentswahl in den Niederlanden lernen müsse.

„Warnschuss für Deutschland“, überschrieb FTD-Korrespondent Klaus Max Smolka seinen Kommentar:

Das oft gemalte Bild der pragmatischen Niederlande bekommt seit Jahren Risse. (…) Radikale Parteien stehen bei der Parlamentswahl am heutigen Mittwoch besser da denn je.

Deutschland sollte aufmerksam zuschauen. Denn in den Niederlanden ist zu besichtigen, was passiert, wenn der gesamte Mainstream in zentralen Fragen die Meinung der Bürger ignoriert: Wähler strömen an den Rand. (…)

[Rechtspopulist Geert] Wilders profiliert sich nun zusätzlich als Euro-Gegner und will, dass die Niederlande aus der EU austreten. Die Sozialistische Partei (SP) unter Emile Roemer will die EU-Defizitgrenze notfalls ignorieren, Roemer lehnt Rettungspakete für die Südländer und den Rettungsschirm ESM ab (…). Beide Parteien vereinigen nach den letzten Umfragen zusammen ein Viertel der Stimmen auf sich.

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Alternativen zur Alternativlosigkeit

Die Betriebsräte der Gruner+Jahr-Zeitschriften „Capital“, „Börse Online“ und „Impulse“, deren Redaktion gerade in einem einmaligen Hauruck-Verfahren verkleinert und mit der „Financial Times“ zusammen gelegt werden, haben an Hartmut Ostrowski, den Aufsichtsratschef von Gruner+Jahr und Vorstandsvorsitzenden von Bertelsmann, einen besorgten Brief geschrieben, in dem sie darlegen, wie verheerend der Verlag vorgehe, und um wenigstens einen Aufschub der Pläne bitten. Ostrowski hat darauf freundlich geantwortet, dass er ihnen nicht helfen wolle. Zu der beschlossenen „Maßnahme“ gebe es weiterhin „keine Alternative“.

Keine Alternative? Der Verlag Gruner+Jahr ist gezwungen, komplette Belegschaften in Köln und München mit über 100 Mitarbeitern zu entlassen, die sich dann für 50 neue Stellen zu schlechteren Konditionen in einer Zentralredaktion in Hamburg bewerben dürfen? Zu diesem unwürdigen Verfahren gibt es „keine Alternative“?

Das war also nicht nur ein Plan des zukünftigen Gruner+Jahr-Chefs Bernd Buchholz, der kurz zuvor seine Aufgabe noch mit der eines Kapitäns verglichen hatte, der „den Leuten auf dem Sonnendeck“ sagen müsse, „dass sie ihre Liegestühle und Drinks beiseite stellen müssen“, sondern das war der einzig mögliche Plan?

Vielleicht stellt man sich das als Laie ja falsch vor. Es ist also gar nicht so, dass die Manager dafür bezahlt werden, dass sie aus mehren Möglichkeiten die ihrer Meinung nach beste auswählen. In Wahrheit besteht ihr Job nur darin, das Steuer festzuhalten, während man den einzigen Weg fährt, der zum Ziel führt, was vermutlich ein Dreijähriger schaffen könnte.

Und eh jetzt jemand kommt und sagt: Das dürfe man nicht so wörtlich nehmen, der Ostrowski habe eigentlich nur gemeint, dass die beschlossene „Maßnahme“ der beste Weg sei, die Zukunft der Wirtschaftspresse von G+J sicher zu stellen — nein, ich bin mir sicher, das hat er nicht gemeint. Denn das würde bedeuten, dass man darüber streiten könnte, welche anderen Wege es noch gibt, dieses Ziel zu erreichen, und ob vielleicht sogar einer darunter ist, bei dem man vorher nicht quasi der ganzen Belegschaft kündigen muss oder hinterher keine eigenständigen Zeitschriften mehr hat. Eine solche Diskussion ist aber natürlich das letzte, was Ostrowski und Buchholz und die anderen Gruner+Jahr-Abwickler wollen, weshalb Ostrowski sicherheitshalber sogar die theoretische Möglichkeit einer solchen Diskussion ausschließt: Es gibt „keine Alternative“.

Vielleicht bilde ich es mir ein, aber ich habe das Gefühl, es gibt gerade eine Inflation dieser Form von Argumentationsverweigerung. Krisensituationen machen es leicht zu behaupten, zu bestimmten Entscheidungen gebe es keine Alternativen. So werden nicht nur die Verantwortlichen entlastet, sondern auch die Opfer ihrer „Maßnahmen“ zum Erdulden ihres Schicksals gezwungen. Zur Teilverstaatlichung der Commerzbank gab es angeblich ebenso keine Alternative wie zum Angriff Israels auf den Gaza-Streifen. „Tina-Prinzip“ heißt dieses Muster („There Is No Alternative“), und das praktische an ihm ist, dass es nicht nur jede Kritik von vornherein als weltfremd und daher zu vernachlässigend abtut, sondern die Folgen der Entscheidungen gleich mit legitimiert. Man darf Israel nicht für den Tod von Hunderten Kinder und Zivilisten verantwortlich machen, denn die Israelis hatten ja keine Wahl.

Der Rückgriff auf das „Tina-Prinzip“ in Diskussionen sollte den Sprecher ähnlich disqualifizieren wie ein Hitler-Vergleich. Aber ich fürchte, wenn man Herrn Ostrowski fragte, warum er sich auf diese Weise jeder Argumentation verweigerte, würde er nur antworten, dass es dazu keine Alternative gegeben habe.

FTD-Online: Intel inside

Was für eine schöne Idee: Die „Financial Times Deutschland“ (FTD) schickt einen Journalisten und einen Kameramann durch die Bundesrepublik und lässt sie innovative Unternehmen besuchen. In einer liebevoll produzierten Videoreihe auf „FTD-Online“ porträtieren sie die „Innovationsführer aus Deutschland“, die zum Beispiel wegweisende Medizintechnik entwickeln.

Hm?

Ja, richtig: Die „FTD“ hatte dieselbe Idee, die die „Welt“ schon hatte, nämlich die von und für Intel produzierten PR-Filme des Projektes „Deutschlandreise“ als redaktionellen Content zu verwenden.

Allerdings war „FTD-Online“ (anders als „Welt Online“) nicht so dreist, ihren eigenen FTD-TV-Vorspann vor oder das eigene Logo auf das Intel-Video zu bappen. Und, wichtiger Unterschied: Der Auftraggeber wird im Artikel selbst genannt, wenn auch etwas versteckt im vierten Absatz und mit einer Formulierung, die die Beziehung zwischen Intel und den Videos auf „FTD-Online“ eher verschleiert als erklärt:

Der Versuch, sich diese Konstruktion von der „FTD“ erklären zu lassen, gestaltete sich erstaunlich schwierig. Die Pressestelle beantwortete meine am Dienstagmittag gestellten Fragen am Mittwochabend zunächst wie folgt:

Was bedeutet die Formulierung, FTD-Online „präsentiert“ diese Filme?

„Präsentiert“ heißt, dass wir die Unternehmen auf ftd.de zeigen.

Ist FTD-Online in irgendeiner Weise redaktionell an der Produktion dieser Filme beteiligt?

Die Online-Kollegen waren im Vorfeld an der Auswahl der Unternehmen beteiligt, die auf der Deutschlandreise besucht werden sollen. Sie entscheiden auch, welche Filme und welche Unternehmen auf FTD.de vorgestellt werden und welche nicht.

Ist es üblich, dass die FTD PR-Filme von Unternehmen in dieser Form in ihren Online-Auftritt einbaut?

Wir betrachten die Videos des „Projekt Deutschlandreise“ nicht als PR-Filme. Wir behalten uns grundsätzlich vor, ggf. Sequenzen von Unternehmensvideos zu verwenden, wie dies auch bei TV-Sendern üblich ist. Wenn wir dies tun, kennzeichnen wir sie entsprechend, so wie wir die Quellen generell kennzeichnen.

Hat Intel für die Platzierung ihrer Filme im Online-Angebot der FTD Geld gezahlt?

Nein. Es gibt auch keine Intel-Werbung in den Videos. Aktueller Werbepartner des FTD-Videoplayers ist der Softwareanbieter Sage.

Ich bezweifle sehr, dass das stimmt: dass Redakteure von „FTD-Online“ „im Vorfeld an der Auswahl der Unternehmen beteiligt“ waren. Wie plausibel ist es, dass die „FTD“ ein Projekt mit Intel plant, das dann aber monatelang nur auf der Intel-Seite und dann zunächst auf „Welt Online“ erscheint?

Ein bisschen konterkariert wurde die Antwort der „FTD“ an mich auch dadurch, dass ungefähr gleichzeitig die Seite mit dem Video aus dem Angebot von FTD-Online verschwand und mir aus der Chefredaktion der „FTD“ bedeutet wurde, man sei alles andere als glücklich über das Projekt und die Art der Kooperation.

Deshalb habe ich gestern abend noch einmal offiziell nachgefragt, warum man das Angebot gleichzeitig verteidigt und beseitigt. Heute mittag bekam ich folgende Antwort:

Die Online-Kollegen waren im Vorfeld an der Auswahl der Unternehmen beteiligt, die auf der Deutschlandreise besucht werden sollen. Wir haben aber letztlich nur ein Video auf FTD.de gezeigt, da wir mit der Umsetzung nicht glücklich waren. Mittlerweile haben wir das Video von der Site genommen. Geld ist dabei nicht geflossen. Die Kooperation war rein redaktionell.

Ich halte den Anfang dieses Statements für eine Lüge, den Mittelteil für eine Ausrede und das Ende für rätselhaft.

Auch bei Intel widerspricht man der Darstellung der „FTD“. Die Liste der zu besuchenden Unternehmen habe allein der Chip-Hersteller bestimmt; die „FTD“ habe allein bestimmt, wann und in welcher Reihenfolge sie selbst die (gegenüber dem Original anders geschnittenen) Filme zeigt.

Dass die Zusammenarbeit nun abrupt beendet ist, bedauert Intel-Sprecher Hans-Jürgen Werner. Mit dem „Projekt Deutschlandreise“, in dem viel Herzblut stecke, habe das Unternehmen Neuland betreten. Die Wirren um die Zusammenarbeit mit „Welt Online“ und „FTD-Online“ verbucht er als Lernerfahrungen im Umgang mit einem neuen Medium. Es sei nicht darum gegangen, verdeckt Inhalte zu platzieren.

Falls die „Financial Times Deutschland“ noch weitere Versionen des Ablaufes auftreibt, werde ich sie natürlich hier nachtragen.