Schlagwort: Kabel 1

Der „Subway“-Journalismus von ProSieben

Vor einigen Monaten habe ich, eher nebenbei, darüber geschrieben, mit welch erstaunlicher Gründlichkeit ProSieben seine Zuschauer über die faszinierende Welt der Sandwichkette „Subway“ informiert. Über den tollen Teig und die tollen Restaurants, über die tollen Ausbildungsplätze und das tolle Prinzip.

Die Sendersprecherin hatte mir allerdings auf Nachfrage erklärt, diese Berichte hätten „ausschließlich etwas mit journalistischen Gründen zu tun“.
was frag ich auch den Sender! Ich hätte natürlich die PR-Agentur „foleys“ fragen sollen — oder einfach auf ihre Homepage gucken. Dort veröffentlichte sie im April folgende Pressemitteilung:

12,91 Millionen TV-Einschaltquote in vier Monaten

Schon im letzten Jahr ist es foleys PR gelungen, SUBWAY® Sandwiches in bekannten TV-Formaten wie „Galileo“ oder „Deine Chance — 3 Bewerber, 1 Job“ auf PRO7 zu platzieren. Auch in 2008 zeigt sich die Ulmer Agentur auf diesem Gebiet sehr erfolgreich: foleys PR realisierte bereits im ersten Quartal des neuen Jahres mehrere Projekte mit „Abenteuer Leben“ auf Kabel 1 und „Galileo“ auf PRO7.

Das Team von foleys PR initiierte und begleitete dabei alle Drehs, bereitete deren Inhalte vor, briefte die Protagonisten und TV-Teams und stand ihnen und den jeweiligen Franchisepartnern vor ORt mit Rat und Tat als verantwortliche Kontrollinstanz (und Pressesprecher) zur Seite. Das Resultat: Über 73 Minuten kostenlose TV-Präsenz für SUBWAY® Sandwiches, mit 12,91 Millionen Gesamteinschaltquote und einem Mediagegenwert von über zwei Millionen Euro. Doch damit ist noch lange nicht Schluss: foleys PR hat bereits weitere spannende TV-Projekte für die Sandwichmacher in Arbeit.

foleys PR achtet dabei auf Ausgewogenheit: Nicht nur die Produkte der Sandwichmacher sollen dem deutschen Fernsehpublikum präsentiert werden. Die PR-Spezialisten legen auch Wert darauf, dass alle Facetten ihres Kunden gut beleuchtet werden. So lag der Fokus der Beiträge „Galileo Existenzgründung“ (Pro7) und „Abenteuer Wissen“ (Kabel 1) auf dem Franchisesystem SUBWAY® Sandwiches. Zukünftige Projekte werden zum Beispiel die Arbeit im einzelnen Restaurant beleuchten. foleys PR ermöglicht es seinem Kunden somit, (kostengünstig) seine Bekanntheit und Beliebtheit durch umfassende und redaktionell sehr glaubwürdige Einblicke in das System zu steigern — natürlich mit positivem Effekt auf Umsätze und Zahlen von Franchiseinteressierten.

Man soll ja skeptisch sein bei solchen PR-Meldungen. Aber komisch: Ich glaube denen jedes Wort. (Und worauf sie so stolz sind, kann man sich zum Beispiel hier angucken).

[Mit Dank an Benjamin Gasser]

Nachtrag, 14:10 Uhr. Die Agentur foleys scheint die Pressemitteilung von ihrer Seite entfernt zu haben.

Nachtrag, 16:00 Uhr. Axel Roggmann, Geschäftsführer von foleys, schreibt in den Kommentaren u.a.:

Wir möchten fest halten, dass foleys PR weder in eigenem noch im Namen dritter Schleichwerbung betrieben hat noch dieses beabsichtigt hat. Es gab keinerlei Zuwendungen an den Sender oder die Produktionsfirma. Jeder Beitrag wurde stets von einem Redakteur des Senders bzw. der von ihm beauftragten Produktionsgesellschaft unabhängig durchgeführt. Selbstverständlich wurde jedoch jeder Dreh von foleys PR (im Auftrag von SUBWAY® Sandwiches) vor Ort professionell begleitet, was bedeutet, dass z.B. evtl. vorhandene Drehpläne z.T. vorab gelesen wurden um evtl. sachliche Fehler eines Redakteurs und des Filmteams zu vermeiden (denn nachträglich festgestellte sachliche Fehler sind kaum zu korrigieren). Natürlich wurde auch den jeweiligen Franchisepartnern
(allesamt TV-unerfahren und entsprechend auf Unterstützung angewiesen) vor und während des Drehs zur Seite gestanden. Es ist die Aufgabe einer PR-Agentur sie bei solch einem Dreh zu unterstützen. Den Vorwurf von „Dauerwerbesendung“ und Schleichwerbung weisen wir von uns. Wir entschuldigen uns für evtl. missverständlich formulierte Aussagen auf unserer Website und bedauern, wenn diese evtl. zu Irritationen geführt haben.

Serienverschnitt auf Kabel 1

Sie haben es wirklich getan. Kabel 1 hat die feine britische Polizeiserie „Life On Mars“, die eigentlich ein seltenes Highlight im Programm wäre, verstümmelt.

Die Pilotfolge, die im BBC-Original 59 Minuten lang ist, war auf Kabel 1 netto (also ohne Werbung) nur 52 Minuten lang. Das sind fast zwölf Prozent Verschnitt.

Und Kabel 1 hat nicht nur unmotiviert hier und da mal eine Szene ein bisschen gekürzt. Kabel 1 hat auch eine zwei Minuten lange Schlüsselszene vollständig entfernt. In dieser Szene entwickeln die Polizisten nicht nur die (sich später als richtig herausstellende) Theorie über das Motiv des Serienmörders. Sie stoßen auch auf die entscheidende Frage, warum man seine Opfer nicht hat schreien hören, obwohl er sie nicht geknebelt hat — es ist die Frage, die sie am Ende auf die Spur des Täters führt. Man hätte ungefähr jede andere Szene besser schneiden können als diese.

Aber warum musste Kabel 1 das eine schöne Stück Fernsehen, das sie ausstrahlen dürfen und für das sie in den letzten Tagen heftig geworben haben, überhaupt kürzen? Um inklusive Werbung ins übliche Stundenschema zu passen, ist „Life On Mars“ eh zu lang, mit und ohne Kürzungen. Und was wäre so schlimm daran gewesen, wenn die Drittausstrahlung des Spielfilms „Get Carter“ heute nicht um 22.25 Uhr, sondern vielleicht um 22.40 Uhr begonnen hätte? Mal ganz abgesehen davon, dass Kabel 1 es (wie Deutschland üblich) nicht geschafft hat, die Werbeblöcke zwischen zwei Szenen zu platzieren und einfach die halbe Szene, die vor einer Werbepause anfing, hinterher noch einmal zeigte.

Noch einmal: Bei Kabel 1 schneidet man wichtige Szenen aus den Serien heraus und zeigt andere doppelt. Keiner kann mir erzählen, dass das deutsche Privatfernsehen von Leuten gemacht wird, die das Fernsehen lieben.

[Nachtrag: Bei Nobbi ist das Elend ausführlich dokumentiert.]

Nachtrag, 5. Februar: Das Peerblog berichtet, dass tatsächlich nicht Kabel 1, sondern die BBC selbst für die Kürzungen verantwortlich ist. Unfassbar.

Der Grenzgänger

Süddeutsche Zeitung

Jörg Draeger, Moderator von „Geh aufs Ganze“, macht in guten Momenten aus einer billigen Sendung kostbare Unterhaltung.

Zwei Handbreit ist sein Gesicht von ihrem entfernt. Keine Sekunde lässt er sie aus dem Blick. Seine Augen bohren sich tief in sie hinein und lassen sie nicht mehr los. Sein ganzer Körper ist ihr zugewandt, nicht dem Publikum, nicht den Kameras. Weil er so dicht vor ihr steht, finden ihre Augen keinen Fluchtpunkt, immer wieder nur sein Gesicht.

Zwei Minuten dauert das. Ewig. Bis sie sich entschieden hat, den unbekannten Preis hinter einem Tor zu nehmen, nicht die 1000 Mark, die er ihr anbietet. Und bis er ihre Entscheidung akzeptiert. 1500? 2000?

Nein, endgültig. Ja, bestimmt.

Das mit den zwei Handbreit täuscht. In Wahrheit ist die Distanz, die Jörg Draeger seinen Kandidaten lässt, genau null. Was er macht mit den Leuten, ist das gleiche wie Günther Jauch in Wer wird Millionär ein paar Stunden später, ein paar Millionen Zuschauer populärer, ein paar Gehaltsstufen höher. Er spielt mit ihnen. Führt sie demonstrativ auf die falsche Fährte und heimlich auf die Richtige. Lässt sie blind vertrauen und grundlos zweifeln. Lockt abwechselnd ihre Gier und ihr Sicherheitsbedürfnis. Macht sie nackt.

Bei Jauch haben sie manchmal noch ihr Wissen als Schutz, bei Draeger geht es um Glück — da haben sie nichts. Jauch lehnt sich zurück und zieht seine Kandidaten an langen Marionettenfäden dahin, wo er sie haben will. Draeger beugt sich vor und führt sie am Nasenring. Nicht ganz so elegant, die Technik. Genauso perfekt.

Er ist nicht der klassische Fernsehheld. 55, braun gebrannt, mit einem Schnauzer, der jeden Imageberater suizidal werden lässt, die vielen Haare zu einem furchtbar federnden Scheitel gezähmt. Doch, er sieht schon aus wie ein Moderator. Aber wie einer, der die Karnevalsgala im Kurhaus zu Bad Rothenfelde leitet oder die Hauskapelle der Schlagerbar auf Mallorca.

Auch seine Sendung ist kein naheliegender Ort für televisionäre Höhepunkte. Geh aufs Ganze, täglich zur klassischen Nebenbei-Beriesel-Zeit am Vorabend, 40 Minuten Zocken um Preise, deren Präsentation eigentlich Anlass der Sendung ist.

Simpler geht es nicht: Moderator sucht Kandidaten aus dem Publikum. Lässt sie aus Toren und Umschlägen wählen, die große Gewinne, kleine Gewinne oder die Niete in Gestalt eines begehrten roten Flauschzottels namens Zonk enthalten. Er zählt ihnen Geldscheine in die Hand, um sie zu verführen, aus dem Spiel auszusteigen. Immerhin: Kabel 1 pflegt die Sendung, die hier nach acht Jahren auf Sat 1 seit zwei Jahren läuft. Hat ihr gerade ein neues schmuckes Studio gegönnt und fordert das Publikum auf, ihre Tipps für die Kandidaten nicht mehr reinzubrüllen („den ROTEN Umschlag!“). Casino statt Karneval soll es werden, sagt der Warm-Up-Mann, „naja, eher Casino in Bad Neuenahr als in Las Vegas“, sagt Draeger realistisch.

Als Moderator der Sat-1-Nachrichten und im Frühstücksfernsehen hat er keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, mit einer RTL-Sendung über ungeklärte Phänomene ist er fürchterlich baden gegangen. Aber Geh aufs Ganze, das ist seine Sendung, „mein Baby“, da macht ihm keiner was vor. Ohne ihn, sagt die Kabel-1-Sprecherin, hätte man die Show gar nicht wiederbelebt, und nachdem Sat 1 es einmal mit Ersatzmann Elmar Hörig versucht hatte, ist das mehr als ein Lippenbekenntnis.

Er tritt auf, und während das Publikum noch applaudiert, sucht er sich daraus ein Opfer. Gecastet wird nicht, die Redaktion gibt ihm höchstens Tipps, wer vor der Sendung originell schien, aber für Draeger, ganz Diva, ist das eher ein Grund, jemanden anderes zu wählen. Er verlässt sich auf seine Intuition und die Faustregel: Eine Oma, eine Blonde mit Riesendekolleté.

Mit Jürgen setzt er sich auf einen Barhocker und fragt, welches der drei Tore er wolle. Jürgen will Tor 2. Draeger zeigt ihm den Inhalt der anderen: je ein Auto. „Gestern“, sagt Draeger, „war hinter jedem Tor ein Auto. “ Er plaudert beiläufig über Heimatort, Familie, Beruf, und während Jürgen schwitzt, weil er sich fast sicher ist, dass hinter dem Tor 2 auch ein Smart ist, aber eben nur fast, taxiert Draeger ihn und plant, wie viel sicheres Bargeld er gegen den unsicheren Wagen wohl bieten muss, bevor Jürgen aussteigt.

Das Verblüffende ist, dass man bei dieser billigen Show in guten Momenten mehr über die Kandidaten erfährt und die Menschen an sich, als in vielen teuren Sendungen. Monika hat sich fest vorgenommen, zu zocken und nicht auf ein Geldgeschenk einzugehen.

Draeger zählt: 1000 Mark. 1500. 1800. 12000. Monika verliert die Fassung. So einfach ist das.

Er knackt sie fast alle. „In 99 Prozent der Fälle kann ich steuern, wie sie sich entscheiden werden“, sagt Draeger. Manche schmelzen sofort wie Wachs. Eine junge Frau hat sich für einen blauen Umschlag entschieden. „Könnte ich Sie überreden, den roten zu nehmen, mir zuliebe“, fragt Draeger. „Ja“, haucht sie und tauscht. „War nur ein Test“, sagt er nun, „würden Sie ihn mir auch wieder zurückgeben?“ Würde sie und hat ganz unverdient wieder den Hauptpreis in der Hand.

Sie würde auch springen, wenn er sie bäte. Ihm zuliebe.

Müssten seine Augen nicht groß sein, offen, weit? Jörg Draeger hat kleine, tiefliegende, engstehende Augen. Doch das passt. Er ist ja nicht der vertrauenswürdige Onkel. Er ist der Gebrauchtwagenhändler. Man weiß, dass er verschlagen ist, einen übers Ohr hauen will, sieht es ihm sogar an. Aber seine Angebote sind so verlockend.

Wenn er vornehm wirken will, sich verbeugt oder einen Handkuss gibt, wirkt er theatralisch, verkrampft. Im persönlichen Gespräch ist er ganz nah, laut und direkt. Er sitzt in seiner Garderobe, ein Bein wippt über der Lehne, eine Hand spielt mit dem Schlüssel, die andere hält einen Kaffeebecher, mit beiden gestikuliert er. Distanz? Seine schwangere Assistentin stellt er mit den Worten vor: „Ich war’s nicht“. Worüber Kollegen, die Geschichten von ihm erzählen, wie er Mitarbeiterinnen Eiswürfel in den Ausschnitt wirft und wieder herausholt, nur bedingt lachen können.

Als Moderator aber zeichnet ihn aus, Grenzen der Kandidaten zu erkennen, an sie heranzugehen und sie dann ganz knapp nicht zu überschreiten. Mit großer Sicherheit fängt er den Kandidaten auf, den er gerade nacheinander acht Motorräder hat verspielt lassen und wägt ab, wen er zur Verzweiflung treibt und wen nicht. „Ich bin ein typischer Straßenköter aus dem Ruhrgebiet“, sagt er. „Ich war als Kind nicht stark oder schlau und ich hatte keinen Florett-Roller, der die Mädchen beeindruckte.“

Was er hatte und zur Perfektion entwickelte, war Schlitzohrigkeit und Menschenkenntnis, wenn er Kumpel überredete, für ein paar Pfennig Kohlen zu schippen, wofür er gerade viel mehr von seinen Großeltern bekommen hatte.

Draeger ist Showmaster — er beherrscht die Sendung und ist besessen von ihr. Kurz vor der Aufzeichnung geht er mit seiner Assistentin den Ablauf durch, den die Redaktion entwickelt hat, und ändert: Hier einen Smart mehr, da bitte nur Zonks im Umschlag, das alberne Trimmrad nur als Trostpreis. Selbst in der Sendung wirft er dauernd den Spielplan durcheinander, macht kurzerhand eine Extrarunde mit einem vorwitzigen Zuschauer, improvisiert — die Kameramänner können sehen, wie sie das ins Bild kriegen. „Ich habe Freiheiten in dieser Show, die sonst nur die ganz Großen haben“, sagt er.

Vielleicht ist es deshalb nicht gelogen, wenn er sagt, er sehne sich nicht danach, noch einmal in die Erste Reihe zu kommen, raus aus dem Vorabendwerbegetto. „Ich habe in meinem Berufsleben für meine Möglichkeiten alles gemacht“, sagt er. Irgendwann, vielleicht schon nächstes Jahr, will er ganz aufhören und auf Teneriffa bleiben, wo er mit seiner Familie lebt. Dem „Vieh, dem ich meine materielle Sicherheit verdanke“, hat er dort ein Denkmal gesetzt: In seinen Swimmingpool hat er aus roten Mosaiksteinen einen Dreimeter-Zonk einarbeiten lassen. „Das sieht einfach sensationell aus.“

Auch das ist ein Reiz des Jörg Draeger und seiner Show: Manchmal macht er einem einfach Angst.

Was bin ich?

Süddeutsche Zeitung

Schwein gehabt. „Was bin ich?“ und das Geheimnis der Antizyklik: Wie eine kleine, leise Show auf Kabel 1 zum großen Erfolg wurde.

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Angenommen, jemand wollte in seinem Leben nur eine einzige Fernsehsendung besuchen. Wollte einmal dabei sein, um sich zu überzeugen, dass es sie wirklich gibt, die Leute, die er täglich in seinem Wohnzimmer trifft; wollte einmal die Kameras sehen, das Studio und die Prominenten und dann nach Hause zurückkehren und seinen Lieben berichten, dass alles so ist, wie es auf dem Bildschirm aussieht, nur ein bisschen bunter vielleicht und kleiner. In dem Wissen, dass alles seine Ordnung hat, könnte er fortan beruhigt zur Fernbedienung greifen. Er müsste allerdings bei Was bin ich? gewesen sein.

Wäre er zu Andreas Türck gegangen, hätte er schnell gemerkt, dass es nur im Fernsehen so aussieht, als unterhielten sich bei Talkshows mehrere Menschen miteinander. Wäre er in einer ARD-Geburtstagsgala gelandet, hätte er feststellen müssen, dass nur die Zuschauer kontinuierlich mit alkoholischen Getränken versorgt werden, die dauernd im Bild sind, und der Jubilar in den Pausen gar nicht fröhlich und überrascht aussieht, was daran liegen könnte, dass er gar nicht fröhlich und überrascht ist. Beim Grand Prix der guten Laune hätte er erleben können, dass Frank Zander in der Halle viel mehr dummes Zeug redet als im Fernsehen, weil der Hessische Rundfunk ihn zwei Tage später alles noch einmal aufsagen ließ. Und wenn er bei der Abenteuershow Fort Boyard dabei gewesen wäre, wüsste er, dass sich ganze Rätsel mehrmals drehen lassen, indem die Kandidaten tun, als wüssten sie noch nicht die richtige Antwort.

Desillusionierend, sowas.

Was bin ich? ist eine Sendung mit vier Menschen, die den Eindruck erwecken, als seien sie ernsthaft daran interessiert, heiter Berufe zu erraten. Als hätten sie Vergnügen daran, miteinander und gegeneinander zu spielen. Als gäbe es echten Ehrgeiz, derjenige gewesen zu sein, der als erster „Drehorgelspieler“ gerufen hat.

Am Ende, nach der Verabschiedung, wenn die Kameras letzte Bilder einfangen, unter die später der Abspann gelegt wird, stecken Vera Int-Veen und Herbert Feuerstein die Köpfe zusammen. Sie tun das aus dem gleichen Grund, aus dem Peter Klöppel am Ende der Nachrichten auf seiner Computer-Tastatur rumtippt: Es sieht hübsch aus und vermittelt einen trügerischen Anschein von Authentizität.

Aber der Herbert lässt sich auch dann noch von der Vera erklären, wie sie Susanne Uhlen erraten hat, als die Kameras längst aus sind. Sie sitzen da, quasseln und gestikulieren. Und eine halbe Stunde später kann man Feuerstein im Aufenthaltsraum treffen, wie er erregt auf den Moderator Björn Hergen-Schimpf einredet, der ihn seiner Meinung nach aus reiner Bösartigkeit, „aus reiner Bösartigkeit, Hergen!“, mit einem irreführenden Nein um einen schnellen Sieg brachte. Spätestens, als Norbert Blüm vom Autogrammkarten-Unterschreiben aufschaut und aus dem Hintergrund einen Spruch nach dem nächsten in die Runde wirft, sitzen hier nicht mehr Fernseh-Profis zwischen zwei Arbeitsschichten – sondern Spieler zwischen zwei Partien.

Das allein macht Was bin ich? noch nicht zu einer guten Sendung. Aber es erklärt ein wenig, warum die Show funktioniert. Warum 46 Jahre nach der ersten Sendung von Robert Lembke und zwölf nach seiner letzten jeden Donnerstag zwei bis drei Millionen Menschen Kabel 1 einschalten — mehr als jedes andere Programm auf diesem Sender und mehr als dieser je erwartet hatte –, obwohl ihr alles fehlt, was heute Pflicht ist: Millionengewinne, Duschszenen, ein Art Ufo als Kulisse.

Was bin ich? wird in der Fernsehfabrik in Köln-Hürth aufgezeichnet. Nebenan stehen dienstags die Leute für Wer wird Millionär? an, hinten geht’s zum Container von Big Brother. Dazwischen eine andere Welt. Was bin ich? sieht aus, als funktionierte es auch ohne Kameras. Als würden sich die vier Ratefüchse und ihr Spielleiter auch sonst zum Beruferaten treffen. Das Publikum sitzt so dicht an der Bühne, dass Zuschauer schon mal ganz ungezwungen auf rhetorische Fragen der Promis antworten.

Sicher, man würde sich das Wohnzimmer eher nicht in Orange und Grün einrichten und vielleicht auf die blonde Assistentin verzichten. Man müsste auch nicht jemanden haben, der auf die Zeit achtet und nacheinander Pappschilder hochhält, auf denen „Frage stellen!“, „Tempo!“ steht und zwei Totenköpfe oder eine Bombe mit ziemlich kurzer Lunte abgebildet sind. Wahrscheinlich würden Vera Int-Veen und Tanja Schumann einander auch nur dann zum Spieleabend einladen, wenn niemand anders Zeit hätte. Aber das Spiel könnte genau so stattfinden, mit so viel Ehrgeiz, Ernsthaftigkeit und Spaß.

Offenbar weiß Kabel-1-Unterhaltungschef Karsten Schlüter, wie wichtig es ist, dass sein Team tatsächlich Spaß hat an der Arbeit. Es wäre preiswerter und durchaus üblich, von solchen Shows drei oder vier am Tag aufzunehmen; bei Was bin ich? sind es zwei, und nach drei Tagen in Folge gibt es eine Pause. „Es lohnt sich, dafür mehr Geld auszugeben“, sagt Schlüter. „Notfalls muss ich das an anderer Stelle einsparen. “ (Das Team ist überzeugt: Er spart bei der Verpflegung. Als warmes Gericht gibt es ab-wechselnd Suppe, Suppe und Suppe, und das Versprechen Schlüters, eine tolle Espressomaschine zu organisieren, stellte sich als billiger Motivationstrick heraus. ) „Ich habe noch nie so entspannt gearbeitet, das ist wie Kindergeburtstag“, sagt Talkmasterin Vera Int-Veen. „Wir haben alle genug zu tun, wir würden hier nicht mitmachen, wenn es uns keinen Spaß machen würde. “

Ein Programm, so billig wie beliebt — das klingt so, als müssten die Sender nur alte, unsterbliche Konversationsspiele ausgraben. „So einfach ist es nicht“, sagt Schlüter, und dann erzählt er lange Geschichten, wie man über Flohmärkte gelaufen sei um einen passenden Gong zu finden. Dass man die Titelmusik in den USA produzieren ließ und ein paar Sekunden vom Original („in Mono!“) drinliess. Und dass am Anfang 540 Leute auf der Liste möglicher Ratefüchse gestanden hätten.

Selbst über die Frage, wer der vier Auserwählten wo sitzt, hat Schlüter, der sich sonst ums Glücksrad kümmert, lange gegrübelt. Die Gag-Autoren, die ihnen ursprünglich witzige Fragevarianten aufschreiben sollten, schickte man schnell wieder nach Hause. Die neue Vorgabe hieß: „Nur Mut, spielt einfach, und wir filmen das ab. Und wenn ihr daneben steht, schieben wir einfach die Kulisse rüber.“

Und so sitzen sie und spielen, und das reicht. Als eine Wünschelrutengängerin, nachdem sie erraten ist, im Studio nach gefährlichen Wasseradern sucht, findet sie eine genau unter Feuersteins Platz, der natürlich unter Protest das Studio verlässt. Und Björn-Hergen Schimpf schwört, dass das Ergebnis nicht abgesprochen war. „Das ist fast eine Live-Sendung“, sagt Feuerstein, der früher im WDR in einer ganz ähnlichen Sendung namens Pssst aufgetreten ist. „So viel hängt von der Tagesform ab, so viel Spontaneität ist möglich. “ Bei einem großen Sender sähe Was bin ich? anders aus. „Pro Sieben oder RTL müssten das ganz anders aufziehen“, sagt Schlüter. Mit großer Showbühne und Musikeinlage, mindestens. „Dann besteht die Gefahr, dass sie von der guten Kernidee ablenken. “

Letztlich ist der Erfolg kein Wunder. Natürlich funktioniert die alte, kleine, leise, harmlose Sendung, weil so viele andere jung, groß, laut, riskant sind. Antizyklik nennt man das an der Börse. „Man hat immer zwei Richtungen, in die man gehen kann, um aufzufallen“, sagt Schlüter. „Alle anderen machen Rockkonzerte, wir machen ein Kammerspiel. “

Am Anfang jeder Sendung begrüßt Björn-Hergen Schimpf die Zuschauer zu einer Stunde „gepflegter Unterhaltung“. Das ist nicht nur eine Phrase.

(c) Süddeutsche Zeitung