Schlagwort: Stefan Raab

Wok-WM 2015 gefährdet!

Man tut Fernsehsendern manchmal Unrecht. Dass diese Wok-WM, die Stefan Raab seit vier Jahren veranstaltet, randvollgestopft ist mit Werbung — das darf man wirklich nicht Pro Sieben in die Schuhe schieben. Denn Pro Sieben veranstaltet die Wok-WM nicht, sondern überträgt die Sendung nur. Pro Sieben wird diese Werbung auf den Leibchen, den Geräten, den Kulissen und in den Namen der teilnehmenden Teams, nur „aufgedrängt“, wie der Sender gegenüber epd Medien erklärte.

Pro Sieben hat das Senderecht von Stefan Raabs Produktionsfirma Brainpool erworben. Aber auch Brainpool ist nicht direkt Veranstalter der Wok-WM, sondern hat dafür der Firma PS Event eine Lizenz erteilt. Die durfte sich dafür exklusiv darum kümmern, die Werbeflächen vor Ort zu vermarkten.

Warum dieser Aufwand? Ganz einfach: Der Sender oder die Produktionsfirma dürfen nicht von den Markenpräsentation im Programm profitieren — das wäre unzulässige Schleichwerbung. Aber wenn man so tut, als handele es sich gar nicht um eine Fernsehsendung, die da verkauft wird, sondern um ein ohnehin stattfindendes Event, das vom Fernsehen nur zufällig bzw. zusätzlich übertragen wird, ist die Situation eine andere. Dann hätte Pro Sieben so wenig Einfluss auf den Verkauf von Werbung durch den Veranstalter vor Ort wie RTL bei der Formel 1 oder die ARD bei der Fußball-Bundesliga. Und würde natürlich auch nicht davon profitieren.

Das „PS“ im Namen der Firma „PS Event“, die sich um die Vermarktung vor Ort kümmerte und Pro Sieben die Werbung „aufdrängte“, steht übrigens, wer hätte das gedacht, für Pro Sieben. Es handelt sich um eine 67-prozentige Tochter der 100-prozentigen Pro-Sieben-Tochter PSH Entertainment.

Tja: Man sollte die kriminelle Energie geschäftliche Kreativität von deutschen Privatsendern nicht unterschätzen.

epd-Medien-Chef Volker Lilienthal hat all das vor vier Wochen schon aufgeschrieben. Sein Artikel beginnt mit dem schönen Satz:

Vier Jahre, nachdem ProSieben mit der Übertragung der „TV Total Wok-WM“ begonnen hat, beschäftigt die Sendung nun auch die Landesmedienanstalten.

Am Mittwoch dieser Woche berichtet epd, aufgrund der Recherchen hätten die Landesmedienanstalten nun einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer damit beauftragt, festzustellen, inwieweit Pro Sieben direkt von der Werbung vor Ort profitierte. Dass die PS Event eine Pro-Sieben-Tochter ist, sei den Landesmedienanstalten „bis dahin“, also bis zu dem epd-Bericht, unbekannt gewesen.

Gott ja, wer soll denn auch drauf kommen, dass solche Informationen im Geschäftsbericht der ProSiebenSat.1 Media AG stehen!

Nun wartet die fünfköpfige „Prüfgruppe“ der zuständigen Medienanstalt Berlin-Brandenburg auf das Votum des Wirtschaftsprüfers, gibt dann ein Votum an die Gemeinsame Stelle Programm, Werbung und Medienkompetenz der Landesmedienanstalten ab, die dann ein Votum abgibt, bevor die Medienanstalt Berlin-Brandenburg entscheidet, ob sie eine Beanstandung ausspricht.

Und wenn es ganz schlecht läuft für Pro Sieben und Stefan Raab, würde ich schätzen, dass sie sich schon in acht, neun Jahren ein neues Werbekonzept für ihre Wok-WM überlegen müssen.

Aufstand alter Männer

Der Eurovisions-Song-Contest in Stockholm: Schlichtheit siegt, und Stefan Raab muss die Schlagerwelt auch nicht retten.

· · ·

Sie kommen aus einer anderen Galaxie. Tauchen aus einem gleißenden Lichtrechteck auf. Schreiten gemessen durch ein Spalier aus Bildern des Blauen Planeten. Treten an die Bühne. Rücken Gitarren und Mikrofone zurecht. Singen. Und 13 000 ergeben sich ihrer Macht.

Gut, aus einer anderen Galaxie kommen sie vielleicht nicht, die Olsen Brüder, die am Samstag den Eurovisions-Song-Contest gewonnen haben, eher schon aus einer früheren Zeit dieser Welt. Sie sehen aus wie Kenny Rogers und Unscheinbarer-Mann-neben-Kenny-Rogers. Sie sind Ende 40 und haben vor 22 Jahren zum ersten Mal versucht, zum Grand Prix zu kommen. Ihr Fly on the wings of love beruht auf genau der Folge von vier Harmonien, die schätzungsweise der Hälfte aller konventionellen Popsongs ihr Gerüst gibt. Das Lied rettet sich über die drei Minuten – wie Millionen Schlager vor ihm -, indem es kurz vor Schluss die Tonart wechselt. Halbwegs aus heutiger Zeit ist nur der Effekt, Jorgen Olsens Stimme einmal durch einen Vocoder verzerren zu lassen, wie bei Cher – aber den Effekt hat inzwischen selbst Mary Roos entdeckt. Nein, als irgendwie innovative Veranstaltung geht der Grand Prix nach dem Sieg der Dänen nicht durch.

Muss er auch nicht. Das furchtbare Erfolgsgeheimnis des Schlagerwettbewerbes ist seine Schlichtheit. Schon bei der Wiederholung des Siegertitels zum Finale konnte fast jeder in der Stockholmer Globen-Arena mitsingen. Am Tag zuvor wurden die Dänen plötzlich Favoriten, als das harmlose Lied bei der ersten öffentlichen Probe das überwiegend schwedische Publikum zur Raserei trieb. So gesehen geht der Sieg völlig in Ordnung. Auch in ein paar Jahren noch werden es die merkwürdigen Grüppchen von Grand-Prix-Fans rauf und runter spielen. Und wenn einer dazukommt, wird er sich erinnern und mitsingen. Und wenn er sich nicht erinnert, kann er es trotzdem nach zwei Strophen.

Auf den Straßen und in den Bars Stockholms liefen in der vergangenen Woche die Grand-Prix-Hits aus 45 Jahren in der Endlosschleife, aber auch beim zweiunddreißigsten Mal Waterloo und A-ba-ni-bi und Ring-A-Dong gerieten die Menschen aus ganz Europa, jung und alt, noch in Extase.

Es hätte alles viel schlimmer kommen können. Mit Irland als Sieger zum Beispiel. Die Iren schickten einen freundlichen, aber viel zu schönen Mann mit Vokuhila-Frisur, der vor dem Hintergrund brennender Kerzen derart kalkuliert vom Jahrtausend der Liebe schmachtete, dass es selbst den Schlagerfans zu viel war. Hohe Punkte für ihn wurden vom Publikum gar mit Buhrufen kommentiert.

Vor Irland aber lag am Ende ein ganzer Ostblock: Russland, Lettland, Estland. Dass die 16-jährige Russin Alsou mit ihrem modernen, aber belanglosen Stück auf Platz zwei kam, nahmen Song-Contest-Verantwortlichen aus aller Welt mit Erleichterung auf: Vielleicht gibt sich ihr Vater damit zufrieden. Der Herr ist Multimillionär, ließ ausrichten, dass auch Herr Präsident Putin für das Lied sei und drohte ernsthaft, das Schwedische Fernsehen zu kaufen, wenn deren Regisseure nicht tun, was er will.

Der Erfolg von Estland und Lettland, die mit MTV-kompatiblen jungen Nummern angetreten waren, gab denen Hoffnung, dass der Schlagerwettbewerb nicht nur ein skurriles Ritual sein muss, bei dem am Ende die simpelste Hymne gewinnt. Dahinter Stefan Raab auf Platz fünf: „Das ist das perfekte Ergebnis für mich“, sagte der deutsche Delegationsleiter Jürgen Meier-Beer vom NDR. Was schließt man daraus? Ist der Grand-Prix 2000 nun ein Zeichen für die Allmacht des zeitlosen Kitsch (wegen Platz 1) oder für das Aufholen des zeitgemäßen Pop (wegen Platz 2 bis 4)? „Ist mir egal“, sagt Meier-Beer, „solange die Leute nur ausgiebig darüber diskutieren.“ Über zehn Millionen sahen bei der ARD am Samstag im Schnitt zu.

Ein bitterer Abend war es für Österreich und die Schweiz. Beide dürfen im kommenden Jahr wohl nicht zum Finale nach Dänemark reisen – ihr Punkteschnitt der letzten Jahre ist zu schlecht. ORF-Leute glauben, dass ihnen das Anti-Österreich-Klima in Europa geschadet habe – obwohl sich der Auftritt der Rounder Girls, drei schwere Damen verschiedener Hautfarbe mit einem Motown-Stück, gerade als Anti-Haider-Demonstration werten ließ. Der Schweiz will Deutschland 2001 anbieten, wie bereits 1999 wenigstens mit einem Beitrag an der deutschen Vorausscheidung teilzunehmen.

Stefan Raab lag mit seinem fünften Platz deutlich über den Prognosen der Wettbüros. Dabei war sein Auftritt eigentlich ein Missverständnis. „Ich habe gehört, Sie wollen den Song Contest retten“, sagte die schwedische Moderatorin mit dem Charme eines Gefrierbeutels bei seiner Pressekonferenz. „Das ist ja nett.“ Die Veranstaltung braucht – anders als vielleicht die deutsche Vorentscheidung – keinen Retter-Raab. Sie ist trotz ihrer ganzen Rituale und Albernheiten ziemlich lebendig und vielfältig. Schon deshalb fiel Raab in Stockholm nicht so sehr auf. Außerdem kommentierten viele seinen Auftritt nicht mehr mit: „Hey – die Deutschen haben ja Humor!“, sondern mit: „Hatten wir den gleichen Witz nicht schon vor zwei Jahren?“

Eine Schlager-EM hat die gleiche Bedeutung wie eine Fußball-EM: Sie ist exakt so wichtig, wie man sie nimmt. Da schneidet der Grand Prix im Vergleich nicht mal schlecht ab: Einige Länder baten die Sänger in Stockholm zu offiziellen Empfängen in ihre Botschaften. Den Dänen ist es traditionell eine Party mit Freibier wert. Und die Engländer, die ihre Zielgruppe kennen, luden in eine Schwulenbar.

Dafür braucht die Welt den Grand Prix: Damit Leute wie die Olsen-Brüder Hoffnung auf eine neue Karriere haben und Leute wie Stefan Raab Material für ihre Comedy. Damit ein Fernsehzwerg wie Schweden der Welt zeigen kann, wie man die alte Veranstaltung als modernes Spektakel inszeniert. Damit wir feststellen, dass auch in Mazedonien (I love you 100 percent, yes I do) Mädchen nicht singen können müssen, um erfolgreich zu sein, wenn sie nur sehr jung sind und entsprechend wenig anhaben.

Und natürlich, damit einmal im Jahr Millionen Fernsehzuschauer eine knappe Stunde lang zusehen, wie nacheinander 240 Punktewertungen je drei Mal vorgelesen werden. Zwölf Punkte von Mazedonien an Rumänien – hurra! „Ist doch toll“, sagte eine norwegische Journalistin, „das hier ist die größte unwichtige Veranstaltung des Jahres.“

(c) Süddeutsche Zeitung

Der Mann, der nur Spaß versteht

Süddeutsche Zeitung

Der deutsche Grand-Prix-Vertreter Stefan Raab feiert vielleicht deshalb Erfolge, weil ihn an der Welt nur eines interessiert: Ob sie für einen Witz taugt.

· · ·

Stockholm, 10. Mai — Einer hat die Quelle entdeckt. Ein einziger, das genügt. Seine Kamera verrät ihn, er bleibt nicht lang allein. In Sekunden sind nach gutem Stoff hungernde Fernsehteams aus allen Ecken des Stockholmer Stadthauses zusammen geströmt und haben eine Oase gebildet. Der Mann in ihrer Mitte trägt, wie seine Freunde, eine wattierte penatenblaue Polyester-Jacke, die an die Ausgeh-Uniformen von Fußballern bei einer WM erinnern soll. Trotzdem wäre er unscheinbar, unrasiert wie er ist, mit Baseballkappe, Cargo-Hose und Turnschuhen, würden nicht sieben, acht Fernsehjournalisten, ihre Kameramänner und Mikrofonträger erwartungsvoll ihre Blicke auf den Mann richten, von dem sie wissen, dass er sie alle satt machen wird: Stefan Raab.

Es ist der Empfang des Bürgermeisters für die Teilnehmer des Europäischen Schlagerwettbewerbs, der an diesem Wochenende in Stockholm stattfindet. Wenige Zentimeter vor Raab, bedrängt von den Massen hinter ihm, steht ein junger schwedischer Reporter. Raab läuft jetzt wie aufgezogen. Nach jedem Satz zeigt er sein Nussknackergrinsen — ein breites, hölzernes Lächeln. „Na, bin ich lustig“, fragt dieses Grinsen, wenn er in die Runde schaut. Gerade erzählt er dem jungen Mann, der ihn anstrahlt, dass Wadde, Hadde und Dudde die drei meistverkauften Regale bei Ikea seien. „Das ist doch der ganze Witz bei meinem Lied Wadde hadde dudde da“, sagt Raab, legt den Kopf schief und schaut dem Reporter herausfordernd ins Gesicht, „wussten Sie das nicht?“ Kein Wort davon stimmt. Aber Raab hat großen Spaß, die Geschichte zu erzählen. Er hätte auch erzählen können, dass ihm der Text eingefallen ist, als er im Park sah, wie eine Frau mit ihrem Hund sprach. Aber das hat er schon zu oft erzählt. Und in Schweden jedenfalls passt die Ikea-Geschichte besser. „Die Hälfte von dem, was ich erzähle, von allem, was ich die ganzen letzten Jahre erzählt habe, ist erlogen“, sagt Raab. Er kann das ruhig sagen. Es wird keiner ankommen und sich beschweren. Aber wenn er die Wahrheit erzählte, und die Wahrheit langweilig wäre: dann würden sie sich beschweren.

Denn Raab ist Entertainer. Der erfolgreichste im Fernsehen heute. Seine wöchentliche Show TV Total hat erst Ostern wieder ihre eigenen Rekorde gebrochen und soll im nächsten Jahr gar täglich kommen. Seine Single Maschendrahtzaun wurde über eine Million mal verkauft und versorgte die Boulevardindustrie mit Stoff für Wochen. Raabs Musikfirma ist erfolgreicher als Große wie EMI und Ariola. Jetzt sorgt er dafür, dass sich junge Menschen massenhaft für eine alte, merkwürdige Erfindung interessieren: den Schlager-Grand-Prix.

Raab ist 33 Jahre alt und seit sieben Jahren im TV-Geschäft — die meiste Zeit auf dem Musiksender Viva, der ihn alles machen ließ. Er kann nicht nur moderieren und Faxen machen. Er kann singen. Spielt Gitarre, Schlagzeug, Klavier. Komponiert und produziert. Er braucht, wenn nicht mehr Zeit ist, nur zehn Minuten, um mit einem Musiker, den er noch nie getroffen hat, live so zu spielen, dass das Publikum tobt. Ein Grand-Prix-Journalist bittet ihn, ein finnisches Lied anzuspielen, Raab denkt zwei Sekunden nach, greift zur Ukulele, spielt einen Schlussakkord und sagt: „Finished!“ Das ist Handwerk, das beherrscht er. Warum heute aus jedem kleinen Stein, den er ins Wasser wirft, eine riesige Welle wird, erklärt es noch nicht.

Raab nimmt das Wort Entertainment wörtlich. Alles, was er macht, muss unterhalten. Zuerst ihn. Dann die Fans. Die Medien sowieso. Zu seinen Pressekonferenzen, die er nach jeder Probe in Stockholm abhalten muss, können die Programme blind Sendezeit buchen. Selbst wenn alle anderen nur erzählen, ob sie nervös waren, was sie mit ihrem Lied ausdrücken möchten und was sie vom Grand Prix erhoffen. Für die geht es ja um was: um ihre Karriere, um Auftritte in Europa, um Patriotismus gar. Für Raab geht es nur um eins: Spaß. Gewinnen macht Spaß.

Die alten Grand-Prix-Fans murren, weil sie ihre Institution nicht ernst genommen fühlen. Jens Bujar, Chefautor und Raabs wichtigster Mann, zuckt mitleidslos die Achseln: „Das ist Demokratie.“ Raab sagt: „Ich habe einen guten Geschmack“, dann korrigiert er sich: „einen breiten Geschmack.“

Raab hat nichts gegen den Grand Prix, genauso wenig wie gegen die Frau vom Maschendrahtzaun, Karl Moik vom Musikantenstadl oder Zlatko aus dem Big-Brother-Haus. Sie sind ihm egal. Sie sind Material für seine Witze. Mehr als jeder andere befreit Raab die Realität und die Fernsehrituale von allem Inhalt, bis nur noch Spaß übrig bleibt. Er kann eine halbe Stunde lang witzig mit einem schwedischen Model plaudern, ohne je zu fragen, für wen sie Modell steht und was der Beruf ihr bedeutet.

Wenn Raab eine Frau in schwedischer Tracht sieht, zeigt er auf sie, lacht und ruft: „Guck mal, was hat die denn auf dem Kopf!“ Vor sechs Wochen hat er sich ein Kickboard gekauft, eine Art moderner Tretroller. Sein Lieblingsspielzeug heute. Keiner kommt in den Backstage-Bereich, ohne es bewundert zu haben. Nach der Aufzeichnung seiner Show kann er es kaum erwarten, damit zum Hotel zurück zu fahren. Auf halber Treppe dreht er sich noch einmal um und lacht: „Das ist geil, beim Rückweg geht’s fast nur bergab.“

Raab ist ein Kind, privat und auf der Bühne. Auf der Bühne nimmt er den Spaß ernst. Die Mitarbeiter, die mit ihm die Filmbeiträge schneiden, müssen eine große Leidensfähigkeit haben: Er gibt die Beiträge nicht eher frei, bis alles perfekt ist. Wenn es nicht perfekt wird, schmeißt er es weg. Als er einmal Will Smith traf und versuchte, ihn nachzumachen, schaute ihn der Amerikaner mitleidig an und sagte: „You’re trying too hard.“ Das hat Raab zum Kern seiner Philosophie gemacht: Wenn etwas nicht leicht ist oder nach harter Arbeit leicht wirkt, lass es ganz.

Die Menschen haben auf einen wie ihn gewartet. Wenn er in der Sendung einen neuen Running Gag einführt, ein Kelle zum Beispiel, auf der das Wort „Respekt“ steht, dann sitzen schon in der nächsten Woche Leute im Publikum, die sich selber „Respekt“-Kellen gebastelt haben, andere halten „Respekt“-Fahnen hoch. „Die Leute sind aufmerksam und wollen was zum Mitmachen“, sagt Raab. In der Südkurve beim 1. FC Köln tragen die Fans alle tiefblaue Hemden mit dunkelblauen Krawatten, seit Ewald Lienen Trainer ist, der sich so anzieht und den Verein nach vorne brachte. Das gefällt Raab. Er steht nicht in der Südkurve. Nicht am Big-Brother-Haus, um „Manu raus“ zu brüllen. Und nicht am Maschendrahtzaun. Aber wie den Leuten, die dort stehen und feiern, ist ihm völlig egal, wie Manu wirklich ist und was die Frau vom Maschendrahtzaun tatsächlich umtrieb. Wie sie hängt er im privaten Gespräch „weisse?“ ans Ende seiner Sätze.

Seine Moderationen liest er nicht ab. Sie sind spontan, wirken oft entsprechend unpoliert. Das ist typisch für Raab: Er macht das einfach, weil er so ist, und es ist geschickt, als wäre es kalkuliert. „Die Leute schätzen es viel mehr, wenn du etwas spontan machst“, sagt er. „Wenn einer einen Witz erzählt und die Pointe mittelmäßig ist, finden Leute den Witz schlecht. Wenn da aber einer sitzt, der spontan seinen Kommentar abgibt, wirkt das viel witziger, selbst wenn der Spruch nur mittelmäßig war.“

Raab hat für die Journalisten in Stockholm eine Fahrt auf einem Wikingerschiff organisiert. Gegen Ende trifft er einen, für den der Grand Prix das wichtigste Ereignis des Jahres ist. Voll Stolz will der ihm eine kleine Zeitschrift in die Hand drücken, die Euro Song News des Grand-Prix-Fanclubs, deren Chefredakteur er ist. Aus dem Heft könnte Raab viel erfahren, was der Wettbewerb, an dem er teilnimmt, anderen bedeutet. Leider ist es nicht witzig. „Ich geb’s ihm später“, sagt Raabs Managerin entschuldigend dem schreibenden Fan. Raab ist längst gegangen. Er hat nicht mal gewartet, bis sie die Artikel über ihn gefunden hat.

Hadder da Gummibärchen?

Süddeutsche Zeitung

Stefan Raab und die „Bild“ streiten sich ein wenig.

So viel steht fest: Stefan Raab war in Stockholm. Mark Pittelkau, Klatsch-Nachwuchshoffnung der Bild-Zeitung, auch. Sie haben sich getroffen, um ein Foto zu machen. Doch schon über die Frage, wo genau, gehen die Aussagen auseinander. Und darüber, ob Raab dabei vor dem Schloss mit Waffengewalt abgeführt wurde, ob ihm zwei 16-Jährige mit den Worten „Hadder denn da wat, un wenn ja, was hadder da“ in den Schritt griffen und ob er zum Frühstück Gummibärchen isst – wegen der Potenz. Es ist ein absurder Streit entstanden.

Raab sagt, der Bild-Artikel, der am Tag vor dem Grand Prix erschien, sei frei erfunden. Sein Management hat protestiert, Gegendarstellung und Widerruf gefordert; die Bild bleibt bei ihrer Darstellung, ist aber intern etwas desorientiert. Unterhaltungschef Manfred Meier sagt, man habe eine Unterlassungserklärung abgegeben, das sei Routine: dass man die Fakten nicht wiederhole, heiße nicht, dass sie nicht stimmten. Chefredakteur Udo Röbel widerspricht: Es gebe keine Erklärung; die Rechtsabteilung prüfe. Die Sache ist für beide Seiten keine Petitesse, Röbel hat sich Pittelkaus Darstellung als eidesstattliche Erklärung geben lassen. Dass Details nicht stimmen, muss nichts bedeuten: „Nicht alles, was wir schreiben, ist wahr, aber wir versuchen, wie alle seriösen Zeitungen, der Wahrheit möglichst nah zu kommen“ , sagt Meier. Ach ja.

Pittelkau ist für die Bild ein wichtiger Mann. Er kennt die Schlagerszene — und es gibt nicht viele Journalisten, die bereit sind, Nächte mit Jürgen Drews zu verbringen. Am Samstag bekommt er von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlager einen Preis dafür, dass er versuche, „immer das Positive am deutschen Schlager herauszustellen“ . Manche sagen ihm Allmachtsphantasien nach. Nach einem geplatzten Termin bei Raab in Stockholm soll er gesagt haben: „Die Jagd auf Raab ist eröffnet; ich werde ihn in Grund und Boden schreiben.“ Pittelkau, sagt das Raab-Lager, leide darunter, dass nicht Corinna May zum Grand Prix durfte. Raab, sagt das Bild-Lager, leide darunter, dass er nicht so groß ins Blatt kam wie Guildo Horn. Und er gehöre offenbar zu einer neuen Generation von Stars, die selbst bestimmen wollen, wer wie über sie berichte. Jedenfalls sei er nicht halb so gut im Einstecken wie im Austeilen.

„Raab macht sich gegenüber Journalisten oft rar. Wir wollen nicht zulassen, dass die dann einfach Sachen erfinden“, sagt seine Managerin Gaby Allendorf. „Auf der Höhe, auf der sich Stefan jetzt befindet, müssen wir aufpassen, dass Leute ihn nicht für ihre Zwecke einspannen.“ Auf die Spitze treiben will sie den Streit nicht: Wenn Bild nicht nachlege, werde man die Sache auf sich beruhen lassen. Raab besteht nicht einmal mehr auf der Gegendarstellung. Im Herbst will er eine eigene Programmzeitschrift TV Total herausbringen — im Springer-Verlag. Und das ist halt der, in dem Bild erscheint.

Die Welt versteht uns

Süddeutsche Zeitung

Der Grand Prix – eine kleine, kollektive Wochenendpsychose.

Und so wird also im Mai ein finnischer Fernsehkommentator vor der Herausforderung stehen, seinen Zuschauern erklären zu müssen, was Wadde hadde dudde da heißt, wo da Sinn und Witz drin liegen, und was die Deutschen der Welt damit sagen wollen. Das ist nicht das Schlechteste. Hätte der Schlagersänger Marcel gewonnen, hätten die ausländischen Fernsehkommentatoren ihren Zuschauern übersetzen dürfen, was der nette junge Mann, der in drei Minuten nur zufällig mal den richtigen Ton traf, in Adios mit der Zeile meinte: „Nie war so tief jemand bei mir.“

Stefan Raab also fährt nach Stockholm: der Mann, der das Nicht-Ernstnehmen des Grand Prix ernst nimmt wie kein anderer. Mit einem albernen Lied, einer albernen Riesenbrille, albernen Riesenplateausohlen und einer albernen goldenen Uniform. Von über 1,5 Millionen Anrufern stimmten am Freitag bei der deutschen Vorausscheidung 57 Prozent für ihn. Das ist ein so riesiger Vorsprung, dass gleich die Diskussion wieder begonnen hat, ob man mit Handy, dessen Besitz besonders Raab-Fans zugesprochen wird, leichter durchkam als übers Festnetz. Aber er ist so riesig, dass solche Diskussionen unsinnig sind. Interessanter ist da schon die Frage, ob Wadde hadde dudde da nicht nach Say You’ll Be There von den Spice Girls klingt. Natürlich klingt es frappierend nach den Spice Girls. Man würde sich nicht wundern, wenn Raab eine Plagiatsaufregung einfach mal mit eingeplant hat.

Freitag abend also. Natürlich war es schrecklich. Da stehen diese traurigen hoffnungsvollen Figuren, üben sich in großen Posen und versuchen mit dünnen Stofffetzen von noch dünneren Stimmen abzulenken, vom grausamen Reglement zum Live-Gesang gezwungen. In einem Heim-Video treffen wir Marcel in seinem Wohnzimmer, wo er mit Vater und Mutter Reise nach Jerusalem um ein braunes Ledersofa spielt, (das wir bestimmt bald in TV total bei Raab wiedersehen). Die Lieder decken zwar mehr Musikstile ab als je zuvor, aber in jedem ihrer Heimatsegmente sind sie, wenn es sehr hoch kommt, Mittelmaß. Das meiste ist musikalisch so originell wie eine deutsche Version eines Cher-Hits von Mary Roos. Und am Ende stehen alle zusammen auf der Bühne, singen Thank you for the music von Abba und bei soviel Wir-sind-Konkurrenten-aber-haben-uns-trotzdem-lieb möchte man die Titelzeile schon aus Trotz für Ironie halten. Furchtbar.

Einerseits. Andererseits, mal angenommen, es müsse so etwas geben wie einen europäischen Schlagerwettbewerb. Wie sollte eine Vorentscheidung dann aussehen? Doch so: Mit einem Star, der die Menschen polarisiert und vor den Bildschirm treibt. Mit Verrückten, die ihr Plüsch-Keyboard zertrümmern und sich auf der Bühne wälzen, von einer durch genmanipuliertes Fleisch hervorgerufenen Verwandlung in ein Schwein singend (Knorkator, Platz vier!). Mit anderen Verrückten, die glauben, dieser Wettbewerb sei nachgerade dazu verpflichtet, junge Frauen gewinnen zu lassen, die in schwülstigen Arrangements von etwas Frieden oder ganz viel Gott singen (Corinna May, traf den Ton leider auch nur selten, aber das bombastisch, Platz zwei).

Mit vielen Interpreten, von denen man weiß, dass man nie mehr von ihnen hören wird, und wenn doch, dann nur, bis man den Knopf zum Umschalten gefunden hat (ein Gruseleffekt, der traditionell einer der Hauptgründe war, sich diese Vorentscheidung überhaupt anzusehen). Mit ein, zwei Newcomerbands von den Tausenden, die über die Dörfer ziehen und sehr ordentliche Musik machen, für die der Grand Prix die Chance ist, groß rauszukommen – wie in diesem Jahr für die Hamburger Band Kind of Blue, die den dritten Platz für ihr wirklich sehr schönes Lied Bitter Blue feierte, als wäre es ein erster. Mit einer perfekten Inszenierung. Und mit einem Medienhype, für den der ganze Zirkus überhaupt da ist. So gesehen: eine tolle Veranstaltung.

Das mit dem Keyboard-Zertrümmern fand die Bild am Sonntag in offenbar sehr verzweifelter Suche nach einem Aufmacher an einem stinklangweiligen Wochenende ganz, ganz schlimm. Und auch, dass da einer auf der Bühne geraucht hat. Grand-Prix-Senior Ralph Siegel hat – schon wieder – angekündigt, nie mehr teilnehmen zu wollen. „Ich fürchte, das Ausland lacht sich über uns kaputt“, kommentiert einer, der es wirklich wissen muss: Tony Marshall. Die deutsche Frage, was denn die Welt wieder von uns denken soll.

Ach, Tony: Die Welt, die versteht das schon! Am Freitag erzählte der britische Independent seinen Lesern die ganze Geschichte vom Maschendrahtzaun und bezeichnete Stefan Raab als den Mann, der den Deutschen ihren Sinn für Humor wiedergegeben habe. Womöglich wird Raab im Ausland gar nicht unter-, sondern sogar überschätzt. Aber wenn er doch beim Finale ganz hinten landen sollte, wie Siegel – der dort hinten schon war – prognostiziert, dann wäre das auch nett: Mal gucken, was er dann wieder daraus macht.

Gag-Academy

Stern

Lachen nach Lehrplan. Seit aus dem Comedy-Boom eine Industrie geworden ist, hungert die Branche ständig nach neuen Witzen. Mit Seminaren werden jetzt erstmals Nachwuchstalente auf den ernsten Beruf des Gag-Schreibers vorbereitet.

· · ·

Fischhaltefolie. Fischlein deck dich. Woran erkennt man das Geschlecht eines Fisches? An Brust- oder Schwanzflosse. Seit 45 Minuten sammelt eine Gruppe junger Humor-Azubis Wortspiele mit Fisch. Inzwischen haben sie mehrere Blätter gefüllt, aber eine witzige Angel-Szene für Bastian Pastewka ist nicht entstanden. Sie lernen: 97 Kalauer machen noch keinen guten Sketch. Der steht heute auf dem Lehrplan. In Theorie und Praxis. Mit Referat und Gesprächsrunde. 13 Comedy-Schüler und zwei Schülerinnen sitzen in einem humorlos eingerichteten Seminarraum in Köln. Vorne die Lehrer: Regisseure und Autoren der „Harald Schmidt Show“, „Sieben Tage, sieben Köpfe“, „TVTotal“ — und Pastewka selbst, der Brisko Schneider aus der „Wochenshow“.

Jeder von ihnen sagt, die Möglichkeit, an einem Expertengespräch namens „Der gute Sketch“ teilzunehmen, sei ein Traum. Nicht nur, weil sich das selbst nach einem Stück Comedy anhört. Sondern auch, ganz ernsthaft, weil sie so etwas selbst gern gehabt hätten, als sie ihre ersten Schritte in Richtung Fernseh-Humor machten.

Zum Beispiel 1992, als Martin Keß anfing, für die erste Late Night Show mit Thomas Gottschalk zu schreiben. Damals schaute sich Keß Stunde um Stunde einschlägige US-Sendungen an. Schrieb jeden Witz auf, analysierte ihn, kategorisierte ihn. Aber das wirkliche Wissen, was zündet und was im Rohr krepiert, kam erst mit den Jahren. Heute ist Keß 34, Chefautor der TV-Produktionsfirma „Brainpool“, und aus dem Comedy-Metier ist längst eine Industrie geworden. Immer hungrig nach neuen Lachern.

Da muß Nachwuchs und Ausbildung her. Seit wenigen Wochen gibt es drei Versuche, aus Humor ein Lehrfach zu machen. Die Kölner Comedy-Schule etwa, mit RTL im Boot, kümmert sich um Talente vor der Kamera; zwei anderen Comedy-Unternehmen geht es um Autoren: „Frühstyxradio“ schult in Hannover für den Hörfunk; „Brainpool“ lud potentielle TV-Mitarbeiter zur „Gag-Academy“ nach Köln.

Sie sind in der Regel zwischen 20 und 30 Jahre alt. Etwas Erfahrung haben die meisten, echten Erfolg die wenigsten. Vier Academy-Teilnehmer aus Recklinghausen haben es immerhin schon geschafft, für die Chaos-Sendung „Viva Family“ zu schreiben — aber die ist eingestellt worden. Roland Slawik ist es gelungen, dem ZDF eine Sitcom zu verkaufen. Die vom Sender überarbeitete Fassung hat er gerade zurückbekommen: „Jetzt versuche ich, die Witze wieder reinzuschreiben.“ Tanja Sawitzki ist erst 18, hat aber schon mit 13 bei Stefan Raab als „Zuschauerin der Woche“ den Kopf hingehalten und seitdem zwei humorige Bücher veröffentlicht.

Witzigsein lohnt sich. Ralf Husmann zum Beispiel, einer der Referenten bei der Gag-Academy, 34 Jahre alt, früher Chefautor bei Harald Schmidt, heute für Anke Engelke, hat sich schon vor Jahren mit eigenem Kabarett seinen Lebensunterhalt verdient. „Mit freiem Theater“, sagt er, „wäre das viel schwieriger gewesen.“ Vor allem der Verkauf einzelner Witze bringt Geld: Bei einer guten Handvoll TV-Shows gibt es etwa 200 Mark pro Pointe. Wer würde dagegen einen einzelnen Bühnendialog, einen genialen Reim kaufen?

Wo Scherze industriell produziert werden, zählt nicht Kunst, sondern vor allem Handwerk. Harald Schmidts Monologe, sagt sein Ex-Chefschreiber Husmann, beruhten letztlich nur auf der Kombination immer gleicher Standards mit aktuellen Themen. Mal treten Figuren wie Jürgen Drews in den Witzen als Sexmonster auf, mal Bill Clinton. Und wenn eine Susan Stahnke kommt, darf an ihr das ganze Repertoire von Blondinenwitzen durchgespielt werden.

Handwerk heißt auch, zu einer bestimmten Zeit Brauchbares abzuliefern. Wer auf den Kuß der Muse wartet, hat verloren. Deshalb sieht der Radio-Nachwuchskomiker Rene Steinberg gerade gar nicht amüsiert aus. Noch zwei Stunden: Dann muß er einen Hörfunksketch produziert haben. Und die Schlußpointe fehlt immer noch. Mit seiner Grundidee ist er ganz zufrieden: Ein Professor wird interviewt, der alte Tonbandaufnahmen von Goethe gefunden hat, auf denen der Meister sich als Schweinigel outet. Aber wie das Ding zum Ende bringen?

Das „Frühstyxradio“-Team um Oliver Kalkofe kennt Tricks für Notfälle: sich dreimal versprechen und im Chaos enden. Lachen, bis alle mitlachen. Eine Katze platzen lassen. Steinberg entscheidet sich am Ende dafür, Goethes Sauereien ins Absurde zu steigern. Nicht genial, aber sendbar. Die Schüler lernen: Irgendwas geht immer, wenn es gehen muß.

In den USA ist Comedy-Autor bereits ein Büro-Job wie jeder andere. Er kommt um neun und geht um fünf. In Deutschland können immerhin schon um die 100 Leute vom TV-Gagschreiben leben, schätzt Martin Keß. Und der Bedarf nach frischen Albernheiten ist groß: „Ich kenne keine Sendung, die Beiträge von neuen Autoren ablehnt, weil sie genug Material hätte“, sagt Husmann. Das ist für die jungen Comedy-Macher, die bislang allein vor sich hingewitzelt haben, durchaus eine ermutigende Erfahrung.
Die wenigsten von ihnen sind mit dem Vorsatz nach Hannover oder Köln gefahren, aus der Begeisterung für Comedy einen Beruf zu machen — nicht, weil sie davon nicht träumten, sondern weil sie es nur für einen Traum hielten. Wie Rene Steinberg: Plötzlich ärgert er sich, daß er gerade im Uni-Prüfungsstreß steckt und nicht sofort die offenen Türen einrennen kann, die er entdeckt hat.

Doch die Anforderungen sind hoch, gerade beim Hörfunk, wo man am liebsten fertige Serien-Dauerbrenner bekäme. Und bei allen Schulregeln: Humor bleibt eine Frage des Geschmacks — im Zweifelsfall hat der entscheidende Redakteur einen anderen.

Für solche Fälle gibt „TV Total“-Moderator Stefan Raab seinen Schülern die vermeintliche Antwort, warum jemand über etwas lacht oder nicht. Seine Mitarbeiter haben sie — als steten Quell von Trost und zugleich Verzweiflung — – in ihrem Büro aufgehängt. Sie lautet: ‚Witzig ist witzig.“ Das erklärt nichts und stimmt immer. Und der Nachwuchs erkennt: Alles kann man eben doch nicht lernen.

Ein glorreicher Halunke

Süddeutsche Zeitung

Der Viva-Star Stefan Raab will jetzt bei Pro Sieben die TV Kollegen hochnehmen — einige finden ihn gar nicht komisch.

· · ·

So hatte man sich das Zuhause eines grinsenden Jungkomikers, eines respektlosen Mistkerls nicht vorgestellt. Stefan Raab wohnt in Köln, und zwar in Köln-Sülz. In Sülz stehen viele graue Häuser mit wohnzimmergroßen Kneipen und Läden im Erdgeschoß. Auf einem dieser Häuser steht in orangefarbenen Buchstabenquadraten „Metzgerei“ und in Schreibschrift darunter „Raab“. Eine traurige Gardine hängt inzwischen im Schaufenster, die Metzgerei ist nicht mehr in Betrieb. Und die Tür öffnet nicht eine charmante Assistentin, sondern Raabs Mutter.

Stefan Raab, 32, TV-Moderator und Musikproduzent, ist nicht da. Das ist erst einmal ein Glücksfall. Denn so geht es mit Mutter Raab in die Wohnküche, in der Raabs Freund Guildo Horn gerne sitzt und ihre Mettbrötchen ißt. Frau Raab erzählt, daß sie manchmal eine Stunde braucht, um zur Bank an der Ecke zu kommen, weil sie alle paar Minuten jemand auf der Straße anspricht. Aber das seien sie, die Raabs, als eingesessene Kaufleute gewohnt. Den Stefan kennt hier noch jeder von damals, als er im Laden gestanden und seine Metzger-Lehre gemacht hat. Und daß sich viel verändern wird, wo er jetzt von Viva zu Pro Sieben geht, das glaubt Frau Raab nicht. Eigentlich sei das mit der Karriere immer einfach so passiert. Der Stefan sei als Kind nie groß aufgefallen, nicht mal Schülersprecher gewesen. Eigentlich ein ganz ruhiger, naja, vielleicht nicht ganz ruhiger, naja, wie Jungs halt sind.

Ja, klar, Frau Raab. „Der tut nichts“, ruft das Herrchen am Horizont, während der Hund mit sabbernden Lefzen auf sein Opfer zugalloppiert. „Der spielt nur“, brüllt der Mann, während das Tier zubeißt. So ist Stefan Raab. Er will keinem etwas Böses. Aber läßt man ihn von der Leine, stürmt er los, und zerbeißt das Lieblings-Spielzeug der anderen. Schreibt ein Lied für Guildo Horn und versaut damit Ralph Siegel seinen Schlager-Grand-Prix. Sprengt die Hitparade, weil er sich an den Moderator fesselt. Ärgert Dieter Thomas Heck, indem er bei der Verleihung der Goldenen Stimmgabel die Lippen nicht zum Playback bewegt. „Mein Mann und ich fanden es nicht witzig“, sagte Frau Heck hinterher. Und Raab steht da wie der Hund im Blumenbeet und versteht nicht, wofür man ihn prügelt. „Ist doch nur Spaß“, sagt er. „Wer den nicht versteht, ist selber schuld. Es gibt zuviele Leute, die sich und das, was sie machen, zu ernst nehmen.“ Das kann Stefan Raab nicht passieren.

Von 1993 an hat er auf dem Musiksender Viva die Sendung Vivasion moderiert. „Viva hat mir die Gelegenheit gegeben, fünf Jahre lang On-Air zu proben“, sagt Raab. Das ist kokett, aber nicht falsch. Zur öffentlichen Dauerprobe gehört, daß Raab von seiner Redaktion markierte Stellen aus der Bravo oder aus Zuschauerfaxen vorliest. Das Besondere besteht schlicht darin, daß Raab in das Manuskript exakt in dem Moment zum ersten Mal sieht, in dem er es vorliest. Dann nimmt ein Sänger oder Halb-Promi neben ihm Platz und Raab fängt an, in dessen Biographie zu blättern: „Mensch, Du hattest ja letzthin, wollen wir mal gucken, was Du da alles gemacht hast, äh, ach ja hier, wie war das denn..?“ Freunde gewinnt man damit nicht. Aber Fans. Und das alles ist doch kein Grund für die Gäste, beleidigt zu sein: „Ist doch nur Spaß.“

Spaß ist für Raab ein anderer Ausdruck für „gute Unterhaltung“. Die schafft er, meint er, indem er mal die Gala zur Verleihung der Goldenen Stimmgabel aufmischt. Und freut sich, wenn ein Mini-Skandal daraus wird. „Provokation ist ein Mittel, um für Aufmerksamkeit zu sorgen“, sagt Raab“,aber keines, mit dem man langfristig Entertainment machen kann“. In den letzten zwei Jahren habe er schon versucht, „nicht nur über Randale zum Spiel zu kommen“, wie er es am Anfang fast ausschließlich tat.

Daß man ihn ein „Arschloch“ nennt, läßt er sich gefallen. Gegen den Ausdruck „arrogant“ hingegen wehrt er sich. „Vielleicht kommt das so rüber“, sagt er und legt Wert darauf, daß er das Fußvolk hinter der Bühne auch im Streß nett behandelt. „Was ich im Fernsehen mache, ist Show. Es hat zwar mit dem privaten Raab zu tun, ist aber immer sehr überspitzt“, sagt er. Als Alf Igel peitscht er beim Grand Prix die Massen in goldener Glitzerjacke an; bei der Echo-Verleihung fährt er auf dem Dach eines Wagens vor und gibt eine Michael-Jackson-Parodie. Wenn er aber ganz privat auf die Straße geht, zieht er sich die Baseballkappe tief ins Gesicht und schaut auf den Boden. Bei Filmpremieren ist er kaum zu sehen. Und tatsächlich gibt es weder Stefan-Raab-Schlüsselanhänger noch einen Fanclub. Als zu seiner Hoch-Zeit bei Viva Mädels in Schlafsäcken vor seiner Tür übernachteten, habe er das als „totale Eingrenzung seines persönlichen Bereiches“ empfunden, sagt er pikiert.

In der ehemaligen Wurstküche der Metzgerei hat sich Raab ein großes Studio eingerichtet, in dem er seiner Hauptberufung nachgeht: Künstler zu produzieren und sich gelegentlich selbst immense Hits wie „Börti Vogts“ oder „Hier kommt die Maus“ zu schreiben. Wenn’s um seine Musik geht, soll ihm bloß keiner dumm kommen: Dann hält er schon mal Kurzreferate, warum sich hinter der scheinbaren Schlichtheit eine komplexe Struktur verbirgt, und erwähnt dezent, daß der Spitzen-Jazztrompeter Till Brönner ein guter Freund von ihm ist: „Wenn ich mich entscheiden müßte für die Musik oder das Fernsehen, würde ich mich sofort für die Musik entscheiden.“ Alt möchte er nicht werden im Fernsehen: „Vielleicht erwachsen.“

Den Sprung aus der Kinderecke des Fernsehens hätte Raab längst machen können. Dutzendweise hatte er Angebote vorliegen: TV Kaiser, Cashman, eine Prominenten-Karaoke, Samstagabendshows auf RTL und Sat 1. Er hat alles abgelehnt: „Da war viel Müll dabei.“ Und weil der Zeitpunkt nicht der richtige war: „Es bedurfte noch einer Entwicklung bei meinem Image. “ Seit er sich mit seinem Hit „Hier kommt die Maus“ auch in Kinderzimmer und Elternherzen gesungen hat, ist er wenigstens nicht mehr nur der Rabauke: „Die Maus war mir sehr dienlich.“

Es ist immer noch alles nur Spaß, was Raab im Fernsehen macht, aber heute nennt er es „Entertainment“. Sein neuer Chef Jobst Benthus, „Abteilungsleiter Show“ bei Pro Sieben, kirrt ihn zur Verkörperung „der Generation der jungen Entertainer“. Ab März hat er dort seine eigene wöchentliche Show TV Total. Bald wird er dort wohl, wie Arabella Kiesbauer, auch als Werbeträger für den Sender auftreten und beide Seiten sind glücklich: Pro Sieben läßt Raab erwachsen werden und ein breiteres Publikum ansprechen. Raab bringt zu Pro Sieben im Idealfall einige jüngere, vorzugsweise weibliche Zuschauer von Viva mit.

Zum Erwachsensein gehört, daß Raab in Zukunft die Sende-Manuskripte vorher durchlesen wird. „Major-TV“ nennt Raab Pro Sieben respektvoll im Gegensatz zum Mini-Sender Viva. TV-Total ist die Raab-Version von Kalkofes Mattscheibe auf Premiere: Die Dauerglotzer von der Firma Brainpool, die auch die Wochenshow auf Sat 1 produziert, suchen nach Pannen, Katastrophen oder Originalen wie Gustav Lommerzheim, der im Offenen Kanal Berlin einen Tanzclub für Senioren veranstaltet. Die besten Geschichten aus den täglichen Talkshows werden als Märchen nacherzählt. Zwischendurch darf Raab machen, was er am liebsten macht: Unschuldige Menschen auf der Straße oder am Telephon mit blöden Fragen nerven — drauf zutraben und freundlich zubeißen.

Einen riesigen Schritt sieht er in dem Wechsel dennoch nicht: „Es bleibt ja dabei, was ich nicht witzig finde, kommt nicht in die Sendung.“ Seine Hauptstärke wird weiterhin in dem Mut bestehen, mit einer Mini-Gitarre die Show-Ikone Rudi Carrell zu überraschen und zu singen: „Wann wirst du endlich wieder witzig? So witzig, wie du früher schon nie warst…“ Herr und Frau Heck und viele andere auch werden immer noch nicht drüber lachen können.