Schlagwort: Vox

Der Calli

Bei den Calmunds zu Hause gibt es zwei Schubladen mit Süßigkeiten. In der einen, im Esszimmer, liegt immer nur eine Tüte. Wenn die leer ist, fragt Reiner Calmund seine Frau, ob sie ihm neue Lakritzschnecken holt. Dann geht sie umständlich Umwege durchs Haus, damit er nicht merkt, dass der eigentliche Vorrat in einer anderen, randvollen Schublade in der Küche liegt. Vielleicht kann man daraus Schlüsse ziehen auf die Schlichtheit des Reiner Calmund. Bestimmt aber darauf, wie glücklich diese Ehe ist.

„Er ist, wie er ist, und er soll auch der dicke Calli bleiben“, sagt seine Frau am Anfang der Reihe, die Calmund ein Jahr lang beim Abnehmen und Fitwerden begleitet („Iron Calli“, dienstags, 22.15 Uhr, Vox). Die Haltung der Serie zu ihrem Protagonisten ist von ausgesuchter Ekelhaftigkeit: Vom „Speckpatienten“ redet der Sprecher trotz fehlender medizinischer Befunde und geilt sich daran auf, dass das Maßband nicht lang genug ist, um um dessen Bauch zu reichen. Das ist sicher ein Grund für seine Beliebtheit: dass man sich so sehr über ihn lustig machen kann.

Der andere muss sein: dass er so knuddelig ist. Eher im übertragenen, als im praktischen Sinne, aber Sylvia Calmund stellt zu Recht mit strahlenden Augen fest: „Alle lieben ihn.“ Er ist eine große Maskotte. Und er hat das Internet für sich entdeckt – ein überraschend naheliegender Ort für jemanden, der so bodenständig und kommunikationsfreudig ist wie er. Bei Twitter folgen ihm über 20 000 Menschen, und auf calli.tv macht er seine Fans mit kleinen Videos glücklich, in denen er als Kumpel, ohne die angestrengte Scheindistanz von Journalisten, Trainer interviewt oder in seinem bräsig-rheinländischen Singsang mit Analysen überrascht wie: „Bayern-Bremen? Das ist ohne Wenn und Aber das ab-so-lu-te Spitzenspiel dieses Spieltages.“ („Absolute Spitzen-“ ist Calmunds Universalattribut, ergänzt nur durch „Weltklasse“ und – beim Essen – „ein Gedicht“.)

Der schwachsinnige Kommentator, der Calmunds Abnehmversuch ein, höhö, „schweres Unterfangen“ nennt und meint, ihn, höhö, „hungert es nach Kontakten und Essbarem“, beschreibt ihn als vielbeschäftigten „Manager, Medienunternehmer, Kolumnist, Autor, Moderator oder Vortragsreisenden“. Calmund hat aus seinem Callisein einen Beruf gemacht. Er ist längst sein eigener Planet. Und das ist jetzt gar keine Anspielung auf irgendwas.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Tim Mälzer

Ich mag Tim Mälzer. Ich mag, wie er ein großer Junge geblieben zu sein scheint, für den die Medienöffentlichkeit und eine große Bühne eigentlich kein natürlicher Lebensraum ist. Ich mag seine schnoddrige Art, die nicht routiniert und kalkuliert wirkt wie bei Oliver Geißen. Ich mag, wie er sich immer noch in den Routinefloskeln des Fernsehens verheddert, wenn er zum Beispiel nicht weiß, ob er sich herzlich für den Beifall oder für den herzlichen Beifall bedanken soll und dann im Zweifel beides tut. Und aus unerfindlichen Gründen mag ich auch, dass er zwar irgendwie ein großer Koch ist, ihm aber nie mehr als sechs der sieben Standard-Kräuter einer Frankfurter Grünen Soße gleichzeitig einfallen und ihm die genaue Silbenfolge des Wortes „Pimpinelle“ nicht eingängig ist.

Man müsste Tim Mälzer nur irgendwo hinstellen und kochen und quasseln lassen, und es wäre ein Vergnügen zuzusehen. Aber das macht er ja nun auch schon seit ein paar Jahren erfolgreich, und deshalb hat er seit dieser Woche eine große Abendshow auf Vox, die sich nicht mehr auf seine natürlichen Talente verlässt, sondern wirkt, als hätten ihre Entwickler dauernd gezweifelt, ob das schon reicht, und immer neue Elemente in die Show gepropft. Deshalb kocht Mälzer nicht nur, sondern lässt auch zwei Teams gegeneinander antreten, und die kochen auch nicht nur eine Sache, sondern müssen gleichzeitig für eine andere Sache noch Kartoffeln schälen und Gemüse schnippeln und reden und Quizfragen beantworten, die aber nicht Mälzer stellt, sondern ein anderer Moderator, der aber auch nicht der Experte ist, das ist ein Wissenschaftler, der aber auch nicht der einzige bleibt, es kommt später noch ein Professor, und dass Mälzer dessen Namen vergessen hat, ist auch kein Wunder; man hätte es ihm in dem Durcheinander sogar verziehen, den ganzen Professor vergessen zu haben. „Born to cook“ ist eine Sendung, in der zu keinem Zeitpunkt weniger als vier Sachen gleichzeitig passieren, und die Putzfrauen sind nicht zu beneiden, die hinterher nicht nur die Lebensmittelreste, sondern auch die ganzen abgerissenen Satzfetzen, verkochten Gedankengänge und verlorenen Gesprächsfäden aus der Halle kehren müssen.

Man sieht der Show an, dass sie von Johannes B. Kerner produziert wird, in dessen erfolgreicher freitägliche Kochsendung im ZDF fünf Köche parallel fünf Gerichte kochen, mit all dem Gewusel, Durcheinander und Missverstehen, das daraus folgen muss. Sie folgt dem gleichen Prinzip der Reizüberflutung, der systematischen Überforderung durch Multitasking und dem Credo „mehr ist mehr“. Mit etwas Pech wird das ein Trend.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Constanze Rick

Hätte Miss Piggy eine Rubrik gehabt, in der sie von ihren Begegnungen mit den anderen Reichen und Schönen berichtete, sie hätte sie genau so inszeniert: Sie hätte sich auf dem Designersofa genau so affektiert die Haare hinter die Ohren geklemmt, wichtig telefoniert, sinnierend die Hand an den Mund gelegt, beinahe etwas ins Laptop getippt, aber dann doch wieder zum Handy gegriffen.

Aber das hier ist nicht Miss Piggy, sondern Constanze Rick, langjährige Reporterin des RTL-Starmagazins „Exclusiv“, und die meint das ernst mit den affigen Posen einer „TV-Kolumnistin“. Jedenfalls so halb ernst. Also, auf eine fast unernste Art, mittelernst. So ironisch gebrochen. Irgendwie.

Denn „Prominent!“, die Sendung, die Frau Rick seit kurzem auf Vox machen darf, ist ein Boulevardmagazin der neuen Art. Der Vox-Chef meinte sogar, es sei falsch, dieses Boulevardmagazin ein „Boulevardmagazin“ zu nennen: „Wir wollen über den Boulevard berichten, ohne ihn selbst zu betreten.“ Das geht so: „Prominent!“ berichtet über exakt dieselben nichtigen Ereignisse wie alle anderen, macht sich aber ununterbrochen über deren Nichtigkeit lustig. Das ist sehr anstrengend.

Frau Rick kommentiert nach dem Muster von „Sex and the City“ alles aus dem Off und moduliert ihre Sätze, bis aus jedem Wort amüsierte ironische Distanz kiekst. Sie klingt total erstaunt über das, was die Promis jetzt schon wieder angestellt haben, und gleichzeitig furchtbar abgeklärt, weil man das ja alles schon x-mal gesehen hat.

Hinter der modernen Fassade macht sich bräsigstes Spießertum breit: Seit 30 Jahren lebe und arbeite Wolfang Joop mit einem Mann zusammen, berichtet „Prominent!“ und staunt: Seine 90-jährige Mutter, „die hat sich mit allem arrangiert. Respekt! Ganz schön fortschrittlich, die alte Dame.“ Ja, wow. Weil Alfred Biolek in seiner Biographie auch sein Schwulsein erwähnt, packt „Prominent“ ihn in eine Schublade mit Desirée Nick, unterstellt ihm „Primitivität“, mit der er ein „ordentliches Zubrot“ verdienen wolle, fantasiert „Geschichten aus seinem Sexualleben“, fragt ihn, ob sich „Peinliches“ besser verkauft und faßt es nicht, daß er keine weiteren Dinge über sein Privatleben preisgeben will. „Nix privates?“, fragt Frau Rick pikiert aus dem Off, wo es in Bios Buch doch auch um etwas „sehr Intimes“ gehe, nämlich seine Homosexualität?

Biolek hat den Boulevard immer als eine Prachtstraße und etwas sehr Großstädtisches interpretiert. Kein Wunder, daß Frau Rick ihn nicht betreten will.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Chaos statt Chrom

taz

Vox setzt auf ein Design, das schräg sein soll wie das Leben.

Dem kleinen „n“ ist übel mitgespielt worden. Sein linker Fuß ist so abgemagert, daß es sich scheinbar nur mit Mühe auf den dünnen Beinen halten kann. Tags zuvor schon hatte sich das benachbarte „k“ zu bedrohlicher Grösse aufgebläht. Und falls einmal die ganze Schrifttafel, die bei Vox das weitere Programm ankündigt, aus dem Gleichgewicht gerät und abstürzt, käme das nicht überraschend.

Die Unregelmäßigkeiten im Design von Vox sind nicht nur erwünscht, sondern aufwendig konzipiert und theoretisch fundiert. „Analoge Qualität“, nennen die MacherInnen das, „organisches Wachstum“ oder auch „gesundes Chaos“. Gerade mit seinem irritierenden Design will der Sender in der wachsenden Zahl der Kanäle Aufmerksamkeit erregen und behauptet doch, als erster eine Abkehr von optischen Spielchen, die die Inhalte diktieren, durchzusetzen. „Design ist nicht Dekor, Design vermittelt Inhalte“, sagt Heike Sperling.

Die 27jährige Designerin und Kommunikationswissenschaftlerin hat das Gestaltungskonzept für Vox entwickelt. Sie suchte sich eine internationale Truppe junger GrafikerInnen zusammen, die Lust hatten, alles anders zu machen, als man es im deutschen Fernsehen bislang gewohnt war. Ein einheitliches Bild für alle Sendungen, wie es ZDF und Sat.1 pflegen? Dadurch erreicht man keine Aufmerksamkeit, meint Sperling. Chromblitzende Logos, wie sie bei der ARD durchs Bild fliegen? Raumschiffatmosphäre, schütteln sich die Voxler. Glatte, abwaschbare Bausteine, wie sie RTL quietschebunt ins Bild bringt? Die Welt ist nicht so, sagen die Macher von Vox, und deshalb darf auch unser Design nicht so sein. „Die Schönfärberei, die saubere Logokultur der 80er Jahre wird abgelöst durch Ehrlichkeit“, tönen sie.

Zum Beispiel der Vorspann der Abendnachrichten „welt vox“: Große Blasen schwimmen in einer bräunlichen Flüssigkeit, treiben Schlagworte in unterschiedlichen Sprachen nach oben. Rote Wellen breiten sich aus, schließlich schwabbelt der Titel auf der Oberfläche. „Was soll uns das sagen“, fragt sich der aufmerksame Zuschauer – und erfüllt die Erwartungen der Designer. Schließlich denkt er so über Inhalte nach und grübelt nicht mehr wie bei sinnleeren Computeranimationen: „Wie haben die das gemacht?“ Daß selbst Redakteure die irritierenden Vorspänne zumindest gewöhnungsbedürftig finden, ist im Sinne der ErfinderInnen. „Die ungewöhnlichen Bilder und Geräusche verlangen, daß man sich immer wieder mit ihnen auseinandersetzt“, meint Susanne Kollmann, Assistentin von Heike Sperling. „Und das bedeutet Kommunikation.“

Doch auch hausintern stoßen die experimentierfreudigen DesignerInnen an die Grenzen der Toleranz. Nicht umgesetzt wurden zum Beispiel Ideen, die Unverwechselbarkeit des Senders durch eine Verfremdung der Sprecherstimmen oder durch eine eigene Zeit- Sprache („12 + 1“ statt 13 Uhr) zu erreichen. Und Kontroversen löste der bewegte Hintergrund bei den Nachrichten aus. „Eine stehende Grafik kommt heute nicht mehr in Frage“, heißt es im Konzept, „sonst schaltet der Zuschauer sofort weg.“ Doch daraus will Susanne Kollmann kein Dogma machen — schließlich sei Offenheit die Kernaussage des Konzeptes.

Die Flexibilität verkauft man auch als medienpädagogisches Programm: „Es gibt nicht nur eine Wirklichkeit und eine Wahrheit“, sagt Kollmann. „Diese Aussage müssen wir verkaufen, und das fängt beim Design an.“ Ein Mittel soll die Hausschrift sein, bei der derselbe Buchstabe jedesmal anders aussieht, zufällig mal zu doppelter Größe wächst oder mal am Fuß ausfranst. Dazu gehört auch, daß jede Sendung ihren eigenen Designer und ihr eigenes Gesicht hat, das — zumindest theoretisch — in enger Absprache mit der Redaktion entwickelt wird. Erst in letzter Konsequenz wird das jeweilige Erscheinungsbild den optischen Regeln des Senders unterstellt. Je nach Sendung entsteht der Titel aus Zeitungsfetzen, erstarrt im Magazin-Look oder huscht hektisch flimmernd über den Bildschirm.

„Bleiben Sie wachsam! Mißtrauen Sie den Medien!“ fordert Vox die Zuschauer in einem Spot auf. Die Warnung ist auch im Umgang mit dem Vox-Design und seinen tiefschürfenden Interpretationen angebracht: Die krakelige Hausschrift soll für Individualität, Offenheit und Ehrlichkeit stehen. Doch es ist kein Mensch, der täglich neu je nach Laune und Stimmung über das Schicksal der einzelnen Buchstaben entscheidet. Ein Zufallsgenerator bestimmt das Aussehen der Schrift. Im Computer, streng nach den Regeln der Mathematik.