Helmut Markwort, Faktenschwänzer

„Focus“-Chefredakteur Helmut Markwort hat ein erstaunlich flexibles Verhältnis zur Wahrheit und der Notwendigkeit, ihr zu ihrem Recht zu verhelfen.

Aber der Reihe nach.

Am 20. April berichtete der Hamburger „Focus“-Korrespondent Hubert Gude, dass die Landesschulbehörde Lüneburg ein Verfahren gegen den Geschichtslehrer Eberhard Brandt eingeleitet habe. Brandt ist Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Niedersachsen und ein prominenter Kritiker der dortigen Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU). „Focus“ schrieb, Brandt habe „offenbar jahrelang den Unterricht an seiner Wolfsburger Schule geschwänzt“ und nannte als Quelle „interne Unterlagen der Landesschulbehörde (…), die FOCUS vorliegen“.

In der Überschrift machte die Illustrierte sich die Vorwürfe vollständig zu eigen:

Eine Woche später legte der „Focus“ nach. In einem längeren Artikel warf Gude dem GEW-Mann detailliert jahrelange Fehlzeiten vor und stellte ihn als dreisten Lügner dar, weil er den „Focus“-Vorwürfen zunächst widersprochen hatte. Der Titel:

Unerklärt ließ der „Focus“ dabei, wie er am Montag der Vorwoche berichten konnte, dass bereits ein Disziplinarverfahren gegen Brandt laufe, obwohl dieses Verfahren erst am Dienstag eröffnet wurde (was vielleicht auch erklärt, warum Brandt der „Focus“-Darstellung zunächst so heftig widersprochen hatte).

Das alles war im April. Der „Focus“ hat seitdem nicht mehr über den Fall berichtet.

Was erstaunlich ist, denn es hat sich seitdem einiges getan. Aus dem Fall Brandt ist nämlich in der Zwischenzeit ein Fall Heister-Neumann geworden.

Die „taz“ berichtete am 19. August, dass die SPD „neue Anhaltspunkte“ dafür sehe, dass das Disziplinarverfahren gegen Brandt „politisch motiviert war“. Die SPD fordert deshalb den Rücktritt der Kultusministerin.

Der „Spiegel“ meldete am 24. August:

Vertrauliche Unterlagen legen den Verdacht nahe, dass [die Kultusministerin] ihre Landesschulbehörde angewiesen hat, gegen den schärfsten Kritiker ihrer Schulpolitik, den Gewerkschaftsfunktionär Eberhard Brandt, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Und das, obwohl die Behörde zuvor bereits festgestellt hatte, dass für diesen Schritt keinerlei Veranlassung bestehe.

Die „Süddeutsche“ schrieb einen Tag später:

[…] vier Monate später besteht nun der Verdacht, dass die Geschichte [im „Focus“] nicht nur wie bestellt aussah, sondern tatsächlich bestellt war.

Letzten Mittwoch bereitete die „taz“ den ganzen Fall noch einmal ausführlich auf und begann ihren Artikel so:

Am 20. April 2009 vermeldete Focus, gegen den Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Niedersachsens sei ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Grund: Eberhard Brandt wäre als Studienrat seinen Unterrichtsverpflichtungen nicht nachgekommen. Zum Beweis wurden wörtliche Zitate aus einem internen Vermerk der Landesschulbehörde präsentiert. Wie man heute weiß, stimmte an dem Bericht des Nachrichtenmagazins („Fakten, Fakten, Fakten“) so gut wie nichts. Brandt ist inzwischen rehabilitiert.

Das aber nun fand der „Focus“-Chefredakteur — und damit sind wir endlich wieder bei Helmut Markwort — unerhört und forderte die „taz“ über seine Anwälte auf, die Verbreitung solcher Unwahrheiten zu unterlassen (weshalb der Artikel online inzwischen geändert ist).

Außerdem ließ er Burdas Hauskanzlei noch am selben Tag eine Gegendarstellung aufsetzen, die am Freitag in der „taz“ erschien und in der Markwort bündig feststellt:

Sämtliche in Bezug auf Eberhard Brandt von „Focus“ in der Meldung vom 20.04.2009 veröffentlichten Fakten geben den Stand der seinerzeitigen Aktenlage der Landesschulbehörde wieder.

Wohlgemerkt: Markwort behauptet nicht, dass die Fakten in dem „Focus“-Artikel stimmen. Er behauptet nur, dass der „Focus“ korrekt wiedergegeben habe, was in den Akten stand. (Dass der „Focus“ über die Vorwürfe keineswegs nur distanziert berichtet, sondern sie sich in den Überschriften zu eigen gemacht hat, erwähnt Markwort natürlich nicht, obwohl ihm solche journalistischen Distanzierungen sonst ganz besonders am Herzen liegen.)

Noch einmal: Der „Focus“ hat seit dem „Er schwänzt weiter“-Artikel vom April nie wieder über den Fall berichtet. Die Illustrierte sah keine Veranlassung, ihre Leser darüber zu informieren, dass die Vorwürfe von damals, die mitsamt der „Schwänzer“-Formulierung von Medien wie „Bild“ und „Hamburger Morgenpost“ weiter verbreitet wurden, inzwischen in einem ganz anderen Licht erscheinen, und man möglicherweise Teil eines gezielten Rufmord-Versuches war. Für „Focus“-Leser ist der GEW-Mann nach wie vor ein dreist die Unwahrheit sagender Schulschwänzer.

Das ist also das Verhältnis von Helmut Markwort zur Wahrheit und der Notwendigkeit, ihr zu ihrem Recht zu verhelfen. Wenn es Entwicklungen gibt, die einen von „Focus“ möglicherweise verleumdeten Mann rehabilitieren, ist das kein Anlass für ihn, darüber zu berichten. Aber wenn jemand behauptet, dass seine Illustrierte so gut wie nichts richtig gemacht habe, obwohl sie doch richtig abgeschrieben hat, wenn auch möglicherweise Falsches — dann schickt er seine Anwälte los. Das wäre ja auch schlimm, wenn eine solche Verleumdung unwidersprochen in der Welt bliebe.

Was für ein erbärmliches journalistisches Selbstverständnis.

63 Replies to “Helmut Markwort, Faktenschwänzer”

  1. Den Focus hält Burda wahrscheinlich auch für ein schützenwertes Kulturgut. Es wäre wirklich ein Jammer, wenn das Internet Medien wie den Focus überflüssig machen würde.

  2. Ich mochte Markwort noch nie… ich glaube, seit ich irgendwann vor zig Jahren einen Werbespot gesehen hab, zu einer Zeit, wo es noch kein Internet gab und mein Interesse für Politik gleich null war, war er mir schon unsympathisch.

    Jetzt hab ich endlich auch einen Grund warum :)

  3. Schade und unverschämt sowas, besonders vor dem Hintergrund, dass ich an besagter Wolfsburger Schule jahrelang Schüler war und Herrn Brandt in dieser Zeit immer wieder als kompetenten und geschätzten Lehrer erleben durfte.

    Von „schwänzen“ konnte da keine Rede sein. Es kam hingegen eher vor, dass Herr Brandt zum Unterrichtsende gehetzt den Raum verlassen musste um seinen Zug nach Hannover zu bekommen, wohin er, wenn ich mich recht erinnere, vom Kultusminsterium beordert (nicht gebeten) wurde. Das war allerdings noch zu Zeiten als Frau Jürgens-Pieper das Ministeramt inne hatte.

  4. Ich erinnere mich immer gerne an die tv-Sendung, in der R. Willemsen seinem eingeladenen Gegenüber alle seine bisherigen heftigen Schnitzer aufzählte. Willemsens Gast ging meiner Erinnerung nach daraufhin sprachlos aus der Sendung.
    Der Gast war H. Markwort.

  5. Normalerweise macht man ja mit Namen keine Witze. Aber Mark-Wort… nun, er war immer ein Chef-Verkäufer. Die Worte selbst waren nicht weiter wichtig, wenn es um die Mark ging. Ein Journalist mußte er in der Position nicht sein. Insofern ist auch die Frage nach seinem „journalistischen Selbstverständnis“ m.E. irrelevant.

  6. Da fällt mir nur ein, eines meiner Lieblingsbücher zu zitieren:

    „Fakten, Fakten, Fakten!“ spuckte nun ein draller Mann in der letzten Reihe, fiel vom Stuhl und platzte.
    Sanitäter schleiften ihn hinaus.

    :D

  7. @palosalto: Aber Herr Brandt hat doch nicht geschwänzt. (s. Kommentar #5)

    Interessant auch, wie der MP das Landes „lower saxonia“ unlängst im Hannover-Parlament versuchte, Frau Heister-Neumann durch weitere Angriffe auf Herrn Brandt „raus zu hauen“ – obwohl er ihr schon häufiger eine rein gehauen hat. Aber so isser halt, der Herr C.W.

  8. Was erwarten Sie von der kommerziellen Variante der CSU/CDU-Wahlkampfbroschüre? Ich bin wahrlich kein Spiegel-Freund, im Gegensatz zur Münchner Postille erscheint das Hamburger Magazin aber gerdezu seriös und untendenziös. Focus ertrage ich nur, wenn ich ganz schnell die ersten 10 Seiten H.M.-Gedöns überblättere („SPD soooo böse“, „Union soooo gut“, egal mit welch platten „Fakten“).
    Markwort hat sich in seinen gebetsmühlenartigen Wiederholungen längst selbst überlebt, nur leider sagt ihm das keiner in seiner Claqueursmannschaft.
    Mensch Helmut, die Zeit in der man die Leser mit diesen neuartigen Infografiken begeistern konnte ist vorbei. Fang an, journalistisch zu arbeiten.

  9. Wer bitte hat vom Fokus etwas anderes erwartet? Diesen Duz-Freund von Helumt Kohl nimmt doch sowieso niemand ernst, der von Persönlichkeit und Wahrhaftigkeit etwas hält – oder irre ich mich?

  10. Es ist weniger die „zweifelhafte“ Berichterstattung die mich stört (an sowas ist man inzwischen presseweit gewöhnt), sondern der ständige und massive Einsatz der Rechtsabteilungen der mir übel aufstößt.

  11. Das Urteil über das TV-Gespräch von Roger Willemsen mit Helmut Markwort muss in einem Punkt korrigiert werden. Willemsen hat schlecht recherchiert und Markwort hat über die Arbeit seiner Redaktion nicht genügend Bescheid gewusst.

    Ich hatte als erster Auslandschef des FOCUS (bis 2000) mit dem Pariser EXPRESS und mit Panorama in Mailand, WPROST in Posen/Warschau und Cambio 16 in Madrid einen Materialaustausch vereinbart. Wir hatten uns per Fax jeweils voraus über die wichtigsten Beiträge in der nächsten Ausgabe informiert und sie auf Abruf einander zur Verfügung gestellt. Interviews wurden stets auch im Auftrag der Partner geführt. Diese konnten auch Fragen übermitteln. Deshalb konnten wir das umstrittene Mitterrand-Interview des EXPRESS auch als unseres veröffentlichen, auch wenn der Elysee davon nichts wusste. Die französischen Kollegen hatten vergessen, Mitterrands Pressestab zu unterrichten. Willemsen hätte den EXPRESS fragen sollen. Dann wäre der Vorwurf des getürkten Interviews erledigt gewesen.

    Mein beispielhaftes Modell internationaler Zusammenarbeit hat sich leider aus vielerlei Gründen nicht durchgesetzt. Es wäre sicherlich eine genauere Darstellung wert, zumal es heute noch als Vorbild sinnvoll wäre.

  12. Als 1993 der „Focus“ auf den Markt kam, angekündigt durch die markigen Worte „Fakten, Fakten, Fakten“ bestellte ich ein Probe-Abo. Was sich natürlich automatisch verlängert hätte, wenn ich dem nicht widersprochen hätte, was ich tat, durch einen Brief mit den Worten: „Ich möchte Ihr ‚Fuckten, Fuckten, Fuckten-Blatt‘ nicht weiter beziehen“. Und ich habe seitdem nicht eine Zeile in dieser grauenvollen Zeitung gelesen.

  13. Wer daran glaubt, dass es ‚Tatsachen‘ und ‚Fakten‘ unabhängig von ihrer Interpretation geben könne, oder von dem, „was uns in den Kram passt“, von dem sind auch in der Folge nur intellektuelle Höchstleistungen ähnlichen Zwergwuchs-Kalibers zu erwarten. Anders ausgedrückt: Die Freunde der Fakten sind oft die Feinde des Faktischen …

  14. immer wennich den focus sehe, fallen mir ganz zwanghaft 2 sprüche ein: »focus, die zeitung für den locus» und »ficken, ficken,ficken und nicht mehr an die leser denken« war das von samstag nacht?

    das musste mal raus …

  15. Nee, das mit dem Koitus und dem leservergessenden Red., das stand einerseits damals in der Berliner Zitty und dann natürlich in der Titanic.

  16. Bereist 1995 hat Markwort mit seiner getürkten „Anti-Ausländerhass“-Kampagne landesweit Brechreiz erzeugt. Wer Kindern 100 Mark für das Heben des rechten Armes in die Hand drückt, sollte Schülerzeitungen verlegen.

  17. Herr Niggemeier,

    ein wenig differenzierter hätte folgende Aussage aber doch ausfallen dürfen, ich zitiere Sie:

    „Für „Focus”-Leser ist der GEW-Mann nach wie vor ein dreist die Unwahrheit sagender Schulschwänzer.“

    Woher wissen Sie das? Kennen Sie alle „Focus“-Leser? Gehen Sie davon aus, dass alle „Focus“-Leser nur den „Focus“ lesen und sich anderweitig nicht über aktuelles Zeitgeschehen informieren? Ich lese den Focus selbst nicht (ich lese ja auch die Bild nicht, aber die hat wenigstens mehr Titten), aber da hätten Sie doch nicht so verallgemeinern sollen.

  18. Wenn die TAZ eine Gegendarstellung drucken muss für das, was sie in dem vorangegangenen Artikel schrieb, warum können Sie, Herr Niggemeier, dann genau die beanstandeten Zeilen auf ihrer Seite verbreiten, ohne von Anwälten belästigt zu werden?
    Ist die Antwort darauf ein überdimensionales Satzungetüm oder eher kurz und leicht verständlich? In zweitem Falle würde ich mich über eine Erläuterung freuen.
    Vielen Dank.

  19. @christian: Weil ich mir das, was die „taz“ geschrieben hat, nicht zu eigen mache. Ich behaupte ja nicht, dass „an dem Bericht des Nachrichtenmagazins so gut wie nichts stimmt“, sondern berichte nur, dass die „taz“ das behauptete.

  20. Brandt habe „offenbar jahrelang den Unterricht an seiner Wolfsburger Schule geschwänzt” und nannte als Quelle „interne Unterlagen der Landesschulbehörde (…), die FOCUS vorliegen”.

    Laut Herman L. Gremliza benutzen nur Journalisten das Wörtchen „offenbar“, die gerne Recherche durch Offenbarung ersetzen.

  21. Je länger ich diesen Blog lese, desto mehr Illusionen werden mir geraubt. Ich weiß offen gesagt gar nicht so recht, ob ich das noch gut finde. Die historische Entwicklung:

    1. Durch bildblog habe ich gelernt, wie die Bild-Zeitung arbeitet. Gut das hatte ich „irgendwie so“ auch erwartet, aber das im Detail zu erfahren war doch nochmal irgendwie frustrierend.

    2. Dann habe ich durch Google News und diesen Blog erstmal gelernt, dass Tageszeitungen ja kaum was selber schreiben. Und wenn doch, wird meistens an ner Agenturmeldung herumfabuliert und die noch verschlimmbessert. Kann man auch vergessen.

    3. Jetzt auch noch FOCUS, DER SPIEGEL war ja auch schon dran. Was für ein kleinmütige Geister da sitzen – erschreckend.

    Was kommt als nächstes? Die „Tagesschau“ färbt ihre Berichterstattung nach Parteien-Proportz?

    Wie soll man denn als normaler Medienkonsument mit den Medien dann noch umgehen? Alles und jeden hinterfragen? Das hat ja mit „Konsum“ dann ja gar nichts mehr zu tun, das ist ja automatisch ein Fulltime-Job.

    Bin ein bisschen ratlos.

  22. @41
    Die Bürger der DDR haben es auch geschafft, aus den Nachrichten des Staatsfernsehens das Essentielle zwischen den Zeilen zu lesen. Und die hatten noch kein Internet, wo es Ihnen einige Blogger vorgemacht hätten. So gesehen haben wir es heutzutage noch richtig gut.

  23. @42 / Knut

    Der Argument mit der DDR ist absolut berechtigt. Einerseits. Andererseits könnte man natürlich auch sagen, dass der Vergleich unzulässig ist, du vergleichst die Presse in einer Diktatur mit der in einer Demokratie. Klar gehts uns da heute besser, aber das will ich ja mal ganz schwer hoffen.

    Ich habe in der Schule gelernt, dass wir eine tolle Presselandschaft haben im Vergleich zu anderen Ländern wie z.B. die USA. Was vermutlich immernoch stimmt. Trotzdem ist es desillusionierend, wenn da ständig der Lack weiter abgegratzt wird.

    @Stefan: kannste evtl. auch mal wieder was positives schreiben? Also wo mal wieder jemand unbeeinflusst, frei von Eitelkeiten, sonstigen Interessen etc. einen guten Job gemacht hat?

  24. @45 Matthias
    Da sieht man, wie unterschiedlich Schulen doch sein können. Ich habe immer beigebracht bekommen, daß man der Presse grundsätzlich nicht trauen darf ebensowenig wie man Photos wirklich trauen darf. Alles ist manipulierbar und alles wird manipuliert. Das ist zwar vielleicht traurig aber es ist einfach die Realität. Neu ist es auch nicht. Allerdings waren es früher mehr die Kirche oder Regierungen/Machthaber/Herrscher, die für die Manipulation und/oder Zensur verantwortlich waren. Heute ist es zumindest im Bereich der Manipulation wohl vor allem das Geld, welches entscheidet was und wie berichtet wird oder aber auch persönliche Eitelkeiten.

    Der „Lack“ ist daher nicht nur Dank Herrn Niggemaier und Kollegen schon lange ab – oder er sollte es zumindest sein.

    Da aber eben immer mehr manipuliert, schlecht recherchiert und „Steine in anderer Leute Gärten geworfen“ werden ist es umso wichtiger, daß es Menschen wie Herrn Niggemaier gibt, die dies auch -wenigstens ab und zu- publik machen und ihren Kollegen zumindest manchmal den Spiegel vorhalten. Allerdings sollte man nie vergessen, daß auch eine solche „Berichterstattung“ immer (das ist einfach menschlich) von persönlichen Erfahrungen, Animositäten, Beziehungen, Aversionen etc. (mit) geprägt ist bzw. sein kann.

    Ich frage mich nur, warum hier explizit noch davon berichtet werden soll, daß irgendwer seinen Job (für den er ja wohl bezahlt wird) gut macht? Gibt es dafür nicht schon genügend Awards, Auszeichnungen u.ä.? Ist der (monatliche) Scheck nicht schon Lob und Positives genug? Sollte man nicht sogar erwarten können, daß alle ihren Job gut machen, zumindest, wenn sie dafür bezahlt werden? Braucht es dazu Lobhudeleien?

    Traurig genug, daß die Presse bzw. ihre Akteure die Möglichkeiten haben und nicht nutzen (wollen?) und man nichts was man liest einfach mal nur „glauben“ kann bzw. sich die Presse und ihre Akteure im Laufe der Jahre immer mehr zu einem willfährigen Instrument der verschiedenen Lobbys und anderer Interessengemeinschaften entwickelt hat ohne dabei -wie ja auch die Stellungnahme des Herrn Markwort und in der Vergangenheit auch anderer Kollegen zeigt- auch nur ansatzweise ein schlechtes Gewissen zu haben. Nein, die Herren/Damen fühlen sich auch noch im Recht und verteidigen ihr Fehlverhalten.

  25. @23 Aha. Daher auch die verblüffende Übereinstimmung von Focus und Panorama im Layout. Focus wie Panorama – das „Berlusconi-Magazin“ in Italien (und nicht umgekehrt)

  26. Lieber Herr Niggemeier,

    vielen Dank für diesen wirklich erhellenden Blog. Irgendwie ist das alles schon klar, aber es ist doch ausgesprochen verdienstvoll, wenn solcherlei – demagogische – Konstrukte en detail entlarvt werden.

  27. @Klaus (#25): Toller Stil, markiger Wortwitz. Vorbild für uns alle.
    @Sunny Peran (#36): Natürlich geht niemand davon aus, dass sich alle Focus-Leser ausschließlich im Focus informieren. Aber der Focus tritt mit dem Anspruch an, Fakten zu liefern und über das Zeitgeschehen zu informieren. An diesem Anspruch muss sich der Focus messen lassen. Und diesem Anspruch wird er zum Beispiel in dieser Angelegenheit eindeutig nicht gerecht. Wer sich auf den Focus verlässt und nicht zufällig anderswo erfahren hat, wie es in der Sache Brandt/Heister-Neumann weitergegangen ist, weiß eben nicht, dass Brandt kein dreist lügender Schulschwänzer ist.

  28. Zur Ergänzung: Focus lesen ist wie Musical schauen und wie Bücher im Weltbild-Laden einkaufen. Die Hürden sind niedrig. Wie kommt das? Warum sind die Hürden zu – sagen wir – Spiegel, Oper, Buchhandlung höher? Ganz ohne Wertung. Frage ich mich.

  29. @Frau Blaumann (#50): Wenn Sie sich das fragen, kann es sein, dass Sie keine Antwort bekommen. Ich versuche mal eine Erklärung: Weil man als „ungebildeter Laie“ bei Spiegel, Oper und „klassischer Buchhandlung“ Gefahr läuft, von Intellektuellen eins übergebraten zu bekommen und als Depp geoutet zu werden. Es gibt doch Menschen mit Schamgefühl. Da begibt man sich halt in seichte Gewässer, wo man nicht ertrinken kann. Oder kauft „Anspruchsvolles“ heimlich im Versandhandel.

    Gruß von polyphem – alt und schüchtern.

    P.S.: Ich habe schon als Kind die Lehrer verachtet, die Schüler nicht gefördert haben, sondern die Unwissenden der Lächerlichkeit preisgegeben haben. Leider gibt es immer noch solche Lehrer.

  30. @#50

    Den Satz „Ganz ohne Wertung“ hätten Sie sich getrost sparen können, Ihr Eingangssatz beinhaltet schon Wertung genug.
    Aufgrund eines Musicalbesuchs oder dem Lesen eines nicht in der Buchhandlung gekauften Bandes wird am also zum Depp, wie es in #51 so eingängig begründet wurde?

    Eine merwürdige Sicht der Dinge haben Sie.

    Wenn dies Teil des intellektuellen Selbstverständnisses sein sollte, dann gestehe ich, dass ich gerne darauf verzichte. Passen Sie bitte auf sich auf, nicht dass Sie Ihren Geist eines Tages mit einem Stück Trivialliteratur verunreinigen. Es könnte langfristige Folgen haben. Negative, selbstverständlich.

  31. @40 („Laut Herman L. Gremliza benutzen nur Journalisten das Wörtchen „offenbar”, die gerne Recherche durch Offenbarung ersetzen.“)

    Der Gremliza kennt sich da gut aus.

    ;-)

  32. Den „Focus“ strafe ich mit Missachtung, seitdem dort mal vor vielen Jahren ein Hetzartikel gegen Kinderlose publiziert wurde, der all die üblichen, abgeschmackten Standard-Vorwürfe zusammentrug und von der haarsträubend naiven, sinnfällig realitätsfernen Gleichung „Jedes Kind = ein zukünftiger Rentenzahler“ ausging.

  33. @51 und @53: Nein, ich frage mich das im Ernst. Wenn Kolleginnen, die ich schätze, sich gegenseitig den Focus weitergeben und sagen: da stehen gute Artikel drin. Wo sie doch genauso Zugang zu „besseren“ Printmedien hätten. In ihrem Lesehunger. Oder wenn Bekannte weite Fahrten unternehmen in ihrem Bedürfnis nach kulturell-musikalisch-theatralischen Erlebnissen, wo sie eine spektakuläre Oper direkt vor der Haustür hätten.
    Ja – und jetzt bin ich auch still.

  34. @Sibylle Blaumann:
    Werte Frau Blaumann, ihre rhetorische Frage an sich selbst interpretiere ich mal Ausdruck der Sprachlosigkeit über den geringen kulturellen Anspruch ihrer Mitmenschen. Viele hetzen nur dem letzten Hype hinterher und werden vom Marketing der Entertainment-Gesellschaft gesteuert. Und wie kann mensch Bild oder Focus lesen? Schlimm das alles. Ich empfinde ähnlich wie Sie und mein Kommentar von #51 war vielleicht missverständlich.

    Und dann das Fernsehprogramm. Zum Einschlafen oder zum Aufregen. Wie hält Stefan Niggemeier das nur aus? Aber es gibt Lichtblicke. Ein Highlight für mich ist zur Zeit „Bernd das Brot“ als spätabendlicher Pausenfüller auf KiKa. Zarte Aromen von Monty Python und Loriot.

    Also, Frau Blaumann. Seien Sie bitte nicht still.

  35. lieber stefan niggemeier,
    ich bin überrascht von ihrem frust. Als alter Hase, der auch schon manche frustzeiten erlebt hat, zu einer zeit als das internet noch weit weg war
    (als rundfunkjournalist in den 7oer jahren), sag ich ihnen, daß der, der schneller ist als andere, geduld haben muß mit den lahmen. Ich hab mich
    gewundert, daß ich von ihrem manifest zuerst in amerikanischen blogs
    gelesen habe. Wenn man die diskussionen in den usa über die zukunft des qualitätsjournalismus verfolgt, können einem die tränen kommen über die
    ahnungslosigkeit hierzulande. Entsetzt kann man wirklich sein, wenn man
    mitbekommt wie uninformiert diejenigen sind, um deren zukunft es geht.
    ich habe das manifest ausgedruckt und verteilt. daß hier einige profis die
    initiative ergriffen haben, finde ich gut. so läßt sich die glaubwürdigkeit
    besser testen. schreiben sie mal über die stiftung der huffington post
    und über das engagement von jay rosen! Steter tropfen höhlt vielleicht
    doch noch die deutschen betonköpfe! B.Schulz

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