Marlzeit (2)

So. Feierabend.

Fast vierzehneinhalb Stunden haben wir heute mit der Jury getagt, Fernsehen geguckt und diskutiert, und die Frage ist natürlich berechtigt, ob der sechste oder siebte Film, den man am Tag sieht, die gleiche Chance hat wie die anderen, einen Grimme-Preis zu gewinnen.

Ehrlich gesagt: Man weiß es nicht, weshalb die Reihenfolge vorher ausgelost wird. Aber es ist ganz bestimmt nicht so, dass ein Film, der nach dem Abendessen kommt, schon verloren hätte. Gerade Komödien zum Beispiel kommen dann besonders gut an, wenn alle von der geballten Ladung Sozialdramen erschöpft sind; aber auch einem herausragenden Drama kann es gelingen, dass plötzlich alle aufhören, mit dem Papier zu rascheln und den Stühlen zu rücken, und nur noch gebannt auf die Fernseher schauen.

Heute war zum Beispiel ein Tag, an dem mich persönlich gerade die letzten beiden Filme besonders begeistert haben. Einer davon hieß „Eine andere Liga“, und war eigentlich nicht dafür prädestiniert, mich vom Stuhl zu reißen: Weder Fußballfilme noch Brustkrebsdramen sind meine Lieblingsgenres, aber diese Tragikomödie von Buket Alakus, die beides ist und so viel mehr, ist so grandios geschrieben, gespielt und inszeniert, mit einer solchen Leichtigkeit und Tiefe, dass sie mich gleichermaßen bewegt und amüsiert hat wie kaum ein Fernsehfilm in der letzten Zeit.

In den Kommentaren brachte jemand den Gedanken auf, ähnlich wie in „Supersize Me“ aus der Jurysitzung einen Selbstversuch zu machen, wie es einen verändert, wenn man so viele Stunden lang Fernsehen guckt. Der Vergleich mit dem Mc-Donald’s-Fress-Experiment ist leider in anderer Hinsicht außerordentlich passend. Ich schätze, dass kaum ein Jurymitglied aus Marl mit weniger als zwei Kilo Zusatzgewicht zurückkehrt. Morgens stehen schon Joghurts und Obst für uns bereit, gegen 11 Uhr kommen leckere belegte Brötchen, nachmittags Berge von Kuchen, abends gibt es ein komplettes Abendessen mit Nachtisch, dann Alkohol in verschiedenen Formen und diverse Snacks. Gut, theoretisch kann man natürlich auch 12, 13, 14 Stunden lang vor dem Fernseher sitzen und Wasser trinken, Weintrauben essen und am Filzstift kauen, aber mir ist das noch nie gelungen. (Wobei es bei mir eine komplizierte Relation gibt, wonach der Kalorienkonsum sich umgekehrt proportional zur Qualität des zu sichtenden Programms verhält und proportional zur Häufigkeit, mit der ich eine Sendung schon gesehen habe.)

Dass ich heute über die Trostlosigkeit von Marl schreiben würde, wie gestern angekündigt, war natürlich nur ein Witz. Das mache ich erst morgen.

27 Replies to “Marlzeit (2)”

  1. Ok, aber dann gaanz bestimmt. Versprochen? Ich hab schon heut den ganzen Tag mit Spannung auf den Bericht über Langeweile gewartet!

  2. Stefan, es geht Dir bestimmt schon auf den Keks, wenn sich Leute für die größeren und kleineren gelungenen Artikel(reihen) bei Dir bedanken. Aber Du hörst ja auch nicht auf, solche Artikel zu schreiben! ;-) Danke, auch fürs Lustmachen auf einzelne Sendungen (auch wenn man sie leider gerade nicht ansehen kann)

    Und was das Gewichtsproblem betrifft: Vielleicht, wenn ihr schon den Fernseher den ganzen Tag vor Euch habt, bestellt Ihr einfach so einen Bauchweg-Trainer aus dem Teleshop :-)

  3. Geht mir gar nicht auf den Keks, erst recht nicht von dir! (Wieso liest du eigentlich in Australien Blogs über deutsche Fernsehpreise?)

  4. Eine Frage (nein, es sind sogar zwei), die sich mir stellt:
    Nachdem ich die Liste der nominierten Filme (http://www.grimme-institut.de/html/index.php?id=44) begutachtet und festgestellt habe, dass eigentlich alle Filme schon 2006 im TV ausgestrahlt wurden, würde ich gerne (wenn es nicht zuviel des Aufwands ist), warum diese Filme nun erst 2008 prämiert werden sollen.

    Die zweite Frage ist eine persönliche an Stefan:
    Wie gehst Du damit um, wenn Du zufällig anno 2006 eines dieser Werke im TV gesehen hast (was ja so unwahrscheinlich nicht ist), und nun inmitten anderer, bisher unbekannter Filme bewerten musst?
    Ich meine, einen bereits bekannten Film mit einem eben erstmals gesehenen Film „vergleichen“ zu müssen, dürfte nicht sonderlich objektiv sein.

  5. auch am arsch der welt, sollte man den blick fürs wesentliche nicht verlieren! ich sage somit nichts falsches: manniac ist ein interessierter mann!

  6. Nachtrag zu meinem Beitrag #5:
    Leider habe ich verpeilt, dass die verlinkten Nomis von 2007 waren. Mein Fehler.
    Entsprechend dürften aber die Nomis für 2008 bereits 2007 im Free-TV gesendet worden sein.
    Meine beiden Fragen halte ich daher aufrecht. ;)

  7. echt sehr schön die seite gefällt mir gut, wer auf der suche nach yoga videos ist besucht unsere seite.

    [EDIT: Adresse wg. Spam gelöscht]

  8. War das jetzt nur plumpe Werbung oder das „sehr schön“ das Ergebnis einer differenzierten Auseinandersetzung mit den Themen dieser Seite.

  9. „einen Selbstversuch zu machen, wie es einen verändert, wenn man so viele Stunden lang Fernsehen guckt.“

    Ich erinnere mich da vage an etwas, Google hat mir aber leider nicht auf die Sprünge geholfen: So ein Selbstversuch stand vor Jahren mal im (so glaube ich) SZ-Magazin. Der Autor (evtl irgendein Popliterat) hatte sich extra eigens ein Hotelzimmer gemietet und hielt durch bis zum Erbrechen. Sehr eindrucksvoll!

  10. Wie kommt denn „Eine andere Liga“ in die Auswahl? Dieser Film wurde doch schon 2004 gedreht und lief vor über 2 Jahren im Kino. (Ist aber trotzdem ein toller Film)

    Was mich auch sehr interessieren würde, nach welchen Kriterien die Jury (oder Du für Dich) die Filme bewertet? Vergibst Du Punkte für verschiedene Kategorien (Story, Regie, Schauspieler, Kamera…) oder bewertest Du einen Film aus dem Bauch heraus? Ist ja sicher auch nicht einfach verschiedene Genres miteinander zu vergleichen.

  11. @Stefan (4): Ein bisschen Zuhause braucht man auch in der Ferne (und das ist ja eigentlich relativ einfach, wenn man eh schon im Internet wohnt, so wie ich)

  12. Ausnahmsweise schreib ich mal nur eines: Echt toll und sehr interessant. Das Leben eines Jurors!
    Zum Thema Bauch-Weg-Trainer sag ich mal lieber nix. Wer im Glashaus sitzt… (hat den besten Rundumblick)

  13. Nachdem, was ich auf der verlinkten Seite über diesen im Artikel gelobten Film „Eine andere Liga“ gelesen habe, erinnert mich das ganze doch irgendwie eher an einen noch billigeren Abklatsch von „Bend it like Beckham“, der selbst schon kein großes Kino war. Aber jedem das seine.

  14. Der Mann mit dem Selbstversuch war Christian Kracht, und er mietete ein Hotelzimmer in „der hässlichsten Stadt Deutschlands, Frankfurt a.M., um garantiert keine Ablenkung zu haben“. Voll fies, fand ich das damals.

  15. @gerrit: Danke, der war’s! Schade, der Text ist leider online nicht zu finden. (und C.K. war offensichtlich noch nie in Frankfurt/O.)

  16. Oh ja, „Eine andere Liga“ ist wirklich schön! Vieles an dem Film ist gut, am meisten gelacht habe ich aber über Thierry van Verweke als Baba.
    Bin allerdings auch verwundert, dass so etwas „altes“ jetzt zur Auswahl steht. Trotzdem, eine Prämierung verträgt der Film bestimmt :-)

  17. gießen ist eine wunderschöne kleinstadt. man ist überall schnell, wenn kein stau ist oder die hessen wieder an jeder grünen ampel abbremsen, und kann das freundliche lächeln der einwohner, sie lachen nur, wenn sie geld auf der strasse finden, geniessen..:-))

  18. Ich habe einmal die komplette erste Staffel von Dexter (ca. 12 Stunden) am Stück angeguckt. War danach etwas müde. Ansonsten ein unspäktakuläres Experiment.
    Gruß und weiter so, Stefan!

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