Autor: Christoph Schultheis

Lügen und lügen lassen

Der Preis für den erbärmlichsten Aprilscherz 2008 geht an den Pasewalker Buchhändler Helmut Maaß und den Eulenspiegel-Verlag. Der Buchhändler hatte für den 1. April eine „Nackt-Lesung“ angekündigt. Und dpa schrieb am 26. März:

Das sei kein Aprilscherz, versichert der 53-Jährige ebenso wie der Eulenspiegel-Verlag. „Das ist doch eine schöne Werbung für unser Buch“, sagte eine Sprecherin am Dienstag freudig.

Heute nun, am 1. April, konnte/musste/durfte dpa berichten:

Erste FKK-Nackt-Lesung war Aprilscherz

Pasewalk/Berlin (dpa) – Die als „erste Nackt-Lesung“ groß angekündigte Vorstellung eines Buches über FKK in der DDR hat sich als Aprilscherz herausgestellt. Die angeblich für Dienstag terminierte hüllenlose Lesung fand nicht statt.

Ins Regal stellen darf sich den Preis aber dennoch ganz allein Buchhändler Maaß. Denn, wie sueddeutsche.de hinzuzufügen weiß:

Er [Buchhändler Maaß] habe auch den Verlag angelogen, damit der Scherz nicht vorab auffliegt, so Maaß weiter.

Generation Keramik

Außer mit Interviews und PR-Auftritten, in denen die beiden Autoren des Sachbuchs „Generation Doof — Wie blöd sind wir eigentlich?“ (derzeit Platz 1 der Spiegel-Taschenbuch-Bestsellerliste) unablässlich andere und — bemerkenswert freimütig — auch sich selbst für doof verkaufen, bewirbt der Lübbe-Verlag seinen Bestseller auch mit ein paar hauseigenen „Kolumnen“ auf der Lübbe-Website, in denen die beiden Autoren sich und andere für doof verkauften, als sie noch nicht wussten, dass das Buch erfolgreich genug werden würde, um’s auch in Interviews, Interviews und PR-Auftritten tun zu können.

Na, jedenfalls schreiben die beiden in ihrer dritten Kolumne „Gläsern im Netz oder Der durchsichtige Doofe“, dass „viele aus der Generation Doof (…) ihren Mangel an Gehirn als gläserne Bürger im Internet“ zeigen würden, indem sie bereit seien, ihre „persönlichen Daten der Weltöffentlichkeit preiszugeben“. Und sie sind darin ziemlich entschieden.

Angst davor, ein Bürger aus Glas zu sein, hat offenbar kaum einer von uns virtuellen Selbstdarstellern. Kein Wunder, bei so wenig Innenleben. Wer interessiert sich schon ernsthaft dafür wie wir heißen, wo wir wohnen und welche ansteckenden Krankheiten und sexuellen Vorlieben wir haben – etwa Firmen, bei denen wir uns bewerben, unsere Versicherungsgesellschaft, unsere zukünftigen Liebhaber, anständige Betrüger von nebenan oder gar James Bond? Hirngespinste von gestern, sagt sich die Generation Doof und fühlt sich mit großer Gleichgültigkeit wie in Watte gepolstert.

Die „Kolumne“ endet mit einem Bekenntnis:

Da wir beide auch zur Generation Doof gehören und uns alles egal ist: Frau Weiss heißt Anne mit Vornamen, Herr Bonner Stefan. Wir sind beide Mitte dreißig, überwiegend hetero, teilweise trinkfest, haben an Aschermittwoch zuletzt in die Keramik geguckt, lieben Pasta mit Pesto, haben zurzeit 0,0 Euro auf dem Konto und unsere Lieblingstiere sind Thunfische in Dosen.

Unser Tipp: Wer sich so gläsern fühlt und gibt, sollte sich vielleicht nicht allzuweit weit aus einem Fenster lehnen. Denn Frau Weiss heißt nicht Weiss mit Nachnamen, Herr Bonner nicht Bonner. Das sind nur Pseudonyme.* Und woher wissen wir das? Man mag es gar nicht glauben: aus dem Internet.

*) Angeblich wurden die Pseudonyme gewählt, weil die Autoren eigentlich „Lektoren in einem großen deutschen Publikumsverlag“ (so der große deutsche Publikumsverlag Lübbe über Weiss und Bonner) sind und andere verlagseigene Autoren sich ungern von Lektoren betreuen ließen, die selber Bücher schreiben. So jedenfalls schildert es auf Nachfrage die Co-Autorin. Und eine gute Nachricht hat sie auch: Der ungeprüft übernommene und unwidersprochen weiterverbreitete doofe Fehler in ihrer „Generation Doof“ wird aus den kommenden Auflagen getilgt.

Generation Kerner

Unlängst telefonierte ich mit dem Bestsellerautor Stefan Bonner.

Bestseller-Autor war Bonner da noch nicht; es war bloß kurz zuvor ein Buch erschienen, das er zusammen seiner Kollegin Anne Weiss geschrieben hatte.

Doch nachdem Bild.de am vergangenen Freitag das Buch „Generation Doof“ u.a. mit der darin enthaltenen Falschbehauptung anpries, dass sich ein „Wer wird Millionär?“-Kandidat auf die Frage nach dem Vornamen von George W. Bush für die Antwort „Edmund“ entschieden habe, hatte ich Autor Bonner plötzlich am Apparat. (Ein Anruf bei der Pressestelle des „Generation Doof“-Verlags Lübbe wurde zu meiner Überraschung direkt zu den Autoren durchgestellt, die, so steht’s in ihren Kurzbiografien bei luebbe.de, „Lektoren in einem großen deutschen Publikumsverlag“ seien).

Wo ich Bonner schon mal dran hatte, nutzte ich die Gelegenheit, ihn auch auf die „Bush“-Ente hinzuweisen, die er und Weiss offenbar ungeprüft aus dem Internet rüberkopiert hatten. Bonner gab sich verblüfft — und erwiderte sinngemäß, das sei ja dann wohl der beste Beweis für die Generation Doof, haha…

Das war, wie gesagt, am vergangenen Freitag. Und am vergangenen Dienstag erschien bei „Spiegel Online“ ein Interview mit Weiss und Bonner, das dem Erfolg des Buchs (derzeit Platz 6 der Spiegel-Bestsellerliste) nicht geschadet haben dürfte. „Spiegel Online“ stellt darin aber auch die gar nicht doofe Frage:

Sie halten sich selbst für Mitglieder der „Generation Doof“. Wie haben Sie es dann geschafft, an Lektorenjobs in einem großen deutschen Publikumsverlag zu kommen?

Autorin Weiss antwortet:

(…) man braucht auf jeden Fall ein bisschen Talent, seine gelegentliche Dummheit gut zu kaschieren. Außerdem ist es gut, die Recherchemöglichkeiten zu kennen, also zu wissen, wo man eine fehlende Information schnell findet.

Und ihr Kollege Bonner ergänzt:

Dann ist noch eine gewisse Kritik- und Lernfähigkeit nötig. (…)

Soviel zur Theorie. Doch am selben Abend saßen Weiss und Bonner bei Kerner.

Und als Kerner schließlich (Video ab ca. 10’51“) anhob, ausführlich, begeistert und sichtlich unbeleckt die „Wie heißt George W. Bush“-Anekdote nachzuerzählen (auf deren Falschheit ich die „Doof“-Autoren doch noch persönlich hingewiesen hatte), da saßen Weiss und Bonner da, nickten — und hielten lächelnd ihre Klappe.

Manchmal glaube ich: Woran unsere Gesellschaft krankt, ist nicht Dummheit, sondern die Schlauheit, andere für dumm zu verkaufen.

[Nachtrag: Überschrift geklaut bei Torsten Kleinz.]

The Seehofers – Der Film

Vom Filmemacher Dieter Wedel hatte man auch schon länger nichts mehr gehört. (Okay, er bleibt bis 2011 Intendant der Nibelungen-Festspiele in Worms, bekommt bei einem Winzerfest den Weinkulturpreis der Stadt Alzey, des Landkreises Alzey-Worms, der Winzer der Wein- und Sektterrasse und der Allgemeinen Zeitung Alzey zuerkannt – und hat einen neuen Pudel namens Willy Billy Willy.) Im Februar zeigte das ZDF noch Wedels aktuellsten TV-Film „Mein alter Freund Fritz“, doch für Schlagzeilen taugte der offenbar (trotz eines Gastauftritts des niedersächsische Ministerpräsidenten Christian Wulff) nicht.

Nein, für Schlagzeilen sorgt der „Star-Regisseur“ seit Jahren immer dann, wenn wieder mal irgendeine Sau durchs Dorf getrieben wird. Kurz vor dem Ortsausgangsschild steht dann Wedel – und anderntags in den Zeitungen dies:

Der Regisseur Dieter Wedel will in einem Doku-Drama die letzten Tage Adolf Hitlers im Berliner Führungsbunker verfilmen.
(Quelle: „Hörzu“ im April 2003, unmittelbar vor der offiziellen Vorstellung des „Untergang“-Projekts von Bernd Eichinger)

Star-Regisseur Wedel denkt über Möllemann-Film nach
(Quelle: „Bild am Sonntag“ im Juni 2003, kurz nach dem Tod von Jürgen Möllemann)

Aufstieg und Niedergang Leo Kirchs will Dieter Wedel verfilmen
(Quelle: „Focus“ im Juni 2003, nach der Insolvenz der Kirch-Gruppe)

Star-Regisseur Wedel will Türck-Affäre verfilmen
(Quelle: „Bild am Sonntag“ im August 2005, kurz vor dem Prozess gegen Andreas Türck)

Wedel will Stoiber-Drama verfilmen
(Quelle: „Bild am Sonntag“ im Januar 2007, kurz nach der Rücktrittsankündigung Edmund Stoibers)

Dieter Wedel will die VW-Affäre verfilmen
(Quelle: „Hamburger Morgenpost“ im Februar 2007, kurz nach dem Urteil für Ex-VW-Manager Peter Hartz)

Star-Regisseur Dieter Wedel denkt (…) über die Verfilmung der „Menage à Trois“ von Horst Seehofer nach.
(Quelle: „Bunte“ im August 2007, kurz nach dem „Bunte“-Interview mit Seehofers Ex-Geliebter)

Die Berliner Boulevardzeitung „B.Z.“ berichtet heute ebenfalls über die
Seehofer-Pläne, nennt Wedel aber nicht „Star-„, sondern bloß „Ich-verfilme-alles-Regisseur“.

Mit Dank an diverse BILDblog-Leser für die Anregung.

Lemminge Online

Heute Nacht um kurz vor 2 Uhr veröffentlichte die Nachrichtenagentur dpa eine kurze Meldung, in der sie die Titelgeschichte der heutigen „Bild“-Zeitung zusammenzufassen glaubte — gleichzeitig aber auch der Onlinemedienwelt die Gelegenheit gab, sich mal wieder ein Armutszeugnis auszustellen.

Unter der Meldung stand „(Der Beitrag lag dpa in redaktioneller Fassung vor)“ und in der Meldung hieß es:

Knapp vier Jahre nach dem tödlichen Fallschirmabsturz des früheren FDP-Politikers Jürgen W. Möllemann am 5. Juni 2003 sorgt jetzt ein weiteres Amateur-Video für Diskussionen. Die „Bild“-Zeitung berichtet am Freitag erstmals über die Aufnahmen, von denen bisher nur bekannt war, dass sie Teil der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft waren.

Selbst einem unbedarften Leser hätte bei der Lektüre auffallen können, dass da was nicht stimmt: Ein „weiteres“ Video, das „Teil der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft“ war?!

Zum Glück aber war ja, als dpa seine Meldung veröffentlichte, der „Bild“-Artikel (der dpa in redaktioneller Fassung vorlag) bereits seit mehreren Stunden auf der Internetseite von „Bild“ mühelos aufzufinden und kostenlos nachzulesen gewesen. Und dort hätte der unbedarfte Leser feststellen können, dass „Bild“ gar nicht behauptet, es sei ein „weiteres“ Video aufgetaucht. Im Gegenteil: „Bild“ behauptet bloß, ein Video, „das auch Bestandteil der Ermittlungsakte war“, sei „jetzt bekannt geworden“ und „liegt BILD vor“…

Offensichtlich sitzen in den Online-Redaktionen der großen Nachrichtenportale jedoch keine unbedarften Leser, sondern Online-Redakteure.

Und ohne mit der Wimper zu zucken, haben die sich bei „Spiegel Online“, bei sueddeutsche.de, bei „Focus Online“*, bei Netzeitung.de, bei FAZ.net und bei „Welt Online“ entschieden, die dpa-Meldung über den (ohnehin völlig erkenntnisfreien) „Bild“-Aufmacher ohne weitere Recherche zu übernehmen:

Besonders peinlich ist das natürlich für „Focus Online“. Denn der gedruckte „Focus“ selbst hatte vor vier Jahren erstmals und sehr ausführlich über das Video berichtet, das laut „Focus Online“ nun „aufgetaucht“ sei.

Aber auch in den Archiven der „Süddeutschen Zeitung“, „FAZ“ und „Welt“ finden sich aufschlussreiche Artikel aus dem Jahr 2003, in denen das Möllemann-Video bereits Gegenstand der Berichterstattung war — und aus denen eindeutig hervorgeht, dass „Bild“ gar nicht „erstmals“ über die Aufnahmen berichtet und von denen weit mehr bekannt ist, als dass sie „Teil der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft waren“. Die Artikel sind zum Teil bis heute online — und bei FAZ.net beispielsweise sogar direkt neben dem dpa-Unsinn in einem „Zum Thema“-Kasten verlinkt. Sueddeutsche.de behauptet sogar (mit Link auf einen eigenen Archivtext) ahnungslos: „Die Existenz des Videos war (…) schon lange bekannt, die Details sind neu.“

Aber natürlich bringt es viel mehr Klicks, einfach nachzubeten, was „Bild“ (mit freundlicher Unterstützung von dpa) als Neuigkeit verkauft, als selbst mit zwei drei Klicks festzustellen, dass es gar keine Neuigkeit ist.

*) Bei „Focus Online“ ist das Armutszeugnis inzwischen samt Kommentaren aus dem Angebot entfernt worden bzw. „leider nicht vorhanden“. Dafür gibt es dort einen neuen Text (Überschrift: „Neuer Wirbel um altes Video“) der sich vom ursprünglichen „Bild“-Bericht deutlich distanziert, dafür aber vermutet, es handele sich um Aufnahmen „von zwei Amateurfilmern“. Das jedoch behauptet nicht nur niemand sonst, sondern nicht mal „Bild“.

Christoph Schultheis ist einer der Betreiber von BILDblog.de