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Släsch, Släsch, Schupelius

Der „B.Z.“-Kolumnist Gunnar Schupelius ist jetzt nicht jemand, der sich besonders gut auskennt oder komplizierte Sachen gut versteht. Aber er hat jemanden, den er immer fragen kann.

Und so fragt er sich heute, warum wir Kinder, die in Berlin geboren sind, eigentlich „Migranten“ nennen, obwohl „Migrant“ „Wanderer“ heißt und Kinder, die hier aufwachsen, gar keine Wanderer sind.

(…) Früher sagte man „Ausländer“ und meinte damit alle Fremden, die man als nicht deutsch ansah. Dann wurde der Begriff als politisch unkorrekt eingestuft und gelöscht. Stattdessen lernten wir, „Migrant“ zu sagen. Aber was haben wir damit erreicht? Gar nichts. Wer heute Migrant sagt, meint Ausländer und wer als Migrant bezeichnet wird, der fühlt sich irgendwie nicht ganz für voll genommen.

In Berlin leben 863.000 Menschen, die als Migranten bezeichnet werden. 42 Prozent von ihnen sind aber eigentlich gar keine Migranten, denn sie haben einen deutschen Pass. Wem wir unsere Staatsangehörigkeit verliehen haben, den sollten wir als Deutschen ansprechen. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) zum Beispiel ist natürlich ein Deutscher und kein Migrant. (…)

Um es gleich vorwegzunehmen: Nein, es gibt kein Happy End — das Wort „Hintergrund“ kommt in der ganzen Kolumne nicht vor.

Niemand bei der „B.Z.“ hat Schupelius sachte beiseite genommen und ihm langsam und mit einfachen Worten erklärt, dass die 863.000 Menschen gar nicht als „Migranten“ bezeichnet werden, sondern als Menschen „mit Migrationshintergrund“. Vermutlich dachte Schupelius, dass das auch nur wieder nur so ein künstlich aufgeblähtes Quatschwort ist, wie es die Gutmenschen gerne benutzen, weil es „politisch korrekt“ ist, und hat den lästigen „Hintergrund“ einfach weggelassen, obwohl der, wie Schupelius unwissentlich zeigt, entscheidend ist. Ein Berliner Junge, dessen Eltern aus der Türkei stammen, ist kein Migrant. Er hat einen Migrationshintergrund. (Schupelius ist mit seinem Unwissen leider nicht allein.)

So kann man natürlich gut eine tägliche Volkszorn-Kolumne füllen: Erst etwas falsch verstehen und sich dann darüber beklagen, dass es falsch ist.

(Man könnte, womöglich mit viel Geduld, natürlich versuchen, Schupelius auch noch zu erklären, dass das Wort „Ausländer“ gar nicht „gelöscht“ oder als politisch unkorrekt klassifiziert ist und dass es schon gar nicht durch das Wort „Migrant“ ersetzt wurde. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy, zum Beispiel, ist zwar aus deutscher Sicht Ausländer, aber kein Migrant (hat aber Migrationshintergrund). Ein Migrant ist ein Ein- oder Auswanderer. Dass sich jemand, der von Schupelius als Migrant bezeichnet wird, irgendwie nicht ganz für voll genommen fühlt, kann natürlich trotzdem sein und wäre sogar erklärbar.)

Neulich hat Schupelius sich etwas anderes gefragt, nämlich: Wie viele Sicherheitsleute eigentlich in den Berliner Freibädern eingesetzt werden. Anscheinend hätte Schupelius auch da lieber noch jemand anders fragen sollen als sich selbst, jedenfalls musste die „B.Z.“ einen Widerruf drucken. Und weil Schupelius seine Kolumnen bekanntlich immer auch noch mal in die Kamera spricht, gibt es von dem Widerruf auch eine Videoversion, der es erstaunlicherweise gelingt, den Wahnsinn einer durchschnittlichen Schupelius-Videobotschaft noch zu toppen, aber sehen Sie selbst:

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Andererseits ist es fast wieder Kunst.

Die Gutbürger

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Wolfram Weimers „Focus“ gebärdet sich als einsames Kampfblatt gegen den Mainstream linker Weltenretter. Und läuft orientierungslos jedem Populisten hinterher.

Leidenschaft ist kein schlechter Antrieb für Journalismus. Manchmal jedoch brechen aus einem Artikel unvermittelt Emotionen in einer Weise aus, dass man sich als Leser fühlt wie ein Bewohner Pompejis im Sommer 79.

Beim „Focus“ ist das in dieser Woche wieder passiert. Die Illustrierte hat die „wichtigsten Debatten-Anzettler 2010“ gekürt, darunter Thilo Sarrazin, Hans-Olaf Henkel, der Papst. Dieses Jahr habe den öffentlichen Debatten eine „zumindest punktuelle Berührung mit der Realtät“ beschert, stellt ein ungenannter Autor in einem Begleittextchen fest, und dann kommt’s: „Nach vielen Jahren des wohlfeilen Gutmeinens, Beschwichtigens und Problemezurechtbiegens durch die Vertreter eines linksliberalen, feministischen, sozialstaatsfixierten Multikulti-Wischiwaschi-Mainstreams mag dies ein Fortschritt sein.“

Da hatte sich wohl was aufgestaut.

Sie dürfen das jetzt rauslassen beim „Focus“. Nicht dass er früher der Sympathie für linke Gedanken verdächtig war, nicht einmal in Form einer Servicegeschichte „Die 100 besten Feministen in ihrer Nähe“. Aber seit Wolfram Weimer vor einem halben Jahr die Chefredaktion übernommen hat, ist eine politische Verortung rechts von der Konkurrenz Teil des Versuches, das Blatt wiederzubeleben.

Weimar sagt natürlich nicht „rechts“. In einem Interview mit dem „Medium Magazin“ hat er die „Grundlegitimation“ des „Focus“ beschrieben als seine „Position als bürgerliches Gegenstück zum ‚Spiegel'“. Nun ist es schwer, sich ein treffendes Adjektiv für den heutigen „Spiegel“ vorzustellen, das einen Gegensatz zu „bürgerlich“ bilden würde; allenfalls „wertelos“. Weimar aber sagt, er identifiziere sich mit den „Werten des Kulturkonservatismus in Deutschland, also mit dem Familiären, Heimatliche, der kulturellen Identität bis hin zu religiösen Facetten“.

Das klingt kuschelig vage, und das ist es auch. Die Familie zum Beispiel, hat der „Focus“ festgestellt, feiert gerade „ein wundersames Comeback“. Die Belege dafür sind dünn. Die Vorwerk-Familienstudie, auf die die Autoren sich berufen, sieht jedenfalls nur eine „unverändert hohe Wertschätzung“ von Familie, während der Freundeskreis an Bedeutung gewinnt. Aber es gibt gerade so viele schöne Fotos, die Staatsoberhäupter zu Weihnachten im Kreis ihrer Angehörigen zeigen. Von Angela Merkel gibt es sogar ein zauberhaftes Bild, auf dem sie eine Dose mit roten Kugeln hält. Der „Focus“ hat dazu geschrieben: „Auch Kanzlerin Merkel weiß: Weihnachten braucht Rituale wie die alljährlich glänzenden Kugeln am Christbaum.“

Vielleicht verliert man als bekennender Wertkonservativer ein bisschen das Gefühl für lächerliche Überinterpretationen; vielleicht hat das aber auch nichts mit der politischen Gesinnung zu tun.

In Wahrheit ist diese publizistische Welt gar nicht kuschelig, sondern definiert sich fast ausschließlich aus ihrem Widerspruch zu einem als links wahrgenommenen Mainstream. Der Medientheoretiker Norbert Bolz (auch in der „Focus“-Debatten-Anzettler-Hitliste) stellt klar, dass Patchworkfamilien keine richtigen Familien sind. (Die Kanzlerin ist da wohl eine Ausnahme. Sie brate zu Weihnachten eine Gans, verrät der „Focus“, „natürlich für die ganze Familie“. Wer damit gemeint ist, bleibt offen.)

Bolz behauptet: „Die Sehnsucht gilt der klassischen Familie. Dieses Sehnsuchtsbild darf man sich indes als moderner Mensch nur verdeckt eingestehen.“ Das eigene „fortschrittliche Bewusstsein“ zensiere diese Wünsche; Familie zeige, „dass Menschen eine archaische Erbschaft in sich tragen, die sie immun macht gegen politische Korrektheit.“

Das ist der perfekte Satz: Aggressiv-konservativ, weil er sich gegen die politische Korrektheit richtet, was immer die in diesem Zusammenhang sein mag. Und kuschelig-konservativ, weil wir genetisch immun seien gegen solche linken Gedanken.

Die „bürgerliche“ Publizistik, die der „Focus“ versucht oder auch das geistesverwandte Online-Angebot „The European“, arbeitet sich mit einem erstaunlichen Furor an den Weltverbesserern und Möchtegernweltverbesserern ab. Sie verachtet die engagierten Kämpfer gegen echte oder wahrgenommene Probleme auf der Welt. Sie sieht sich umstellt von Denkverboten und hat daher einen revolutionären Gestus, obwohl sie eigentlich nur möchte, dass alles wieder wird, wie es früher war. Dass nicht alles in Frage gestellt wird. Die gute alte Familie zum Beispiel. Oder auch die Natürlichkeit des Klimawandels. Hat es sowas nicht früher auch immer schon gegeben, und sind die warmen Sommer nicht schön?

Aus dem Dagegensein entsteht eine oft blinde Lust an der Provokation – dafür steht Michael Miersch, der gerade als neuer Wissenschaftschef zum „Focus“ kam. Er schrieb gleich einmal mit typisch filigraner Ironie die „zehn Öko-Gebote“ des „Gutmenschen“ auf, etwa: „Du sollst nicht zweifeln! Die Ökobewegung irrt nie. Wer daran zweifelt, dient den Ungläubigen.“

Manchmal ist es auch nur ein bräsiges Muss-das-denn-sein, wie es Gunnar Schupelius verkörpert, der gerade engagiert wurde, das Berliner „Focus“-Büro zu leiten. Schupelius hat bislang mit großer Treudoofigkeit in der Boulevardzeitung „B.Z.“ versucht, intellektuelle Debatten anzustoßen wie die, warum Autofahrer eigentlich immer die Dummen sind.

Es geht diesen „bürgerlichen“ Publizisten vor allem darum, dass sie Recht haben. Sie kämpfen verbissen Kämpfe, die sie nach eigener Wahrnehmung längst gewonnen haben. Roger Koeppel hat vor kurzem in einem Editorial seiner Schweizer Zeitung „Weltwoche“ gegen „linke Journalisten“ gewettert, die er zu einer Plage hochstilisierte, schlimmer als Hitler und Brustkrebs zusammen. Das Schlimmste an ihnen sei, dass sie nicht nur keine anderen Meinungen respektierten, sondern immer Unrecht hätten: „Sie werden durch die Wirklichkeit ins Unrecht gesetzt.“ Sie blieben ihren falschen Thesen aus Bequemlichkeit treu, „denn natürlich wissen sie: Es ist anstrengender, gegen den Strom zu schwimmen.“

Dass Koeppels „Weltwoche“ und Weimers ungleich harmloserer „Focus“ so uninspiriert und uninspirierend sind, liegt daran, dass sie herausgefunden haben, dass es genau so bequem ist, reflexartig immer gegen den Strom zu schwimmen – oder gegen das, was sie zum Strom erklären. In Wahrheit schwimmen sie natürlich oben auf der Welle, wenn sie etwa hinter Sarrazin hinterherschwappt.

Sie glauben, dass sie für eine schweigende Mehrheit sprechen, wenn die längst laut grölt. Natürlich ist der „Focus“ begeistert von Theodor zu Guttenberg und der Antagonismus, den Weimer beschwört, besteht darin, die allgemeine Begeisterung ins Absurde zu übertreiben. „Er ist wie eine Mischung aus Armani und Konrad Adenauer“, schrieb er über den Verteidigungsminister. „Und im großen Kulturverlust der Formlosigkeit tut es gut, dass er der Sichtbarkeit der Macht auch durch äußere Form ein Stück Würde zurückgibt.“ Natürlich geht es auch um innere Werte, schreibt Weimer, beziehungsweise nicht: „Dabei ist gar nicht so bedeutsam, welche Haltung er gerade hat, sondern dass er eine hat und diese auch offen vertritt.“

Das scheint auch die Strategie zu sein, die der „Focus“ verfolgt. An den Leserzahlen gemessen, ist das Interesse daran eher gering. Dabei war 2010, wie der „Focus“ über seine Zusammenstellung der „wichtigsten Debatten-Anzettler“ schrieb, „ein Jahr der ‚konservativen‘ Themen“. Konservativ in Anführungsstrichen. Wer weiß schon, was das heißt?

Lesen und lesen lassen

Das Vorlesen eigener Artikel gehört zu den bislang noch unterschätzten journalistischen Stilformen. Dabei bietet ein schlechter Vortrag eine gute Chance, von argumentativen, logischen und sprachlichen Schwächen des Textes abzulenken.

Gunnar Schupelius zeigt, wie es geht.

Gunnar Schupelius schreibt für die „B.Z.“ jeden Tag über etwas, das ihn ärgert. Die Straße vor dem Kanzleramt (vgl. „Tagesspiegel“-Artikel von Januar 2008) ärgert ihn. Wenn er auf dem Weg nach Moabit, anstatt schnell durch den Tiergartentunnel zu fahren, den Schleichweg am Bundeskanzleramt vorbei nimmt, muss er ganz oft abbiegen. Dabei müsste man das Lenkrad kaum bewegen, wenn die Kanzlerin die Leute durch ihre Rabatten fahren ließe. Wenn das schon nicht geht, aus Sicherheitsgründen, würde Schupelius am liebsten unter dem Vordach des Paul-Löbe-Hauses langfahren. Da müsste er zwar genau so oft scharf lenken wie jetzt, aber nicht so schnell. Außerdem bräuchte man dann nicht diese Teerpiste zwischen Paul-Löbe-Haus und Kanzleramt, über die jetzt alle fahren müssen. Wobei: So viele sind das eh nicht, sagt Schupelius.

Klingt ein wenig krude? Nicht wenn Sie es sich vom Vizesieger im Vorlesewettbewerb der Dritten Klassen erzählen lassen:


Gunnar Schupelius liest: „Gunnar Schupelius: Die Straße vor dem Kanzleramt“

„VideoBlog“ nennt die „B.Z.“ diese neue Form, es handelt sich also um die Zukunft. Wir sollten uns dem nicht verschließen. Deshalb der Aufruf: Macht den Schupelius! Der Lukas ist mit gutem schlechtem einem Beispiel vorangegangen:

Wir feiern das Ende der vorlesungsfreien Zeit! Wenn viele mitmachen, können wir einen richtigen Lies-es-wie-Schupelius-Vorlesewettbewerb veranstalten. Über Gewinnmöglichkeiten und Abstimmungsmodalitäten entscheiden wir dann.