stern.de lässt von Amazon rezensieren

stern-shortlist, das Entertainmentportal für Fortgeschrittene: Das Wort „Fortgeschrittene“ bezeichnet Entertainment-Profis, aber auch die Web 2.0-Generation sowie User wie die stern.de-Nutzer.
(Aus der Selbstdarstellung.)

Auf merkwürdige Ideen kommen die großen Verlage, wenn sie versuchen, irgendwas zu den Zauberworten „Web 2.0“ und „Community“ auf den Markt zu bringen. Bei stern.de entsteht unter dem Namen „Shortlist“ seit Montag ein „Listen-Universum“: Mitarbeiter und Leser sortieren Musik, Filme, Bücher und andere Produkte in Listen wie „Filme, in denen Jack Nicholson noch keinen Bauchansatz hatte“ oder „Songs, mit denen man garantiert jede Party beendet“.

Das wirkt auf den ersten Blick charmant und unterhaltsam, entpuppt sich aber auf den zweiten als unbrauchbare Mogelpackung.

Im Pressematerial heißt es: „stern-shortlist ist ein redaktionelles Angebot“ und: „stern-shortlist macht sich die Entertainment-Kompetenz des stern zu eigen“. Nun ja, so groß scheint diese Kompetenz nicht zu sein. Denn hinter den Listeneinträgen findet man keine redaktionellen Besprechungen aus der „Stern“-Redaktion, sondern Kritiken von Amazon, dem „Shortlist“-Partner, bei dem man die Produkte aus den Listen auch gleich bestellen kann. Die Besprechungen haben Autorenzeilen, aber den Hinweis, dass die Autoren nicht für den „Stern“ oder stern.de schreiben, sondern einen Buchhändler, hat man, äh: vergessen.

Das ist nicht nur wegen der mangelnden Transparenz und der offensichtlichen Fixierung auf möglichst große Verkaufszahlen unerfreulich. Wenn Amazon ein Produkt nicht besprochen hat, gibt es auch in den „Shortlists“ keine weiterführenden Informationen. Und selbst wenn es eine Amazon-Besprechung gibt, lässt sie häufig die entscheidende Frage, die eine Liste aufwirft, unbeantwortet.

Es ist ja eine nette Idee, eine Liste über Fernsehserien anzulegen, in denen ein „Star geboren wurde“, und dort auf Platz 6 die „Lindenstraße“ einzutragen. Aber wer nicht weiß, dass die Karriere von Til Schweiger da begann, erfährt es hier nicht. In den Listen selbst kann man keine Zusatzinformationen angeben, und in der „Shortlist“- bzw. Amazon-Besprechung taucht sein Name nicht auf, was allerdings kein Zufall ist, weil Schweiger in den ersten 52 Folgen, auf deren DVD-Box die Liste verlinkt, noch gar nicht dabei war.

Überhaupt, was ist das für ein Unsinn: Ich kann der Welt meine zehn Lieblingsserien mitteilen, aber nicht einmal zu jeder Serie einen kurzen Kommentar hinzufügen, um zu erklären, warum ich „Malcolm mittendrin“ verehre und was genau ich an „Arrested Development“ so großartig finde? Und daraus soll eine angeregt diskutierende Community entstehen?

Zum Tod von Ulrich Mühe bietet die Redaktion eine Liste „Filme, die das Lebenswerk von Ulrich Mühe dokumentieren“. Sie ist exakt so informativ, als hätte ich seinen Namen bei der Internet Movie Database oder bei Amazon eingegeben hätte. Kein Wort darüber, welches Werk ein Geheimtipp ist, warum man einen Film vielleicht einem anderen vorziehen sollte, nichts. Welchen Grund gibt es, sich diese Liste ansehen, außer um die Klickzahlen und Provisionen von stern.de in die Höhe zu treiben? (Lustigerweise findet die ohnehin kaum brauchbare Suchfunktion die Liste nicht einmal, wenn man nach Ulrich Mühe sucht.)

Eigentlich sind die Listen so angelegt, dass man nur käuflich zu erwerbende Produkte eingeben kann. Zum Glück werden sie von den Usern längst fleißig missbraucht — für Listen wie „Alles, was zeigt, dass die Jugend von heute für’n Arsch ist“ und „Alles, was an stern-shortlist.de äußerst ekelhaft ist“:

Ich weiß nicht. Auf mich wirkt „Stern-Shortlist“ wie ein Angebot, das ungefähr alle Wünsche von stern.de erfüllt (mehr Klicks, mehr Provisionen, ultra-kommerzielles Umfeld für Werbekunden, mehr Schein-Content bei minimalem redaktionellen Aufwand) und ungefähr keinen der Nutzer. Ist das dieses Web 2.0, von dem man so viel hört?

Nachtrag, 26. Juli. Gerd Kamp hat das gestern anscheinend noch offen in der Gegend herumstehende Redaktionssystem von „Stern-Shortlist“ entdeckt, und enthüllt nicht nur schöne Texte aus der internen Registrierungsseite („Als Mitarbeiter von Gruner + Jahr texte ich ohne Vergütung“), sondern auch Zukunftspläne: Listen, die für Klingeltöne werben, womöglich in Kooperation mit Jamba.

38 Replies to “stern.de lässt von Amazon rezensieren”

  1. Fassen wir das mal kurz und sinnverfälschend zusammen: In Shortlist steht nicht, dass Til Schweiger ein Star ist?

  2. Malcolm mittendrin? Eine weitere neurotische Familie mit den langweiligen überdrehten Stereo-Typen und dieses selbstironische „breaking the fourth wall“ des Protagonisten, was schon bei „Scrubs“ wahrscheinlich lustig und cool sein soll. Wahrlich Serien für die „Generation Praktikum“.

  3. Ich seh schon: Ich hätte einfach einen Eintrag mit meinen Lieblingsserien machen sollen.

    (Womöglich ist stern-shortlist da doch auf eine Goldader gestoßen. Hilfe.)

  4. Wie kann man bitteschön malcolm mittendrin nicht mögen?
    Wenn jetzt hier noch jemand was gegen Arrested Development hat, schalt ich persönlich das Internet ab. Das kann ja wohl nicht wahr sein (usw. usf.)

  5. miez miez: Malcolm hat zumindest eine nette neue Erzählperspektive eingebracht – erinnert fast ein wenig an einen modernen Charlie Brown. Allerdings sind die Geschichten IMHO schnell viel zu routiniert abgewickelt worden.

  6. na ok, dann mal zum thema ;D is echt ziemlich dreist sowas. ich würde mir eine shortlist wünschen( wenn ich sie denn benutzen würde) die auch kommentare/bewertungen /kritiken von usern zulässt.

    mfg ;)

  7. als ich zuerst von diesem „Projekt“ gehört hab, dachte ich zuerst an viel „triviales“ (oder „unnützes“) Wissen, worauf ich sehr abfahre oder auf Listen in der einiger Wochenshow-Sendungen (10 Gründe, woran sie merken, dass ein Elefant im Kühlschrank war! etc.).

    Ich wurde enttäuscht und hab mir die Seite ca. 5min lang angeschaut. Und werd wohl auch nicht darauf zurückkommen.

    Aber gut: stern.de hat was versucht und ist gescheitert, im Vergleich zur Shortlist, waren die „Shortnews“ ja ein regelrechter Genie-Streich (wobei diese Community ja nicht von stern.de inniiziert wurde). Hab ich nicht vor ein paar Wochen gelesen, dass stern seinen Online-Auftritt massiv ausbauen möchte? In dem Fall kann man sich ja noch auf einiges gefasst machen:-)

    PS: Tipp für Fans des unnützen Wissens: http://www.zeit.de/stimmts

  8. Ich geb wir wirklich Mühe… Aber ich schaffe es nicht mich darüber aufzuregen. Bin wohl zu desillusioniert :(

  9. Nach dem Deppenleerzeichen zwischen „Web“ und „2.0-Generation“ habe ich aufgehört zu lesen. Hab ich was verpasst?

  10. „Sie ist exakt so informativ, als hätte ich seinen Namen bei der Internet Movie Database oder bei Amazon eingegeben hätte“

    Der Satz hat ein „hätte“ zu viel.

    Ansonsten war die letzte Staffel Scrubs ziemlich mau. Ich freue mich auf „Back to you“ mit Kelsey Grammer und Patricia Heaton aus „Everybody Loves Raymond“. Der George Michel Darsteller Michael Cera aus Arrested Development ist ab nächsten Monat mit „Superbad“ im Kino (super super bad http://www.areyousuperbad.com ) und was Comedy angeht würde ich „Real Time With Bill Maher“ vorschlagen, „Entourage“ von Marky Mark Wahlberg, natürlich die Daily Show und „The Office (US)“ – ansonsten war „Til Death“ ganz nett mit Pat Garret (ebenfalls Everybody Loves Raymond) und noch etwas besser war „Rules Of Engagement“ mit David Spade und Patrick Warburton (Der Rollstuhlkerl (Joe) aus Family Guy und Puddy aus Seinfeld mit der tiefen Stimme).

    Hoffe das hat genug Anstoß gegeben.

    Apropos Scrubs… JD Darsteller Zach Braff hat letztes Jahr 6,3 Millionen US$ bekommen für seine Rolle und die Serie ist eine weitere Staffel verlängert worden und Oprah Winfrey hat letztes Jahr dem gegenüber 260 Millionen Dollar verdient. Wow.

    So war die Liste lang und nett genug? War allerdings nur Comedy. Sci-Fi, Drama und Educational könnten wir auch noch angehen ^^;

  11. Stefan, ich finde ja, dass Du in erstaunlicher Geschwindigkeit den Nagel auf den Kopf getroffen hast.
    Konzerne wie Gruner+Jahr sind ein großes behäbiges Tier, da wird jetzt mal ganz aufgeregt im Netz gespielt und gedacht, „Ui, sind wir weit vorne. Und Geld lässt sich sogar machen (kicher).“ Dauert, aber lassen wir sie mal. Muss ja keiner mitmachen.
    Ich gehe mal eben hin und lege an: Liste der Zeitschriftenverlage, die im Internet was cooles machen.
    Moment.
    Mist, kriege keine zehn zusammen.

  12. Was mich wundert ist mit welcher Chuzpe Herr Thomsen in einem Atemzug von Qualitätsjournalismus fabuliert und stern-shortlist launcht. Auch das soll natür besser als normales web2.0 sein, da doch auch „Fachjournalisten“ die Listen bauen. (siehe Interview bei Peter Turi)

    Geradezu unglaublich finde ich jedoch die Tatsache, dass sie ein Test- resp. internes „Redaktionssysstem“ von Google indizieren lassen und das ganze auch noch offen wie ein Scheunentor ist: Jeder kann sich registrieren, jeder kann alle Listen sehen und verändern (Publizieren und Löschen wollte ich dann doch nicht, die Buttons sind auf jeden Fall da).

    Wenn das Produktivsystem genau so sicher ist, dann gute Nacht.

    Auf dem Registrierungsscreen gibt es dann auch eine Checkbox mit dem schönen Text „Als Mitarbeiter von Gruner + Jahr texte ich ohne Vergütung“ aus meinem ersten Kommentar.

    Den dort einsehbaren Listen kann man auch entnehmen, dass anscheinend (zur weiteren Steigerung der Qualität) der Start des nächsten Partners vorbereitet wird resp. zumindest darüber nachgedacht wurde: Jamba. Unter anderem mit solch schönen Listen wie: „Ringtones, die selbst Noami Campbell ganz sanft stimmen müssten“.

    Wers nicht glauben kann der findet Screenshots bei http://relations.ka2.de/?p=261

    Hab stern-shortlist gestern abend über dieses IMHO nicht ganz kleine potentielle Sicherheits- (und viellecht auch Imageloch) informiert. Mal sehen ob die sich rühren.

  13. Ich kann nicht verstehen, wieso die eine an und für sich nette aber auch ziemlich alte Idee, so dilletantisch umsetzen. Als ob es (Achtung: Wortspiel) Die Welt kosten würde, das gescheit zu machen. Ich glaube nicht, dass sich jemand daran stören würde, dass man die gelisteten Dinge direkt und nur bei Amazon kaufen kann, wenn die Liste nur irgendeinen Mehrwert bieten würde.

    Darf denn Amazon einfach so die für sie verfassten Kritiken an den Stern „weiterverkaufen“?

  14. Die Stern-Redaktion ist so sehr damit beschäftigt, sich selbst mit Seiten wie „Augenzeuge.de“, „Tausendreporter.de“ und jetzt „Stern-Shortlist.de“ einzusparen, dass „echter“ Journalismus auf der Strecke bleibt. Als aktuelles Heft wird beispielsweise seit Tagen das Heft vom 10.7. angepriesen: http://www.stern.de/magazin/alle_magazine.html

  15. Ich bin fast neidisch. Verstehe zwar eure „Aufregung“ zu 100 %, aber aus Marketingsicht ist es recht Clever wie ich finde. Geschätzte X % von Amazon (CPO), PR Effekte (durch trendige Web 2.0 Idee), mehr Clicks usw.

    Fazit: Blöd für User, gut für den Geldbeutel…

  16. Sehr schön auf den Punkt gebracht.
    Die URL http://www.sternlisted.de/, unter welcher das Redaktionssystem so frei zugänglich war, ist glücklicherweise mittlerweile nicht mehr von aussen zugänglich.
    Danke Gerd, aber es wirft doch so einige Zweifel auf, ob G+J das Internet in seiner ganzen Bandbreite völlig verstanden hat.

  17. Naja, steht ja gleich auf der ersten Seite: „überraschend *oder* informativ zu Listen gruppiert“. Ein „und“ wäre halt doch etwas unpassend gewesen. Ich find’s zwar eher überraschend uninformativ und öde, aber vielleicht hilft’s ja mal bei der nächsten Runde Trivial Pursuit.

  18. Schön das hier manche Leute über irgendwelche Sitcoms streiten. Als obs mich intressieren würde wenn ich einen Beitrag über Stern-Shortlist lese. Wenn dem wirklich so wäre dann würde ich mich dort rumtreiben.

    Zum Thema: Reine Goldgrude.

  19. Mein Gott was ist das denn jetzt wieder für’n Beitrag? „Ihr seit Off-Topic“. Wir haben die Hinweise auf „Arrested Development“ und „Malcolm in the middle“ aufgegriffen und im Prinzip die Liste, die Stefan angefangen hat, vervollständigt und selbst im Ansatz mehr zum Thema schreiben können, als man bei Stern shortlist überhaupt kann, weil man dort einfach nur die Liste schreibt und keinen Pfurz hinzufügen kann.

    Dein Rumgeheule wir wären OT hat 4 Zeilen in Anspruch genommen. Das ist genauso Verschwendung.

    Außerdem ist Dein „Reine Goldgrube“ dann wirklich bezeichnend „zum Thema“. Selten so gelacht. Das ist die extremste Zusammenfassung von „außer um die Klickzahlen und Provisionen von stern.de in die Höhe zu treiben“ aus dem Text. Von daher Danke für Deine ach so erleuchtenden, weiterführenden Worte zum Thema. Ich freu mich schon auf zukünftige Ergüsse zu Themen wie „Wer hat heute schon die Bild gelesen“ mit der Antwort „Ich“ oder „Nehmt ihr im Winter auch immer so viel zu“ mit dem redaktionell wertvollem „Ja, vor allem um Weihnachten rum“.

    Bla.

  20. naja, immerhin haben sie nichts wegzensiert. die „alles, was an shortlist ekelhaft ist“ liste ist noch drin.

    btw – wir machen was ganz ähnliches. und bei uns ist auch die „beste TV-Serie ever“ das beliebteste Ranking. scheint einfach ein gutes Thema für ne Rangliste zu sein!

  21. wie bereits erwähnt, ist dieses web2.0 natürlich gut für die pr – denn eine (von einer bestimmten konsumentengruppe) negavtiv bewertete werbung ist immerhin besser als keine mediale aufmerksamkeit zu erhaschen.
    doch kann frau durchaus auch jenseits der intellektuellen stimulation ihre freude an der modernen medienwelt haben – so ist´s denn möglich, auf bestimmten sites durch die foren zu tingeln auf partnersuche zu gehen oder sich über (von dem jeweiligen anbieter präsentierte) events zu informieren.

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