Wofür Frank Plasberg wirbt

Man ahnt ja nicht, was die Leute so antreibt. Der ARD-Moderator Frank Plasberg zum Beispiel sagt, ein „entscheidender Teil seines beruflichen Antriebs“ sei: „offener Wettbewerb und das sich Messenlassen an Konkurrenz“.

Wenn ich das gewusst hätte! Dann wäre ich vielleicht nicht überrascht gewesen, als mich am vergangenen Mittwoch eine Pressemitteilung der Überlinger Firma Compamedia erreichte:

Fairer Mann für „Top Job“

Frank Plasberg wird neuer „Top Job“-Mentor und präsentiert die besten Arbeitgeber des deutschen Mittelstands.

Nun ist „Mentor“ eine merkwürdige Wortwahl. Plasberg wird allem Anschein nach vor allem seinen bekannten Namen und sein Gesicht zu Werbezwecken zur Verfügung stellen. Die Unternehmen, die es auf die Liste der „100 besten Arbeitgeber“ schaffen, dürfen mit Plasberg für sich werben. Eigentlich nennt man das „Testimonial“. Aber bei Compamedia mag man das Wort „Mentor“. Die Agentur nennt sich selbst „Mentor der besten Mittelständler“.

Seit zehn Jahren veranstaltet sie einen Wettbewerb, bei dem die Belegschaft und die Personalabteilungen von Unternehmen befragt werden, um die attraktivsten Arbeitgeber zu küren. Vor Frank Plasberg war der ehemalige Arbeitsminister Wolfgang Clement „Mentor“, was unter anderem so aussah:

Clements Engagement fiel nicht nur positiv auf. Der „Focus“ berichtete vor fünf Jahren, dass der „Mentor“ die Bundestagsabgeordneten in einem Rundbrief aufgefordert hatte, ihm Kandidaten für den Wettbewerb aus ihrem Wahlkreis zu nennen. Das kam nicht bei jedem Volksvertreter gut an, insbesondere weil Clement wohl verschwieg, dass die Teilnahme Geld kostet: mehrere Tausend Euro, je nach Unternehmensgröße.

Das ist ohnehin ein wichtiges Detail. In gewisser Weise erkaufen sich die Unternehmen einen Platz auf der Liste. Eine Teilnahme garantiert zwar kein Prädikat. Aber nur wer zahlt, kann überhaupt ausgezeichnet werden. Ergebnis ist keine Liste der besten Unternehmen, sondern bestenfalls eine Liste der besten Unternehmen, die für die Teilnahme zahlen. Diese Information, die eine allgemeine Aussagekraft des Rankings eher zweifelhaft macht, fällt in der Kommunikation gerne unter den Tisch.

Die Pressemitteilung der vergangenen Woche zitiert Plasberg:

„Bei ‚Top Job‘ versammeln sich die besten Arbeitgeber des deutschen Mittelstands“, sagt Plasberg, dem der wissenschaftlich-seriöse Hintergrund des bundesweiten Unternehmensvergleichs ganz besonders wichtig ist: „Die St. Galler Wissenschaftler, die hinter dem Projekt stehen, sind auf dem aktuellen Stand der Forschung und prüfen das Personalmanagement der Bewerber auf Herz und Nieren – aber stets fair. Das gefällt mir, und deshalb habe ich eine besondere Freude daran, diese Besten unter Deutschlands Arbeitgebern zu fördern und bekannt zu machen.“

Ich habe Plasberg daraufhin (per Mail) gefragt, ob er wirklich den „aktuellen Stand der Forschung“ im Personalmanagement kennt, und wenn ja: woher. Seine Antwort:

Ich habe mich über die Art der Untersuchung informiert. Die wissenschaftliche Leiterin, Prof. Heike Bruch, ist Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement und Ordinaria an der Universität St. Gallen. Dass sie als Professorin einer weltweit anerkannten Elite-Universität auf dem aktuellen Stand der Forschung arbeitet, versteht sich von selbst. Nur nebenbei: Im vergangenen Sommer war Frau Prof. Bruch beim hochkarätig besetzten Zukunftsgipfel der Bundeskanzlerin in Meseberg eingeladen und hat über das Thema Personalentwicklung referiert.

Nun gut, wenn es sich von selbst versteht, bräuchte man vielleicht nicht noch Herrn Plasberg, um den Fachleuten Kompetenz zu attestieren.

Auf die Frage, ob er es nicht zweifelhaft findet, in dieser Form Werbung zu machen, antwortet Plasberg:

Für mich ist entscheidend: Da lassen sich Unternehmen in die Karten gucken, akzeptieren, dass alle Mitarbeiter befragt werden, um am Ende zu erfahren, ob ihr Personalmanagement dem bestmöglichen Stand entspricht. Das hat erstmal meine Sympathie. (…)

Wenn ich werbe, dann für das Prinzip des Wettbewerbs und eines transparenten Umgangs beim Personalmanagement. Und wenn die wirklich guten, aber oft noch unbekannten mittelständischen Unternehmen so eine Bühne bekommen, um beim Ringen um die begehrten Fachkräfte erfolgreich zu sein, ist das für mich eine gute Sache.

Ich werde von sehr vielen Institutionen um Unterstützung gebeten. Und ich schaue mir das sehr genau an. Für die eine oder andere Idee engagiere ich mich. Mal ohne, mal mit Honorar. Und nicht selten profitiert der eine Bereich vom anderen. Ich finde, das liegt im Rahmen dessen, was eine öffentliche Figur wie ich tun darf, vielleicht sogar sollte.

Hat er sich das Werbeengagement vom WDR oder der ARD genehmigen lassen?

Nein, ich habe mir das Engagement für Top-Job nicht genehmigen lassen, u.a. deswegen, weil es dafür weder eine formale noch inhaltliche Notwendigkeit gibt.

Na dann.

Vielleicht sehe ich das alles zu eng. Vielleicht wirbt Plasberg für eine Sache, die zwar durch und durch kommerziell ist, aber irgendwie dem Gemeinwohl dient.

Mir geht es auch weniger um „Top Job“ und die Gestaltung dieser Arbeitgeber-PR-Veranstaltung. Ich habe nur den Wunsch, von einem Journalisten, der an hervorgehobener Stelle für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeitet, kein Werbegequatsche lesen zu müssen wie: „Bei ‚Top Job‘ versammeln sich die besten Arbeitgeber des deutschen Mittelstands.“

Ist das zuviel verlangt?

Fortsetzung hier.

Das Resümee ist durchweg positiv

Aus dem Lokalteil der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) von heute:


 

Artikel „Neue Osnabrücker Zeitung“, 12.12.2011 Pressemitteilung Stadtwerke Osnabrück, 1.12.2011
100 Tage Elektro-Bus in Osnabrück 100 Tage ElektroBus-Linie in Osnabrück
Osnabrück. Seit über 100 Tagen setzt der Verkehrsbetrieb der Stadtwerke Osnabrück auf aktuellste Speichertechnik im Linienbetrieb. Seit über 100 Tagen setzt der Verkehrsbetrieb der Stadtwerke Osnabrück auf aktuellste Speichertechnik im Linienbetrieb.
Der mit Lithium-Polymer-Batterien ausgestattete Midibus erfreut mit seinem Design und seinem emissionsarmen Betrieb Fahrgäste und Fahrer gleichermaßen. Der mit Lithium-Polymer-Batterien ausgestattete Midibus erfreut mit seinem Design und seinem emissionsarmen Betrieb Fahrgäste und Fahrer gleichermaßen.
Zugegeben: Der Start war etwas holprig. Drei Tage sorgte ein defektes Steuergerät dafür, dass der neue Elektro-Bus der Stadtwerke Osnabrück nicht unterwegs sein konnte. Doch seitdem lautet das Fazit: Er läuft und läuft und läuft. Das Resümee nach 100 Tagen Betrieb ist durchweg positiv. „Über 5000 Kilometer liegen hinter uns. Auf 100 Kilometern verbraucht das Fahrzeug 62 Kilowattstunden“, fasst Burkhard Kötter, Leiter Verkehrstechnik bei den Stadtwerken, zusammen. Damit liegen die Betriebskosten für das innovative Fahrzeug unter denen eines vergleichbaren Busses. Und der Bus bietet dabei allen Komfort, den Osnabrücker von ihren Linienbussen gewohnt sind: Klimaanlage, Fahrgastfernsehen, Niederflureinstieg und eine Mehrzweckfläche für Kinderwagen und Rollstuhl. Zugegeben: Der Start war etwas holprig. Drei Tage sorgte ein defektes Steuergerät dafür, dass der neue ElektroBus der Stadtwerke Osnabrück nicht unterwegs sein konnte. Doch seitdem lautet das Fazit: er läuft und läuft und läuft. Das Resümee nach 100 Tagen Betrieb ist durchweg positiv. „Über 5.000 Kilometer liegen hinter uns. Auf 100 Kilometern verbraucht das Fahrzeug von BredaMenarinibus 62 Kilowattstunden“, fasst Burkhard Kötter, Leiter Verkehrstechnik bei den Stadtwerken, zusammen. Damit liegen die Betriebskosten für das innovative Fahrzeug unter denen eines vergleichbaren Busses. Und der Bus bietet dabei allen Komfort, den Osnabrücker von ihren Linienbussen gewohnt sind: Klimaanlage, Fahrgastfernsehen, Niederflureinstieg und eine Mehrzweckfläche für Kinderwagen und Rollstuhl.
Der zuverlässige Midibus bewegt sich völlig geräuschlos auf der neuen Linie zwischen Neumarkt und dem Klinikgelände des Marienhospitals und des Christlichen Kinderkrankenhauses. Fahrer und Fahrgäste sind gleichermaßen begeistert vom zuverlässigen Midibus, der sich völlig geräuschlos auf einer neuen Linie zwischen dem Verkehrsknotenpunkt Neumarkt und dem Klinikgelände des Marienhospitals und des Christlichen Kinderkrankenhaus bewegt. (…)

[eingesandt von KWN]

Nachtrag, 13. Dezember. Der „Oldenburger Lokalteil“ erzählt eine dazu passende, schaurig-schöne Geschichte aus der Welt der Oldenburger „Nordwest-Zeitung“.

Das neue „Das Neue“-Bingo

Jörg Mandt hat sich etwas einfallen lassen, um für seine Zeitschrift „Das Neue“ ein bisschen Aufmerksamkeit zu generieren, die die dringend gebrauchen kann.

Er hat etwas Lustiges gemacht: Am vergangenen Samstag kam eine Sonderausgabe heraus, die die Bibel im Stil einer Klatschillustrierten nacherzählt — schließlich sei das Buch auch „der erfolgreichste Yellow der Welt“.

Und er hat etwas Lustiges gesagt: „Wir recherchieren so gut wie der ‚Spiegel‘. Bei uns finden Sie keine einzige erfundene Geschichte.“

Er hat das zum Braanchendienst „Meedia“ gesagt, insofern stimmt der letzte Satz vermutlich.

Allerdings war da zum Beispiel im Heft der vergangenen Woche dieses dramatische Stück:

Ein „trauriges Geständnis“ habe die dänische Kronprinzessin abgelegt:

Es ist selten, dass eine Prinzessin unverblümt über Gefühle spricht. Mary von Dänemark (39) tat jetzt genau das. Kurz bevor sie in ihre Heimat flog, öffnete sie als Rednerin auf einer Konferenz ihr Herz: „Einsamkeit tut weh. Es gibt einen Stich ins Herz, wenn man abgewiesen wird oder erleben muss, außerhalb der Gemeinschaft zu stehen. Wir haben das Bedürfnis nach einem Freund, der auf uns aufpasst.“

Ja, Mary scheint sich nach alldem zu sehnen.

Und dann zählt „Das Neue“ auf, wie einsam die Welt von Mary ist, und mir fehlt jede Fachkenntnis, um beurteilen zu können, was davon erfunden ist. Nur ein klitzekleines Detail haben Mandts Wahrheitsprofis weggelassen: Die Konferenz, auf der Mary „ihr Herz öffnete“ und Worte sprach, die „wie ein verzweifelter Hilferuf an die Welt klingen“, war eine zum Thema Einsamkeit.

Ihre eigene Stiftung hatte sie organisiert. Die Mary Foundation will helfen, das Tabu Einsamkeit brechen, und wies zum Beispiel darauf hin, wie viele Schüler und Studenten sich einsam fühlen. Marys Worte waren ein Hilferuf ganz anderer Art, als „Das Neue“ suggeriert. Die Prinzessin berichtet zwar tatsächlich auch von der Erfahrung eigener Einsamkeit — aber bezogen auf den Tod ihrer Mutter vor 14 Jahren.

Natürlich ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass „Das Neue“ trotzdem gelegentlich so gut recherchiert wie der „Spiegel“, und dass zum Beispiel all die aufregenden Fakten stimmen, die hinter der großen Titelgeschichte „Wie tragisch! MICHELLE HUNZIKER — Verliert sie jetzt ihre Tochter?“ stecken: Dass also Aurora, Hunzikers 14-jährige Tochter, der Fernsehmoderatorin „seit Monaten auf der Nase herumtanzt“. Dass „immer wieder dicke Luft herrscht“. Dass die Moderatorin „ihre Tochter beim Rauchen erwischte“ und sich sorgt, „weil Aurora oft stundenlang im Internet chattet“. Und dass Michelle „bei gewissen Sache keinen Spaß versteht“ und nun „wie Millionen andere Frauen die große Erziehungskrise erlebt“.

„Das Neue“ hat sogar ein Paparazzifoto gefunden, das Aurora beim Rauchen zeigt, und veröffentlicht ihr vorläufiges Rechercheergebnis: „Michelle war sicher sauer.“

Es ist natürlich alberner Quatsch, was Chefredakteur Mandt über sein Knallblatt gesagt hat. Noch alberner ist es womöglich nur, ihm ernsthaft nachzuweisen, dass es alberner Quatsch ist. Und deshalb machen wir uns wenigstens einen Spaß daraus und spielen das beliebte TitelseitenBingo. Die Frage bezieht sich diesmal auf die Titelseiten-Ankündigung zu Uschi Glas: „Hoffen und Bangen – Todesdrama!“ und lautet schlicht: Was ist passiert?

(Tipp und Beruhigung für Laien: Uschi Glas lebt. Sie lag und liegt auch nicht im Sterben.)

Es ist nichts passiert

Das Blöde am Livebloggen ist ja, dass man sich weder die Sendung vernünftig ansehen, noch ausgeruht darüber nachdenken kann. Aber mit dem Abstand von immerhin einer Stunde halte ich einen Gedanken für festhaltenswert:

Die letzte Gottschalk-Ausgabe von „Wetten dass?“ war bezeichnend für das Problem, das die Sendung seit längerem hat: Es ist nichts in ihr passiert.

Günther Jauch war zu Gast. Gottschalk und Jauch sind befreundet, können wunderbar miteinander frotzeln. Aber sie haben nichts miteinander gemacht. Jauch war nach wenigen Minuten abgemeldet, saß als Dekoration auf dem Sofa herum. Als Abschiedsgeschenk für Gottschalk hat er ein paar Ausschnitte mit Sendungshighlights mitgebracht — nichts was die Zuschauer und Gottschalk nicht schon Dutzende Male gesehen haben. Er hat sich nichts einfallen lassen, nichts riskiert.

Die ganze Sendung hindurch hat Gottschalk als Running Gag versucht, Jauch dazu zu bringen, eine seiner nächsten Shows in einem alten Anzug von sich zu moderieren. Und die Show endet, ohne dass Jauch ihn wenigstens probeweise mal anzieht?

Zwischendurch hielt Jauch die unglaublich großen Hosen von Dirk Nowitzki in die Höhe und stellte sich vor, wie Gottschalk darin wohl aussähe. Und die Show endet, ohne dass der Moderator das mal vorführt?

Kann sich jemand erinnern, was Iris Berben in der Sendung gesagt oder gemacht hat? Sie war da und trug eine fleischfarbene Bluse mit sehr unglücklich drapiertem Discokugel-Lametta, aber sonst? Iris Berben ist eine der beliebtesten und etabliertesten Schauspielerinnen Deutschlands. Sie bringt Gravität mit und ist gleichzeitig eine begnadete Komikerin — und ihr oder der Redaktion ist exakt nichts eingefallen, was man aus diesem Potential machen könnte, außer ihr ein paar Handschellen für Gottschalk mitzugeben?

Thomas Gottschalk ist ein Moderator, der am besten ist, wenn unvorhergesehene Dinge passieren — und die Verantwortlichen lassen seine letzte Sendung zu Ende gehen, ohne dass irgendetwas für ihn Unvorhergesehenes passiert? Ein Gast, mit dem er nicht gerechnet hat, eine Aktion, auf die er nicht vorbereitet war, irgendetwas anderes als alte Sendungs-Ausschnitte, irgendetwas? Irgendetwas?

Wenn dies tatsächlich das Ende einer Ära war und der Abschied Gottschalks tatsächlich die Nation bewegte, wofür viel spricht — hätte sich dann nicht irgendjemand irgendetwas einfallen lassen müssen? Vielleicht mit Politikern im Bundestag, die man vor die Kamera bekommen hätte, vielleicht mit den Fernsehgrößen dieses Landes, die jeweils in den Kulissen ihrer eigenen Sendungen eine Aktion, eine Parodie, einen Gruß gemacht hätten, möglichst jedenfalls: etwas Besonderes, etwas zuvor Ungesehenes, etwas Überraschendes, für Gottschalk, für die Zuschauer?

In der vorletzten Sendung von „Wetten dass“ gab es immerhin ein paar Momente, in denen etwas passierte: David Garrett brachte das Publikum zum Staunen, als er Geigen und Geigenspieler am Klang erkannte. Die Gäste brachten Gottschalk ein Ständchen. Und ich glaube, dass tatsächlich viele Millionen Menschen gleichzeitig den Atem angehalten haben, als es schien, als ob der junge Mann, der mit verbundenen Augen unter Wasser einen Zauberwürfel zurückdrehte, gar nicht mehr auftauchen würde, egal wie lange es dauern würde.

Es braucht gar nicht viel, um etwas passieren zu lassen. Bei einer Show mit den Möglichkeiten von „Wetten dass“ bräuchte es eigentlich nur eines: den Willen dazu.

Stefan Raab hat ihn gelegentlich, wenn nicht wieder Fließband-Wochen bei „TV Total“ sind. Als neulich Justin Bieber zu Gast war, hat er sich mit ihm ein Schlagzeug-Duell geliefert. Das war, kann man natürlich sagen, nichts Weltbewegendes. Aber es bot genau das, was gute, im besten Sinne harmlose Unterhaltung leisten kann: Vergnügen. Und Gesprächsstoff. Und man bekam sogar eine Seite von Justin Bieber zu sehen, die man noch nicht kannte; er wirkte fast befreit von der Last, immer nur in denselben Standardsituationen sich selbst zu spielen.

Als Raab vor drei Jahren bei „Wetten dass“ war, dachte er sich selbstverständlich auch etwas aus. Erst parodierte er, in Absprache mit dem Synchrondolmetscher, die klassische Internationaler-Gast-mit-Knopf-im-Ohr-Situation. Und dann huldigte er Udo Jürgens, indem er sein „Aber bitte mit Sahne“ am Flügel zum besten gab, stilecht mit eigens mitgebrachtem Bademantel.

Auch Anke Engelke und Bastian Pastewka haben einige Momente geschaffen, in denen etwas passierte, als sie als „Wolfgang & Anneliese“ bei „Wetten dass?“ auftraten und Gottschalk aus seiner Routine zwangen.

Das war einmal üblich: dass Prominente, die zu „Wetten dass“ gehen, sich etwas Besonderes ausdenken. Und diese Funktion hatten auch die Wetteinlösungen für Gäste, die sich vertippt hatten: Menschen, die wir aus dem Fernsehen in einer bestimmten Rolle kennen, dazu zu bringen, aus ihr heraus zu fallen. Unerreichbare Menschen angreifbar zu machen.

Alles vorbei. Vorletzte Sendung sollte Otto Waalkes als Wetteinlösung aus einem Eisblock einen Schlüssel herausschmelzen, was nach wenigen Minuten von allen Beteiligten gnädig vergessen wurde.

„Wetten dass“ ist eine Sendung geworden, die nichts mehr riskierte, und damit meine ich nicht lebensgefährliche Wetten. Es ist eine Sendung geworden, der es völlig genügte, dass Iris Berben auf dem Sofa sitzt, ohne sich Gedanken zu machen, was sie dort tut oder was man dort mit ihr tun könnte.

Manfred Teubner, der für sie verantwortliche Unterhaltungschef des ZDF, hört im nächsten Jahr auf, aber vermutlich ist er in Wahrheit schon lange im Ruhestand.

Thomas Gottschalk, der populärste Moderator des deutschen Fernsehens beendet eine von zehn Millionen Menschen gesehene Traditions-Show, die er und die ihn geprägt hat, und alles, was der Produktion einfällt zu seinem Abschied sind ein paar alte Ausschnitte und am Ende Laserstrahlen und die Worte „Danke Thomas“ als Leuchtschrift.

Man muss es Arbeitsverweigerung nennen.

Programmhinweis (37)

Wenn ich mich gerade mal aus dem aktuellen „Spiegel“ zitieren darf:

Es gab ja, genau betrachtet, wenig zwingende Gründe, „Wetten, dass …?“ zu gucken, außer dem, dass gerade alle „Wetten, dass …?“ gucken.

In diesem Sinne können wir gleich gemeinsam die vorläufig letzte Ausgabe der Show mit Thomas Gottschalk gucken. Zusammen mit Stefan Kuzmany, der so etwas wie der inoffizielle MetaBeauftragte von „Spiegel Online“ ist, mache ich dort einen Live-Ticker.

Gummibärchen liegen bereit. Hier geht’s lang.

Zur Vorbereitung empfehle ich auch diese Handreichung der Kollegen von der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ zur Nachfolgedebatte (Stand 12.11.)

Journalistische Qualität und Glaubwürdigkeit

Was viele nicht wissen: der Braanchendienst „Meedia“, „Deutschlands führendes Medien-Portal“, lässt zu jeder seiner „Top-Stories“ aufwendig eine eigene Fotomontage anfertigen.

Die Ressourcen muss man natürlich an anderer Stelle einsparen.
 

FAZ-Eigen-PR redaktioneller „Meedia“-Beitrag
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (F.A.S.) gibt es jetzt auch auf dem iPad. Ein eigenes Team kümmert sich nicht nur darum, dass alle Inhalte der gedruckten Ausgabe für das mobile Endgerät aufbereitet werden, sondern ergänzt diese auch durch interaktive Grafiken, Bilder und Videos. Damit wird die preisgekrönte journalistische Qualität und Glaubwürdigkeit einer der erfolgreichsten deutschen Sonntagzeitungen mit der Faszination einer neuen, multimedialen Erlebniswelt verknüpft. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) gibt es jetzt auch auf dem iPad. Ein eigenes Team kümmert sich nicht nur darum, dass alle Inhalte der gedruckten Ausgabe für das mobile Endgerät aufbereitet werden, sondern ergänzt diese auch durch interaktive Grafiken, Bilder und Videos. Damit wird die preisgekrönte journalistische Qualität und Glaubwürdigkeit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit der Faszination einer neuen, multimedialen Erlebniswelt verknüpft.
Jeweils sonntags ab 6 Uhr morgens ist die neue ipad Ausgabe verfügbar und lässt sich nach dem Download offline lesen. Auf Geräten mit der neuen iOS5 Software lässt sich die die F.A.S. App auch über den „Apple Zeitungskiosk“ laden. Abonnenten haben die Option, neue Ausgaben jeweils auf ihr Gerät gespielt zu bekommen, wenn sich das Gerät im häuslichen WLAN befindet. Jeweils sonntags ab 6 Uhrhttp://UrlBlockedError.aspx/ morgens ist die neue iPad-Ausgabe verfügbar und lässt sich nach dem Download offline lesen. Auf Geräten mit der neuen iOS5-Software ist die FAS-App auch über den Apple Newsstand erhältlich. Abonnenten haben in Kürze die Option, neue Ausgaben jeweils auf ihr Gerät gespielt zu bekommen, wenn sich das Gerät im WLAN befindet.
Die F.A.S. App ist kostenlos mit einer Testausgabe über www.faz.net/apps oder direkt im iTunes Store erhältlich. Die FAS-App ist kostenlos mit einer Testausgabe über www.faz.net/apps oder direkt im iTunes Store erhältlich. Die Einzelausgabe kostet 2,99 Euro, das Monatsabo 10,99 Euro. Für den Quartalsbezug fallen 31,99 Euro, für ein Jahresabo 124,99 Euro an.
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung wurde mehrfach für ihre redaktionelle und grafische Qualität ausgezeichnet. Bereits vier Mal gewann sie als „World’s Best Designed Newspaper“. Auch mit ihrer iPad Ausgabe setzt sie neue gestalterische Maßstäbe. Grafisch am klassischen Zeitungsdesign angelehnt, verbindet die F.A.S. iPad App eine attraktive Aufbereitung der Inhalte mit einer einfachen Bedienung und hervorragenden Lesbarkeit. Die Übersichtsfunktion ermöglicht es, die umfangreiche Zeitung komfortabel zu überfliegen und jeden Artikel direkt aufzurufen. Die iPad-Ausgabe der FAS will neue gestalterische Maßstäbe setzen. Grafisch ist sie am klassischen Zeitungsdesign angelehnt und soll die Leser mit einfacher Bedienung und guter Lesbarkeit überzeugen. Die Übersichtsfunktion ermöglicht es, die umfangreiche Zeitung zu überfliegen und jeden Artikel direkt aufzurufen.
Holger Steltzner, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „In der Sonntagszeitungs-App für das iPad werden die Vorzüge einer unterhaltsamen Qualitätszeitung mit den Vorteilen der elektronischen Welt kombiniert, bei einfacher Bedienung und Konzentration auf das Wesentliche. Die Herausforderung, das Layout der wiederholt zur schönsten Zeitung der Welt gekürten Sonntagszeitung auf einen kleinen Bildschirm zu übertragen, hat unser Art Director (KB) auf ganz eigene Art und Weise gemeistert. Wir sind gespannt, wie den Lesern unsere digitale Sonntagszeitung gefallen wird.“ Holger Steltzner, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „In der Sonntagszeitungs-App für das iPad werden die Vorzüge einer unterhaltsamen Qualitätszeitung mit den Vorteilen der elektronischen Welt kombiniert, bei einfacher Bedienung und Konzentration auf das Wesentliche. Die Herausforderung, das Layout der wiederholt zur schönsten Zeitung der Welt gekürten Sonntagszeitung auf einen kleinen Bildschirm zu übertragen, hat unser Art Director auf ganz eigene Art und Weise gemeistert. Wir sind gespannt, wie den Lesern unsere digitale Sonntagszeitung gefallen wird.“
Gemeint sind hier vor allem neue Käuferschichten, denn die Hemmschwelle für Bestandskunden ist hoch: Anders als bei den Digitalausgaben anderer Medienhäuser bietet die FAS kein Upgrade zu einem schmalen Preis für Abonnenten der Zeitung an. Wer als Printleser die FAS auf dem iPad kennenlernen möchte, muss den vollen Digitalpreis zahlen. Nach Angaben eines Sprechers gegenüber MEEDIA sei ein Kombi-Angebot auch künftig „nicht vorgesehen“.

Nachtrag, 16.23 Uhr: Stimmt gar nicht. Auf eine aufwendige Fotomontage hat „Meedia“ hier sogar verzichtet.

Martensteins gefühltes Wissen

Manche Dinge sieht man besser, wenn man nicht so genau hinschaut. Wenn man, anstatt mit der Nasenspitze drauf zu stoßen, ein paar Schritte zurücktritt.

Um einen Hindernisparcours mit dem Fahrrad oder Motorrad langsam zu durchfahren, hilft es, nicht auf die Hütchen zu starren. Den Schlüsselbund auf dem Schreibtisch findet man oft am besten aus dem Augenwinkel.

Es ist also nicht von vornherein eine schlechte Idee, dass Harald Martenstein in seiner „Zeit“-Kolumne über die Reaktionen auf die Nazimorde schreibt, obwohl er erklärtermaßen wenig davon erlebt hat. Er war in den vergangenen Wochen in den USA, wo er wenig von dem ganzen Getöse mitbekommen hat, und brachte etwas mit, das uns fehlt: Abstand. Und gesundes Nichtwissen.

Das lässt sich mit etwas Geschick in gefühltes Wissen verwandeln. Gefühltes Wissen ist das, was Kolumnisten wie Martenstein auszeichnet und lesenswert macht.

Deshalb wäre es auch Unsinn, ihm Recherchefaulheit vorzuwerfen, wenn er Sätze schreibt wie:

In den USA hatte kein Sender und keine Zeitung [über die Nazimorde] berichtet, zumindest habe ich nichts mitbekommen. Vielleicht stand in der New York Times eine Kleinigkeit, die ich übersehen habe.

Natürlich könnte er in etwa fünf Sekunden feststellen, dass in der „New York Times“ ein größerer Artikel stand, und zwar am 14. November auf Seite 4, aber man kann ernsthaft darüber streiten, ob diese exakte Information die Wahrheit wirklich treffender beschreibt als das Gefühl: nirgends stand irgendwas.

Die amerikanischen Medien waren stattdessen voll von einem spektakulären Missbrauchsfall „in einem wichtigen Sportverein“ (er meint das Football-Team der Penn-State-Universität, aber das zu nennen, wäre schon wieder die Scharf-Nah-Einstellung einer Linse, also nichts für Martensteins unfokussierten Blick). Das bringt ihn zu der Beobachtung, dass der Missbrauchsfall ja auch bei uns hätte stattfinden können, und die Nazimordserie in den USA, denn:

Es kann ja fast alles Furchtbare fast überall passieren.

Das ist natürlich richtig. Aber um das festzustellen und bei dieser Feststellung stehen zu bleiben und nicht wenigstens zu fragen, warum bestimmte Dinge trotzdem hier passiert sind und nicht woanders und andere woanders und nicht hier, muss man schon einen großen Willen zum Nichtwissenwollen mitbringen.

Auch jemand, der aussieht wie Winston Churchill kann 91 Jahre alt werden, aber wenn das passiert, ist es kein Beweis dafür, dass Ernährung und Bewegung keinen Einfluss auf die Lebenserwartung haben.

Jedenfalls kam Martenstein also aus den USA zurück und staunte, dass sich Deutschland in seiner Abwesenheit verändert hatte, weil die Menschen erfahren hatten, dass eine Gruppe von Neonazis in diesem Land jahrelang relativ unbehelligt Morde begehen konnte.

Martenstein schreibt:

Nicht selten wurden die Morde mit dem Rassismus der Deutschen oder zumindest vieler Deutscher in Verbindung gebracht oder damit, dass man den Naziterror in Deutschland notorisch unterschätzt. Moment mal, war nicht ein paar Monate vorher etwas ähnlich Furchtbares in Norwegen passiert? Es kommt mir immer widersprüchlich vor, wenn man gegen den Rassismus anschreibt und dabei einem bestimmten Volk, zum Beispiel den Deutschen, einen gewissermaßen in der Rasse angelegten Hang zum Bösen unterstellt.

Hier ist Martensteins Prinzip der Vagheit ein Ärgernis, denn ich wüsste gerne, wo er das gelesen hat. Mein gefühltes Wissen unterscheidet sich fundamental von seinem gefühlten Wissen, denn mir kommt es nicht so vor, als seien die Ausländermorde dieser Bande als Beweis dafür diskutiert worden, dass die Deutschen chronisch latent ausländermörderisch seien. Nach meiner Wahrnehmung war das besondere Entsetzen über die Taten ein Ausdruck davon, dass es ausgerechnet uns passieren konnte, die Gefahr rechtsextremer Gewalt anscheinend relativ kollektiv zu unterschätzen.

Martenstein aber vergleicht die reale Pauschalverurteilung von Muslimen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit der von ihm wahrgenommenen Pauschal(selbst)verurteilung der Deutschen, und das ist auf so vielen Ebenen abwegig, dass ich nur vermuten kann, dass er seinen gesunden Menschenverstand noch unausgepackt im Koffer hat.

Es kommt aber noch schlimmer:

Wegen der Nazimorde, las ich, habe der Bundestag sich bei den Hinterbliebenen entschuldigt. Ich fand das seltsam. (…) Indem die Volksvertretung sich entschuldigt, dachte ich, identifiziert sie sich irgendwie mit den Mördern, sie schafft ein falsches „wir“. Wir Deutschen, ihr Migranten. Als ob das sauber zu trennen wäre. Genau das wollen die Nazis doch. Der Staat soll die Nazis jagen und einsperren und nicht an ihrer Stelle Entschuldigungen abgeben.

Das ist der Fluch des gefühlten Wissens: Wenn Martenstein etwas in der Welt wahrnimmt, das ihm „seltsam“ vorkommt, dann schaut er sich als Reaktion nicht genauer die Sache in der Welt an, sondern das Gefühl in seinem Kopf. So mag er hin und wieder zwar zu originellen Erkenntnissen kommen. Deren Verbindung zur Realität lässt sich aber in diesem Fall durch eine schlichte zweiminütige Recherche kappen.

Die „Entschuldigung“ des Bundestages, die Martenstein so seltsam vorkam, lautet nämlich wie folgt:

Im Namen des ganzen Hauses, aller Mitglieder des Deutschen Bundestages, will ich unsere Trauer, Betroffenheit und Bestürzung zum Ausdruck bringen über die erschreckende Serie von Morden und Anschlägen einer kriminellen neonazistischen Bande.

Wir sind beschämt, dass die Sicherheitsbehörden der Länder wie des Bundes die über Jahre hinweg geplanten und ausgeführten Verbrechen weder rechtzeitig aufdecken noch verhindern konnten. Unsere Anteilnahme gilt den Angehörigen und eine besondere Bitte der Entschuldigung für manche Verdächtigungen von Opfern und Angehörigen, die sie während der Ermittlungen vor Ort erleben mussten.

Wir wissen um unsere Verantwortung. Wir sind fest entschlossen, alles mit den Mitteln des Rechtsstaates Mögliche zu tun, die Ereignisse und ihre Hintergründe aufzuklären und sicherzustellen, dass der Schutz von Leib und Leben und die von unserer Verfassung garantierten Grundrechte in diesem Land Geltung haben — für jeden, der hier lebt, mit welcher Herkunft, mit welchem Glauben und mit welcher Orientierung auch immer.

Gleich drei gute Gründe enthält diese Erklärung dafür, warum der Bundestag der Opfer gedachte. Erstens weil es staatliche Organe waren, die massive Fehler gemacht haben (und deren Mitarbeiter sogar, was der Bundestag allerdings nicht erwähnt, im Verdacht stehen, in die Morde verwickelt zu sein). Zweitens weil die Opfer zu Tätern gemacht wurden, indem ihnen — aufgrund ihrer Herkunft — unterstellt wurde, in dunkle Geschäfte verwickelt zu sein (der „Spiegel“ hatte noch im August suggeriert, hinter den Morden stecke „die mafiöse Organisation türkischer Nationalisten in Deutschland“: „Die Morde, so viel wissen die Ermittler, sind die Rechnung für Schulden aus kriminellen Geschäften oder die Rache an Abtrünnigen.“) Und drittens weil der Staat eine Verantwortung für die Menschen hat, die hier leben, und für die Minderheiten in besonderem Maße. Es hat eine andere Qualität, wenn Ausländer um Leib und Leben fürchten müssen, nur weil sie Ausländer sind, oder wenn Staatsvertreter als Staatsvertreter von Terroristen ins Visier genommen werden.

Von einer „Entschuldigung“ für die Taten selbst oder gar einer Entschuldigung an Stelle der Neonazis ist in der Bundestags-Erklärung keine Rede; sie aber hat Martenstein aus seinem Viertelwissen erfühlt und damit auch die Identifikation — „irgendwie“ — mit den Mörden.

Ein falsches „wir“ schaffe sie, „wir Deutschen, ihr Migranten“, „als ob das sauber zu trennen wäre“. Das war leider tatsächlich furchtbar sauber zu trennen: Die Morde an den Türken und dem Griechen wurden „Döner-Morde“ genannt — ein Begriff, den anscheinend die „Bild“-Zeitung früh geprägt hat, der aber von anderen Medien kritiklos übernommen wurde und viel darüber aussagt, wie wir Deutschen die Türken wahrnehmen.

Die Deutschen haben sich nach meiner Wahrnehmung in den letzten Wochen nicht als immer noch latentes Nazi-Volk erkannt. Die Deutschen sind einfach nachvollziehbar erschrocken, wie unfähig oder untätig ihre Sicherheitsorgane im Kampf gegen rechtsradikale Gewalt sind und wie bereitwillig wir vielleicht alle waren, in ganz falscher Weise die Ermordung von Menschen durch ihre Nationalität zu erklären.

Aber Harald Martenstein war in den USA und hat sich hinterher etwas anderes zusammengereimt. Oft hilft es ja, sich Sachen genau anzuschauen, und dann erst ein paar Schritte zurückzutreten.

Blomige Worte über Volksverhetzung

Deutschland will Pleite-Griechen mit bis zu 5 Milliarden helfen! / Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen! / Statt zu sparen, streiken die Pleite-Griechen lieber ihr Land kaputt! / Deutsches Steuergeld für die Pleite-Griechen? / Gestern haben die Pleite-Griechen offiziell Finanzhilfen von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) beantragt. / DIESE PLEITE-GRIECHEN! / BILD gibt den Pleite-Griechen die Drachmen zurück. / Reißen die Pleite-Griechen ganz Europa runter? / Pleite-Griechen: Heute General-Streik. / Ackermann ehrt Pleite-Griechen. / Pleite-Griechen, also doch! / Pleite-Griechen wollen ihre Politiker „fressen“. / Noch mehr Milliarden für die Pleite-Griechen. / Keine neuen Milliarden für Pleite-Griechen? / Schafft die Privilegien ab und hört auf zu randalieren, ihr Pleite-Griechen! / Warum war Rösler so nett zu den Pleite-Griechen? / Die Euro-Staaten wollen den Pleite-Griechen einen Teil ihrer Schulden erlassen. / Zahlreiche Politiker fordern nun den Euro-Austritt der Pleite-Griechen. / Wir bürgen für Hunderte Milliarden Euro, um die Pleite-Griechen zu retten. / Am Mittwochabend hatten Merkel und Sarkozy mit den Pleite-Griechen endlich Klartext geredet! / Heftige Schelte für die Pleite-Griechen! / So denken die Pleite-Griechen über BILD.

Das hier oben ist nur eine kleine Auswahl. 48 Artikel hat die „Bild“-Zeitung (Bundesausgabe) in den vergangenen knapp zwei Jahren veröffentlicht, in denen von „Pleite-Griechen“ die Rede war; 30 waren es allein in den vergangenen sechs Monaten.

Nun gibt es bei den Komposita, die „Bild“ so gerne schöpft und benutzt, häufiger semantische Trennunschärfen, und nicht alle sind beabsichtigt. (Anfangs hatte „Bild“ die rechtsradikalen Mörder aus Zwickau „Nazi-Killer“ genannt, bis jemandem offenbar die Doppeldeutigkeit auffiel und „Killer-Nazis“ das Standard-Synonym wurde.)

Theoretisch wäre es denkbar, dass „Bild“ mit den „Pleite-Griechen“ nur diejenigen Griechen meint, die für die gegenwärtige Krise des Landes verantwortlich sind (dass das Land genaugenommen nicht pleite ist, lassen wir mal als Spitzfindigkeit außen vor). Es wäre ebenso theoretisch auch möglich, dass „Bild“ den Ausdruck ganz nüchtern-faktisch meint: die Mitglieder eines Staates, der vom Bankrott bedroht ist.

Doch beides ist nicht der Fall. „Bild“ benutzt den Begriff ohne Zweifel als Schimpfwort. Und „Bild“ bezeichnet explizit auch die normalen Bürger des Landes, nicht nur die Politiker, als „Pleite-Griechen“. Es gibt für und in „Bild“ de facto keine Griechen mehr, nur noch Pleite-Griechen.

„Bild“ arbeitet seit Monaten systematisch daran, dass niemand an griechische Menschen denken soll, ohne das Wort Pleite mitzudenken. Die Methode ist dieselbe, die Christa Wolfs Kassandra benutzt, wenn sie den verhassten Achill immer und immer und immer wieder als „Achill, das Vieh“ bezeichnet. „Bild“ macht systematisch nicht nur einen Staat, sondern alle seine Angehörigen verächtlich. Es ist eine Form von Volksverhetzung.

Am vergangenen Wochenende hat die „Bild“-Zeitung einen Negativ-Preis für ihre Griechenland-Berichterstattung bekommen. Die „Europa-Union Deutschland“ überreichte ihr die „Europa-Diestel“, weil sie die europäischen Bürger gegeneinander aufbringe. Der Leiter des „Bild“-Hauptstadtbüros und stellvertretende Chefredakteur Nikolaus Blome nahm den Schmähpreis dummstolz entgegen.

„Bild“ widmet seiner Erwiderung heute erstaunlich viel Platz im Blatt. Es ist ein erhellendes, erschütterndes Dokument.

Es beginnt damit, dass er die bloße Kritik an der „Bild“-Berichterstattung als etwas Anrüchiges darstellt und in die Nähe eines Zensurversuchs rückt:

Man kriegt die Distel für etwas, was man besser unterlassen hätte. Für eine Zeitung heißt das: Was sie besser nicht geschrieben hätte. Soll uns der Preis ex post nahelegen zu schweigen, uns also irgendwie „mundtot“ machen?

Und dann nimmt Blome die Zuhörer mit auf eine Reise in die irre Welt, die ein leitender „Bild“-Redakteur für die Wirklichkeit hält.

Was hätten wir also nicht schreiben sollen:

Etwa den Kommentar: Tretet aus, Ihr Griechen! (im April 2010). Nun, die Forderung, sich bitte endlich zu entscheiden, haben sich die Bundeskanzlerin und der französische Präsident zwischenzeitlich ganz offiziell zu eigen gemacht.

So klingt es also, wenn „Bild“ fordert, sich bitte endlich zu entscheiden:

Darum ist die einzige wirkliche Lösung der klare Schnitt: Griechenland muss den Euro verlassen.

Ich wär gern mal bei Blomes zuhause dabei, wenn er sagt: „Uschi, du musst dich jetzt aber mal entscheiden, was du kochen willst: Erbseneintopf.“

Dass „Bild“ den preisgekrönten Nachwuchshetzer Paul Ronzheimer nach Athen schickt, um ihn dort als Deutschen mit Geldscheinen wedeln zu lassen („BILD gibt den Pleite-Griechen ihre Drachmen zurück“), ist in Blomes Welt ein:

Versuch, mit dem medienüblichen Mittel der Straßenumfrage zu erhellen, ob die Griechen ihre alte Währung zurückwollen. Inzwischen vergehen in Griechenland keine sieben Tage, ohne dass eine solche Umfrage gemacht wird.

Blomes Paralleluniversum ist ein glückliches, denn es gibt in ihm keine Häme. Jede Verächtlichmachung ist bloß eine Zustandsbeschreibung, jede hämische Forderung bloß eine Zukunftsprognose. Er zitiert die „Bild“-Schlagzeile „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen“ und stellt fest:

Auch hier verspreche ich Ihnen: Exakt so wird es kommen.

„Exakt so“ im Sinne von:

… UND DIE AKROPOLIS GLEICH MIT!

(…)

Wenn wir den Griechen doch noch mit Milliarden Euro aushelfen müssen, sollten sie dafür auch etwas hergeben — z. B. ein paar ihrer wunderschönen Inseln. Motto: Ihr kriegt Kohle. Wir kriegen Korfu.

(Und da wundert sich „Bild“, dass griechische Demonstranten immer wieder auf die Idee kommen, das Deutschland von heute mit Symbolen aus einer noch nicht ganz vergessenen Zeit in Verbindung zu bringen, als Griechenland von Deutschen besetzt war.)

Blome halluziniert, dass „Bild“ bloß anderen, seriösen Zeitungen in der Analyse voraus war. Und an der folgenden Stelle seiner Rede kann ich nur hoffen, dass er so hinter dem Rednerpult stand, dass niemand eine Erektion bemerkt hätte:

Kurzum: Ich gebe zu. Rechthaben macht Spaß. In diesem Maße recht zu haben, und zu behalten, macht fast ein bisschen Angst.

(Ein winziger Realitätscheck dazu beim geschätzten Pleite-Kollegen Pantelouris.)

Ich verdanke Blomes Text aber auch — ganz unironisch — eine brauchbare Kurzformel für die Art von populistischem Pragmatismus, die „Bild“ heute von „Bild“ etwa in den siebziger Jahren unterscheidet — einem ideologischen Kampfblatt in einer ideologischen Zeit. Blome sagt nämlich, „Bild“ hätte „Haltung“ bewiesen. „Haltung“ ist ein schöner, großer Begriff. Wie lautet die „Haltung“, die die Position von „Bild“ in dieser Sache bestimmt, Herr Blome?

Die lautet seit Anfang 2008: Rettet den Euro. Aber nicht so.

Das ist wunderbar und bringt die Postideologie von „Bild“ auf den Punkt. Rettet den Euro, aber nicht so. Rettet die Umwelt, aber nicht so. Rettet den Haushalt, aber nicht so.

Und noch etwas Fundamentales über das Selbstverständnis von „Bild“ verrät Blome, wenn er fragt:

Und glauben Sie im Ernst, BILD hätte die Griechenland-kritische Stimmung gemacht?

Dann drehen Sie es in Gedanken einmal um. Stellen Sie sich vor, BILD hätte von Anfang gesagt: „Ja, gebt Ihnen das Geld, ganz egal was sie angestellt haben, ganz gleich, ob es ökonomisch sinnvoll ist. Das ist europäische Solidarität, das schulden wir Europa.“ Hätte das die Meinung der Deutschen mehrheitlich umgepolt? Ich glaube nicht.

Man möchte lieber mit jedem Vierjährigen in der Trotzphase diskutieren als mit diesem leitenden „Bild“-Redakteur, aber tatsächlich hält man das ja bei seinem Blatt für die Alternative. Am 3. November veröffentlichte das Blatt einen „Wahlzettel zum Volksentscheid“ mit folgenden Antwortmöglichkeiten:

JA, schmeißt ihnen weiter die Kohle hinterher!

NEIN, keinen Cent mehr für die Pleite-Griechen, nehmt ihnen den Euro weg!

Sie trauen der Überzeugungskraft ihrer eigenen, nun ja, Argumente so wenig, dass sie nicht einmal fair Pro und Contra referieren können.

Das schlimmere Fundamentale steckt allerdings in Blomes als Verteidigung gemeinten Satz, dass „Bild“ die „Griechenland-kritische Stimmung“ ja nicht selbst gemacht hätte. Richtig: Das Ressentiment oder wenigstens der Reflex war sicher schon da. „Bild“ hat es nur gehegt, gepflegt und verschärft, um davon zu profitieren. Je mehr „Bild“ hetzte, um so größer wurde das Ressentiment, und je größer das Ressentiment, umso mehr wurde „Bild“ scheinbar zur Stimme des Volkes.

Man denke sich die Argumentation, dass die Hetze nicht so schlimm sei, weil die kritische Stimmung im Volk doch eh schon vorhanden war, übertragen in die zwanziger und dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die Juden-kritische Stimmung war schon da.

Blomes Vortrag endet mit den Worten:

Seien Sie froh, dass es uns gibt.

Nachtrag, 20:40 Uhr. Ganz ähnliche Gedanken in den Worten von Stefan Sichermann stehen nebenan im BILDblog.

Jeder Suizid ein Klick

Die Verantwortlichen der Online-Ausgabe des „Kölner Stadt-Anzeigers“ haben sich entschlossen, aktiv daran mitzuwirken, die Zahl der Suizide hoch zu halten — mutmaßlich, damit sie auch in Zukunft die Gelegenheit haben, aufmerksamkeitsstarke Klickstrecken wie diese zehnteilige Bildergalerie zu veröffentlichen:

Kann natürlich auch sein, dass die Bildergalerie gar kein Ausdruck von Skrupellosigkeit, sondern bloß von routinierter Gedankenlosigkeit ist. Gerade im Online-Journalismus ist das so schwer zu unterscheiden.

(Inzwischen steht da „Suizide“ statt „Selbstmorde“, was die Sache kaum besser macht.)

Nachtrag, 18:45 Uhr. Die Bildergalerie wurde von ksta.de „nach intensiver Diskussion im Netz und bei uns von der Seite genommen“.

Der Gute Mann von Axel Springer

Es ist nicht so schlecht, Mathias Döpfner zu sein. Er muss nur nach und nach, mit jeweils drei bis vier Jahrzehnten Verspätung, dezent andeuten, dass nicht alles so richtig koscher war, was der Verlag, dessen Vorstandsvorsitzender er heute ist, damals gemacht hat, um als Guter Mann von Axel Springer gefeiert zu werden.

Er muss sich dabei nicht einmal Mühe geben.

Am vergangenen Donnerstag meldeten die Nachrichtenagenturen: „Springer-Chef Döpfner bedauert ‚Bild‘-Vorgehen gegen Wallraff“. Das „Handelsblatt“ staunte:

Mathias Döpfner bricht ein Tabu. Der Chef des Medienkonzerns Axel Springer sucht die Aussöhnung mit dem Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff.

Der mutige Tabubrecher hatte sich in einem WDR-Film über die Methoden geäußert, mit denen sich Springer Ende der siebziger Jahre gegen Wallraffs Enthüllungen über „Bild“ gewehrt hatte. Der WDR verbreitete daraus vorab schon das Zitat Döpfners:

„Wenn damals Dinge in unserem Haus gelaufen sind, die sich mit unseren Vorstellungen, mit unseren Werten und im Rahmen unseres Handelns nicht vertragen — und so sieht das aus — dann wollen wir das wissen. Und wir sind gerade mitten dabei, das minutiös zu ergründen und aufzuklären. Und dann auch transparent zu machen. Wir haben nichts zu verstecken, weil, wenn damals Dinge falsch gelaufen sind, dann wollen wir sie heute zumindest wissen, um auch klar zu machen, so was tragen wir nicht mit.“

Das klingt merkwürdig verdruckst: die Kombination aus großer Aufklärerpose („minutiös aufklären“) mit dem Ziel eines zeit- und hilflosen potentiellen Aufstampfens („so was tragen wir nicht mit“).

Im Film geht die Szene mit Döpfner hier noch weiter. Der Autor fragt den Vorstandsvorsitzenden:

„Können Sie da ein konkretes Beispiel nennen? Zum Beispiel das Abhören von Telefonaten?“

Die „Bild“ konnte damals nämlich offenbar — ermöglicht durch eine „untere Ebene des Bundesnachrichtendienstes“, wie Wallraff sagt — seine Telefongespräche in der Redaktion mithören. Döpfner aber schüttelt sofort den Kopf, als der Interviewer nach konkreten Beispielen fragt, blinzelt, blinzelt, blinzelt und winkt dann ab:

„Ich weiß zu wenig. Ich glaube, es gibt noch kein ganz konkretes und abgeschlossenes Bild, aber ich denke, das soll es so schnell wie möglich geben. Uns würde das jedenfalls sehr interessieren und da sollten alle mitwirken, die was wissen.“

Döpfner weiß zu wenig. Er ist wirklich wahnsinnig interessiert an dem, was damals passiert ist. Aber dann doch nicht interessiert genug, um sich einfach zu informieren.

1979 ist Wallraffs Buch „Zeugen der Anklage“ erschienen, eine Art Fortsetzung von „Der Aufmacher“ und in vieler Hinsicht eindrucksvoller, bedrückender, überzeugender als das Protokoll der Hans-Esser-Aktion. Darin findet sich ein Kapitel „Die Parallelschaltung“. Wallraff zitiert ausführlich aus Protokollen, die in der „Bild“-Redaktion von den mitgehörten und aufgezeichneten Telefongesprächen angefertigt wurden. Er veröffentlicht die eidesstattliche Erklärung eines „Bild“-Redakteurs, wonach er 1976 Zeuge wurde:

„wie in der Kölner BILD-Redaktion eine Abhörschaltung an den Privattelefonanschluß des Schriftstellers Günter Wallraff hergestellt wurde. Dabei wurden ein- und ausgehende Telefongespräche des Privatanschlusses von Herrn Wallraff über Tischlautsprecher mitgehört und auf Tonband aufgenommen. Dies geschah im Beisein von sechs Redakteuren und einem Fotografen.“

Wallraffs Buch ist voll sehr konkreter Vorwürfe und sehr konkreter Belege. Und Mathias Döpfner setzt sich zweiunddreißig Jahre später vor eine Fernsehkamera und tut, als wüsste man ja noch nichts über die Zeit damals, als sei das alles eine sehr verschwommene Geschichte, über die sich gerade erst der Nebel lichtet.

Jedem Politiker, jedem Wirtschaftsführer würde eine solche Wurstigkeit von Journalisten um die Ohren gehauen. Aber Döpfner zollt man Respekt für seinen „Tabubruch“, seine leeren Versöhnungsgesten?

Ich kann mir schon vorstellen, dass es eine Gratwanderung für Döpfner ist, mit der langen Verleugnungs- und Rache-Tradition seines Verlages zu brechen. Doch seine Äußerungen im WDR-Film sind unredlich. Er sagt etwa:

„‚Bild‘ war in den sechziger und in den siebziger Jahren so etwas wie der Lieblingsfeind eines linksliberalen intellektuellen Millieus. Und insofern war es sicherlich ein sehr begehrliches Ziel. Und ein journalistisch interessanter Stoff, sich damit auseinanderzusetzen. Und es ist ja sicher so, dass ‚Bild‘ aus heutiger Sicht damals nicht alles richtig gemacht hat und Fehler gemacht hat, und insofern, rein unter journalistischen Gesichtspunkten kann ich [Wallraffs Vorgehen] gut nachvollziehen.“

Nein. Nein.

„Bild“ hat nicht nur „aus heutiger Sicht“ damals Fehler gemacht. Es hätte auch damals schon jedem Beteiligten klar sein müssen, dass die „Bild“-Methoden unzulässig waren. Das ist nichts, wie Döpfner suggeriert, das man erst mit irgendeinem Fortschritt in der Evolution der journalistischen Ethik in den vergangenen drei, fünf, elf Jahren erkennen konnte. Es war erkennbar falsch.

Und es ist auch nicht so, wie Döpfner suggeriert, dass „Bild“ bloß aus ideologischen Gründen von den Linken angegriffen wurde, etwa, weil „Bild“ sich gegen jeden gesellschaftlichen Fortschritt stemmte. „Bild“ war nicht deshalb ein legitimes Ziel für Wallraffs Undercover-Aktion, weil „Bild“ konservative Politik machte. Sondern weil „Bild“ log, manipulierte, Leben zerstörte.

Aus Döpfners Sätzen spricht kein Aufklärer. Sondern jemand, der hinter aufklärerischer Fassade weiter Geschichtsklitterung betreiben will, nur in zeitgemäßerer, erfolgversprechenderer Form.

Döpfner weiter:

„Da ist sicherlich auf Seiten des Axel Springer Verlages einiges falsch gemacht worden. Man hat sich durch diese Rolle als Lieblingsfeind der Achtundsechziger einfach zu sehr in eine Bunkermentalität geflüchtet und hat Positionen verhärtet und verschärft und sich damit auch selbst geschadet. Auf der anderen Seite glaube ich, dass natürlich viele Klischees, die sich damals gebildet haben, Anti-Springer-Klischees, Anti-‚Bild‘-Klischees, vermutlich schon damals nicht richtig waren und auch damals nicht fair waren.“

Auf subtile Weise rückt Döpfner, während er vorgeblich das Verhalten von Zeitung und Verlag damals kritisiert, die „Bild“-Zeitung mindestens teilweise in eine Opferrolle. Ein Opfer, dem von den Achtundsechzigern in einer Weise zugesetzt wurde, dass es sich falsch gewehrt hat.

Dann relativiert er gleich wieder, auf seine unnachahmliche über den Dingen schwebende Art: „Bild“ und Springer hätten teilweise unrecht gehabt, aber die Kritik an „Bild“ und Springer sei auch ungerecht gewesen.

Man dürfte hier jetzt vermutlich wieder nicht nachfragen, ob er dafür mal ein konkretes Beispiel für ein ungerechtes Anti-„Bild“-Klischee nennen könnte, und welche der vielen nicht nur und nicht erst von Wallraff belegten Manipulationen durch „Bild“ einer Überprüfung nicht standhalten. Vermutlich gibt es auch da „noch kein ganz konkretes und abgeschlossenes Bild“.

Natürlich ist es begrüßenswert, wenn Springer jetzt tatsächlich die Vorgänge rund um Wallraffs Enthüllungen aufarbeiten will. Aber wäre es vom Vorstandsvorsitzenden wirklich zuviel verlangt, sich zumindest auf den Stand von 1979 zu bringen, bevor er öffentlich den Aufklärer gibt?

Und die Formulierung „uns würde das jedenfalls sehr interessieren und da sollten alle mitwirken, die was wissen“ klingt für mich frappierend nach der Haltung, die Springer bei späten Dokumentation der unrühmlichen Verlagsgeschichte um 1968 entwickelte. Aus der spät erkannten Notwendigkeit, die eigene Geschichte kritisch zu erforschen, wurde ein Vorwurf an die Kritiker, sich der Debatte zu verweigern — weil die nicht nach Springers historischem Zeitplan und unter Springers Bedingungen diskutieren wollten.

Aber immerhin: Springer ist bei der Auseinandersetzung mit den eigenen Fehlern und Versäumnissen jetzt schon in den siebziger Jahren angekommen. Womöglich dauert es jetzt nur noch zwanzig, dreißig Jahre, bis der Vorstandsvorsitzende sich auch öffentlichkeitswirksam selbstkritisch Gedanken macht, wie „Bild“ in den vergangenen zehn Jahren gelogen, manipuliert, Menschenleben zerstört und ein ganzes Volk wie die Griechen verhetzt hat.

Aber vielleicht weiß man dazu ja einfach noch zu wenig.