Bussi-Bussi, Bling-Bling, Balla-Balla

„Die Grundlagen des dualen Fernsehsystems verpflichten auch private Rundfunkstationen zu einer umfassenden politischen Berichterstattung. Diesem Informationsauftrag können wir durch Ihre heutige Entscheidung nicht gerecht werden.“

(Aus dem Protestschreiben von RTL, ProSiebenSat.1 und N24 an den Bundespräsidenten.)

Tja. Wie soll man über ein Gespräch berichten, bei dem man nicht selber dabei war? Das man nur vollständig zur Verfügung gestellt bekommt?

Zum Glück ist dem Münchner Privatsender Sat.1 dann doch noch ein Weg eingefallen, seinem Informationsauftrag trotz dieser erschwerten Bedingungen in vollem Umfang gerecht zu werden. Er hat sich an eine Frau gewandt, die es gewohnt ist, Dinge zu analysieren, die sie gar nicht wissen kann. Eine Frau, die weiß, wie die Dinge laufen in der Welt, und sich nicht scheut, sie auf den Punkt, vorzugsweise aber noch auf das Komma und das Ausrufezeichen zu bringen. Eine Frau, die als Möbelstück und Maskottchen im sendereigenen Frühstücksfernsehen lebt.

Sibylle Weischenberg.

Sibylle Weischenberg weiß nicht nur zuverlässig, was die Trendfarbe des nächsten Sommers ist, wer schön singt bei „The Voice“, wie ehrlich ein Liebesbekenntnis eines beliebigen Prominenten ist und mit wieviel Make-Up und welcher Frisur man gerade noch nicht irgendwo eingewiesen wird, wenn man nach der Arbeit das Sat.1-Studio verlässt. Sie weiß auch, was Pressefreiheit und Zensur ist.

Zensur ist zum Beispiel, weiß Sibylle Weischenberg, wenn Millionen von Menschen, die sonst eigentlich nur Barbara Salesch und Inka Bause gucken, gezwungen werden, auf der Fernbedienung das erste oder zweite Programm zu finden, um ein zwanzigminütiges Gespräch mit dem Bundespräsidenten sehen zu können:

„Wulff hat einfach mal eine Millionenschar von Menschen damit ausgeklammert, die nämlich bei den privaten Sendern vorzugsweise schauen. Das ist eine Unverschämtheit, auch das ist wieder eine Art von Zensur.“

Ein „Eingriff in die Pressefreiheit“ ist das, weiß Sibylle Weischenberg, ein „Skandal ohnegleichen“.

Aber sehen Sie selbst die wichtigsten Ausschnitte aus der gestrigen Analyse des Interviews des Bundespräsidenten. Es gestikuliert: Sibylle Weischenberg vom Sat.1-Frühstücksfernsehen. ((Hinweis für Menschen, die nur selten deutsches Privatfernsehen gucken: Es handelt sich nicht um eine Parodie.))
 

Sie sahen: Sat.1 beim Erfüllen seines Informationsauftrages. Oder um es mit Sibylle Weischenberg zu sagen: „Hallo?“

Wie die Privatsender einmal fast ihrer Informationspflicht nachgekommen wären

Jetzt verstößt der Bundespräsident auch noch gegen das Duale System. Das, so träumen die Privatsender, gebietet ihm, wenn er ARD und ZDF ein Interview gibt, auch ProSiebenSat.1, RTL, n-tv und N24 ein Interview zu geben. Weil Christian Wulff das nicht getan hat, haben sie ihm einen Protestbrief geschrieben. Sie müssen verrückt geworden sein.

Es ist natürlich mindestens ungeschickt (aber in seiner Ungeschicklichkeit fast schon wieder konsequent) von Wulff, den Vorwurf, ein gestörtes Verhältnis zur Presse zu haben, nicht auch vor der Presse auszuräumen, sondern nur gegenüber zwei Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ich wüsste eine ganze Reihe von Kollegen, von denen ich mir wünschte, dass Wulff ihnen Rede und Antwort stehen würde und müsste. Nur fällt mir spontan niemand vom deutschen Privatfernsehen dabei. Das ist vielleicht kein Zufall.

Die Privatsender tun so, als hätten sie quasi einen Rechtsanspruch darauf, dass Wulff sich ihnen gegenüber erklärt. Eine N24-Sprecherin sagte, seine Entscheidung, „das duale System einfach zu ignorieren“, sei weder nachvollziehbar noch werde sie dem Amt an sich gerecht. Eine Sat.1-Sprecherin sagte, das Interview verstoße gegen die Grundlagen des dualen Fernsehsystems. Gemeinsam beklagten die Privatsender, sie könnten ihrem Informationsauftrag „durch Ihre heutige Entscheidung nicht gerecht werden.“

Die Pflicht zur umfassenden politischen Berichterstattung ist eine Sorge, die RTL und ProSiebenSat.1 sichtlich umtreibt wie kaum eine andere.

Im Grunde zeigt RTL nur darum soviel „Deutschland sucht den Superstar“, „Bauer sucht Frau“ und „Alarm für Cobra 11“ und füllt seine Informationssendungen und Magazine nur deshalb mit soviel Müll und Quatsch, weil der Bundespräsident in dieser Zeit nicht mit dem Sender reden will. RTL hat als Marktführer mit eigenem Nachrichtensender auch Erfahrung damit, große, weltbewegende und preisgekrönte Interviews mit umstrittenen Staatsmännern angemessen zu präsentieren. Als Antonia Rados vor einem Jahr exklusiv 40 Minuten lang mit Libyens damaligem Herrscher Muammar al Gaddafi sprechen konnte, war RTL das nicht weniger als drei Minuten kostbare Sendezeit wert.

Oder ProSieben. Sicher, die Hauptnachrichtensendung namens „Newstime“ ist eine zehnminütige Pinkelpause im Vorabendprogramm zwischen „taff“ und den „Simpsons“, aber an wem liegt das denn? An ProSieben etwa? Nein, am Bundespräsidenten! Und mit einem Gastauftritt bei „TV Total“ hätte Wulff nicht nur das Duale System gerettet, sondern sogar endlich mal die jungen Wähler erreichen können.

In den Sat.1-Nachrichten war eines der drei „Top-Themen“ gestern, dass am nächsten Tag die sendereigene Casting-Show „The Voice of Germany“ weitergehen würde. Aber ich bin mir sicher, hinterher hätte man sicher noch ein bisschen Platz in der Sendung gefunden, um eineinhalb Fragen von Peter Limbourg an den Bundespräsidenten zu zeigen. Wodurch der Sender seiner Informationspflicht nachgekommen wäre.

Es ist fast zu albern, um sich darüber aufzuregen, aber: Wirklich? Das soll jemand glauben? Die Privatsender konnten ihrer Informationspflicht nicht nachkommen, weil Peter Kloeppel, Peter Limbourg oder Aiman Abdallah nicht selbst dem Bundespräsidenten gegenüber saßen?

ARD und ZDF haben den anderen Programmen frühzeitig die Aufzeichnung des Interviews zur Verfügung gestellt. Die durften drei Minuten daraus zeigen.

Die Sat.1-Nachrichten waren selbst damit überfordert. Das klang dann so:

Off-Sprecher: Als Erklärung für den Anruf [bei „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann] nennt Wulff, dass er Freunde und Familie beschützen wollte.

Wulff: Nein, denn ich hatte die ganzen Wochen über große Unterstützung von vielen Bürgerinnen und Bürgern, meiner Freunde, auch der Mitarbeiter.

Hä? Ah: Wulffs Antwort und das „Nein“ beziehen sich eigentlich nicht auf den Schutz von Freunden und Familien, sondern auf die Frage, ob er an Rücktritt gedacht hat. Dafür zeigt Sat.1 in dem dreieinhalbminütigen Nachrichtenbeitrag einen Satz Wulffs versehentlich gleich zweimal. Die Kernkompetenz des Senders liegt doch eher im Alte-Kassetten-aus-dem-Keller-Holen.

Noch einmal: Es hätte Wulff gut angestanden, sich nicht nur ARD und ZDF zu stellen und nicht nur in dem engen Korsett einer 20-minütigen Fernsehsendung. Aber dem Boulevardsender RTL und den Sparkanälen Sat.1 und ProSieben, die sonst auf ihre Informationspflicht sch pfeifen, sowie den Rumpelsendern n-tv und N24 war er kein Interview schuldig. Und schon gar nicht wäre er damit dem Dualen System oder gar seinem Amt gerecht worden.

Ein Mann für den letzten Dreck


Fotos: NDR

Der NDR hat eine wunderbare kleine Fernsehserie produzieren lassen. Das darf aber niemand erfahren.

Deshalb hat der Sender sicherheitshalber nicht groß Pressearbeit gemacht für den „Tatortreiniger“. Es wäre ein Leichtes gewesen, Aufmerksamkeit für diese Serie zu generieren, denn die Hauptrolle spielt der wunderbare Bjarne Mädel, der mit dem Bürotrottel Ernie in „Stromberg“ und dem Dorfpolizisten Schäffer in „Mord mit Aussicht“ zwei Kultfiguren geschaffen hat. „Stromberg“-Regisseur Arne Feldhusen führte auch beim „Tatortreiniger“ Regie.

Aber den Programmzeitschriften scheint niemand Bescheid gesagt zu haben. In der „TV Spielfilm“, die sonst zuverlässig auf Neustarts hinweist, fehlt hier das markante Textmarker-Gelb und jede weiterführende Information ((Korrektur: Das gilt nur für die „TV Spielfilm XXL“; in der normalen „TV Spielfilm“ gibt es einen Hinweistext)); die „Hörzu“ lenkt auch keine Aufmerksamkeit auf die neue Serie, die sie zudem fälschlicherweise als Krimiserie bezeichnet, was natürlich immer noch besser ist als in der „TV Movie“, wo man die Comedy für eine Doku-Soap hält.

Montag vormittag verschickte die Pressestelle des Sender eine nüchterne Programmankündigung. Immerhin nicht erst nach der Ausstrahlung.

Die erste Folge der neuen Serie läuft am heutigen Mittwoch um 22.25 Uhr. Wenn Sie das wissen und schon ein bisschen Erfahrung haben im Fernsehgucken — wann, würden Sie tippen, läuft die zweite Folge?

Falsch. Sie läuft am morgigen Donnerstag um 22.30 Uhr. ((Ich habe in meinem Artikel im „Spiegel“ natürlich prompt den Fehler gemacht und behauptet, die Serie liefe immer mittwochs abends. Das hat leider nicht einmal die sonst fantastische „Spiegel“-Dokumentation gemerkt, der aber dafür — anders als mir — aufgefallen ist, dass der NDR nicht einmal weiß, wie die Hauptfigur seiner Serie heißt: Er heißt Heiko Schotte, nicht Schott. Aber das nur am Rande.)) Und Folgen 3 und 4?

Wieder falsch. Die laufen erstmal gar nicht. Weshalb der NDR die vierteilige Serie ohne erkennbare Ironie als „zweiteilige Serie“ ankündigt.

Nun könnte man denken, dass die Teile 3 und 4 vielleicht noch nicht fertig produziert sind. Oder dass sie nicht gut genug geworden sind, um sie auszustrahlen. Das stimmt aber nicht, denn der NDR hat sie bereits ausgestrahlt. Der NDR hat die komplette vierteilige Serie bereits ausgestrahlt. Dies waren die Sendedaten:

  • Folge 1: 23. Dezember, 3:30 Uhr
  • Folge 2: 25. Dezember, 5:00 Uhr
  • Folge 3: 26. Dezember, 4:30 Uhr.
  • Folge 4: 27. Dezember, 5:30 Uhr.

(50.000 Menschen sahen laut GfK die zweite Folge im Weihnachtsmorgengrauen. Das entspricht einem Marktanteil von 2,1 Prozent. In der jungen Zielgruppe waren es 30.000 Zuschauer und 1,8 Prozent Marktanteil. Wie viele davon bei Bewusstsein waren, gibt die Statistik wie üblich nicht her.)

Dass der NDR die Erstausstrahlung so kunstvoll versteckt hat, ist eher kein Versehen: Ich nehme an, dass die Sendungen aus Budgetverrechnungs- oder Abschreibegründen noch 2011 versendet werden mussten. RTL macht das so ähnlich. Die Leute sollen aber natürlich trotzdem die spätere, „richtige“ Ausstrahlung für eine Premiere halten. Damit die Aufmerksamkeit des Publikums maximiert werden kann.

Wenn man Aufmerksamkeit für das entsprechende Programm wecken wollen würde. Also, anders als augenscheinlich der NDR jetzt.

Aber es wäre womöglich auch Verschwendung, eigene Energien und die des Publikums zu vergeuden für einen lächerlichen Zweiteiler. Und einfach regulär vier Wochen am Stück kann das NDR-Fernsehen den „Tatortreiniger“ nicht zeigen, weil der Sendeplatz am späten Mittwochabend belegt ist. Hier wiederholt der NDR schließlich das „Großstadtrevier“, aktuell Folgen aus den Jahren 1999 und 2000.

Es ist ein unfassbares, allumfassendes Elend und vermutlich steckt nicht einmal böse Absicht dahinter, sondern die übliche Mischung aus Ahnungslosigkeit, Desinteresse und bürokratischen Zwängen.

Ich würde mich auch nicht so drüber aufregen, wäre nicht das, was der NDR da versteckt, so zauberhaft geworden. Die Schauspieler sind wunderbar; Bjarne Mädel gibt überzeugend einen bauernschlauen Malocher; die Geschichten handeln auf eine ganz und gar unpathetische Weise vom Sinn des Lebens im Angesicht des Todes; sie sind gleichzeitig zart und albern, überraschend und wahr. Ein größerer Teil der ersten Folge spielt mit der Erwartung, dass es in der nächsten Sekunde zum Oralverkehr zwischen den beiden Protagonisten kommen müsste, was besonders amüsant ist, wenn man es sich im Dritten Programm des NDR vorstellt. Und dann ist da noch der umwerfende Monolog, mit dem der Tatortreiniger der Prostituierten erklärt, warum Krawattenverkäufer wirklich ein total abwegiger Beruf ist.

Es ist bestimmt kontraproduktiv, übertriebene Erwartungen zu wecken, aber für mich war es die lustigste deutsche Serie, die ich seit langem gesehen habe. Dem geschätzten Kollegen Hans Hoff von der „Süddeutschen“ ging es ähnlich.

Die erste Folge ist auch auf der „Facebook“-Seite zur Sendung zu sehen.

Was ist das Tollste an diesem Winter?

Ich habe hier einen kurzen Ausschnitt aus der 19-Uhr-Ausgabe der „heute“-Sendung im ZDF. Schauen Sie mal, ob Sie die exakte Stelle erraten können, an der der Herr Heinser beim Zuschauen rote Flecken im Gesicht bekam.

Also, so orangerote.
 

(Erstaunlicherweise lief derselbe „Ja ist denn schon Frühling“-Beitrag in der 17-Uhr-Ausgabe von „heute“ mit dem Satz „… wie hier in Stuttgart…“ anstelle von „… wie hier in München …“ und mit Menschen, die sich einfach freuten, sich nicht so dick anziehen zu müssen, anstelle von blöden Modegetränknamedropperinnen. Naja. München.)

Der Wetter-Astrologe

In Hamburg, Köln und Berlin wurden am 2. Weihnachtstag mehr als zehn Grad gemessen. Es ist warm in Deutschland.

So warm, dass der Online-Auftritt von „Bild“ von einem „Tropenwinter“ spricht. Dabei sind die Temperaturen auch ein persönlicher Affront gegen das Blatt. Offenbar will sich das Wetter partout nicht an den Trend halten, den „Bild“ Ende Oktober vorgegeben hatte:

(Die warmen Tage der vergangenen Woche sind das, was auf der Grafik mit dem tiefsten roten Punkt, der Schneewolke und dem blauen „-12°C“ beschriftet sind.)

Seit einiger Zeit veröffentlicht die „Bild“-Zeitung alle drei Monate solche Langfristprognosen über das Wetter. Sie denkt sie sich nicht selber aus, sondern lässt sie sich ausdenken von den Experten von wetter.net.

Redaktionsleiter von wetter.net ist Dominik Jung. Er bezeichnet sich als „Diplom-Meteorologe und Langfrist-Experte“. Er lässt sich nicht davon beirren, dass seriöse Meteorologen sagen, man könne das Wetter gar nicht für mehrere Monate im Voraus vorhersagen. Er hat vor zehn Jahren ein Langfristmodell entwickelt, das er „Prognostica Magna“ nennt und für einen Erfolg hält.

In publizistischer Hinsicht stimmt das sicher. Jung und sein kommerzieller Wetterdienst, der zur Firma Q.met gehört, schaffen es mit ihren Langfristtrends immer wieder in die Medien. Sie erscheinen nicht nur regelmäßig in „Bild“, Bild.de und „Bild am Sonntag“, sondern wurden u.a. auch von „Focus Online“, „Freier Presse“, „Express“, „Berliner Zeitung“, „tz“, „Wiesbadener Kurier“ und dpa erwähnt.

Aber die Zukunft vorherzusagen, ist leicht. Das Kunststück besteht darin, sie richtig vorherzusagen.

Nun:

  • Für Anfang Dezember 2010 hatte wetter.net in „Bild“ Temperaturen von plus zehn bis 15 Grad vorausgesagt. Tatsächlich herrschte in ganz Deutschland zu dieser Zeit Dauerfrost. Das Land lag unter einer geschlossenen Schneedecke. Auch die außerordentlich schneereichen Tage um Weihnachten herum ließen sich aus der wetter.net-Langfristprognose nicht erahnen.
  • Dafür sagte wetter.net für den Januar Dauerfrost vorher. Nun aber war es vor allem Mitte des Monats sehr mild. Die Temperaturen sanken erst Ende Januar / Anfang Februar — genau in dem Zeitraum, für den wetter.net mildes Wetter vorhergesehen hatten.
  • Der Februar 2011 sollte laut wetter.net klirrend kalt werden. Er war zwei Wochen lang sehr mild.
  • Die Langfristprognose für den Juli: „überdurchschnittlich warm“. Tatsächlich lagen die Temperaturen fast überall unter dem langjährigen Mittel.
  • Für Mitte Juli hatte wetter.net vorausgesehen, dass die Temperaturen die 40-Grad-Marke erreichen; auch der August sollte „heiß und trocken beginnen“. Die Abweichungen zwischen der Vorhersage und der tatsächlichen Temperatur betrugen in diesem Zeitraum teilweise 20 Grad.
  • Dann war da der November 2011 — ein Monat, der eher zu warm war und extrem trocken und der mit außerordentlich hoher Sonnenscheindauer für Furore sorgte. Die Aussichten von wetter.net lauteten: Der „graue Monat“ werde „besonders dunkel ausfallen und auch bei der Sonnenscheindauer unter dem langjährigen Schnitt landen.“
  • Laut wetter.net-Prognose hätte bereits Ende November der Winter beginnen sollen. Für Dezember, Januar und Februar kündigte Dominik Jung einen „schneereichen“ und „knackig kalten“ Winter an. Die Chancen auf weiße Weihnachten stünden gut. Tatsächlich war der Dezember bekanntlich außerordentlich warm; der große Schnee blieb bislang aus.

Natürlich lag Jungs „Prognostica Magna“ keineswegs immer daneben — das wäre aber auch schon rein statistisch nicht anzunehmen.

Jung sagt, seine „Langfristtrends“ seien nicht so genau wie Wettervorhersagen, gäben aber „die Marschrichtung vor“. Gegenüber der Fernsehzeitschrift „Gong“ gab er die Trefferquote dieser „Trends“ mit „65 bis 70 Prozent“ an. Wenn er ein bisschen großzügig rechnet, was noch als „Treffer“ gilt, ist er damit gar nicht so weit von der fünfzigprozentigen Trefferquote entfernt, die ich mit meiner erfundenen „Prognostica Gorilla“ erziele, deren Vorhersagen im Wesentlichen auf einer Auswertung beruhen, ob die tägliche Exkrementmenge eines Dutzend speziell dafür trainierter Affen eine gerade oder ungerade Zahl Pfund wiegt.

Bereits Mitte September hatte Jung für Deutschland den „vierten zu kalten Winter in Folge“ prognostiziert und versucht, den PR-Effekt noch zu verstärken, indem er Fallhöhe und Zahl der Konjunktive erhöhte: Er malte sich aus, was möglicherweise passieren könnte, wenn das, was er aus seinen Karten las, einträfe:

Droht uns diesen Winter der große Blackout?

(…) „Der Jahreszeitentrend unseres Langfristmodells Prognostica Magna geht für die Wintermonate Dezember, Januar und Februar erneut von einem ‚zu kalten‘ Winter aus. (…) Das wäre der vierte zu kalte Winter in Folge und damit eine kleine Sensation.“ (…)

Der kommende Winter könnte somit nach der Projektion von WETTER.NET das von den Strombetreibern angemahnte Szenario schneller wahr werden lassen, als uns lieb ist. Durch die Kälte würde der Stromverbrauch erneut sprunghaft in die Höhe schnellen. Und das nicht nur in Deutschland. Auch unsere unmittelbaren Nachbarn wären betroffen und müssten mit höherem Stromverbrauch rechnen. (…)

Jungs Warnung: Dieser Winter kann ziemlich „heiß“ werden — allerdings nur im übertragenen Sinn! Der Winter startet Ende November und es gibt in Deutschland noch viel zu tun!

(Kann natürlich sein, dass ich Jung unrecht tue und er hier gar nicht PR für seine Firma macht, sondern für die Atomstromlobby der Energiekonzerne.)

Die Leute von wetter.net veröffentlichten sogar eine Infografik, aus der eine genaue „Mitteltemperatur für den Winter in Deutschland“ hervorgeht (minus 1 Grad und damit 1,2 Grad unter dem langjährigen Mittel).

Jung schreibt mir auf Nachfrage, jedes Medium werde von wetter.net bei den Langfristprognosen „ausführlich auf die Unsicherheiten hingewiesen. Wir argumentieren hier immer mit entsprechenden Eintreffwahrscheinlichkeiten.“ Angesichts seiner eigenen Pressemitteilungen, die weitgehend ohne solche Warnungen und Argumente auskommen, ist es unwahrscheinlich, dass das stimmt.

Er räumt ein, dass es „derzeit für meinen Wintertrend in der Tat nicht gut aussieht“ — im Gegensatz zu den drei vorangegangenen Jahreszeiten, bei denen er „durchaus eine gewisse Trefferquote sieht“. Ein abschließendes Urteil über die Winterprognose sei aber erst am 1. März 2012 möglich.

Jung meint deshalb auch nicht, dass seine ausführliche Warnung vor Stromengpässen und Problemen bei der Bahn (die „mächtig in die Bredouille geraten dürfte“) voreilig gewesen sei.

Natürlich kann das alles noch kommen, der Horrorwinter, das Schnee- und Energiechaos, vielleicht Ende Januar, womöglich im Februar, sogar im März. Falls ja, wird Jung das sicher als Beweis dafür verkaufen, dass sein Modell funktioniert. Falls nicht, dann eben den nächsten Frühling, Sommer oder Herbst, wann immer er mal wieder richtig liegt.

Jung legt Wert auf die Feststellung, dass die Langfristprognosen nichts mit den Wettervorhersagen zu tun haben, die sein Unternehmen Medien und anderen Kunden verkauft:

Das Thema Langfristtrend läuft bei uns quasi als kleiner Bereich nebenher. Wir haben dafür in den letzten Jahren ein entsprechendes Modell entwickelt bzw. arbeiten daran. Fertig wird man mit so etwas bekanntlich nie, da man immer nur versuchen kann die Qualität hier und da etwas zu verbessern.

Unsere Trends stellen wir dann kostenfrei allen unseren Kunden regelmäßig zur Verfügung. Wie diese dann weiterverarbeitet werden, obliegt den jeweiligen Redaktionen.

Das klingt nach einem erstaunlichen Konzept: mit kostenlosen halbseidenen Prognosen Aufmerksamkeit zu wecken, um damit Kunden für seriösere Arbeiten zu gewinnen. Falls das funktioniert, dann nur deshalb, weil vielen Medien letztlich egal ist, ob die spektakulären Prognosen von Jung je eintreten. Für sie zählt nur, dass es spektakuläre Prognosen sind. Wer anbietet, was die Konkurrenz nicht anbietet, weil sie es für unseriös hält, hat es nicht schwerer, sondern leichter, in die Medien zu kommen — nicht nur in die „Bild“.

Jörg Kachelmann, dessen Firma Meteomedia ein Konkurrent von wetter.net ist, arbeitet sich auf Twitter schon seit einiger Zeit an Jungs schiefen Prognosen ab. Jung prahlte damit sogar in einer Pressemitteilung und schrieb: „Erst vor kurzem hatte Alt-Wettermann Jörg Kachelmann voller Neid gegen Jung´s erfolgreiche Langfristtrends gewettert.“

Kachelmanns Attacken sorgten im Frühjahr schon einmal für Nachrichten — brachten aber die meisten Journalisten nicht dazu, herausfinden zu wollen, ob vielleicht eine Seite recht hat. Viele Medien interpretierten das einfach als eine Art Zickenkrieg: „Bild am Sonntag“ suggerierte böswillige Rufschädigung und unterstellte „Eitelkeiten“ (und vergaß natürlich den Hinweis, dass man selbst Partei ist weil wetter.net dem Blatt die Wetterdaten liefert).

RTL vermutete sendertypisch gehässig-ahnungslos: „Ist das Neid oder kann der gefallene Wetterkönig Kachelmann seinen Imageschaden nicht verschmerzen?“ und urteilte schlicht: „Jörg Kachelmann sorgt mal wieder für Negativ-Schlagzeilen.“

Ein Wetter-Astrologe, der die Zukunft falsch aus dem Kaffeesatz liest, tut das erstaunlicherweise nicht.

[Offenlegung: Jörg Kachelmann hat hier mal einen Gastbeitrag geschrieben.]

Aber als Kombi ein echter Hingucker

Es gibt vieles, was an der „Aktuellen Stunde“ des WDR-Fernsehens verstörend ist. Vielleicht nichts so sehr, dachte ich bisher, wie die Doppelmoderationen mit ihrer roboterhaften Natürlichkeitssimulation und der täglichen Teilnahme an der Weltmeisterschaft im Synchronkartenhalten.

Am Montag sagten sie mit ihrer unverwechselbaren Lust an der Debilität den vierteiligen Jahresrückblick des Regionalmagazins an:

Martin von Mauschwitz: „Unser Jahresrückblick ist — jetzt auch schon traditionell — ein Bildgewitter und Fernsehkunst. Manchmal wild, aber definitiv bewegend. Heute sind wir im Winter, also Januar bis März.“

Susanne Wieseler: „Was war da los? Zu Guttenberg wird zurückgetreten. Das Wetter dreht Pirouetten. Und dann natürlich die Katastrophe von Fukushima.“

Martin von Mauschwitz: „Ganz düster. Und auch der Mond war finster. Teilweise, Phasenweise.“

Der Vorteil einer solch grunzdämlichen Moderation ist es, dass der entsprechend angesagte Beitrag im Vergleich mit ihr fast zwangsläufig intellektuell wirken muss. Es sei denn, es gelingt ihm, sie an stolzer Gedankenlosigkeit noch zu übertreffen. Herzlich Willkommen zum Jahresrückblick 2011 der „Aktuellen Stunde“.

Beschäftigen wir uns exemplarisch mit dem dritten Teil: „Sommer“.

Verschriftlicht lässt sich der Inhalt des fünfminütigen Films und also der Sommer 2011 in der „Aktuellen Stunde“ vielleicht etwa so wiedergeben:

TOT REGEN KRIEG PIRATEN BUMM MERKEL DUMM KUSS TIERE SCHLAGANFALL HAARE MOSLEMS BUG REGEN REGEN REGEN SONNE LUSTIG SCHEISSE KRASS SÜSS GEIL TOT TOT GIRAFFE KIND SCHWUL SCHEISSE GEIL OPFER SALAT BERLUSCONI TOT ENTE.

Das wird der Komplexität der Aussage und der „Fernsehkunst“ natürlich nicht wirklich gerecht. Dafür hätte ich die Buchstaben noch farbig machen müssen.

Man muss es selbst gesehen haben. Auf den Internetseiten des WDR. Oder in einer von mir etwas gekürzten Variante hier:

Sie finden das fraglos toll, was sie sich da zusammengeschnitten haben. Fast so toll wie sich selbst. Sie feiern ihre eigene Infantilität, wie ihnen damals zur Anmoderation eines Beitrags über Kupferdiebstahl der Satz eingefallen ist: „Rot, das ist die neue Lieblingsfarbe der Diebe“. Sie laden die Zuschauer ein zum Schenkelklopfen mit der Redaktion, wenn man gemeinsam noch einmal Thomas Bug in der Hauptrolle der Zweipersonen-Bauerntheater-Posse „Gegen Regen“ sieht.

Es ist alles eins. Sind das Randalierer in Athen oder Plünderer in London? Egal. Geile Bilder. Wetter war auch gut. Und schlecht.

Die ganze Diskussion darüber, wie zwiespältig es ist, aus Katastrophenbildern Musikvideos zu machen, ist an der „Aktuellen Stunde“ so vollständig vorbeigegangen, dass hier schon der Gedanke abwegig erscheint, dass Katastrophenbilder überhaupt irgendetwas anderes sein könnten als Schnittmaterial für Musikvideos.

Darauf muss man erst einmal kommen: An die süßen Aufnahmen von einem Affen, der einem Tigerbaby in einem Zoo in Thailand die Flasche gibt, nahtlos die Bilder des Duisburger Bürgermeisters anzuschließen, der von seiner moralischen Verantwortung für eine Katastrophe mit 21 Todesopfern spricht. War das ein subversiver Kommentar? Müsste man sich aus dem Off die Stimme eines der Moderatoren denken, wie er sich eine Überleitung zusammenhitlert: „Apropos Zoo, in Duisburg gibt es ja auch einen“, oder: „Für eine Flasche halten viele Duisburger auch ihren Oberbürgermeister“?

Dann wird die Musik ganz düster und bedrohlich, und wir sehen Moslemmänner mit Zottelbärten und Moslemfrauen mit Kopftüchern. Zottelbärte und Kopftuchfrauen sind böse und gefährlich, weiß die „Aktuelle Stunde“. Der Film denunziert die Unbekannten als Leute, die dank ihrer Religion die Lizenz zum Töten zu haben glauben, wobei etwas unklar bleibt, ob die Gezeigten nur die Opfer des 11. September 2001 und der Loveparade oder auch die Mutter des Tigerbabys auf dem Gewissen haben; jedenfalls scheinen sie so etwas wie Islam-Nazis zu sein.

Dann liegen auch schon die Opfer des Massakers in Norwegen noch einmal für ein paar Sekunden am Strand, Schwule ziehen halbnackt durch irgendeine Stadt, ein wehrloser Marienkäfer klettert einen Stengel herunter, irgendetwas brennt, ein Denkmal für den Euro ist zu sehen, Leute machen Kampfsport, Kanonen schießen, Sportler jubeln, irgendwas wird in Flaschen oder Gläser gefüllt, Moslems beten, Panzer fahren, ein Kind schaukelt, ein Bulli steht in einem leeren Parkhaus, Utøya aus der Luft, Wolken, ein Kinderkarussel, Nonnen, Berlusconi…

Am Ende wird alles ein Bildstroboskop: Anders Breivik gefühlt in der Wanne mit Müller-Lüdenscheidt und Doktor Klöbner, eine Explosion, Kinderleichen im Wasser, Plastikenten wurden nicht verletzt.

Man würde sie fast fragen wollen, was sie sich dabei gedacht haben, wenn es nur irgendeinen Grund zur Annahme gäbe, dass sie sich irgendetwas dabei gedacht haben könnten. Aber es handelt sich ja nur um die „Aktuelle Stunde“, die perfekte Regionalfernsehparodie, die aus etwas geworden ist, das man früher als journalistisches Magazin im öffentlich-rechtlichen Dritten Programm bezeichnet hätte.

Und gestern standen sie schon wieder rehäugig da, hielten sich an ihren lächerlichen Festhaltekarten fest und moderierten routiniert den nächsten Teil des Jahresrückblicks weg: „Alles nicht neu, aber als Kombi ein echter Hingucker“, sagte die Frau vorweg. Sphärische Musik, die Killer-Nazis, der Papst, Steve Jobs, Wutbürger, dann begann „Freude schöner Götterfunken“, und ich habe ausgemacht.

NDR verwischt Spuren am „Tatort“

Anders als YouTube behauptet, war es nicht der „Nutzer“, der den Zusammenschnitt von Auto-Szenen aus dem jüngsten Hannoveraner „Tatort“ gelöscht hat. Es war der NDR, der das Videoportal nach eigenen Angaben „aus urheberrechtlichen Gründen darum gebeten hat, das Video offline zu stellen“.

In dem Film waren liebevoll alle Szenen aus dem Charlotte-Lindholm-„Tatort“ aneinandermontiert worden, in denen Volkswagen im Bild waren — immerhin sechseinhalb Minuten. Mit Einblendungen in der VW-Hausschrift Futura hatte der Nutzer den möglichen werblichen Effekt der jeweiligen Darstellung kommentiert.

Das Video trug den schlichten Titel „Product Placement“. Der Sender weist diese Unterstellung empört zurück. „Da nach Auskunft des Produzenten für die Überlassung der PKW ein marktüblicher Preis gezahlt wurde, kann rechtlich von Product Placement keine Rede sein“, sagt eine Sprecherin. „Daher wurde durch den Zusammenschnitt bei YouTube zudem ein falscher Eindruck erweckt.“ Weitere rechtliche Schritte seien allerdings nicht geplant. Die FAZ hatte gestern gemeldet, dass der Sender darüber nachdenke, juristisch gegen den Titel „Product Placement“ vorzugehen.

Nun ist das böse Video also verschwunden, und anscheinend war die Welle, die es zuvor erzeugt hat, nicht so groß, dass es nun als Trotzreaktion immer wieder von neuen Leuten hochgeladen würde. Beim NDR kann man also einen Haken an die Sache machen und sich als Sieger der kurzen öffentlichen Auseinandersetzung fühlen.

Zu Unrecht. Denn das verschwundene Video lässt den Vorwurf der Schleichwerbung viel überzeugender erscheinen als es das vorhandene Video tat.

Der Zusammenschnitt war zwar ein eindrucksvolles Dokument: durch die schiere Masse der Aufnahmen von zwei VW-Modellen und die kommentierenden Einblendungen, die den Blick des Zuschauers auf das Geschehen in die Perspektive eines Unternehmens lenkten, das für die Vorzüge seiner Produkte werben will. Der Film schaffte es jedoch meiner Meinung nach nicht, den Befund des Product Placement zwingend erscheinen zu lassen. Zu gewollt erschien manchmal die einseitige Interpretation der dramaturgisch durchaus notwendigen Aufnahmen, zu harmlos das vermeintliche Beweismaterial.

Doch ein eigenes Urteil kann sich das Publikum nun nicht mehr machen — zum Beispiel auch nicht darüber, ob es wirklich „besonders auffällig“ war, wie die „Bild am Sonntag“ behauptete, dass ein Volkswagen-Logo im Lenkrad „plötzlich scharf gestellt“ war. In Wahrheit wanderte die Schärfe in dieser Szene vom Inneren des Autos nach draußen; das Logo im Lenkrad war nur ein Zwischenpunkt auf dem Weg dorthin. Das schließt natürlich nicht aus, dass das tatsächlich in werblicher Absicht geschah, lässt den Vorwurf aber deutlich weniger zwingend erscheinen.

Es ist für Firmen beunruhigend leicht, YouTube-Videos löschen zu lassen, und schrecklich verführerisch, auf diese Weise die Vorwürfe scheinbar aus der Welt zu schaffen. Dagegen, es zu tun, spricht nicht nur der berüchtigte Streisand-Effekt, sondern auch die Tatsache, dass man den unbefangenen Betrachter offenbar nicht für mündig hält, sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Wenn der NDR sich nichts vorzuwerfen hat bei der Produktion dieses „Tatortes“; wenn es tatsächlich so ist, wie der Regisseur Roland Suso Richter der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte, dass er den Internet-Film „nett gemacht“ gefunden und sich erst mal gefragt hätte, „ob das eine Verarschung sein soll“, dann hätte er den Film entspannt im Netz stehen lassen und am konkreten Beispiel darüber diskutieren können — anstatt das Primärmaterial zu entfernen, eine fundierte Kommunikation über den Fall zu erschweren und sich dem Vorwurf auszusetzen, die ganze Debatte verhindern zu wollen.

Das Ergebnis dieser Kommunikationsverweigerung liest sich dann so wie im Blog der Medien-Fachzeitschrift „Horizont“:

Nun schau mal einer guck: Jetzt hat der NDR nicht nur das YouTube-Video entfernen lassen, sondern auch gleich noch den ganzen Tatort aus der ARD-Mediathek genommen. Das ist schon mehr als seltsam. Kann uns vielleicht einer der verantwortlichen Programmgestalter erläutern, wie wir verstehen sollen, liebe Krimi-Freunde…?

(Der „Tatort“ bleibt immer nur eine Woche in der Mediathek.)

Verantwortliche in Unternehmen mögen immer noch glauben, dass das erfolgreiche Verschwindenlassen von Vorwürfen ein Beweis dafür ist, dass sie im Recht sind. Das Publikum interpretiert es zunehmend als Beweis dafür, dass sie im Unrecht sind.

Komisch, dass man das Einrichtungen erklären muss, deren Geschäft die Kommunikation ist.

Nachtrag, 22. Dezember. Thomas Schreiber, der Unterhaltungschef des NDR, widerspricht in den Kommentaren:

Die Überschrift […] „NDR vernichtet Spuren am ‚Tatort'“ ist wirklich grober Unsinn.

Wir haben keine Spuren vernichtet, vielmehr hat ein Anonymus unter der üblen Überschrift „Product Placement“ die Urheberrechte einer ganzen Reihe von Menschen, u.a. des Regisseurs, des Drehbuchautors, der Schauspielerin, der Produzentin, des Senders etc durch seinen manipulativen Zusammenschnitt verletzt.

Die „Spuren“ sind auch nicht vernichtet – wir werden den „Tatort Schwarze Tiger, weisse Löwen“ noch oft und gerne sowohl im Ersten als auch in den Dritten Programmen senden.

Zu der Frage, ob es klug ist oder möglicherweise weniger klug ist, solch einen manipulativen Zusammenschnitt aufgrund von Urheberrechtsverletzungen, die in Deutschland scheinbar als Kavaliersdelikt angesehen werden (fragen Sie mal die Urheber), bei Youtube zu entfernen, habe ich eine andere Auffassung als Sie, die ich Ihnen zumindest gerne darstellen moechte:

Wenn der Zusammenschnitt bei Youtube stehen bleibt, wird er in Internetforen wie bei Ihnen, bei Journalisten etc ein Eigenleben entwickeln. Dieser Zusammenschnitt würde weiterhin unwidersprochen die Behauptung aufstellen können, dass es in unserem „Tatort“ Product Placement gegeben habe. Die Darstellung des NDR, die im Übrigen durch Rechnungen und Überweisungsaufträge belegbar ist (dass nämlich alle im Film verwendeten Autos von der Produktionsfirma zu normalen, marktüblichen Mietpreisen angemietet wurden) und die ja auch von manchen Printjournalisten nur sehr selektiv zitiert wurde, geht gegen die Kraft der Bilder unter. Und dass sich ein Zusammenschnitt, den ich unter anderen Umständen als Parodie lustig gefunden hätte, als gewissermassen insinuierte Wirklichkeit medial fortsetzt, habe ich ja bereits durch die Presseanfragen erlebt. Der NDR hat mehrere schriftliche Anfragen von Journalisten erhalten, in denen die Aussage des Zusammenschnittes als Tatsache angesehen wurde und wir gefragt wurden, warum wir das Product Placement im „Tatort“ nicht mit P gekennzeichnet haben.

Das wirkliche Problem ist nach meiner Auffassung nicht die Tatsache, dass der Zusammenschnitt nicht bei Youtube zu sehen ist, sondern die Tatsache, dass heutzutage einzelne Journalisten manche nichtjournalistische Beiträge im Internet als gleichberechtigten Journalismus begreifen und auch so behandeln. Hier nivelliert das Internet und öffnet der Denunziation — hier durch einen manipulativen Zusammenschnitt eines Filmes mit der denunziatorischen Behauptung in der Überschrift, es liege ein Fall von Product Placement vor, ohne auf die inhaltlich-dramaturgische Sinnhaftigkeit der montierten Szenen einzugehen — Tür und Tor. Anders als Sie bin ich der Auffassung, dass Internetnutzer sehr leicht zu der Auffassung kommen können, dass die Behauptung des Zusammenschnittes vom Product Placement wahr ist — eben weil der „Tatort“ nicht zeitlich unbefristet in der Mediathek abgerufen werden kann und deshalb die Vergleichsmoeglichkeit fehlt.

Abschliessend: als Parodie ist der Zusammenschnitt gelungen. Allerdings hat dies kein Journalist so gesehen oder geschrieben.

Meine Antwort darauf steht hier.

Armselig

Man verzweifelt ja häufig am Publikum. Weil es einem so qualitätsverachtend erscheint, so rätselhaft und unverständlich in seinen Konsumentscheidungen.

Aber nicht immer.

In den vergangenen eineinhalb Jahren haben sich nur zwei Hefte des „Stern“ am Kiosk so schlecht verkauft wie die Ausgabe 46/2011. Das erleichtert mich sehr. Ich weiß noch, wie ich im Supermarkt vor dem Heft stand, es fassungslos anstarrte und der Impuls, es als Monument der Schrecklichkeit kaufen zu müssen, schnell niedergerungen wurde von der Angst, dass mich jemand dabei sehen könnte.

Pasta la vista

Das ganze Jahr über sammelt Craig Silverman Korrekturen aus internationalen Medien, und im Dezember kürt er seit 2004 die besten und schlimmsten Korrekturen des Jahres. Darin finden sich immer wieder Schätze wie diese Berichtigung aus dem „Guardian“:

An extract of an online opinion piece appeared in the newspaper, headlined Will and Kate’s mask slips (June 9, page 31). It argued that while, pre-wedding, it was announced that the future Duke and Duchess of Cambridge would not be employing household staff, this image of modernity had now been “compromised by the news that they are advertising for a housekeeper, butler, valet and dresser to serve them in their new home of Kensington Palace”. The couple’s press secretary, Miguel Head, asks us to make clear that: “At most, they may employ one (a cleaner-cum-housekeeper), who may be part-time. We never ‘announced’ that the couple would ‘not be employing any [domestic staff]‘ after their wedding. What we have always said is that the couple have no plans to employ domestic staff at their home in Anglesey, but in London they have use of domestic staff at Clarence House, the home that they have hitherto shared with the Prince of Wales. The additional one part-time, or one full-time, cleaner has come about because the couple are taking their own home in London away from Clarence House.”

Elsewhere the piece referred to “damaging stories of royal profligacy past: Charles with his staff of 150, and an aide to squeeze his toothpaste for him”. Of this, Miguel Head writes: “The Prince of Wales does not employ and has never employed an aide to squeeze his toothpaste for him. This is a myth without any basis in factual accuracy.”

Solche tollen Korrekturen findet man in deutschen Medien natürlich nicht. In deutschen Medien findet man stattdessen:

  • „Für Charles war sein Diener Fawcett bisher unverzichtbar. Ein Eingeweihter aus dem Palast: ‚Michael wusste als Einziger, wie man zu Charles‘ Zufriedenheit die Zahnpasta auf seine Bürste schmiert.'“
    („B.Z.“, 14. November 2002)

  • „Auf einen Diener mag Englands Thronfolger überhaupt nicht verzichten: Michael Fawcett. Denn er verfügt über ein einzigartiges Talent. ‚Michael weiß als Einziger, wie man zu Charles‘ Zufriedenheit die Zahnpasta auf seine Zahnbürste schmieren muss‘, plaudert ein Vertrauter aus.“
    („Berliner Kurier“, 14. November 2002)

  • „Der Thronfolger soll mehr als 80 Diener haben, die seine Kleidung vom Boden auflesen, ihm Zahnpasta auf die Zahnbürste geben und sogar unerwünschte Geschenke verkaufen.“
    („Tagesspiegel“, 20. November 2002)

  • „Zwei persönliche Diener aber helfen dem Prinzen täglich beim Ankleiden, einer soll sogar die Zahnpasta auf die Bürste applizieren.“
    („Berliner Zeitung“, 11.3.2003)
  • „Dass Charles seinen Leibdiener als „unentbehrlich“ bezeichnet hat und dieser ihm stets die Zahnpasta auf die königliche Bürste drückte, ist bekannt.“
    („Spiegel“, 17. November 2003)

  • „Prinz Charles hat 91 Vollzeit-Angestellte, siebzehn davon kümmern sich nur um seine Angelegenheiten. Seinen Lieblingsdiener Michael Fawcett, von dem es hieß, er habe Charles gar die Zahnpasta auf die Bürste gedrückt, hat er entlassen, sozusagen als Zugeständnis an die empörten Briten.“
    („Berliner Zeitung“, 1. Juli 2003)

  • „Im königlichen Haushalt arbeiten viele Dienstboten, allein um Charles kümmern sich siebzehn Personen. Sie waschen ihm die schmutzige Wäsche, heften Kontoauszüge ab und drücken die Zahnpasta auf die Bürste.“
    („Berliner Zeitung“, 11. November 2003)

  • „Charles hat 91 Vollzeit-Angestellte, siebzehn kümmern sich allein um sein privates Wohl. Er muss niemals eine Socke aufheben oder Sachen zusammenlegen. Es gab sogar einen Butler, der ihm die Zahnpasta auf die Bürste drückte.“
    („Berliner Zeitung“, 26. März 2005)

  • „Warum dann noch 91 Bedienstete für Prinz Charles bezahlen, von denen einer eigens dafür angestellt ist, Zahnpasta auf seine Zahnbürste zu drücken?“
    („Spiegel“, 4. April 2005)

  • „Daß Charles einen Domestiken braucht, um sich die Zahnpasta auf die Bürste zu schmieren, kann man ja noch als schrullig abtun.“
    („Bild am Sonntag“, 18. Dezember 2005)

  • „Prinz Charles hat einen Zahnpasta-Ausdrücker“
    („B.Z.“, 26. Mai 2008)

  • „Der Prinz soll früheren Indiskretionen zufolge zahllose Marotten haben, etwa mit Pflanzen sprechen oder sich die Zahnpasta vom Diener auf die Bürste drücken lassen.“
    („Bild am Sonntag“, 24. September 2006)

  • „Der britische Thronfolger Prinz Charles hat nicht nur einen Diener, der ihm die Zahnpasta auf die Bürste drückt, sondern auch eine persönliche Blumenarrangeurin.“
    („Berliner Morgenpost“ / „Welt“, 26.5.2008)

  • „Prinz Charles hat nicht nur einen Diener, der ihm Zahnpasta auf die Bürste drückt, sondern auch eine Vollzeit-Blumenarrangeurin.“
    („taz“, 26. Mai 2008)

  • „Dieser Mann hat tatsächlich Lakaien, die ihm die Zahnpasta aus der Tube drücken.“
    („Spiegel“, 18. August 2008)

  • „Die Zahnpasta lassen sich Seine Königliche Hoheit selbstverständlich von einem Lakaien auf die Bürste drücken, und einmal hat er einen Bediensteten ordentlich abgebürstet, weil er diesen Toilette-Artikel nicht richtig ausgerichtet auf dem Waschbecken positioniert hatte.“
    („Süddeutsche Zeitung“, 14. November 2008)

  • „Immerhin hat Charles einen Diener, der ihm die Zahnpasta aus der Tube drückt – etwas, wovon ich schon immer geträumt habe.“
    („Tagesspiegel“, 2. Mai 2009)

  • „Charles lässt sich vom Butler die Zahnpasta auf die Bürste drücken und wird auch von seinen Freunden Sir genannt.“
    („Tagesspiegel“, 27. April 2011)

Wofür Frank Plasberg nicht mehr wirbt

Der ARD-Moderator Frank Plasberg wird nun doch nicht für den kostenpflichtigen Unternehmenswettbewerb der Agentur Compamedia werben. In einer Presseerklärung zitiert das Unternehmen Plasberg:

„Ich bin gebeten worden, beim Unternehmenswettbewerb ‚Top Job‘ als Mentor zu fungieren. Dieser Wettbewerb schien mir geeignet, einen Impuls für zeitgemäßes Personalmanagement in mittelständischen Unternehmen zu geben. Insbesondere die wissenschaftliche Begleitung und Bewertung entsprechen meinen Vorstellungen von wettbewerblicher Qualitätsverbesserung. Mittlerweile habe ich feststellen müssen, dass mein Engagement von kritischen Beobachtern ganz anders empfunden wird. In den Mittelpunkt der Betrachtung rückte die Werbewirkung meiner Mentorenschaft, verbunden mit der Frage, ob meine journalistische Unabhängigkeit ein solches Engagement zulässt. Das wiegt schwerer als meine Überzeugung, in keiner Weise Beeinflussungen zu unterliegen oder meine Unabhängigkeit zu gefährden. Deshalb bin ich von der geplanten Mentorenschaft zurückgetreten.“

Offenbar war ich nicht der einzige, der ein Problem damit hatte, dass ein imageprägender ARD-Journalist mit branchenüblich abwegigen PR-Sprüchen für eine kommerzielle Veranstaltung wirbt.

Formell hatte der WDR an Plasbergs Engagement allerdings nichts auszusetzen, wie die Nachrichtenagentur dapd am Mittwoch meldete. Die Antwort des Senders klingt allerdings nach zusammengebissenen Zähnen.

Auf die Frage, ob Plasberg mit seinem Engagement gegen die Statuten des Senders verstoßen habe, teilte der WDR mit, die Vorschriften seien allein für fest angestellte Mitarbeiter gültig. Plasberg aber sei freier Mitarbeiter des Senders. Ob sein Engagement als fester Mitarbeiter legitim wäre, war zunächst nicht zu erfahren.

Offen ließ der Sender die Frage, ob Plasbergs Engagement dem WDR und der ARD insgesamt gut zu Gesicht stünde. Der Sender teilte dazu mit, das Engagement „inhaltlich nicht bewerten“ zu wollen. Die Sprecherin betonte: „Wir sehen keinen Fall darin. Die Zusammenarbeit mit Frank Plasberg beruht auf Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung.“

Das eigentlich Erstaunliche an der ganzen Sache finde ich allerdings, dass ein erfahrener Mann wie Plasberg nicht geahnt haben will, dass sein Engagement kritische Nachfragen hervorrufen würde.