Schlagwort: Johannes B. Kerner

Warum der Manipulations-Skandal beim ZDF nur halb überraschend ist


Illustration: Dennis Horn

Wenn Oliver Fuchs, der Unterhaltungschef des ZDF, die Sache mit dem ADAC ein bisschen verfolgt hat, fängt er vielleicht schon mal an, private Dinge aus seinem Büro in Kartons zu packen. Denn wer auch immer da konkret die Entscheidung getroffen hat, die Umfrage-Ergebnisse bei der Wahl von „Deutschlands Besten“ zu manipulieren — die Verantwortung dafür liegt mindestens bei ihm.

Ich hätte jetzt einerseits nicht gedacht, dass in der Redaktion einer solchen Sendung tatsächlich plump von Hand die Ergebnisse verändert werden. Dass da Leute sitzen, die Sachen sagen wie: Komm, die Hannelore Kraft sitzt bei uns auf dem Sofa, lass uns die doch vor die von der Leyen schieben, ist doch viel netter. Und: Beckenbauer auf der 31? Das tut ihm doch weh. Das ist doch nicht schön. In die Top-Ten muss der mindestens. Und: Dass der RTL-Kloeppel vor unserem Kleber gelandet ist, muss doch keiner wissen, hier, zack, Platztausch.

Andererseits ist es, gerade wenn man die Shows gesehen hat, sowas von gar keine Überraschung, dass die Leute, die diese Sendungen gemacht haben, auf den Gedanken gekommen sind, das Ergebnis zu schönen.

Es war eine unglaubliche Lobhudelei, und das lag keineswegs nur an Moderator Johannes B. Kerner. Es gab an ungefähr keiner Stelle den Versuch, die „bedeutenden Menschen“ angemessen zu würdigen, sondern nur blinde blöde Verklärung. Tatsächlich ist es angesichts der Verklärung von Franz Beckenbauer zur „Lichtgestalt des deutschen Fußballs“ ein Wunder, dass er von der Redaktion nur auf Platz 9 (von 31) hochmanipuliert wurde und nicht gleich auf Platz 2 hinter dem vermutlich unvermeidlichen Helmut Schmidt.

Die Sendung war durchdrungen vom Willen zur Schönfärberei. Hinzu kam dann mindestens Dilettantismus — wenn es stimmt, wie das ZDF jetzt behauptet, dass der Redaktion erst im Laufe des Verfahrens auffiel, dass es schwer ist, eine repräsentative Umfrage in irgendeiner sinnvollen Form mit den Ergebnissen einer Abstimmung per Internet und Postkarte (!) zu kombinieren.

Wenn man das Verfahren eh schon klammheimlich ändert, warum nicht dann noch die Ergebnisse so anpassen, dass sie den Anwesenden gut gefallen und ihnen noch mehr schmeicheln, als es die Worthülsen Kerners und der Redaktion ohnehin tun?

In der Pressemitteilung des ZDF ist immer die Rede davon, dass es „die Redaktion“ war, die die diversen Entscheidungen getroffen und die Listen gefälscht habe. Ob damit die Verantwortlichen im Sender oder in der Produktionsfirma gemeint sind, bleibt offen. Das schöne Schlimme an der ganzen Sache ist: Es bleibt irgendwie in jedem Fall im Haus. Die Produktionsfirma Riverside Entertainment gehört indirekt je zur Hälfte dem ZDF und dem NDR. (Besitzer sind zu 49 Prozent die ZDF-Tochter ZDF Enterprises und zu 51 Prozent Studio Hamburg Productions, eine Tochter der Studio Hamburg GmbH, eine Tochter der NDR Media GmbH, eine Tochter des NDR.)

Und dann bleibt festzuhalten, dass das ZDF die Öffentlichkeit wiederholt falsch über die Umstände des Votings informiert hat. Die Darstellung in der Pressemitteilung widerspricht der vorherigen Pressemitteilung, die wiederum der vorherigen widersprach — und das sind nur die Varianten nach den ersten Zweifeln an dem Voting. Im Mai hatte das ZDF behauptet, dass das Publikum auf der Grundlage einer von Forsa repräsentativ ermittelten Auswahl von je 100 Männern und Frauen online abstimmen könne. Tatsächlich hatte der Sender zu diesem Zeitpunkt längst eine zweite Forsa-Umfrage durchführen lassen, von der aber öffentlich noch nicht die Rede war. In der ersten Sendung sprach Kerner von einer Kombination von Forsa-Umfrage und Internet-Abstimmung; am Anfang der zweiten Sendung ließ er das Internet weg. Am Wochenende nach der Sendung sagte das ZDF, das Ranking sei allein durch zwei Forsa-Umfragen zustande gekommen. Am vergangenen Dienstag sagte Unterhaltungschef Oliver Fuchs, es seien „Ergebnisse des Zuschauer-Votings mit den Ergebnissen der Forsa-Umfrage vermischt“ worden. Nun ist von den Zuschauer-Votings keine Rede mehr, sondern nur noch von einer gezielten Manipulation der Forsa-Zahlen.

Auch dieses Kommunikationswirrwarr erinnert an den ADAC-Skandal. Den Gedanken, dass das alles nur an irgendeinem kleinen Redakteur lag, der nun womöglich „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ fürchten muss, halte ich für abwegig.

ZDF räumt ein: Bei „Deutschlands Beste“ wurde gezielt manipuliert

Es ist alles noch viel schlimmer.

Es gab nicht nur irgendwelche methodischen Probleme bei den Prominenten-Sortier-Shows „Deutschlands Beste“, die das ZDF vorige Woche gezeigt hat, nicht nur ein Kommunikationschaos und Pannen. Es gab laut ZDF gezielte Manipulationen. Diejenigen Prominenten, die zu Gast in den Sendungen waren, wurden demnach künstlich auf bessere Positionen gesetzt, als es den Umfrageergebnissen entsprach.

Franz Beckenbauer wurde von der Redaktion nicht nur zur „Lichtgestalt des deutschen Fußballs“ verklärt, sondern von Platz 31 auf Platz 9 verschoben. ZDF-Nachrichtenmann Claus Kleber (in der Sendung) kletterte von Platz 39 auf Platz 28, dafür wurde der RTL-Nachrichtenmann Peter Kloeppel (nicht in der Sendung) entsprechend nach unten durchgereicht.

Ursula von der Leyen musste ihren eigentlich vierten Platz räumen für Hannelore Kraft, die zu Gast in der Sendung war und eigentlich Fünfte war. Michael „Bully“ Herbig kletterte von 42 auf 36. Die Gäste hätten von alldem nichts erfahren.

ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler sagte in einer Pressemitteilung:

„Die Veränderungen am Ergebnis der Forsa-Umfragen sind ein grober Verstoß gegen die Programmrichtlinien des ZDF. Das ist nicht zu rechtfertigen und schadet der Glaubwürdigkeit des ZDF. Daher werden auch arbeitsrechtliche Konsequenzen geprüft. Wir werden dem Fernsehrat außerdem spezifische Regeln für Voting-Shows vorlegen. Ein zentraler Bestandteil wird die Transparenz der Ergebnisse und der Befragungsmethode sein. Ich entschuldige mich bei allen Zuschauerinnen und Zuschauern, bei allen, die an den Abstimmungen teilgenommen haben, wie auch bei den betroffenen Prominenten.“

Claus Kleber twittert:

Männer:

Name Forsa ZDF
Helmut Schmidt 1 1
Hans-Dietrich Genscher 2 2
Richard von Weizsäcker 3 3
Günther Jauch (Gast) 4 4
Joachim Gauck 5 5
Wolfgang Schäuble 6 11
Helmut Kohl 7 7
Papst Benedikt XVI 8 8
Michael Schumacher 9 10
Frank-Walter Steinmeier 10 6
Hape Kerkeling 11 12
Günter Grass 12 13
Mario Adorf 13 14
Sebastian Vettel 14 15
Jogi Löw 15 16
Uwe Seeler 16 17
Armin Müller-Stahl 17 18
Ulrich Wickert 18 19
Thomas Gottschalk 19 20
Peter Maffay 20 21
Dirk Nowitzki 21 22
Gerhard Schröder 22 23
Frank Elstner 23 24
Thomas Südhof 24 25
Hellmuth Karasek 25 26
Gregor Gysi 26 27
Peter Kloeppel 27 39
Jürgen Klopp 28 29
Sigmar Gabriel 29 30
Herbert Grönemeyer 30 31
Franz Beckenbauer (Gast) 31 9
Manuel Neuer 32 32
Sepp Maier 33 33
Götz George 34 34
Christoph Waltz 35 35
Jan Hofer 36 42
Joschka Fischer 37 37
David Garrett 38 38
Claus Kleber (Gast) 39 28
James Last 40 40
Oliver Welke 41 41
Michael „Bully“ Herbig (Gast) 42 36
Reinhard Mey 43 43
Jan Josef Liefers 44 44
Peer Steinbrück 45 45
Philipp Lahm 46 46
Roland Emmerich 47 47
Siegfried Lenz 48 48
Hubert Burda 49 49
Horst Seehofer 50 50

Frauen:

Name Forsa ZDF
Angela Merkel 1 1
Steffi Graf 2 2
Magdalena Neuner 3 3
Ursula von der Leyen 4 6
Hannelore Kraft (Gast) 5 4
Silvia Neid 6 7
Barbara Schöneberger 7 8
Senta Berger 8 9
Hildegard Hamm-Brücher 9 10
Helene Fischer 10 5
Rita Süssmuth 11 11
Iris Berben 12 12
Nena 13 13
Margot Käßmann 14 14
Maria Höfl-Riesch 15 15
Rosi Mittermaier (Gast) 16 16
Marietta Slomka 17 17
Anke Engelke 18 18
Nadine Angerer 19 19
Friede Springer 20 20
Maria Furtwängler 21 21
Anne Will 22 22
Christiane Nüsslein-Volhard 23 23
Anne-Sophie Mutter 24 24
Katarina Witt (Gast) 25 25
Andrea Henkel 26 26
Elke Heidenreich 27 27
Birgit Prinz 28 28
Andrea Berg 29 29
Ruth-Maria Kubitschek (Gast) 30 30
Dagmar Berghoff 31 31
Maybrit Illner 32 32
Ina Müller 33 33
Hannelore Elsner 34 34
Renate Künast 35 35
Claudia Roth 36 36
Sandra Maischberger 37 37
Caren Miosga 38 38
Cornelia Funke 39 39
Kati Wilhelm 40 40
Uschi Glas 41 41
Anni Friesinger-Postma 42 42
Heide Simonis 43 43
Annette Frier 44 44
Katrin Müller-Hohenstein 45 45
Sahra Wagenknecht 46 46
Claudia Pechstein 47 47
Martina Hill 48 48
Franziska van Almsick 49 49
Jutta Speidel 50 50

Die Schein-Abstimmungen des ZDF für „Deutschlands Beste“

Fast vier Seiten hatte die Programmzeitschrift „Hörzu“ Anfang Mai freigeräumt, um für die von ihr „präsentierte“ neue ZDF-Ranking-Show „Deutschlands Beste“ zu werben. Sie traf den Moderator und „sympathischen Hamburger“ Johannes B. Kerner zum Interview. Vor allem aber listete sie vollständig die je 100 Frauen und Männer auf, die zur Wahl als „beste“ lebende Deutsche standen, und versprach:

„Wer gewinnt, bestimmen Sie, liebe Leserinnen und Leser.“

Bis zu zehn Kandidaten, die sie am meisten beeindruckten, konnten die Leser angeben, pro Geschlecht maximal fünf. Die Favoriten sollten sie auf eine frankierte Postkarte schreiben und an die „Hörzu“ schicken: „Entscheiden Sie mit, wer ganz vorn dabei ist!“


Einsendeschluss war der 23. Mai 2014.

Es hätte aber keinen Unterschied gemacht, wenn die „Hörzu“-Leser ihre Postkarten erst eine Woche später abgeschickt oder statt in den Briefkasten in den Mülleimer geworfen hätten. Ihre Stimmen hatten keinerlei Einfluss auf das Ergebnis. Zu dem Zeitpunkt, als die „Hörzu“ zur Wahl aufrief, standen die Top 50 längst fest. Das Umfrageinstitut Forsa hatte sie zwischen 24. und 28. April in einer Umfrage für das ZDF ermittelt.

Aber man musste kein „Hörzu“-Leser sein, um mit seiner Stimme das Ergebnis der Wahl nicht zu beeinflussen. Das ZDF selbst rief auch zu einer großen „Online-Abstimmung“ auf und gab in einer Pressemitteilung bekannt:

Bis Sonntag, 1. Juni, können die Zuschauer unter http://www.deutschlandsbeste.zdf.de für ihre Favoriten abstimmen.

Auch diese Ergebnisse hatten keinerlei Einfluss auf das Ranking. Im Nachhinein stellt der Sender das Online-Voting nun auch nicht mehr als Abstimmung dar, sondern als „sendungsbegleitendes Angebot mit Gewinnspiel, in das auch die Stimmen der Hörzu-Leser Eingang fanden“, wie ein Sprecher auf Anfrage erläuterte. Und weiter:

„Da es sich nicht mit dem Ergebnis der Forsa-Erhebungen zu einem gemeinsamen repräsentativen Ergebnis vereinen ließ, wurde es nicht für das Ranking verwendet.“

In den Fernsehshows selbst hatte Johannes B. Kerner noch behauptet, die Reihenfolge sei von Forsa und „im Internet“ ermittelt worden. (Allerdings mit dem schönen Zusatz: „Insofern kann man das schon ’n bisschen ernst nehmen.“)


Foto: ZDF

Auf Twitter behauptete das ZDF noch während der Ausstrahlung, dass „die Netzgemeinde“ abgestimmt hätte: „Die Abstimmung wurde sehr lange auf Twitter, FB [Facebook] und Co beworben.“ Auf Nachfrage erhielten Twitterer immer wieder die Antwort, Grundlage des Rankings sei eine Online-Abstimmung gewesen.

Was für eine sympathische Aktion: Ein öffentlich-rechtlicher Sender generiert Aufmerksamkeit für seine Prominenten-Sortier-Show, indem er seinen Zuschauern und den Lesern einer großen Programmzeitschrift fälschlicherweise vorgaukelt, sie könnten die Reihenfolge mitbestimmen.

Interessant ist auch, wie die Liste der je 100 Namen, aus denen die Top-50-Rankings gewählt wurde, zustande kam. Das ZDF stellt es so dar: In einem ersten Durchgang seien Anfang April 1016 Menschen von Forsa Omninet per Online-Umfrage befragt worden. Sie durften offen jeden Namen nennen. Mit den 100 meistgenannten Namen wurde dann die zweite Forsa-Umfrage (mit 2000 Befragten) durchgeführt, um zu einer Reihenfolge der 50 „Besten“ zu kommen.

Ich kann mir nicht vorstellen, wie bei diesem Verfahren Namen wie Christiane Nüsslein-Volhard (Nobelpreisträgerin für Medizin 1995) oder Thomas Südhof (Nobelpreisträger für Medizin 2013) auf die Liste gekommen sein sollen. Sie sollen so bekannt sein, dass sie unter den 100 meistgenannten Namen — wohlgemerkt: ohne dass es eine Vorgabe gegeben hätte — landeten? Christiane Nüsslein-Volhard?

Viel wahrscheinlicher finde ich es, dass die Redaktion des ZDF oder der Produktionsfirma Riverside diese Namen mit auf die Liste der angeblichen Top-100 gesetzt hat, damit auch Wissenschaftler die Reihe der Sportler, Politiker und Unterhaltungskünstler bereichern.

Bei einem Sender, der die Zuschauer zur Teilnahme an einer Wahl aufruft, deren Ergebnis längst feststeht, würde mich das auch nicht mehr wundern.

  • Ebenfalls zum Thema:
    Boris Rosenkranz empört sich im „Zapp“-Blog, wie das ZDF seine Zuschauer „verarscht“ hat, und berichtet, dass die „Hörzu“ immer noch davon ausgehe, dass ihre Leser irgendetwas mitbestimmen konnten.

 

Nachtrag, 8. Juli, 16:05 Uhr. Es ist alles noch schlimmer bzw. ganz anders schlimm. Das ZDF erklärt:

„Deutschlands Beste!“ hatte sich in zwei Sendungen vorgenommen, die beliebtesten deutschen Frauen und Männer zu ermitteln. Dazu gab es drei Umfragen, um die Besten-Liste zu erstellen: eine repräsentative Forsa-Befragung, ein Online-Voting sowie einen „Hörzu“-Leseraufruf.

Bei der Auswertung stellte sich heraus, dass das Online-Voting durch Fan-Gruppen stark beeinflusst worden war. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Redaktion dazu entschieden, sich auf die repräsentative Forsa-Umfrage zu stützen. Wie sich heute bei einer internen Nachprüfung herausstellte, wurden dennoch Ergebnisse des Zuschauer-Votings mit den Ergebnissen der Forsa-Umfrage vermischt.

ZDF-Showchef Oliver Fuchs: „Dieses Vorgehen war methodisch unsauber und somit falsch. Dafür entschuldige ich mich bei unseren Zuschauern, den Teilnehmern der Sendung und bei allen, die abgestimmt haben. Künftig wird das ZDF bei ‚Deutschlands Beste!‘ auf Internet-Votings verzichten und ausschließlich auf repräsentative Umfragen setzen.“

 

Nachtrag, 17:15 Uhr. Nun gibt es auch eine offizielle Stellungnahme der „Hörzu“. Gunther Fessen, Unternehmenssprecher der Mediengruppe Funke:

Die aktuellen Entwicklungen um die Sendung „Deutschlands Beste“ haben uns überrascht: Das „Hörzu“-Team hat selbst erst aus den Medien erfahren, dass die Stimmen ihrer Leser nicht in das endgültige Voting-Ergebnisse eingeflossen sind. Dies hat das ZDF uns gegenüber mittlerweile auch bestätigt. Wir empfinden dieses Vorgehen als höchst befremdlich. Aktuell stimmen wir intern das weitere Vorgehen ab und prüfen eventuelle rechtliche Schritte.

Amnesie vom Besten

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Kerner plaudert sich mit seinen Top-Deutschen ins Nichts.

Im ZDF liefen in dieser Woche zwei große Shows, insgesamt 200 Minuten lang, in denen „Deutschlands Beste“ durchgezählt wurden. Ich habe beide gesehen und kann mich an nichts erinnern.

Angeblich saß in der einen Maria Höfl-Riesch auf dem Sofa, ich möchte aber schwören, dass sie in den eineinhalb Stunden nichts gesagt hat, außer einmal kurz, das habe ich aber sofort wieder vergessen. Ich weiß noch, dass ein kleiner Film über Anni Friesinger abrupt abriss, als die Kamera gerade auf ihren Ausschnitt schwenkte, das gab ein kleines Hoho. Am Ende bekamen die Frauen Blumen. Moderator Johannes B. Kerner entschuldigte sich bei Marietta Slomka fürs Überziehen. Und dann war es nicht nur vorbei. Es war, als wäre es nie gewesen.

Das ZDF hat es geschafft, zwei komplett rückstandslose Shows produzieren. Das muss ihm erstmal einer nachmachen.

Zum Glück habe ich mir während des Anschauens Notizen gemacht, so dass ich Teile des Nicht-Geschehens rekonstruieren konnte. Auf der obskuren Grundlage einer Forsa-Umfrage, einem Aufruf der „Hörzu“ und einem Online-Voting (Kerner: „insofern kann man das schon ’n bisschen ernst nehmen“) wurden je einhundert vom ZDF ausgesuchte lebende deutsche Frauen und Männer in eine Reihenfolge gebracht und mit kurzen Schnipselcollagen gewürdigt. Die erste Sendung befasste sich mit Männern, weil man fand, wie Kerner erklärte: „Das schwache Geschlecht möge beginnen.“ Er freute sich über diesen Witz, und das Saal-Publikum lachte.

Kerner versprach „ganz tolle Gäste, die wir eingeladen haben; ganz wertvolle Filme, die wir produziert haben“, und tatsächlich gab es Gäste und Filme. Die Gäste waren fast alle selbst auf der Liste, was immer einen Sonder-Applaus gab, und freuten sich über ihre Platzierung und die Ranking-Nachbarn vor und hinter ihnen. Kerner siezte sie mit Vornamen und stellte ihnen Kerner-Fragen, etwa diese an Claus Kleber: „Klaus, wir haben Joschka Fischer geshen, auf Platz 37 ein Politiker, der sich jetzt aus der Öffentlickeit weitgehend zurückgezogen hat, vielleicht Vorträge hält und hier und da gefragt wird und auch mal was Kluges schreibt, sind die Politiker in Wirklichkeit doch ’n bisschen näher an den Leuten als man so denkt? Weil wir so alle schimpfen auf die Politiker – sind sie wertvoller, als wir glauben?“ Günther Jauch fragte er: „Günther, aus Ihrer Erfahrung jetzt mit der Talkshow am Sonntag: Politiker – besser als ihr Ruf?“ (Jauch reagierte mit einem angestrengten Dreifachschnaufer, was ich auf die Frage bezogen hätte, alle anderen aber auf die Politiker, weshalb Kerner lachend rief: „Reicht schon!“, und das Publikum applaudierte.)

Die Kurzvorstellungen der 50 besten Besten waren so geschnitten, dass man all den Unsinn, der darin gesagt wurde, kaum registrieren konnte. Reinhard Mey wurde als „der Ikarus der deutschen Musik“ vorgestellt, Gregor Gysi als „das personifizierte soziale Gewissen“, und Horst Seehofer als der Name des Selbstbewusstseins. Caren Miosga sei „das charmante Aushängeschild in der toughen ARD-Nachrichtenwelt“, und zu Sandra Maischberger fiel den Textern der Satz ein: „So schön kann Journalismus sein.“

Ob die Video-Schnipsel inhaltlich passten, war ohne Belang, solange sie nur gut zu dem Gesagten aussahen. „Das Engagement für Gleichberechtigung und den Schutz von Minderheiten, das ist Claudia Roths großer Wurf“, sagte der Sprecher, während die Grünen-Politikern mit einem Ball einen Stapel Dosen abräumt – auf denen das Atomkraft-Logo prangt. Zur Illustration, dass Gerhard Schröder wegen des Kosovo-Einsatzes 1998 als Kriegs-Kanzler beschimpft wurde, lief sein Satz: „Die Logik des Krieges hat sich gegen die Chancen des Friedens durchgesetzt“, der allerdings von 2003 ist und sich auf den Irak-Krieg bezieht, dem er sich ja gerade verweigerte. Aber um sich daran zu stören, müsste man sich erst einmal erinnern.

Es war Wohlfühlfernsehen mit den Pointen der fünfziger Jahre, zeitgemäß verpackt als modernes Nichts. „Wir verplaudern uns, das ist schön“, rief Kerner an einer Stelle aus. Er ist beim ZDF wieder zuhause angekommen.

Johannes B. Kerner sucht den „Mini-Mini-Mini-Sinn“ im Tod von Robert Enke

Es ging auf Mitternacht zu, die Medien hatten schon über 24 Stunden lang aus der Sprachlosigkeit über Robert Enkes Tod ein dröhnendes, nicht enden wollendes Geplapper gemacht, als Johannes B. Kerner es schaffte, diese Sprachlosigkeit doch noch einmal kurz wieder herzustellen. Er ließ eine Karte zeigen und sagte zu Jörg Sievers, dem Torwarttrainer von Enke:

„Wir können hier anhand einer Grafik noch einmal darlegen, wie nah [Enkes] Todesort dem Ort ist, wo seine Tochter begraben ist. Das ganze ist ein paar Kilometer nordwestlich von Hannover, Neustadt am Rübenberge, da ist der Friedhof, und ungefähr zwei Kilometer, 2200 Meter entfernt, in Eilvese hat Robert Enke gestern sein Leben beendet. Jörg, glauben Sie, dass es irgendwas miteinander zu tun hat, dass er diesen Ort in der Nähe der Grabstätte seiner vor drei Jahren gestorbenen kleinen Tochter gewählt hat, um sein Leben zu beenden?“

Jörg Sievers, der Torwarttrainer, schnappte einen stillen Moment lang nach Luft, bevor er sich fasste und antwortete:

„Das wäre reine Spekulation, was ich jetzt sage. Wir spekulieren eh sehr, sehr viel. Deswegen möchte ich auf diese Frage nicht antworten.“

Es wäre ein Augenblick gewesen, innezuhalten und kurz zu reflektieren, in welchem Maß sich alle in einen Rausch spekuliert hatten, auf der Suche nach Erklärungen für das Unerklärliche und rationalen Gründen für die Irrationalität einer Krankheit, zu deren Komplikationen der Suizid gehört. Aber Kerner zuckte nicht mit der Wimper, sondern hatte schon ein neues Spekulations-Angebot für Jörg Sievers: Ob nicht vielleicht hinter der rätselhaften Darmerkrankung Enkes vor ein paar Monaten in Wahrheit auch nur die Depression gesteckt habe…

Ein „Fraeulein Tessa“ hatte schon am Dienstagabend, nachdem bekannt wurde, dass Robert Enke sich das Leben genommen hat, getwittert: „Könnte man nun bitte präventiv Kerner und Beckmann absetzen? Danke.“ Es half nichts. Sat.1 kündigte prompt ein „Kerner Spezial“ und wies darauf hin, dass der Fernsehmann den Toten ja von seinen Länderspielen-Moderationen her kenne. Er kam dann aber nicht so schlimm, wie es hätte kommen können.

Dank Kerner hat Sat.1 nun erstmals seit längerer Zeit die Möglichkeit, aktuelle Themen aufmerksamkeitsstark im Programm zu behandeln – und muss die heillosen Spekulationen, das übertriebene Pathos, die pseudojournalistische Aufarbeitung (und vielleicht: die Quote) nicht mehr den Konkurrenten überlassen.

Kerners Gäste Jörg Sievers und Martin Kind, der Präsident von Hannover 96, waren vom NDR herübergekommen, wo sie kurz zuvor in der Sendung „Menschen & Schlagzeilen“ schon von Susanne Stichler zum Spekulieren aufgefordert worden waren. Bei Kerner musste das Drama des Dramas natürlich noch größer werden. Nicht nur von einem trauernden, sondern gleich einem „traumatisierten Land“ sprach er zur Begrüßung, rühmte die Pressekonferenz von Enkes Witwe als „beeindruckenden Auftritt einer wirklich starken Frau“ und stellte dem Vereinspräsidenten zum Einstieg die programmatische Frage: „Herr Kind, wie haben Sie diese Stärke empfunden?“

Nach einem Tag, an dem auf allen Kanälen viel mehr zu dem Thema gesagt wurde, als es zu sagen gab, der Nachrichtensender n-tv selbst die Bilder der Pressekonferenz noch mit dramatisch-kitschiger Musik unterlegte und sich im DSF Sportreporter über Stunden als Experten für das Krankheitsbild Depression versuchten, war dieses „Kerner Spezial“ ein fast unauffälliger Abschluss.

Kerner bemühte sich rührend, das Gespräch vom unbegreiflichen Thema Depression zum viel handlicheren Thema Überforderung und Druck zu lenken, worunter ja nicht nur Profi-Fußballer leiden würden, sondern zum Beispiel auch Geschäftsleute. Und er versuchte, der Tat etwas Gutes abzugewinnen und fragte in seiner unnachahmlichen Art, „ob wir möglicherweise damit rechnen müssen, dass wir in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten vermehrt Fälle hören, wo Fußballprofis den Mut finden zu sagen: Auch ich war einmal in der Situation, wo ich, ganz ehrlich, das Gefühl hatte, ich kann nicht mehr.“ Und wenn nun eine offene Diskussion entstehe über die Notwendigkeit, auch Schwächen zeigen zu können: Ob das „möglicherweise einen Mini-Mini-Mini-Sinn des Freitodes von Robert Enke gewesen sein könnte“? Dabei legte er den Kopf ganz treuherzig schief, bevor jemand auf die Idee kommen konnte, dass auch die Medien mit ihrer Gnadenlosigkeit gerade im Sport zu dem unmenschlichen Druck beitragen könnten.

Und dann schaffte er es, dass Sievers und Kind ganz am Schluss noch die Tränen in die Augen stiegen, als sie den großen Robert Enke auf Kerners Bitte hin noch einmal rühmten, und so gesehen muss man es wohl als eine gelungene Sendung bezeichnen.

Was würde Umberto Eco über Kerner sagen?

Ich wollte mich ja erst reflexartig echauffieren über die sagenhaft irreführende Überschrift, die der Online-Auftritt der „Rheinischen Post“ seiner Premierenkritik von „Kerner“ auf Sat.1 gegeben hat:

Dann habe ich aber versehentlich den Artikel selbst gelesen, und konnte es nicht glauben, wie treffend und vernichtend der Autor Ulli Tückmantel das Wesen des Fernsehmoderators Johannes B. Kerners dekonstruiert hat — nicht allein allerdings, sondern mit Hilfe eines fast 50 Jahre alten Aufsatzes von Umberto Eco über den italienischen Quizmaster Mike Bongiorno.

Tückmantel schreibt:

(…) wie kann man nicht an Kerner denken, wenn man so wundervolle Sätze liest, wie: „Er achtet sorgfältig darauf, den Zuschauer nicht zu beeindrucken, indem er sich nicht nur unwissend zeigt, sondern auch entschlossen, nichts dazuzulernen.“

(…) Kerner hat keine Ahnung von den Dimensionen der Komik, die er erschließt, wenn er einen 29-Jährigen Geisterseher ohne jeden Anflug von Ironie fragt, ob Tote im Studio anwesend sind, und dann in seiner buchhalterischen Manier nachhakt, wie viele Tote es wohl gemessen an der Publikumszahl sein könnten.

Und selten habe ich einen Satz gelesen, der mein manchmal diffuses Unbehagen gegenüber Kerner so auf den Punkt bringt wie dieser:

Wie Bongiorno akzeptiert er vom Mainstream abweichende Meinungen seiner Gäste nicht aus liberaler Überzeugung, sondern aus Desinteresse.

(Schön ist aber auch, dass ich nicht der einzige bin, der einen solchen Artikel nicht in diesem Medium erwartet hat. Ein Leser kommentiert: „Sie müssen neu im Team der RPO sein. Bitte machen Sie nach Ihrem Praktikum doch bitte dort weiter so!“ Nun: Tückmantel leitet bereits das „Report“-Ressort der Gesamtausgabe der „Rheinischen Post“ und schreibt in dieser Funktion auch Kommentare, die mir gar nicht behagen.)

(Meine eigene Kritik steht in der „taz“.)

Die gute Nachricht des Jahres

Johannes B. Kerner gibt größere Teile des ZDF wieder frei. Sat.1 nimmt ihn.

Nachtrag. Im Vorspann zu seiner ersten „Johannes B. Kerner Show” 1998 im ZDF ist schon alles Schlimme drin, insbesondere der Ich-frag-ja-nur-Blick bei 0:17:

[Ich habe versehentlich den gleichlautenden Original-Eintrag gelöscht, samt der vielen lustigen Kommentare. Entschuldigung!]

Kann Kühn Kerner kucken?

Kollege Alexander Kühn vom „Stern“ hat sich in seiner Fernseh-Video-Kolumne „Was kuckt Kühn“ auch gefragt, welchen Jahresrückblick er denn sehen soll. Den von Günther Jauch, der in dem Sender, mit dem der „Stern“ verwandt ist, „Stern-TV“ moderiert und produziert. Oder den von Johannes B. Kerner im ZDF.

Dann hat er verglichen, wer da eingeladen ist:

„Beim Jauch sehen wir heute Mario Barth, Sarah Connor, Sarah Connor ihre Mutter und Paul Potts. Der Kerner, der hat den grantelnden Reich-Ranicki, der hat die feuchte Charlotte Roche, der hat den starken Mathias Steiner und als Special Guest den Udo Lindenberg. Deswegen — so ungern man’s auch sagt: Heut‘ entscheide ich mich mit vollem Herzen für Johannes B. Kerner, ‚Menschen 2008‘.“

Stern.de hat diese Empfehlung auf seiner Startseite und in der Video-Übersicht wie folgt bebildert:

Michael Johnson trifft Johannes B. Kerner

Gestern abend im ZDF:

Johannes B. Kerner: Zwei Mitglieder [der amerikanischen 4×400-Meter-Staffel von Sydney] sind des Dopings überführt worden. Einer hat gesagt, er hat’s getan. Sie haben gesagt, Sie haben nicht gedopt. Können Sie verstehen, dass es kritische Stimmen gibt, die sagen: Mensch, ausgerechnet der schnellste aus der Staffel von damals, der soll nichts genommen haben?

Michael Johnson: That’s a stupid question and I’m not gonna answer it.

Mal abgesehen davon, dass es schade ist, dass Senta Berger und Margarethe Schreinemakers nicht dabei sein konnten — gibt es wirklich niemanden im ZDF, dem sich die Fußnägel aufrollen, wenn er diese Gespräche sieht?

Es ist gut und richtig, dass Michael Johnson sich diese Fragen anhören muss. Es ist nur ein billiges Ablenkungsmanöver, wenn Michael Johnson am Ende daraus eine Verirrung der Deutschen oder des deutschen Fernsehens machen will.

Aber müsste Kerner nicht irgendwann erkennen (oder müsste ihn nicht irgendwann jemand vom ZDF beiseite nehmen und sagen), dass seine Form, Gespräche zu führen, untauglich ist, wenn ihm jemand anderes gegenübersitzt als Verona Pooth?

Er hat sie in seiner Sat.1-Vormittagstalkshow entwickelt, seine spezielle Form der Uneigentlichkeit, des Nicht-Fragens, und in seiner ZDF-Talkshow perfektioniert. Es ist seine Möglichkeit, tief im Schmutz zu wühlen, ohne selbst dreckig zu werden. Er, Kerner, hat ja immer nur gefragt und manchmal nicht einmal das. Nur zitiert, was andere meinen könnten. Angesprochen, was andere angesprochen haben, ohne es selbst angesprochen zu haben. Besonders eindrucksvoll demonstrierte er diese Methode, als vor Jahren die Schlagersängerin Michelle zu Gast war, der damals eine Affaire mit Oliver Kahn nachgesagt wurde. Das Gespräch begann so:

Kerner: Hallo Michelle, herzlich willkommen. Ja, übrigens Oliver Kahn war eigentlich angesagt für diese Sendung. Der FC Bayern hat ihm nach den glorreichen Spielen zuletzt verboten, die Stadt zu verlassen, und deshalb konnten wir das schöne Treffen mit Ihnen… Hätten Sie ihn gerne mal kennengelernt?

Michelle: Das ist schade, weil man sagt ja, ich hätte ein Verhältnis mit ihm, und ich hätte ihm zumindest vorher gerne einmal die Hand geschüttelt.

Kerner: Ach, Sie haben ihn noch nie getroffen?

Michelle: Nein, ich kenne ihn leider nicht.

Kerner: Ich kannte das Gerücht. Ich hätte nicht die Frechheit besessen, Sie darauf anzusprechen. Aber er ist ja glücklich verheiratet, wird Vater, zum zweiten Mal, das müßten Sie eigentlich wissen?

Nun versucht er, mit dieser Methode kritischen, nachhakenden, mutigen Journalismus zu simulieren: Michael Johnson, „Können Sie verstehen, dass es kritische Stimmen gibt, die sagen“? Er traut sich nicht selbst aus der Deckung, weshalb es auch so unwürdig ist, ihm dann beim Zurückschliddern zuzusehen. Bei seinem Kampf, seine Frage gleichzeitig als zulässig zu verteidigen, aber auch klarzumachen, dass es gar nicht seine Frage war. Bei seinem Rückzug auf ein schlichtes Rollenspiel, in dem Johnson und er nur tun, was sie tun müssen.

Und bei seiner nachhaltigen Irritation, dass er das Publikum plötzlich gegen sich hat. Wäre er kritischer Journalist und würde nicht nur gelegentlich in diese Rolle zu schlüpfen versuchen, wüsste er, dass es von den Fans natürlich keinen Applaus gibt für die Spielverderber, die ihre schönen Spiele kaputtmachen und an ihren Idolen sägen wollen. Kerner aber ist Showmaster.

Das ganze Gespräch in der ZDF-Mediathek

Falschparker auf Hermans Autobahn (2)

Eva Herman hat einen klaren juristischen Sieg gegen die Nachrichtenagentur dpa erzielt. Es geht um eine Meldung über die berüchtigte Sendung von Johannes B. Kerner am 9. Oktober 2007. dpa hatte exklusiv noch vor der Ausstrahlung berichtet:

Zuvor hatte Kerner fast 50 Minuten lang die 48-Jährige immer wieder gefragt, ob sie ihre Äußerungen zu den familiären Werten im Nationalsozialismus heute so wiederholen würde. Doch Herman wich mehrfach aus und ergänzte: Wenn man nicht über Familienwerte der Nazis reden dürfe, könne man auch nicht über die Autobahnen sprechen, die damals gebaut wurden.

Das hat Eva Herman nicht gesagt, weder wörtlich noch sinngemäß. Es ging in ihrem Autobahn-Vergleich nicht um die Familienwerte der Nazis, sondern darum, ob man auf die heutige Bundesrepublik bezogen von einer „gleichgeschalteten Presse“ sprechen darf, wie sie es tat.

Nach dem Urteil des Landgerichtes Köln (Aktenzeichen 28 O 10/08) war die Art, wie dpa sie zitierte, unzulässig. Zwar bestehe „gegen vergröbernde Darstellungen, die im Kern wahr sind, in aller Regel kein Abwehranspruch“. „Vergröberungen, Einseitigkeiten und Übertreibungen“ müssten „in gewissem Umfang von dem Betroffenen hingenommen werden“, denn Sachverhalte ließen sich „auf dem beschränkten Raum, der für einen Pressebericht meist nur zur Verfügung steht, nicht derart vollständig darstellen lassen, dass unterschiedliche Eindrücke der Leserschaft ausgeschlossen werden“. Nachrichtenagenturen seien wegen der Kürze von Meldungen in besonderem Maße auf „griffige und eingängige Formulierungen angewiesen“.

All diese Zugeständnisse gälten aber nicht für Zitate, auch nicht in indirekter Rede:

Das ergibt sich daraus, dass Zitate des Betroffenen in ungleich größerer Weise geeignet sind, dessen Persönlichkeitsrecht zu verletzen, als dies bei der allgemeinen Berichterstattung der Fall ist. Denn der Betroffene wird als Zeuge gegen sich selbst ins Feld geführt. (…) demjenigen, der eine Äußerung wiedergibt, werden keine wesentlichen oder gar unzumutbaren Erschwerungen oder Risiken auferlegt, wenn er verpflichtet wird, konkret und zutreffend zu zitieren (…).

Dass der Zusammenhang, den dpa herstellte, nicht stimmte, hätte die Agentur trotz des Aktualitätsdrucks leicht erkennen können und müssen, so das Gericht.

Eva Herman und dpa hatten sich, wie berichtet, im Grundsatz bereits vor Wochen geeinigt: Die Nachrichtenagentur verpflichtete sich, nicht wieder zu verbreiten, dass Herman gesagt habe: „Wenn man nicht über Familienwerte der Nazis reden dürfe, könne man auch nicht über die Autobahnen sprechen, die damals gebaut wurden.“ Ursprünglich hatte Herman allerdings gefordert, die Meldung komplett zu untersagen. Deshalb sah der Vergleich vor, dass beide Seiten sich die Kosten für das Verfahren teilen.

Die Zustimmung zum Kostenvergleich widerrief Herman aber nachträglich, deshalb urteilte darüber das Gericht. Die Entscheidung ist eindeutig: 91 Prozent der Kosten soll dpa tragen, 9 Prozent Eva Herman.

Die Agentur will sich damit aber nicht abfinden. Ihr Anwalt argumentiert, dass der Kostenvergleich Teil eines Gesamtpakets war, um eine gütliche Einigung zu ermöglichen — eigentlich sei dpa nicht der Auffassung, dass Eva Herman einen Anspruch auf Unterlassung hatte. Es sei unzulässig, einerseits das Verbot der Äußerung aufrecht zu erhalten, andererseits aber die Kostenfrage drastisch zu verändern.

Der dpa-Vertreter verweist auch darauf, dass Herman erst mit großer Verzögerung aufgefallen sei, dass ihr Persönlichkeitsrecht verletzt wurde: Sie will erst zwei Monate später von der Existenz dieser Meldung erfahren haben. Warum dann noch die Eilbedürftigkeit herrschte, die eine einstweilige Verfügung erforderlich machte, sei nicht einsichtig — insbesondere, da dpa vom Tag nach der Kerner-Sendung an differenzierter berichtete und Herman nicht mehr falsch zitiert hatte.

dpa hat deshalb Beschwerde gegen das Urteil eingelegt.