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Dschungeltagebuch: Die Kakerlaken sind optional

Am Ende wird’s dann wieder auf die armen Kakerlaken geschoben. Als könnten sich die Bewohner des RTL-Dschungelcamps mehr zum Deppen machen als mit den lächerlichen Posen, die sie – ganz ohne das Zutun von Krabbeltieren – gleich im Vorspann eingenommen haben:



Man möchte sich gar nicht ausmalen, ob es grausame Produzenten sind, die dem Eisläufer Norbert Schramm dann vom Regieplatz zurufen: „Herr Schramm? Können Sie nicht mal die Schlittschuhe so seitlich hochhalten und dabei ganz… äh… offensiv in die Kamera gucken?“ – oder ob Norbert Schramm die Schlittschuhe gleich selbst mitgebracht hat, um vorzuschlagen, dass das doch eine tolle Idee wäre, wenn er sie für die Film- und Fotoproduktion so lustig hochhalten könnte.

Man kann sie in den Augen der Kandidaten sehen, die verzweifelte Hoffnung, dass sich die Teilnahme an dieser Sendung lohnen möge, finanziell, aber vor allem in Form von Aufmerksamkeit, dass es hinterher wieder Kameraleute und Produzenten gebe, für die man sich in alberne Posen werfen darf, für die sie alles tun würden, nur um nicht vergessen zu werden. Was für ein abwegiger Gedanke, dass es ekliger ist, dafür in den Dschungel zu gehen und noch lebendes Getier zu essen, als der geifernden Meute von „Bunte“ & Co. abwegige Privatgeschichten zu liefern oder sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit die Kopfschmerzen von den Augen wegoperieren zu lassen. Das Schöne an dieser Show ist aber auch, dass man den Teilnehmern, wenn die Zeit doch lang wird im Dschungel und die Zumutungen härter, dann anders als bei ihren sonstigen PR-Bemühungen dann ansehen kann, wie sie an ihrer eigenen Rechnung zweifeln und sich fragen, ob es das wert war.

Irgendwie schaffen es die Produzenten von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“, dass die Teilnehmer, die sonst auch nicht zögern, sich in irgendeiner Hinsicht öffentlich auszuziehen, jetzt schon nackter dastehen als je zuvor – dafür braucht es weder einen Paul Sahner noch Kakerlaken: Noch im Luxushotel verlor Giulia Siegel die Fassung, weil ihr Papi ihr einen riesengroßen Blumenstrauß geschickt hatte. Ihr Papi! Einen riesengroßen! Blumenstrauß! Später fügte sie den ganz anders, aber genauso entlarvenden Satz hinzu: „Auch wenn ich einen Müllsack anhabe, ist es irgendwo sexy“, während Peter Bond seiner Frau eine einmalige Liebeserklärung machte:

„Ich bin ja verliebt. Und für mich ist meine Frau momentan die Schönste. Das heißt aber nicht, dass es nicht zu einer Situation kommen könnte im Camp, wenn jemand dabei ist, der einem gefällt, gar keine Frage, das kann durchaus passieren.“

Norbert Schramm übte sich in der Kunst der Selbstanalyse: „Normalerweise bin ich Einzelkämpfer. Auch als Eiskunstläufer war ich Einzelläufer.“ Der Preis für die rührendste Realitätsverleugnung aber ging in der ersten Folge an Günther Kaufmann, der nach überraschend frühen erste Zickereien zwischen den Kandidaten scheinbar ehrlich besorgt in die Kamera sprach: Lästern? „Dafür haben wir im Dschungel keine Zeit!“

Was die Produzenten auch schaffen: dass der Qualitätsabstand der Sendung selbst und der Berichterstattung über sie immer größer wird. Während sich ungefähr alle anderen an einem gewaltigen Feldversuch beteiligen, ob es irgendwann einen Punkt gibt, an dem niemand mehr kichert, wenn jemand einen naheliegenden Witz über den Nachnamen des Models Nico Schwanz macht, haben die Gagschreiber der Sendung die, jawohl, Latte gleich höher gelegt und Dirk Bach mit einem Schlechten-Wortspiel-Straf-Sparschwein ausgestattet. (Was seine Moderationspartnerin Sonja Zietlow natürlich mit den Worten kommentierte: „Hätten wir doch lieber Hans Eichel mitnehmen sollen.“)

Die Werbekunden meiden die Show offenkundig noch immer, aber Presse und Online-Medien haben die Empörungsberichterstattung der vergangenen Jahre längst durch eine hemmungslose flächendeckende Dokumentation der Ereignisse im Haus ersetzt, mit Bildergalerien, schlichtesten Nacherzählungen des Geschehens und plumpsten Kandidatenbeschimpfungen, was die kommenden zwei Wochen vermutlich für viele Dschungelmuffel hier im Land zu einer größeren Tortur machen wird als für die im australischen Urwald bei Reis und Bohnen ausharrenden Kandidaten.

Aber der Gedanke, dass das Eklige an dieser Show die Kakerlaken seien, ist nun wirklich abwegig.

Dieter Bohlen guckt lieber andere Programme als RTL

Lassen Sie sich das TV-Programm vorschreiben? Dieter Bohlen nicht. „Das TV-Programm lass ich mir nicht vorschreiben“, sagt er. „Ich schau Bohlen-TV auf Save.TV!“

Bei Save.TV handelt es sich um ein Angebot, mit dem man Fernsehsendungen online aufnehmen kann, und bei Bohlens Sätzen um Werbung. Es sagt noch mehr davon:


Screenshot: gmx.net

Nun weiß ich nicht, was Dieter Bohlen unter Vollnarkose kann (außer Musik komponieren), aber ich weiß, was der Online-Rekorder von Save.TV nicht kann: Sendungen von RTL aufnehmen. RTL hat nämlich (als einziger Sender) gegen die ungenehmigte Nutzung seines Programms durch Save.TV geklagt und in zwei Instanzen vor dem Landgericht Leipzig und dem Oberlandgericht Dresden Recht bekommen. Nun liegt der Fall beim Bundesgerichtshof (BGH).

Save.TV tut alles, dieses Manko vor seinen (teils zahlenden) Kunden zu verheimlichen, wirbt sogar mit „Aufnahmetipps“ aus dem RTL-Programm für sich, gibt beim Versuch, sie doch zu programmieren, nur die kryptische Fehlermeldung „Leider ist die Aufnahme momentan nicht möglich. (705)“ aus und hat lange behauptet, es handele sich nicht um juristische, sondern technische Probleme. Dabei gilt schlicht: Save.TV darf bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BGH die RTL-Sendungen nicht aufnehmen.

Trotzdem zeigt einem ausgerechnet RTL-Star Dieter Bohlen auf Save.TV an jeder Ecke als Werbemodel seine Zähne:


Screenshots: Save.TV

„Das ist problematisch, klar“, sagt eine Save.TV-Sprecherin, „aber es handelt sich ja um eine Kampagne für alle Sender und nicht nur RTL.“ Und bei RTL heißt es, dass Dieter Bohlen seine Werbeengagements selbst auswähle – empfohlen hätte man es ihm sicher nicht.

Wenn es aber stimmt, was Bohlen sagt, dass er mit Save.TV seine „Lieblingssendungen“ und „Bohlen-TV“ aufnimmt, wäre es interessant, um welche Programme es sich handelt. „Deutschland sucht den Superstar“, „Das Supertalent“ und ihre diversen Begleitshows können es ja nicht sein.

„Horizont“-Journalismus

Vor zwei Wochen hätte „Horizont“, die Fachzeitschrift für Werbung und Medien, ja beinahe einen journalistischen Artikel mit unangenehmen Wahrheiten veröffentlicht, was durch eine größere Rückrufaktion gerade noch verhindert werden konnte. Inzwischen hat man sich in der Redaktion gefasst und produziert wieder Meldungen nach dem üblichen eigenen Qualitätsstandard.

Meldungen wie die, dass Anke Schäferkordt von „Horizont“ als „Medienfrau des Jahres 2008“ ausgezeichnet wird.

Das kann man natürlich machen. Man kann den von ihr geleiteten Sender RTL zum Beispiel dafür bewundern, wie er es geschafft hat, angesichts einer sich ganz von allein zerbröselnden Konkurrenz, einfach stillzuhalten und auf eigene Ideen, Impulse und Risiken zu verzichten. Man kann Frau Schäferkordt auch dafür feiern, dass sie nicht nur Rekordgewinne einfährt, sondern nach Angaben von ver.di auch fleißig weiter Stellen abbaut. Und bestimmt findet man in einem Jahr, in dem die Quoten für RTL fast durchweg schlechter waren als im Vorjahr, auch eine Ausnahme, die man hervorheben kann.

Und natürlich wird man die Gewinnerin des eigenen Preises auf ein hohes Podest stellen. Aber „Horizont“-Chefredakteur Jürgen Scharrer hat es nicht dabei belassen, Schäferkordt Kränze zu flechten. Er hat die fertigen Kränze aufgepumpt, vergoldet und mit einer dicken Schicht rosa Zuckerwatte gerahmt. Aber lesen Sie selbst:

Eine makellose Erfolgsbilanz hat zweifellos Anke Schäferkordt, Geschäftsführerin bei der Mediengruppe RTL und Medienfrau des Jahres, vorzuweisen. Im November erzielte das Senderflaggschiff RTL bei den 14- bis 49-Jährigen einen Marktanteil von famosen 17 Prozent, mit „Doctor’s Diary“ gelang zudem das Kunststück, endlich auch mal wieder mit einer deutschen Serie Erfolg zu haben. Gute Zahlen, starke Quoten, effiziente Strukturen: So schnell wie bei Schäferkordt war sich die Jury selten zuvor einig, wem die Auszeichnung gebührt.

In einem weiteren Text fügt „Horizont“ sicherheitshalber hinzu:

Die Bilanz Schäferkordts bei RTL kann man nur makellos nennen. Die RTL-Gruppe hat sich als überaus verlässliche Cashcow etabliert. Als gelernte Controllerin hat Schäferkordt das Unternehmen konsequent auf Effizienz getrimmt.

Solche Texte muss man als Journalist erst einmal schreiben wollen.

Wissen Sie übrigens, wer u.a. in der Jury war, die die Männer und Frauen für „Horizont“ gekürt hat? Doch, Sie kommen drauf.

Nachtrag, 11:40 Uhr. Nach Angaben von RTL hat Frau Schäferkordt an der eigenen Wahl selbstverständlich nicht teilgenommen.

Auch Fernsehshow-Anrufer haben Rechte – in Großbritannien

Die Briten haben eine erfrischend eindeutige Haltung zu Fernseh- und Radiosendungen, in denen das Publikum dazu aufgefordert wird, die ein oder andere kostenpflichtige Telefonnummer anzurufen: Wenn der Zuschauer Geld ausgibt, muss er auch etwas dafür bekommen. Eine tatsächliche Chance auf einen Gewinn, zum Beispiel. Oder die Möglichkeit, eine Wahl mit einer abgegebenen Stimme tatsächlich zu beeinflussen.

Es war keine böse Absicht, dass die BBC am vergangenen Wochenende gegen diese Regel verstieß und wieder einmal den Volkszorn provozierte. Es war reine Dusseligkeit. Und das ausgerechnet bei der seit Monaten unter größter Anteilnahme der Nation laufenden Show „Strictly Come Dancing“, die auf deutsch in Deutschland „Let’s Dance“ heißt und in der Prominente um die Wette tanzen. Heute Abend ist das große Finale – es werden weit über zehn Millionen Zuschauer erwartet.

Eigentlich hätte im Halbfinale am vergangenen Samstag eines von drei verbliebenen Paaren ausscheiden sollen. Die Wertungen von vier Juroren einerseits und die Abstimmung des Publikums andererseits bestimmen jeweils zur Hälfte die Platzierung der Kandidaten. Die beiden schlechteren Paare müssen in ein Duell, in dem dann die Jury alleine entscheidet.

Es ergab sich aber, dass die Jury zufällig zwei Paare punktgleich auf den ersten Platz gesetzt hatte. Das drittplatzierte Paar hatte aufgrund des Punktesystems keine Chance mehr, den ersten Platz zu erreichen und so vor dem entscheidenden Duell gerettet zu werden – ganz egal, wie das Publikum abgestimmt hätte. Entgegen der ununterbrochenen Aufrufe, für das eigene Lieblingspaar zu stimmen und es so vor dem Duell zu bewahren, war jede Stimme für die Drittplatzierten verschenkt.

Leider fiel das den Verantwortlichen erst auf, als die Abstimmung längst lief. Und leider gab es keine Regel, was in einem solchen Fall zu tun sei. Und so beschloss die BBC, die Abstimmung nach einer Stunde „einzufrieren“ und alle drei Paare ins Finale kommen zu lassen. Die bereits abgegebenen Stimmen sollen dann dort gelten.

Ein Anruf in der Sendung kostet nur vergleichsweise lächerliche 15 Pence (16 Cent), aber das Ausmaß an Empörung und Schiebung-Rufen war dennoch gewaltig. Es legte sich erst dann ein wenig, als die BBC öffentlich erklärte, all die Anrufer, die wirklich unglücklich seien über den veränderten Ablauf, könnten ihr Geld zurück bekommen – zunächst hatte die BBC genau das abgelehnt. Aber bei kostenpflichtigen Telefonspielen sind die Briten besonders sensibilisiert, seit herauskam, dass nicht nur Sender und Sendungen nach dem Vorbild von 9Live die Zuschauer in die Irre führten, sondern die Anrufer auch in großen Shows und sogar Benefiz-Galas getäuscht wurden. Die Aufsichtsbehörde Ofcom griff mit Strafen in Höhe von mehreren Millionen Euro durch. Noch in dieser Woche verhängte sie eine Geldbuße von rund 100.000 Euro, weil vorher aufgezeichnete Radiosendungen der BBC so taten, als könne man live anrufen.

Eine funktionierende Medienaufsicht aber ist in Deutschland ähnlich unvorstellbar wie die Art, in der sich ein BBC-Verantwortlicher in den BBC-Nachrichten unangenehme Fragen vom Moderator nach dem peinlichen Chaos bei „Strictly Come Dancing“ gefallen lassen musste (Video). Vor allem aber fehlt bei uns fast jedes Gefühl, dass mit dem Geld, das die Fernsehsender durch die teuren Anrufe einnehmen, eine Verpflichtung verbunden ist.

Als im vergangenen Jahr der Kandidat Max Buskohl die RTL-Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“ außer der Reihe verließ, behaupteten er und sein Vater hinterher, der Sender habe ihn überredet, nicht sofort zu gehen, sondern erst nach der nächsten Entscheidungsshow. So konnte RTL am Samstag durch die Telefonanrufe der Zuschauer noch Einnahmen in schätzungsweise sechsstelliger Höhe generieren – bevor am Sonntag klar wurde, dass all diese Anrufe bedeutungslos waren, weil Buskohl ging und deshalb der vom Publikum herausgewählte Kandidat bleiben durfte. Die zuständige Landesmedienanstalt sah sich nicht veranlasst, bei RTL überhaupt nachzufragen, was denn da los war, ein öffentlicher Aufschrei über den Betrug an den Zuschauern blieb aus. Vermutlich hätte man das Gelächter der RTL-Verantwortlichen durch die halbe Republik gehört, wenn einer der Anrufer versucht hätte, sein Geld zurück zu bekommen.

Kann Kühn Kerner kucken?

Kollege Alexander Kühn vom „Stern“ hat sich in seiner Fernseh-Video-Kolumne „Was kuckt Kühn“ auch gefragt, welchen Jahresrückblick er denn sehen soll. Den von Günther Jauch, der in dem Sender, mit dem der „Stern“ verwandt ist, „Stern-TV“ moderiert und produziert. Oder den von Johannes B. Kerner im ZDF.

Dann hat er verglichen, wer da eingeladen ist:

„Beim Jauch sehen wir heute Mario Barth, Sarah Connor, Sarah Connor ihre Mutter und Paul Potts. Der Kerner, der hat den grantelnden Reich-Ranicki, der hat die feuchte Charlotte Roche, der hat den starken Mathias Steiner und als Special Guest den Udo Lindenberg. Deswegen — so ungern man’s auch sagt: Heut‘ entscheide ich mich mit vollem Herzen für Johannes B. Kerner, ‚Menschen 2008‘.“

Stern.de hat diese Empfehlung auf seiner Startseite und in der Video-Übersicht wie folgt bebildert:

„Gespräch freundlich, aber zügig beenden“

Am vergangenen Mittwoch berichtete das RTL-Magazin „Stern-TV“ über die Sandwichkette „Subway“ in einer Form, die das Unternehmen sonst aus dem Privatfernsehen nicht kennt. Ausführlich kamen Kritiker zu Wort, die vor dem Franchise-Konzept warnen und zum Beispiel die Lizenzverträge für ungültig halten. Es war, anders als die So-lecker-ist-das-„Subway“-Brot-Beiträge der ProSieben-Dauerwerbesendung „Galileo“, ein kritischer Beitrag.

Deshalb verschickte der Area Development Manager Deutschland, Österreich, Schweiz, Luxemburg von „Subway“ am folgenden Tag eine E-Mail an die Franchisepartner und Kollegen. Er schrieb, dass das „System Subway Sandwiches“ in dem Bericht stark kritisiert worden sei „leider anhand z.T. falscher oder veralteter Tatsachen“ und hängte ein „Frage- und Antwort-Papier“ an, das den Empfängern „dabei helfen soll, die aktuelle Situation an Ihre Mitarbeiter zu kommunizieren und diese zu richtigem Verhalten im Restaurant anzuleiten (falls ein Gast oder Redakteur weitere Infos erfragen will).“

Das Papier ist, um es vorweg zu sagen, in keiner Weise skandalös. Es ist aber interessant, weil es zeigt, wie Unternehmen in solchen Situationen reagieren und welche Verhaltenstipps sie ihren Mitarbeitern geben — insbesondere Journalisten gegenüber. Besonders gefällt mir die Warnung vor scheinbar „harmlosen“ Fragen, deren Sinn sich erst später herausstellt.

Aber lesen Sie selbst:

Erläuterungen zum Stern TV-Beitrag und Handlungsanleitung für den weiteren Umgang.

Woher hatte der Redakteur die Informationen?

Der zuständige Redakteur (Theo Heyen, freier Redakteur) bezieht sich auf die schriftlichen Unterlagen, die ihm in Form eines von der Systemzentrale beantworteten Fragenkatalogs vorliegen, sowie die Aussagen der im Bericht auftretenden Franchisepartner und das Interview mit Fred DeLuca, das er im Rahmen der Deutschlandkonferenz geführt hatte.

Welche Reaktionen werden aufgrund des Berichts erwartet?

Das können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mit Sicherheit sagen. Nachdem Stern TV ein meinungsbildendes Medienformat in Deutschland ist, ist damit zu rechnen, dass weitere Medien die (teilweise falschen) Inhalte aufgreifen. Für diesen Fall bereiten wir gerade ein Statement zu den Thesen des Berichts vor, das dann an die jeweiligen Medien verschickt wird.

Womit habe ich als Franchisepartner in Folge des Beitrags zu rechnen?

Natürlich kann es sein, dass Gäste oder Redakteure in Ihrem Restaurant Fragen zu den Themen des Berichts stellen werden. Wir empfehlen Ihnen, auf Äußerungen generell freundlich zurückhaltend zu reagieren. Wir gehen davon aus, dass – wenn überhaupt – Nachfragen bzgl. der Entlohnung der Sandwich-Artists oder der Situation ihres eigenen Restaurants („Haben Sie auch solche Probleme?“ o.Ä.) kommen werden.

Wie reagieren Sie als Franchisepartner/Restaurantleiter, falls Sie ein Gast auf den Bericht anspricht?

Bleiben Sie ruhig und freundlich. Generell würden wir Ihnen empfehlen, sich nicht zu den System-Interna zu äußern.

Unten stehend finden Sie zudem mögliche Fragen Ihrer Gäste und unsere empfohlene Reaktion darauf:

Einzelfälle der Franchisepartner im Bericht.

„Ich kenne die Details, Hintergründe und Entstehungsgeschichte der geschilderten Situationen nicht, deshalb möchte ich mich dazu nicht äußern. Bitte haben Sie dafür Verständnis.“

Situation Ihres Restaurants.

Hier würden wir Ihnen empfehlen, keine detaillierte Auskunft zu geben – schließlich handelt es sich hier um „intime“ Details Ihres Geschäfts. Bitten Sie einfach um Verständnis, dass Sie sich dazu nicht äußern möchten. Natürlich ist es Ihnen aber freigestellt, Ihren Gästen dazu Auskunft zu
geben.

Entlohnung der Sandwich-Artists.

„Jeder Franchisepartner ist eigenständiger Unternehmer und entscheidet selbst über die Entlohnung seiner Mitarbeiter. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich zur Entlohnung meiner Mitarbeiter nicht äußern möchte – das würde das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber empfindlich verletzen.“

Wie reagieren Mitarbeiter, falls sie ein Gast auf den Beitrag anspricht?

Sie sollen freundlich und ruhig bleiben, dem Gast erklären, dass sie über die Details und Hintergründe des Beitrags leider nicht Bescheid wissen, aber gerne den Franchisepartner/Restaurantleiter hinzuholen. Bitte weisen Sie sie explizit darauf hin, auch keine Auskunft über ihr Gehalt zu geben!

Wie reagieren Sie als Franchisepartner/Restaurantleiter, wenn Lokalmedien wegen des Beitrags Kontakt mit Ihnen aufnehmen oder unangemeldet in Ihrem Restaurant Auskunft haben wollen?

Als Erstes: Bleiben Sie ruhig und gelassen. Hören Sie sich an, was genau der Redakteur von Ihnen wissen will. Wir empfehlen, dem Redakteur keine Auskunft zu geben. Sagen Sie ihm, dass er sicherlich dafür Verständnis haben wird, dass Sie erst Rücksprache halten wollen und ihn dann gerne nochmals kontaktieren. Bitten Sie ihn um seine Kontaktdaten.

Nehmen Sie dann unverzüglich Kontakt zu unserer PR-Agentur foleys auf, die die weitere Vorgehensweise abstimmen wird: (…).

Achtung: Redakteure stellen oftmals vermeintlich harmlose Fragen, deren Sinn sich meist erst im Nachhinein herausstellt!

Wie kommuniziere ich den Vorfall an meine Mitarbeiter?

Wir empfehlen Ihnen, Ihre Mitarbeiter umgehend generell darüber zu informieren, dass Mittwoch (20.11.08) in Stern TV ein kritischer Beitrag ausgestrahlt wurde.

Erklären Sie Ihren Mitarbeitern, dass nur Sie als Franchisepartner/Restaurantleiter Redakteuren oder Gästen gegenüber Auskunft erteilen sollten (und das auch erst nach Rücksprache mit unserer
PR-Agentur).

Was sollen meine Mitarbeiter tun, wenn ein Redakteur von Ihnen Auskunft haben will (telefonisch oder im Restaurant)?

ACHTUNG: Wiederholen Sie unten stehende Anweisung täglich zu jeder neuen Schicht!

Verhalten, falls ein Redakteur von einem Mitarbeiter Auskunft haben will:

  1. Freundlich bleiben und sich sein Anliegen anhören
  2. Dem Redakteur kurz und freundlich erklären, dass Sie über die Details und Hintergründe des TV-Beitrags leider nicht Bescheid wissen, aber gerne den Franchisepartner/Restaurantleiter holen
    werden
  3. Entweder Franchisepartner/Restaurantleiter holen oder (falls der nicht erreichbar ist)
  4. Kontaktdaten des Redakteurs aufnehmen und diese an unsere PR-Agentur weitergeben (Kontakt: siehe vorige Seite)
  5. Redakteur sagen, dass die PR-Agentur Kontakt mit ihm aufnehmen wird
  6. Gespräch freundlich aber zügig beenden und auch bei eventuell nochmaligem Nachhaken seitens Redakteur keine Auskunft geben sondern ihn auf Kontaktaufnahme durch foleys verweisen.

Q.e.d.

RTL hat die Fernsehpreis-Kritik von Marcel Reich-Ranicki als „respektlos und indiskutabel“ bezeichnet. Sendersprecher Christian Körner sagte: „Es wird keine Sendung für Pauschalkritik bei uns geben, in der sämtliche Programme und damit ihre Macher und die Zuschauer gleich mit für blödsinnig erklärt werden.“

Der größte deutsche Privatsender selbst wirbt für seine eigene Berichterstattung über das Thema in seinem Newsletter, den er per E-Mail verschickt, unter folgender Betreffzeile:


Skandal beim Fernsehpreis: Wer kam ohne BH?

Freibier an der Scheinbar von RTL

Ich muss Sie warnen. Das Bild, das gleich folgt, ist nichts für schwache Nerven. Es ist ein schauriges Bild.

Ist das nicht ein schauriges Bild? Doch, es ist ein schauriges Bild. Fragen Sie mal die Leute von „RTL Explosiv“. Die haben am Montag einen Beitrag mit diesem Bild begonnen. Der Sprecher sagt dazu:

Ein schauriges Bild. Ein Spielplatz, auf dem scheinbar keine Kinder mehr spielen. Der Grund könnte vielleicht sein, dass seit ein paar Tagen gleich nebenan ein mutmaßlicher Kinderschänder wohnt.

Da möchte man sich doch sofort bewerben, in der RTL-Redaktion, in der man solche Beiträge produzieren kann. Wo man nicht mühsam in der Nachbarschaft rumfragen muss, warum auf dem Spielplatz keine Kinder mehr spielen. Weil man sich einfach ausdenken kann, woran es liegt, nein: vielleicht liegt, nein: vielleicht liegen könnte. Noch besser: Wo es nicht einmal stimmen muss, dass auf dem Spielplatz keine Kinder mehr spielen. Wo der RTL-Reporter eventuell auf dem Platz herumtollende Kinder sogar einfach wegschicken konnte, um in Ruhe einen Spielplatz drehen zu können, auf dem „scheinbar“ keine Kinder mehr spielen.

Es geht dem „RTL Explosiv“-Reporter Karl Wirz und seinem Kollegen Olaf Schenk, der als Autor des Beitrages genannt wird, in Wahrheit natürlich nicht um den Spielplatz. Es geht ihnen um den mutmaßlichen Kinderschänder. Das Wort „mutmaßlich“ bedeutet für sie aber offenbar nicht, dass der Mann wahrscheinlich der Täter ist, möglicherweise aber auch unschuldig. Es bedeutet für sie offenbar, dass er der Täter ist, aber noch nicht verurteilt wurde.

Alles, was die beiden RTL-Journalisten in ihrem Beitrag mit Bestimmtheit sagen können, habe ich der Übersicht halber einmal in folgendem Schaubild zusammengefasst:

Nicht einmal der zentrale Vorwurf gegen den Mann lässt sich ohne ein Wort der Relativierung formulieren:

Ein 67-jähriger Lehrer aus Hessen sitzt mit zwei vermeintlich minderjährigen Jungs auf dem Bett in einem Touristenappartement in Pattaya / Thailand.

Ja, mit der Sprache haben sie’s nicht so bei „RTL Explosiv“. Wären die Jungs tatsächlich nur „vermeintlich“ minderjährig, wären sie es tatsächlich vermutlich nicht, und es gäbe gar keinen Fall.

Der Beitrag erweckt dann zunächst den Eindruck, der Verdächtige sei aus Thailand geflüchtet (schon die Moderatorin hatte in ihrer rehäugigen Anmoderation gesagt: „Jetzt ist dieser Mann zurück in seiner Heimat in Deutschland. Einfach so, scheint es“). Der Mann bestreitet das gegenüber dem RTL-Reporter. Nach einigen rhetorischen Umwegen geben ihm die RTL-Leute Recht:

Wir erfahren, dass das Verfahren gegen Rolf E. in Thailand eingestellt wurde.

Und fügen hinzu:

Angeblich reichen die Beweise gegen ihn nicht aus. Und die einzigen Zeugen, die beiden mutmaßlich 13- und 15-jährigen Jungen, sind verschwunden. Wurden sowohl Zeugen als auch Beamten [sic] vielleicht bestochen?

Ja, vielleicht?

Falls die „RTL Explosiv“-Leute Anhaltspunkte für diese Spekulation haben sollten, behalten sie sie für sich. Aber Karl Wirz, der mit all der Arschlochhaftigkeit auftritt, die angemessen ist, wenn ein „RTL Explosiv“-Mann einen „mutmaßlichen Kinderschänder“ zur Rede stellt, konfrontiert Rolf E. an dessen Wohnungstür:

„Haben Sie denn irgendwelche Beziehungen, dass Sie da so leicht rauskamen dann aus Thailand, weil: Normalerweise sind die doch da viel rigider in der Durchsetzung solcher Sachen.“

Der Verdächtige sagt: „Ich kann jederzeit jedem in die Augen schauen.“ Und der RTL-Sprecher fügt mit entwaffnender Offenheit hinzu: „Ob das stimmt, wissen wir nicht.“ Aber es gibt ja Indizien. Er zählt mit knarzender Stimme hinzu:

Pattaya ist das Reiseziel Nummer 1 für Sextouristen. Auch bekannt in der Pädophilenszene. Der ehemalige Religionslehrer hielt sich in den letzten acht Jahren immer wieder für längere Zeit in Pattaya auf.

Nach viereinhalb Minuten endet der „Explosiv“-Beitrag endlich mit folgenden Sätzen:

Die [deutsche] Staatsanwaltschaft lässt sich jetzt alle Unterlagen aus Pattaya schicken, die dann mühsam und detailliert übersetzt werden müssen. Ob sie dann noch vollständig und verwertbar sein werden, wird sich zeigen. Das kann Wochen oder sogar Monate dauern. Ob Rolf E. jemals vor einem deutschen Gericht stehen wird, muss die Staatsanwaltschaft klären. Deshalb gilt der 67-jährige als unschuldig. Und wohnt bis auf weiteres neben einem scheinbar verwaisten Spielplatz.

In der Tat:

Der „Explosiv“-Beitrag auf „RTL Now“.

Die tote Michelle, die Neonazis — und RTL

Das Mischmagazin „Extra“ ist einer der besonders hilflosen Versuche von RTL, Journalismus zu simulieren. Die Sendung am Montag versuchte sich an dem Thema der Ermordung der achtjährigen Michelle. In der Ankündigung formulierte der Sender:

Der Fall der missbrauchten und ermordeten Michelle aus Leipzig sorgt nicht nur bei Angehörigen für Zorn und Verzweiflung.

Der „Fall der missbrauchten Michelle“? Bis jetzt hat die Polizei ausdrücklich offen gelassen, ob das Mädchen sexuell missbraucht wurde. RTL unterstellt das einfach. RTL muss das auch unterstellen, denn „Extra“ hat — scheinbar passend zum Thema — offenbar in Eile mithilfe von Archivmaterial einen Beitrag zusammengeklöppelt, in dem es um Möglichkeiten der Kastration pädophiler Täter geht.

Am Ende kriegt der Beitrag wieder die Kurve nach Leipzig. Die Sprecherin sagt:

Diese Angst treibt auch die Menschen in Leipzig auf die Straße. Sie machen sich Sorgen um ihre Kinder, solange der Mörder von Michelle noch frei herumläuft und fordern drakonische Strafen. Allein im Raum Leipzig sollen 350 Kinderschänder registriert sein. Die Bürger hier wollen jetzt keine Haftstrafen mehr für verurteilte Pädophile, sie fordern die Todesstrafe.

Das ist zu hören. Gemeinsam skandieren die Menschen „Todesstrafe für Kinderschänder“. Und es ist zu sehen. Es steht auf den Transparenten, hinter denen die Demonstranten, darunter viele junge Frauen mit Kindern, hinterher laufen.

RTL zeigt eines groß:

An dem Banner ist nicht nur die Forderung und die Illustration bemerkenswert. Auch der angegebene Absender ist es. Das „Freie Netz“ ist ein Verbund von Internetseiten meist jüngerer Neonazis in Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Nordbayern. Hinter ihrem Banner laufen die Menschen, die RTL zeigt. Ihr Banner, ihre Demonstration ist es, die RTL — ohne ein Wort der Erklärung — als Ausdruck dessen nimmt, was „die Bürger hier“ wollen.

Die ahnungslosen und sensationslüsternen Möchtgernjournalisten von RTL haben der Strategie der Neonazis nichts entgegenzusetzen. Sie gehen ihr gleich doppelt auf den Leim, wenn sie zumindest voreilig die Fixierung auf das Thema „Kinderschänder“ übernehmen und die Nationalen gleichzeitig als diejenigen zeigen, die den Volkswillen repräsentieren.

Dabei ist diese Strategie kein Geheimnis. Schon am Donnerstag, dem Tag, an dem Michelle tot gefunden wurde, gab die NPD-Fraktion im sächsischen Landtag eine Pressemitteilung heraus, in der sie den Fall als Beweis der „Berechtigung“ ihrer Forderung nach der Todesstrafe für Kindermörder bezeichnete. Fast wie später RTL behauptete die NPD: „Offenbar wurde das Mädchen das Opfer eines Sexualverbrechens.“ Und ganz wie später implizit RTL machte die NPD sich selbst zum Sprachrohr der „berechtigten Empörung der Bürger“.

Ein Beitrag auf Indymedia schildert die Entwicklung am Donnerstag so:

Gegen 17 Uhr am Nachmittag sammelten sich im Leipziger Stadtteil Reudnitz mehrere Nazis des „Freien Netzes“ und meldeten eine Spontankundgebung an. Mit diversen schwarzen Fahnen, Fackeln und Transparenten des „Freien Netzes“ zogen bis gegen 19:30 Uhr bis zu 250 Nazis unter der Parole „Todesstrafe für Kinderschänder“ durch das Viertel. Trotz der Optik des Aufzugs und der Forderung nach der Todesstrafe schlossen sich rund 80 Anwohner der Demonstration an, zudem brachten sowohl Nazis als auch Anwohner nicht wenige Kinder mit zum Aufzug. Die Polizei begleitete die Demonstration mit mehreren Fahrzeugen.

Da aufgrund der tagesaktuellen Berichterstattung auch mehrere Kamerateams vor Ort waren, wurden Bilder des Aufmarschs auch im ZDF gezeigt. Zu sehen war der vordere Teil, inclusive der Forderung nach Todesstrafe auf Transparenten sowie dutzende Fackeln und Fahnen. Kommentiert wurde die Herkunft der Initiatoren mit „…nicht zuordenbaren Jugendlichen.“.

Die NPD beschreibt den Verlauf so:

So schaffte man es innerhalb kürzester Zeit eine Demonstration zu organisieren. In nicht einmal einer halben Stunde wurden Megaphone, Fahnen, Transparente und Fackeln organisiert, ein Ordnerdienst gebildet welcher sich eine Umfassende Strategie ausdachte um eine würdevolle Demonstration zu gewährleisten. Während die Polizei sich kooperativ zeigte, strömten immer mehr Menschen und Nationale Sozialisten auf den Platz vor der Schule. Die Beamten mussten die komplette Straße absperren, dass passieren der Straße wurde aufgrund der Menschenmenge unmöglich. Für jeden Teilnehmer war bekannt, wer die Demonstration angemeldet und organisiert hatte und dennoch blieb keiner Fern und keiner wurde ausgeschlossen. So entschied man sich auch politische Parolen, egal welcher Art zu unterlassen.

Nicht unwichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der Onkel des ermordeten Mädchens Isztvan Repaczki ist — ein bekannter Aktivist der örtlichen Neonazi-Szene. (Das Nazi-Portal altermedia.info zeigt ihn im Gespräch mit einer RTL-Reporterin.) Das scheint eine Ursache für das große Engagement der NPD gewesen zu sein — und natürlich vor allem die Tatsache, dass die rechtsextremistische Szene, wie die „Südwest-Presse“ berichtet, „das Thema Kinderschändung für sich entdeckt“ habe: „Sie instrumentalisiert es gezielt.“

Im Bericht des rechtsextremen „Freien Netzes Leipzig“ liest sich das so:

Außer den etwa 200 nationalen Sozialisten beteiligten sich noch Hunderte Bürger an dem Gedenkzug. Bei einer kurzen Kundgebung sprach der Onkel der Mädels, selbst volkstreuer Aktivist, einige Worte zu den Anwesenden.

Als Deutscher unter Deutschen, sprach er davon, dass nur eine gesunde Volksgemeinschaft eine sichere Zukunft für unsere Kinder bieten kann. Kinder müssen wieder das höchste Gut unseres Volkes sein, ihr Schutz und ihr behütetes Aufwachsen muss zur heiligen Aufgabe aller deutschen Menschen werden. Kranke die sich an ihnen vergehen sind aus der Gemeinschaft zu entfernen da sie eine Gefahr für sie darstellen. Die moderne Hirnforschung hat bewiesen, dass das sexuelle Verlangen nach Kindern nicht heilbar ist, sondern eine Störung im Kleinhirn. Damit steht unwiderrufbar fest, dass es für diese Subjekte keine andere Strafe geben kann als die Todesstrafe. Im Knast liegen diese perversen dem schaffenden Volk nur auf der Tasche, und wenn sie frei herumlaufen sind sie eine tickende Zeitbombe.

Wer eine Ahnung davon bekommen will, was es bedeutet, wenn sich die kalkulierte Agenda der Neonazis und die ehrliche Erschütterung der Bürger treffen, mischen und hochschaukeln, muss lesen, was „Flohbude“ darüber schreibt, der dabei war:

Ein bulliger Mann trifft ein. Großes Hallo. Wüsste man sich nicht auf einer Demo anlässlich einer Kindstötung, könnte man dem Trugschluss erliegen, einer großen Familienfeier beizuwohnen. „Todesstrafe für Kinderschänder“ steht in großen Buchstaben auf der Heckscheibe seines BMW. Er übernimmt die Organisation. Keine zehn Minuten später: Ein gutes Dutzend schwarzer Fahnen am Anfang des Zuges. Schwarzgekleidete Jugendliche mit Sonnenbrillen und Handschuhen. Es werden die Auflagen der Stadt verlesen: Der Todesstrafen-Slogan ist nicht erwünscht, ebenso das Trinken von Alkohol und Rauchen. Gelächter.

Der Zug setzt sich in Bewegung. Von der Schule aus geht es ins Stötteritzer Wäldchen. Abgelaufen wird die Strecke, die wahrscheinlich Michelles letzter Weg war. Auch hier dauert es keine Viertelstunde, dann erschallt der Ruf nach Todesstrafe. Die gnadenlos unterbesetzte Polizei ist handlungsunfähig, kann gerade so den Verkehr regeln. Fackeln werden neben den schwarzen Fahnen entzündet. Die ursprünglichen Organisatoren erscheinen ratlos. Weder können sie sich erklären, woher die Fahnen kommen, noch wieso sechsmal so viele Menschen erschienen sind als geplant. Weiter hinten im Zug versucht man die Radikalforderungen der Vorderleute abzuschwächen: „Keine Gnade für Kinderschänder!“. Vergebens. (…)

Welch skurriler Anblick: Zwischen Transparenten mit der Aufschrift „Nationaler Sozialismus, jetzt!“ laufen Nachbarn, Supermarktmitarbeiter, ältere Leute. Ist ihnen Wohl bei der ganzen Sache? Wissen sie, wer vor und hinter ihnen läuft, mit wem sie sich in diesen zwei Stunden gemein machen? Ich mag nicht darüber urteilen, denn ein Befragen ist angesichts der Menge an Aufpassern zu riskant. (…)

Die Köpfe der Bewegung können sich auf eine breite Basis stützen. Sie sind in die Wohnstuben derer eingesickert, deren Selbstbild das des Verlierers ist, der sich aber trotz aller Benachteiligungen ein ordentliches Maß an Kampfgeist und Widerspruchsrecht bewahrt. Der alle Schuld beim “System” findet, bei „denen da oben“. Wenn es eine unausgesprochene, aber von jedem im Kopf mitgeführte Parole gibt, dann lautet sie „Wir sind denen doch egal!“. Man fühlt sich verlassen, nicht ernst genommen. Eine Forderung will, dass OBM Jung auf einer der kommenden Demos spricht. Geschickter Schachzug: Tut er es, sind die Fordernden ganz oben angekommen und können ihrer Folgschaft zeigen, zu was sie in der Lage sind. Spricht er nicht, ist das wieder willkommene Selbstbestätigung. „Gesinnungsentscheidung“ werden die einen dann märtyrern. „Da sieht man’s wieder: Egal!“, die anderen. Schlechte Menschen sehen dennoch anders aus. Wo der akademische Ignorant Bosheit vermuten mag, herrscht pure Ratlosigkeit. Nicht nur im Fall des Kindermordes. Es geht um die gesamte Situation einer hetrogenen Gruppe, die sich in einem System verliert, welches sie nicht auffangen kann. Alles mündet in den Willen des Geführtwerdens. Jede Alternative ist willkommen, so lange sie einfach begreifbar ist. Und die Führer stehen bereit.

(Filme von den Demonstrationen bei YouTube.)

[mit Dank an Torsten Schilling!]

Nachtrag, 19:50 Uhr. Das Online-Medienmagazin „Meedia“ zitiert einen RTL-Sprecher mit den Worten:

„Uns sind Fehler unterlaufen. Das ist ärgerlich und darf trotz des grossen Zeitdrucks unmittelbar vor der Sendung nicht passieren. Wir haben das zum Anlaß genommen, unsere diesbezüglichen Kontrollmechanismen noch einmal zu verschärfen.“

„Einen töten, Tausend retten“

Der Online-Ableger von RTL versucht, seine Einnahmen jetzt auch dadurch zu erhöhen, dass er Werbung in die laufenden Videos einblendet. Die Profis von rtl.de haben so einen Bericht über den ersten Schultag nach der Ermordung von Michelle in Leipzig mit Werbung für den Film „Wanted“ („Bestimme dein Schicksal! Lass die Kugeln sprechen!“) kombiniert:

Heike Lippertz lässt ihre Tochter Celina nicht mehr aus den Augen, bringt sie heute morgen natürlich persönlich zur Schule. Zu groß ist die Angst. „Man weiß ja nie, was kommt, wo er steht. Er könnte da sein, da sein.“