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Christian Nienhaus und die große Ignoranz

Christian Nienhaus ist einer der beiden Geschäftsführer der WAZ-Gruppe („Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, „Westfälische Rundschau“, „Die Aktuelle“) und Landesvorsitzender des nordrhein-westfälischen Zeitungsverlegerverbands. Er kommt von „Bild“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat heute ein erstaunliches Interview mit ihm geführt.

Herr Nienhaus, die WAZ-Gruppe klagt mit sieben Verlagen gegen die Tagesschau-App der ARD. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH gehört dazu. Was haben Sie denn gegen die öffentlich-rechtliche App?

Nienhaus: Der Rundfunkänderungsstaatsvertrag verbietet die Presseähnlichkeit der öffentlich-rechtlichen Internetdienste. Doch darüber entscheiden die Rundfunkräte, also die eigenen Gremien. Und diese verstehen sich häufig als Beschützer ihrer Rundfunkanstalten. Sie identifizieren sich mit der Anstalt statt diese zu kontrollieren. (…) Wir halten zudem die Kostenfreiheit der Apps für nicht korrekt. Hier wird, finanziert durch Quasi-Steuern, das Geschäftsmodell der privaten Presse angegriffen.

Interessant. In der Klage der Verlage geht es allerdings weder um die Frage, wie und von wem die Öffentlich-Rechtlichen kontrolliert werden sollen, noch um die Kostenfreiheit des Angebots.

Ist das ein Hilfeschrei an die Politik?

Nienhaus: Es gibt eine große Ignoranz der Politik und auch eine Angst der Politik. Führende Politiker haben mir gesagt: „Sie haben Recht, aber ich lege mich mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr an.“ Bei jeder kritischen Frage würden Politiker sofort mit kritischer Berichterstattung in ganz anderen Punkten überzogen. Im Landtag von Nordrhein-Westfalen wurde Abgeordneten gedroht, wenn Sie gegen die Mediengebühr stimmten, würde das in der WDR-Berichterstattung Folgen haben.

Holla. Im Landtag wurde den Abgeordneten gedroht? Und wem genau? Und von wem? Wenn das stimmte, wäre es ein gewaltiger Skandal. Nienhaus nennt keine Namen, keine Quelle, keine Belege, behauptet es aber als Tatsache.

Andererseits nehmen die Politiker Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten, weil sie in deren Gremien sitzen und die wichtigsten Personalentscheidungen treffen.

Nienhaus: Es ist nicht so, dass die Politik die Rundfunkanstalten beeinflusst.

Schön wär’s. Wenn Nienhaus ARD und ZDF von politischem Einfluss freispricht, ist das doppelt erstaunlich. Nicht nur, weil sich leicht Indizien für das Gegenteil finden lassen und das ein entscheidender prinzipieller Kritikpunkt an den Öffentlich-Rechtlichen ist. Sondern, weil er im FAZ-Interview den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland gleich viermal (falsch) als „Staatsrundfunk“ bezeichnet.

Nienhaus: Riesige Heerscharen von Lobbyisten, Beamten und Juristen aus den Rundfunkanstalten beeinflussen die Politik. Solange wir knappe Frequenzen hatten, war dieses System in Ordnung. Aber im Internet ist überhaupt nichts knapp.

Geld.

Geld ist knapp im Internet. Weshalb man auf die Idee kommen könnte, dass es eine gute Idee wäre, wenn ARD und ZDF, die viel Geld haben und viele Inhalte davon produzieren, diese Inhalte auch im Internet entsprechend anbieten und aufbereiten dürfen.

Nienhaus: Der Staatsrundfunk macht im Internet den Markt kaputt. Ich schätze die Qualität der öffentlich-rechtlichen Angebote sehr, aber sie produzieren diese mit Gebührengeld und machen damit Unternehmen ihr Geschäftsmodell im Internet kaputt.

ARD und ZDF machen auch im Fernsehen den Markt kaputt. Rumpelsender wie n-tv oder N24 zum Beispiel könnten sicher leichter überleben, wenn die ARD nicht viele Male am Tag eine — bei allen Schwächen — ordentliche Nachrichtensendung namens „Tagesschau“ zeigen würde. Es handelt sich auch hier um eine Marktverzerrung, und sie ist gewollt, um sicherzustellen, dass Sendungen hergestellt werden, deren Qualität selbst ein WAZ-Geschäftsführer „sehr schätzt“.

Sollen ARD und ZDF gar nicht online vorkommen?

Nienhaus: (…) Wenn die Nutzer einfach Videos herunterladen können, ist das kein Problem. Aber was die alles machen: Partnerschaftsportale, Jugendseiten, alles Mögliche!

„Die“ machen keine Partnerschaftsportale. Der WDR-Jugendsender Eins Live hatte mal eine Flirtcommunity namens „Liebesalarm“. Es gibt sie nicht mehr, weil ARD und ZDF solche Angebote mit dem 12. Rundfunkstaatsvertrag verboten wurden.

Wenn es nur ein öffentlich-rechtliches Videoportal gäbe, fänden Sie das in Ordnung?

Nienhaus: Wir als Verleger hätten nichts dagegen. Zwischen den Verlegern und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gab es früher nie Streit.

Falsch. Seit sechzig Jahren haben die deutschen Zeitungsverleger und vor allem Axel Springer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer wieder und dauerhaft angegriffen, weil sie seine nicht-privatrechtliche Konstruktion für widernatürlich, unzulässig und existenzgefährdend hielten und selbst Rundfunk veranstalten wollten. Jahrelang kämpften Verleger auch dagegen, dass ARD und ZDF einen Teletext anbieten dürfen.

Nienhaus: Das Lesen der gedruckten Ausgaben ist rückläufig: Wenn wir als Zeitungsleute eine Zukunft haben wollen, müssen wir nicht nur Journalismus umsetzen, sondern auch unser Geschäftsmodell. Journalismus funktioniert ja im Internet. Das ist kein Versagen der Journalisten. Aber keiner bezahlt dafür, alles ist umsonst.

Das ist falsch, wird ungefähr täglich falscher und selbst wenn es richtig wäre, wäre das nicht die Schuld von ARD und ZDF.

Es wird sich kaum ändern, dass Menschen nicht zahlen wollen. Wie soll ein sinnvolles Modell mit Bezahl-Inhalten aussehen?

Nienhaus: Ich bin optimistisch — gerade bei mobilen Geräten. Aber der Markt wird zerstört. Wir können nicht ein Sportportal der WAZ kostenpflichtig machen, wenn in der Sportschau nicht nur alles gezeigt, sondern eben auch beschrieben wird.

Die Frage hat er natürlich nicht beantwortet. Aber wenn die Zukunft der WAZ davon abhängt, dass niemand im Internet kostenlos beschreibt, was in der „Sportschau“ zu sehen ist, ist die WAZ tot.

Sie haben in den vergangenen Jahren 300 Stellen in der Redaktion gestrichen. Planen Sie auch wieder in Journalismus und in Köpfe zu investieren?

Ich glaube, man tut Nienhaus nicht unrecht, wenn man die vielen Sätze, die er anstelle einer Antwort sagt, mit „Nein.“ zusammenfasst. Als Euphemismus für „Stellen streichen“ benutzt er „kreativ werden“.

Wie sieht es mit Ihren Internetaktivitäten unter DerWesten aus? Können Sie mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten mithalten?

Nienhaus: Nein, in keiner Weise können wir konkurrieren. Das ist ja gerade das Ärgernis. Der Staatsrundfunk hat zig Millionen zur Verfügung, die haben wir natürlich nicht.

Die „WAZ“ kann im Internet „in keiner Weise“ mit ARD und ZDF konkurrieren? Nicht einmal bei der Lokalberichterstattung aus dem Einzugsgebiet, die ich jetzt naiv für die ureigene journalistische Aufgabe der „WAZ“ und ihres Internetangebots gehalten hätte?

Und: Meint Nienhaus eigentlich, wenn ARD und ZDF nur Filme im Internet zeigen dürften, bekäme „der Westen“ ein großes Stück von den Millionen des „Staatsrundfunks“? Oder wäre es dann nur so, dass sich das Publikum eher mit der — nach seiner eigenen Aussage — minderwertigen Qualität der „WAZ“-Produkte abgeben würde und müsste?

Ich halte viele der Positionen der Verlagslobby im Kampf gegen ARD und ZDF oder Google für falsch, aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass man über diese Positionen kaum ernsthaft streiten kann, weil die Debatte beherrscht wird von ahnungslosen Lautsprechern wie Nienhaus, der eigentlich nicht satisfaktionsfähig ist und dem tatsächlich in einem Interview über ARD und ZDF im Internet auf die Frage, was ARD und ZDF Schlimmes im Internet machen, nur einfällt: „Partnerschaftsportale, Jugendseiten, alles Mögliche!“

Und Nienhaus ist ja nicht allein — obwohl neben ihm ein Mann wie Springer-Außenminister Christoph Keese fast vernünftig und kenntnisreich wirkt. Keeses Satisfaktionsfähigkeit können Sie aktuell an einem Eintrag in seinem Privatblog überprüfen, in dem er eine lustige Verschwörungstheorie um die Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht (IGEL) entwickelt (ich unterstütze IGEL).

[Offenlegung: Ich arbeite frei für die FAZ. Dies ist meine private Meinung.]

Elmar Theveßen und der „saubere Journalismus“ der Terrorismusexperten

Elmar Theveßen, der vom ZDF ernannte „Terrorismusexperte“, hat sich in einem ZDF-Blog über „selbsternannte Fernsehkritiker“ beschwert, die von seinen Auftritten am Freitag nach den Anschlägen in Norwegen nicht beeindruckt waren. Sie würden sich „Gesagtes für einen flockigen Artikel gern ein wenig zurechtbiegen“, meint Theveßen. Da ich in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ einen Artikel geschrieben habe, in dem Theveßen eine prominente negative Rolle einnimmt, fühle ich mich einfach mal angesprochen.

Theveßen widerspricht der Kritik, sich vorschnell auf einen islamistischen Hintergrund festgelegt zu haben. Er schreibt:

Tatsächlich waren die norwegischen Sicherheitsbehörden am Freitag ziemlich überzeugt, dass Islamisten hinter den Anschlägen steckten (…).

Deshalb war die Arbeitshypothese der Behörden in Norwegen – Islamismus – eindeutig, ohne andere Möglichkeiten auszuschließen: Organisiertes Verbrechen, Rechtsxtremismus, Amokläufer. Genauso haben wir am Freitag berichtet und dabei Quellen genannt, Fakten von Vermutungen getrennt und auch die anderen möglichen Tätergruppen besprochen.

Schön wär’s gewesen. Im Gespräch mit Theveßen in der „heute“-Sendung um 19 Uhr kam die Möglichkeit, dass es sich nicht um Islamisten handelt, mit keinem Wort vor:

Petra Gerster: Bei mir im Studio ist jetzt Elmar Theveßen, unser Terrorismus-Experte. Elmar, wer könnte denn überhaupt als Urheber für diese Tat in Frage kommen?

Theveßen: Wir hatten heute am Nachmittag Kontakt mit norwegischen Sicherheitsbehörden. Und diese Behörden gehen davon aus, dass Al-Qaida oder islamistische Terroristen hinter diesen Anschlägen stecken. (…) Das sieht auch nach Sicht der Behörden nach einer organisierten Terrorwelle in Norwegen aus. (…) Wir wissen, dass ein führender Hassprediger in Norwegen seit vielen Jahren residiert. Und wir wissen auch, dass in der islamistischen Szene in Norwegen die Beteiligung an den Angriffen in Libyen in den vergangenen Monaten sehr viel Hass und Ärger und Wut verursacht haben.

Auch das „heute journal“, das um 22 Uhr begann, ging von einem islamistischen Hintergrund aus. Daran ließen schon die einleitenden Worte von Moderatorin Maybrit Illner keinen Zweifel:

Illner: Das ist ein bitterer Tag für Norwegen, und ein bitterer Tag für Europa. Der Terror ist zurück.

Das Gespräch mit Theveßen verlief dann so:

Illner: Und bei uns im Studio ist jetzt Elmar Theveßen, der ZDF-Terrorismusexperte. Elmar, die Polizei hat gerade bestätigt, dass diese beiden Taten in einem Zusammenhang stehen. Macht das die Suche nach dem Täter oder den Tätern leichter?

Theveßen: (…) Insofern [ist es] völlig möglich, dass ein einzelner Täter beide Taten verübt hat. Das heißt noch nicht, dass er nicht Helfer und Unterstützer hatte. Die Polizei sagte auch, dass man davon ausgeht, dass es sich bei diesem Mann um einen Norweger handelt, einen Mann nordischen Aussehens auch, und das nährt natürlich den Verdacht, dass es sich um eine lokale, örtliche Gruppe handeln könnte. Das hat auch die Polizei gesagt, ohne aber detailliert dann zu sagen, ob es auch islamistische Kreise innerhalb des Landes sein können oder politisch orientierte Gruppierungen – international organisierter Terrorismus scheint zunehmend unwahrscheinlich.

Illner: Und dennoch gibt es ja ein Bekennerschreiben.

Theveßen: Ja. Es gibt ein Bekennerschreiben. Das ist eine Gruppe, die sich auf den einschlägigen Foren im Internet zu Wort gemeldet hat, eine islamistische Gruppe, deren Namen man bisher nicht kannte. Und die bekennt sich zu diesen Anschlägen. Sie behauptet, dass sie zu tun hätten mit den norwegischen Soldaten, die in Afghanistan Dienst leisten, und auch mit Beleidigungen gegen den Propheten. Das heißt, es wurde zumindest der Eindruck erweckt, dass ein islamistischer Hintergrund da ist. Das ist auch nach wie vor nicht ausgeschlossen. Die Polizei gibt keine weiteren Details zum Täter derzeit bekannt, und insofern muss man die Ermittlungen abwarten.

Illner: In beiden Fällen erscheint es ein gezielter Angriff auf die norwegische Regierung zu sein, also muss man politische Gründe vermuten?

Theveßen: Davon geht die Polizei auch nach jetzigem Stand aus, dass es eher politische Gründe hat. Das könnte einerseits natürlich Islamismus sein, der Einsatz in Afghanistan beispielsweise, die massive Beteiligung Norwegens an den Luftangriffen in Libyen beispielsweise, im Rahmen der Nato-Einsätze, das alles hat in Islamisten-Kreisen für jede Menge Hass und Ärger gesorgt. Einer der führenden Hassprediger der Islamisten in Norwegen selber ist vor zwei Wochen angeklagt worden, hat wüste Drohungen gegen die Regierung ausgestoßen. Aber es gibt offenbar auch andere Bereiche in der Gesellschaft, die wegen einer Politik in der Welt auch massiv Wut und Ärger empfindet über die Politik dieser Regierung, auch da aus diesem Umfeld. Man will es nicht genauer qualifizieren, Rechtsextremismus möglicherweise, da ist die Polizei sehr vorsichtig, aber auch aus diesem Umfeld wären solche Angriffe vorstellbar.

Illner: Die letzte große Terrorwelle hat es in Schweden im letzten Jahr gegeben. Nun Norwegen. Warum konzentriert sich das auf Skandinavien, wenigstens möchte man den Eindruck haben?

Theveßen: Naja, momentan sagt die europäische Polizeibehörde, konzentriert es sich in der Tat auf Skandinavien. Wir hatten einen Anschlagsversuch in Stockholm, wir hatten Festnahmen in Norwegen. Wir hatten eine Festnahme auch in Kopenhagen. Islamisten gerade in diesen Ländern sind sehr stark, finden fruchtbaren Boden, um junge Leute zu rekrutieren. Aber, und hier liegt das große Fragezeichen, es ist eben nicht klar, ob es Islamistenkreise waren, die hinter diesen schrecklichen Attacken heute stecken.

Theveßens Thema an diesem Tag ist: Islamismus. Jedesmal, wenn das Gespräch für einen Moment auf eine der anderen Möglichkeiten schwenkt, bringt er es zum Islamismus zurück. Wenn die Polizei sagt, die Taten hätten wohl einen norwegischen Hintergrund, sagt Theveßen, das könnten ja auch islamistische Norweger sein. Wenn die Polizei sagt, man müsse die Ermittlungen abwarten, deutet Theveßen das als Aufforderung, solange weiter über einen islamistischen Hintergrund zu spekulieren. Nach der winzigen Andeutung, es könnten auch rechtsradikale Motive hinter den Anschlägen stecken, folgt erneut ein Ausflug in Häufung islamistischer Aktivitäten in Skandinavien. Das „große Fragezeichen“, das Theveßen ausmacht, ist bei ihm ein winziger Satzzeichenkrümel.

Das setzt sich auch am Ende der Sendung fort, als eigentlich Zeit genug vergangen wäre, um sich als Terrorismusexperte zu fragen, wie plausibel es ist, dass Islamisten ausgerechnet ein Massaker unter sozialdemokratischen Jugendlichen anrichten sollten.

Illner: Elmar, nochmal die Frage, wenn es sich dann eher um regionale oder gegebenenfalls eben nationale Täter handelt, ist damit die Spekulation um einen islamistischen Hintergrund perdü? Eher nein.

Theveßen: Die Polizei ist da sehr vorsichtig. Man muss noch den Hintergrund dieses Mannes erkunden, es gibt tatsächlich Hinweise darauf, dass derselbe Mann, der auf der Insel so viele Jugendliche getötet hat, auch derjenige ist, der in Oslo selber für das Bombenattentat heute verantwortlich ist. (…) Also, ganz ausgeschlossen ist nicht, dass er in Netzwerke eingeschlossen ist. Welcher Art diese Netzwerke sind, Islamisten oder nicht, das können nur die Ermittlungen der nächsten Tage zeigen.

Illner: Und insofern kann dieses Bekennerschreiben auch schlicht ein Fake gewesen sein?

Theveßen: Absolut möglich, dass es Trittbrettfahrer waren. Schon einmal haben wir ja eben gesagt, dass diese Gruppe bisher unbekannt war. Man weiß, dass Islamisten Skandinavien im Visier haben, insofern passt das alles zusammen. Auch die Sicherheitsbehörden, mit denen wir heute am Tag geredet haben, gingen erstmal deutlich von einem Al-Qaida-Hintergrund aus, weil alles zusammenpasste. Aber wir merken, dass jetzt im Internet beispielsweise in den Chat-Rooms, gerade Islamisten sich sehr freuen über diese schreckliche Tat, sie nutzen das für ihre eigene Propaganda und spornen momentan im Internet ihre Mitglieder an, selber auch aktiv zu werden. Wenn es denn am Ende sich herausstellt, dass dieses dann doch ein Islamist wäre, dann würde das umso mehr obendrein auch noch ein Propaganda-Erfolg für die Islamisten sein.

Illner: Wie groß ist, alles in allem, die Gefahr, dass Teile dieser Bewegung, Teile dieser Anschlagsserie auch Deutschland erreichen in irgendeiner Form?

Theveßen: Es hängt wirklich von diesem Hintergrund ab. Ist es ein Einzeltäter, der in der Lage war, all das vorzubereiten und durchzuführen, dann ist die Bedrohung für Deutschland natürlich gering. (…) Aber das Szenario, was wir heute gesehen haben, eine Bombenattacke mit einer Autobombe und dann einer Schießerei, das entspricht den Szenarien, die in den vergangenen Monaten Gegenstand von Terrorwarnungen in Europa, auch in Deutschland, gewesen sind, und die Sicherheitsbehörden sind überzeugt, dass ähnliche Planungen auch in Deutschland in Gange sind, aber ganz offenbar bisher nicht ausgeführt werden konnten. Also erhöhte Wachsamkeit, aber nicht notwendigerweise aus dem, was heute in Norwegen passiert ist, rückfolgern, dass auch in Deutschland Anschläge geschehen.

Illner: (…) Glauben Sie, dass das jetzt auch [in Skandinavien] zu einer zusätzlichen Alarmsituation führen wird?

Theveßen: Also, wir wissen, das die skandinavischen Behörden gerade im vergangenen Jahr sehr wachsam geworden sind. Weil sie gemerkt haben, Skandinavien steht im Visier islamischer Terroristen. Es gab mehrere Anschlagsversuche, nicht erfolgreich, Gott sei dank. Es gab eine Menge von Festnahmen. Aber man hat vielleicht auch zu sehr in diese Richtung geguckt – genau so wie man heute Nachmittag vermutete, aha, islamistischer Hintergrund. Und deswegen werden die Sicherheitsbehören in Skandinavien jetzt sehr genau hingucken, wer vielleicht noch in einer solchen Gesellschaft in Frage kommt, solche schrecklichen Angriffe durchzuführen.

Man hört es im Nachhinein förmlich Knirschen im Gebälk der Islamistenthese, die sich Theveßen zusammengezimmert hat. Sicher, sagt er, das Bekennerschreiben könnte falsch sein, aber es würde schon alles gut zusammen passen. Und ob es sich nun bei diesen Anschlägen um islamistischen Terror handelt oder nicht, ist fast egal, denn der islamistische Terror plant genau solche Anschläge wie diese.

Ganz am Schluss, im Zusammenhang mit der Tatsache, dass Skandinavien besonders im Visier von Islamisten stehe, kriegt Theveßen die Kurve und deutet an, was im Kontext seiner völligen Fixierung auf Islamismus paradox wirken muss: Dass „man vielleicht auch zu sehr in diese Richtung geguckt“ habe. In seinem Blogeintrag erklärt er, wie er diesen winzigen Schlenker verstanden wissen will:

Schon im heute journal redeten wir über die Möglichkeit, dass die Sicherheitsbehörden und wir alle – nicht nur an diesem Tag, sondern auch längst vorher – zu sehr in nur eine Richtung geschaut hätten.

Und hier, als Vergleich zu dem oben dokumentierten Ablauf der Gespräche in „heute“ und „heute journal“ noch einmal, wie der Terrorismusexperte den Abend und seine Auftritte im ZDF-Blog erinnert:

Deshalb war die Arbeitshypothese der Behörden in Norwegen – Islamismus – eindeutig, ohne andere Möglichkeiten auszuschließen: Organisiertes Verbrechen, Rechtsxtremismus, Amokläufer. Genauso haben wir am Freitag berichtet und dabei Quellen genannt, Fakten von Vermutungen getrennt und auch die anderen möglichen Tätergruppen besprochen. Thema war auch das faktisch vorliegende Bekennerschreiben einer „unbekannten“ Gruppierung, die wir im ZDF aber als „mögliche Trittbrettfahrer“ qualifiziert haben. Dass wir dennoch am Ende nicht richtig lagen, ist ärgerlich – zumal auch bei früheren Anschlägen manchmal schnell falsche Annahmen die Runde machten: Nach den Anschlägen von Oklahoma City in Richtung Islamismus und nach denen von Madrid in Richtung ETA. In beiden Fällen aber geschah dies auf Basis der Informationen von Regierungs- und Sicherheitsbehörden. Solange diese Quellen genannt werden – wie bei uns geschehen – und auch ansonsten vorsichtig formuliert wird, war die journalistische Arbeit sauber.

Theveßen hat hier offenbar seinen Terrorismusexperten-Hut gegen seinen Stellvertretender-Chefredakteur-Hut ausgetauscht und bescheinigt sich selbst, „journalistisch sauber“ gearbeitet zu haben. Das heißt wohl soviel wie: Wir haben uns zwar komplett verfahren, aber immer die Geschwindigkeitsbegrenzung eingehalten.

Außerdem, fügt er hinzu, habe das ZDF schon 2007 über die Gefahr der Islamhasser-Szene berichtet; zumindest bei Theveßen scheint das aber ja keinen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben.

Theveßens Blogeintrag ist ein pampiges „Wohl!“ oder „Selber!“ ohne eine Spur von Selbstkritik. Und vielleicht der beunruhigendste Gedanke ist der, den er gleich am Anfang formuliert:

Kreuzzügler oder Islamisten – wenn wir am Freitagnachmittag und -abend diese beiden Möglichkeiten als Hintergrund der brutalen Anschläge in Norwegen diskutiert hätten, dann hätten viele gesagt: „Die sind ja verrückt“.

Ich glaube nicht, dass Theveßen am Freitag überhaupt auf die Idee gekommen wäre, diese beiden Möglichkeiten zu diskutieren, dazu war er viel zu fixiert auf eine von beiden. Aber mit seiner Sorge, dann für verrückt gehalten worden zu sein, trifft er einen Kern des Problems: Die Medien sind viel zu sehr darauf bedacht, die (vermeintlichen) Erwartungen des Publikums zu erfüllen, und sie nicht mit Dingen zu konfrontieren, die sie nicht hören wollen. Das Publikum erwartet, dass die Medien (und zumal ihre „Terrorexperten“ mit Zugang zu privilegierten Informationen) ihnen unmittelbar nach einem solchen Anschlag sagen, wer dahintersteckt. Und natürlich haben viele Medien-Rezipienten denselben Reflex wie die Medien-Produzenten: Großer Bombenanschlag? Al-Qaida!

Es wäre eine erste gute Konsequenz aus dem kollektiven Medienversagen am Freitag, wenn der Gedanke Raum fände, dass eine wichtige Aufgabe von Journalismus in solchen Situationen wäre, den Wunsch des Publikums nach schnellen und einfachen Antworten zu enttäuschen. Nicht Wissen und Expertentum zu simulieren und nicht unmittelbar mit der Thesenproduktion zu beginnen. Und in Sätzen wie „Die Ermittlungen müssen abgewartet werden“ nicht Floskeln, sondern Handlungsaufforderungen zu sehen. Das wäre eine tolle Aufgabe für echte Terrorismusexperten in den Medien: Mit großer Beharrlichkeit dem Drängen der Moderatoren, sofort Antworten und Erklärungen parat zu haben, zu widerstehen, und als retadierendes Moment im Breaking-News-Hysterie zu funktionieren: „Nein, Frau Illner, man kann das wirklich noch nicht sagen / Es ist zu früh dafür / Wir wissen es noch nicht / Seriös lässt sich das nicht beantworten / Lassen Sie uns da nicht spekulieren.“

Ich bin kein Terrorismusexperte. Ich weiß nicht, was die norwegischen Sicherheitsbehörden, die am Freitagnachmittag Zeit fanden, mit der Terrorismusexpertenredaktion des ZDF zu sprechen, zu diesem Zeitpunkt wirklich annahmen. Offiziell haben sie sich nicht geäußert. Es liegt in der Natur des Journalismus, gerade auch Dinge herausfinden zu wollen, die (noch) nicht öffentlich und offiziell gemacht wurden. Aber Theveßen scheint auch im Nachhinein nicht auf die Idee zu kommen, dass es Situationen gibt, in denen es gute Gründe für Behörden gibt, unbestätigte Annahmen noch nicht öffentlich zu machen, und es dann auch gute Gründe für Journalisten geben könnte, solche Spekulationen zumindest nicht zur Grundlage für ihre Berichterstattung zu machen.

Es muss eine schmerzhafte Erkenntnis für die Theveßens der Welt sein, dass die Menschen am Freitag besser informiert gewesen wären, wenn es sie nicht gegeben hätte. „Expertise oder Spekulation?“ hat Theveßen seinen Blogeintrag überschrieben. Ich fürchte, er hält das für eine rhetorische Frage.

Peter Hahne ist gegen Kinderpornographie und lästige Details

Peter Hahne ist nicht unbedingt der Mann, den man sich in der ersten Reihe eines Mobs vorstellt, wie er mit der Mistgabel droht. Ich sehe ihn eher so am Ende der Menge, wie er wütend die Faust schüttelt, die aufgebrachten Menschen mit seiner Forke anstachelt und dabei mit schriller Stimme Sätze ruft wie: „Denkt denn keiner an die Kinder?“, „Wo kämen wir da hin!“, „Das lassen wir uns nicht mehr bieten!“ oder: „Warum tut denn keiner was?!“

Irgendjemand muss zum Beispiel jetzt endlich mal irgendwas gegen diese ganze Kinderpornographie im Internet tun. Peter Hahne findet, sowas müsste verboten sein. Gut, es ist verboten, aber das ist ja nicht der Punkt. Es soll weg sein. Sofort.

Peter Hahne ist für Netzsperren, wie sie die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen im vergangenen Jahr durchsetzen wollte, die aber aufgrund erheblicher Bedenken, was ihre Wirksamkeit und ihre Verfassungsmäßigkeit angeht, vorerst nicht verwirklicht wurden. Aber schon das Wort „Netzsperren“ geht dem ZDF-Mann Peter Hahne nicht über die Lippen. Er sagt stattdessen:

Und der Staat muss auch handeln, kann auch handeln in Sachen Eingriff in das Internet. Also Verbot. Ursula von der Leyen hat das ja versucht, im letzten Jahr, 2009, hat gesagt, wir verbieten das einfach im Internet. Das hat sich irgendwie nicht so verwirklichen lassen. Und jetzt hat man so einen typisch faulen Kompromiss gemacht. Wir schauen uns das erstmal ein Jahr an, ob das auch freiwillig geht und dann müssen wir vielleicht eingreifen.

So spricht ein Mann, der bis vor kurzem in leitender Position beim ZDF war und jetzt eine eigene Talkshow hat.

Ich glaube nicht, dass es ein Versehen war, Ausdruck bloßer Unkonzentriertheit, die Hahne jede konkrete Formulierung vermeiden und sich in Sätze wie „Das hat sich irgendwie nicht so verwirklichen lassen“ flüchten ließ. Die ganze Sendung zum Thema Kindesmissbrauch, die er am heutigen Sonntag ausstrahlte, war geprägt von dem Versuch, jede auf Argumente oder Tatsachen gestützte Auseinandersetzung zu vermeiden und allein an das Gefühl der Zuschauer zu appellieren, dass da Kinder missbraucht werden, und keiner tut was.

Von der ersten Sekunde an sprach er die Zuschauer allein auf dieser Ebene an. Mühsam unterdrückte er sein übliches Grinsen, während er in die Kamera fragte:

Geht es Ihnen auch so, dass Sie erschüttert sind, wenn Kinder tot aufgefunden und missbraucht worden sind?

Nein, rufen wir da natürlich alle im Chor, uns lässt das völlig kalt.

Der Satz ist scheinbar sinnlos und unnötig, in Wahrheit aber setzte Hahne mit ihm schon die Grundlage für die Logik der ganzen Sendung: Wer auch erschüttert ist, muss seine bildliche Mistgabel aus dem Schuppen holen und fäusteschüttelnd die Politik auffordern, irgendetwas, nein: alles Mögliche, nein: alles zu tun.

Peter Hahne hatte in seiner Sonntags-Talkshow „Peter Hahne“ Stephanie zu Guttenberg zu Gast, die Präsidentin des Vereins „Innocence in Danger“, der gegen Kinderpornographie kämpft, und Ehefrau des Verteidigungsministers, die gerade ein Buch zum Thema Kindesmissbrauch geschrieben hat. Kindesmissbrauch ist laut „Peter Hahne“ ein Tabuthema:

– vermutlich in dem aus der Sarrazin-Diskussion bekannten Sinne, dass ununterbrochen darüber geredet wird. Die Zahlen, die Frau Guttenberg zum Thema Kinderpornographie im Internet nannte, waren jedenfalls dieselben, die die frühere Familienministerin von der Leyen schon genannt hatte, als sie das Thema publikumswirksam für sich entdeckte.

Man darf sicher nicht zuviel in den begrenzt variablen Gesichtsausdruck von Peter Hahne interpretieren, aber es schien doch, als sitze Frau Guttenberg ein glühender Fan gegenüber, ein Verehrer. Er hatte aus seiner Sendung eine Werbesendung für ihr Buch, ihr Anliegen, sie selbst gemacht, nickte eifrig und, nun ja, grinste. Er hatte keine kritischen Nachfragen, als sie behauptete, dass das Geschäft mit Kinderpornographie ein „lukratives Geschäft“ sei, obwohl viel dagegen spricht. Und er schaffte es, auf ganz eigene Art das Internet als Wurzel allen Übels auszumachen. Dass sich Pädophile zum Beispiel so leicht an Kinder ranmachen können, liegt daran, dass die „keine Briefe und Postkarten mehr schreiben; es geht alles über Chat“. Postkarten! Und ein anscheinend gefährliches Vorbild wie Lady Gaga beschrieb Hahne als „eine Frau, die von vielen Kindern und Jugendlichen angeklickt wird im Internet“. (Sie bei „Wetten dass“ zu sehen, ist offenbar ungefährlich.)

Doch zurück zu den Netzsperren. Hahnes wirrer Dialog mit Guttenberg muss für Laien komplett unverständlich gewesen sein, und enthielt doch eine klare Botschaft. „Sie waren ja für die harte Lösung“, rief er Guttenberg zu und ergänzte selbst: „Die wäre ja auch konsequenter.“ (Die „harte Lösung“ ist, nur zur Erinnerung, das Aufstellen von Stopp-Schildern vor kinderpornographischen Seiten, die selbst aber erhalten und mit Tricks zugänglich bleiben. Stattdessen versucht man nun, sie zu löschen.)

Nun ist Hahne beim „Man muss aber doch was tun“, was konkret bei ihm lautet „Aber ohnmächtig geschlagen geben möchte man sich ja nicht“. Und weil ihn Argumente ohnehin nicht interessieren, begibt er sich in die Rolle des kleinen Peterchens, der zu der berühmten Tante sagt, dass sie doch supereinflussreich ist und diesen tollen Mann habe, der noch superereinflussreich ist, und da doch mehr machen kann als, sagen wir, Peter Hahne, dem nur das Fäusteschütteln bleibt:

Ihr Mann hat ja auch mal gesagt: Also meine Frau mischt sich da ganz schön auch mal ein. Sie haben ja viel mit Politikern zu tun, nicht nur zu hause mit ihrem Mann. Sagen Sie da auch mal, “Mensch, ihr müsst euch darum kümmern!”, auch was die Gesetze angeht? (…) Aber Frau Schröder, da müssen Sie doch jetzt – Sie haben doch schon ’n bisschen Einfluss – sagen: „Ich stehe hier gerade als Frau eines prominenten Politikers, die auch sehr engagiert ist in diesem Thema. Ich setze das jetzt auf die Schiene. Frau von der Leyen, machen Sie das. Frau Schröder jetzt.“

Er hat, wie gesagt, das Wort Netzsperren nie erwähnt, und zu diesem Zeitpunkt ist längst nicht mehr klar, was Frau Guttenberg denn genau zu Frau Schröder sagen soll. Hahne würde es reichen, wenn irgendetwas geschähe, das den Eindruck erweckte, dass irgendetwas geschehe. Dass es vielleicht gar nicht an fehlendem Druck von Frau Guttenberg liegt oder an fehlendem Willen von Frau Schröder, sondern an etwas, das sich „Koalitionspartner“ nennt und in diesem Fall FDP heißt und sich zum Beispiel in Gestalt einer Justizministerin mit guten Gründen gegen Sperren sperrt… das ist kein Bestandteil des Edelkitsches, den Hahne anstelle eines politischen Gesprächs produziert.

Ganz abgesehen davon, dass es keine gute Voraussetzung für ein Fernsehgespräch ist, wenn der Moderator in der Rolle eines Jubelpersers auftritt (lustigerweise nicht nur bei Guttenberg: Günter Schabowski kündigte er für die nächste Sendung zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung als „den Mann, der das alles möglich gemacht hat“): Hahne hat in der Sendung systematisch fast jede Gelegenheit gemieden, die Zuschauer aufzuklären, klüger zu machen. Er hat sie nur in ihren Gefühlen bestärkt. Dass ein Mann wie Peter Hahne mit seiner Ratiophobie vom ZDF als Journalist eingesetzt wird, ist ein fortdauerndes Ärgernis.

(via netzpolitik.org; Screenshots: ZDF)

Katrin Müller-Milch-Hohenstein

Manche Dinge ändern sich nicht.

„Hallo. Ich bin Ilona Christen, und wie Sie vielleicht wissen, gehe ich den Dingen ganz gerne auf den Grund. Da gibt es ein neues Waschmittel: ‚Ariel Futur‘ – verspricht ‚Reinheit pur‘. Starke Worte. Deshalb hab ich erstmal bei den Ariels nachgefragt, was das eigentlich heißt.“ (Werbung, 1996)

„Als Mutter trage ich besondere Verantwortung für die Ernährung meiner Familie. Deshalb will ich mir immer sicher sein, dass die Qualität unserer Lebensmittel immer die beste ist. Der Qualitätsbeirat der Molkerei Weihenstephan sorgt für Transparenz gegenüber dem Verbraucher und gibt mir das Gefühl, wirklich zu wissen, wie meine Molkereiprodukte hergestellt worden sind. (…) Und dann gehen wir der Sache einfach mal auf den Grund.“ (Werbung, 2010)

Es gibt dann aber doch ein paar Unterschiede zwischen der Werbung der damaligen RTL-Talkmasterin Ilona Christen und der heutigen ZDF-Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein, und der unterschiedliche Arbeitgeber ist schon einmal kein unwesentlicher.

Ein weiterer ist, dass Ilona Christen damals nicht so getan hat, als sei ihre Werbung irgendetwas anderes als Werbung. Katrin Müller-Hohenstein hingegen hat laut „Spiegel“ gesagt: „Es war nie meine Absicht zu werben.“ (Immerhin vermied sie knapp die historisch vorbelastete Formulierung: „Niemand hat die Absicht, Werbung zu treiben.“)

Müller-Hohensteins Auftritt auf der Weihenstephan-Seite hat dieselbe alberne Diskrepanz zwischen behaupteter Kompetenz und demonstrierter Naivität. Mit ihrer „journalistischen Kompetenz“ unterstütze die Moderatorin die Mitglieder des „Weihenstephan Qualitätsbeirats“, schreibt die Molkerei, die seit zehn Jahren zur Unternehmensgruppe Theo Müller („Müllermilch“) gehört. Die Moderatorin selbst lässt sich mit den Worten zitieren, sie unterstütze die „Qualitätstester“ „mit meinem journalistischen Wissen und meiner natürlichen Neugier“.

Sie begleitet die vier ausgewählten Verbraucher dann bei einem Rundgang durch die Produktionsstätte, den das Unternehmen sicher in ähnlicher Form auch für Schülergruppen anbietet, stellt Fragen wie: „Was is’n überhaupt ESL?“ und verabschiedet die Statisten am Ende mit den Worten:

„Vielen Dank darf ich sagen, für eure Zeit, für euer Engagement, für euer Interesse am Qualitätsbeirat von Weihenstephan. Ich glaube, es ist wichtig, dass es kritische Verbraucher gibt, die auch mal genauer hinschauen. Das genau habt ihr getan. Vielen Dank!“

Ihr eigenes Fazit als kritische Journalistin:

„Also, ich fand’s ganz toll.“

Vielleicht kann man da den ZDF-Chefredakteur verstehen, dass er nicht glücklich ist mit dieser Form der Nebentätigkeit seiner Star-Moderatorin (obwohl sie von seinem Vorgänger Nikolaus Brender genehmigt worden sein soll): „Ihr Internet-Auftritt auf den Seiten von Weihenstephan ist nicht glücklich und kann so nicht bleiben“, sagte er gegenüber dem „Medium Magazin“. Er sei „nicht grundsätzlich dagegen, dass Kollegen Nebentätigkeiten ausüben, solange sie keinen werblichen Charakter haben und die journalistische Glaubwürdigkeit nicht gefährden“ und regte neue Richtlinien für solche Fälle an.

Das könnte alles eine Lappalie sein, vor allem nachdem sich Müller-Hohenstein entschuldigt hat und ihr Schein-Amt im lustigen „Beirat“ niederlegen will. Aber Müller-Hohenstein und ihr Management tun gerade alles, um den Fall zu einem Skandal eskalieren zu lassen. Dazu gehört der dreiste Versuch, so tun, als handle es sich gar nicht um Werbung. Gegenüber „Spiegel Online“ behauptet das Management der Moderatorin, sie preise nicht die Vorzüge der Marke Weihenstephan. Dort liest es sich auch, als sei Müller-Hohenstein ein Opfer, das fies unter Druck gesetzt werde. Erst aus der Presse habe die Moderatorin am gestrigen Freitag erfahren müssen, dass das ZDF mit ihrem Werbeauftritt unzufrieden sei. Dem widerspricht das „Medium Magazin“. Es dokumentiert detailliert die schriftlichen Anfragen an Müller-Hohenstein – bereits am Dienstag hätte sie demnach die Kritik Freys kennen können oder müssen. Laut „Medium Magazin“ verzichtete das Management trotz Nachfrage auf die Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben.

Über die Frage, ob Menschen, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen an prominenter Stelle im weitesten Sinne als Journalisten arbeiten, auch noch Werbung machen sollten, kann man streiten. Und darüber, wie Gier jedes Gefühl für peinliche Auftritte auszuschalten scheint, staunen. Aber für dumm verkaufen lassen sollte man sich als Gebührenzahler von einer Katrin Müller-Hohenstein nicht müssen.

Das Elend der Debatte um ARD und ZDF

Es ist wie ein schlimmer Tinnitus. Ein nerviges Klingeln, das nie wieder aufhört. Seit Monaten läuten Verleger und Privatsender ununterbrochen irgendwelche Alarmglocken. Jeden Tag beschwert sich irgendein Lobbyist wieder lautstark über irgendeine Ungerechtigkeit, beklagt irgendeine Ungeheuerlichkeit, kündigt Eingaben, Klagen, Proteste an. Und jedesmal steht damit alles auf dem Spiel: Die Existenz von tausenden Arbeitsplätzen. Die Zukunft des Journalismus. Die Grundlage unserer Medienordnung. Das Funktionieren der Demokratie.

Wenn morgen die Meldung käme, dass die Verlegerverbände jetzt mit Selbstmordanschlägen drohen, wenn nicht sofort alle tun, was sie sagen — ich wäre nicht überrascht.

Sprachlich sind die Eskalationsmöglichkeiten längst erschöpft. WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus hat eine Beschlussvorlage des NDR-Rundfunkrates, die dem Angebot tagesschau.de großen Bestands- und Entwicklungsschutz gewähren will, den „größtmöglichen Super-GAU in der deutschen Medienpolitik der vergangenen 20 Jahre“ genannt (und niemand verrät ihm, wofür das „G“ in „GAU“ steht).

Die Logik hat bereits vor einer Weile einen Ausreiseantrag aus der Diskussion gestellt, der offenbar jetzt genehmigt wurde. Der Verlag Gruner+Jahr fordert, den Rundfunkstaatsvertrag zu ändern, weil der NDR die darin nach Ansicht des Verlages enthaltene Beschränkungen nicht versteht. Das ist der eingesprungene Rittberger der Lobbyarbeit: Man behauptet einerseits, dass die gesetzlichen Vorgaben jetzt schon eindeutig sind und der NDR dagegen zweifelsohne verstoßen habe, und andererseits, dass die gesetzlichen Vorgaben verschärft werden müssen, weil sie nicht eindeutig sind, und tut so, als sei das gar kein Widerspruch.

Wenn man aus Verlogenheit Energie machen könnte, ließe sich dank dieser Debatte ein Atomkraftwerk abschalten. Die Verlegerverbände fordern, dass endlich die Politik etwas tun muss. Der oberste Zeitschriftenlobbyist Wolfgang Fürstner hat den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff gebeten, gegen die „Pläne des NDR“ einzuschreiten. Als aber Wulffs Hamburger Kollege Ole von Beust vorübergehend im Verdacht stand, das Vorgehen des Rundfunkrates gutzuheißen, maßregelte das „Hamburger Abendblatt“ sofort den Politiker, er dürfe sich nicht in ein „laufendes Verfahren“ einmischen.

Nun bin ich kein Experte dafür, was die richtige Strategie ist, um auf Politiker Eindruck zu machen. Immerhin hatten die Verleger mit ihrer Kampagne für ein Leistungsschutzrecht bei der schwarz-gelben Koalition Erfolg, obwohl auch die fast ausschließlich auf die Strategie setzte, möglichst laut und langanhaltend zu brüllen, und bis heute niemand erklären kann, wie genau ein entsprechendes Gesetz aussehen soll und auf welche wundersame Weise es die Verlage retten würde.

Ich frage mich aber, welche Wirkung das ununterbrochene Geheule auf die interessierte Öffentlichkeit hat. Die Verleger schlagen wild um sich wie ein Ertrinkender. Die Botschaft, die sie damit aussenden, lautet: Wir sind nur dann noch in der Lage, genügend Geld zu verdienen, um die Menschen vernünftig zu informieren, wenn alle Rahmenbedingungen zu unseren Gunsten verändert und jeder störende Konkurrent ausgeschaltet wird. Die Geschäftsgrundlage ist offenbar so fragil, dass es schon tödlich sein kann, wenn es einem öffentlich-rechtlichen Anbieter erlaubt wäre, seine Inhalte auf einem beliebten Smartphone in etwas attraktiverer Form als bisher anzubieten. Der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, hat (mutmaßlich) allen Ernstes die geplante „Tagesschau“-App für das iPhone mit dem Verlust von „Tausenden Arbeitsplätzen in der Verlagsbranche“ in Verbindung gebracht und ist trotzdem nicht aus dem Land gelacht worden. WAZ-Co-Geschäftsführer Bodo Hombach will in diesem Zusammenhang nun sogar anderen Verlagen das Geschäftsmodell vorschreiben und geißelt eine App der „Financial Times Deutschland“ als Sünde, weil sie nichts kostet. (Vielleicht hat ihm niemand gesagt, dass es sich beim konkreten Angebot nur um die Aufbereitung auch sonst frei verfügbarer Inhalte handelt und nicht etwa um eine Art E-Paper wie bei den kostenpflichtigen Apps von „Bild“, „Welt“ und „Spiegel“.)

Es spricht nicht für den Glauben an die Einzigartigkeit und Hochwertigkeit der eigenen Produkte, wenn Verlagsleute den Eindruck erwecken, die Leser würden im Internet oder auf ihrem Telefon die erstbeste Gelegenheit nutzen, die kostenpflichtige Zeitung nicht mehr zu lesen, weil sie die „Tagesschau“ umsonst kriegen. (Was ja bisher auch schon so war, sich aber in zwei verschiedenen Medien abspielte.) Rührend ist auch, wenn im Kampf gegen den Konzern Google, dem die Verleger die Einnahmen neiden, anklagend Studien zitiert werden, wonach sich ein größerer Teil der „Google News“-Leser damit zufrieden gibt, dort die Schlagzeilen zu lesen, und gar nicht mehr die eigentlichen Artikel der verlinkten Online-Medien anklickt. Mit derart anspruchslosen Lesern werden Qualitätsmedien ohnehin kein Geld verdienen können — im Zweifel sind die auch jetzt schon zufrieden damit, einen flüchtigen Blick auf die Titelseite der Zeitung am Kiosk zu werfen.

Wenn ich das Getöse richtig verstehe, verhält es sich also ungefähr so: Die Verlage müssen von der (ohnehin schon reduzierten) Mehrwertsteuer befreit werden, Google muss verboten oder zur Zahlung von Lizenzgebühren verpflichtet werden, ARD und ZDF müssen das Internet verlassen, das Zitatrecht muss drastisch eingeschränkt, das kostenlose Anbieten von Informationen untersagt und die Gratis-Kultur im Internet insgesamt vernichtet werden — dann, ja dann könnten die Verlage vielleicht, möglicherweise, wenn das Wetter stimmt, in der Lage sein, auch in Zukunft Qualitätsjournalismus anzubieten, und womöglich sogar im Netz. Sonst können sie für nichts garantieren.

Vielleicht merken Print- und Privatfernsehlobbyisten gar nicht, dass sie damit den öffentlich-rechtlichen Sendern eine neue Legitimationsgrundlage schaffen.

Denn wenn das Geschäft mit der Information für private Medien wirklich so schwierig ist, gibt es für den Staat zwei Möglichkeiten, um dafür zu sorgen, dass seine Bürger gut informiert werden. Die eine ist die, alles dafür zu tun, um den Verlagen und Privatsendern das Leben zu erleichtern, in der Hoffnung, aber ohne Gewähr, dass es reicht. Die andere ist die, die öffentlich-rechtlichen Sender zu stärken und ihnen ein Leben in der digitalen Welt zu erlauben.

Man kann nicht oft genug referieren, wie das Bundesverfassungsgericht, das die deutsche Medienlandschaft mit seinen Rundfunkurteilen maßgeblich geprägt hat, den Begriff der „Grundversorgung“ verstand, die ARD und ZDF zu leisten hätten. Er geht davon aus, dass man sich u.a. aufgrund ihrer Werbefinanzierung nicht darauf verlassen könne, dass die Programme der privaten Sender immer hohen Ansprüchen zum Beispiel an Meinungsvielfalt genügen. Man dürfe die öffentlich-rechtlichen Sender deshalb nicht darauf beschränken, die jeweiligen Lücken zu füllen, die private Anbieter aus wirtschaftlichen Gründen hinterlassen, sondern ARD und ZDF müssten all das bieten, was eine Gesellschaft an Information, Bildung, Unterhaltung brauche — und wenn Private es schaffen, das zu ergänzen, ist es schön und wenn nicht, ist es nicht schlimm. (Gegner von ARD und ZDF missverstehen den Begriff gerne als Minimalversorgung, das Schwarzbrot: Dokumentationen, Nachrichten, hochwertige Filme, die keiner guckt. So ist er nicht gemeint.)

Ähnlicher Schindluder wird mit dem Begriff des „Dualen Systems“ getrieben, insbesondere wenn angesichts wegbrechender Werbeerlöse der Privaten und konstanter oder gar steigender Einnahmen der Öffentlich-Rechtlichen beklagt wird, es sei aus dem „Gleichgewicht“ geraten. Aber die Idee dieses Dualen Systems war nicht, dass Öffentlich-Rechtliche und Private gleich stark sein sollen. Die Idee war, die Öffentlich-Rechtlichen so auszustatten, dass sie uns auch dann gutes Fernsehen liefern, wenn die Bedingungen bei den Privaten einmal dafür nicht ausreichen. Zu argumentieren, dass wenn die Privaten leiden, auch ARD und ZDF weniger kriegen sollen, ist bizarr — zeigt aber, wie sehr die Debatte nicht die Interessen der Zuschauer, sondern die der Privatsender im Blick hat.

Nun sind all diese Grundlagen maßgeschneidert für das Medium Fernsehen, dem ein außerordentlicher Einfluss auf die Zuschauer zugeschrieben wurde und dessen Verbreitung exorbitant teuer war, so dass große Macht zwangsläufig in den Händen weniger liegen würde. Man kann mit gutem Grund fragen, ob dieses System angesichts der digitalen Revolution noch zeitgemäß ist. Man könnte zum Beispiel fragen, ob ARD und ZDF im Internet noch benötigt werden, wenn Verlage, Privatsender und andere dort doch täglich beweisen, dass sie hochwertigen, vielfältigen Qualitätsjournalismus anbieten, der trotz seiner Abhängigkeit von Werbung keine Wünsche offen lässt.

Bis zur aktuellen Wirtschafts- und Werbekrise haben Verlage und Privatsender genau diesen Eindruck erweckt, um den Spielraum von ARD und ZDF im Internet gesetzlich so weit wie möglich einzuschränken. Doch nun zeigt sich plötzlich, dass keineswegs klar ist, ob und wie sich guter Journalismus im Internet finanzieren lässt. Damit bekommen die Öffentlich-Rechtlichen eine neue mögliche Legitimation auch für dieses Medium, genau genommen die alte: durch verlässlich und von allen gemeinsam finanzierte Medien eine umfassende Grundversorgung sicherzustellen, die eine rundum gut informierte Gesellschaft ermöglicht, selbst wenn die privaten Anbieter in schlechten Zeiten oder aus grundsätzlichen Problemen das nicht in befriedigendem Maße tun können.

Wohlgemerkt: Es sind die Verlags- und Privatsenderleute selbst, die diesen Eindruck gerade erwecken, dass sie unter den herrschenden Bedingungen nicht für Qualität im Internet bürgen können.

Springer-Chef Döpfner erregt sich darüber, dass die ARD ihre Nachrichten kostenlos iPhone-gerecht anbieten will und damit die Versuche seines Hauses erschwert, Inhalte auf verschiedenen Plattformen nur noch gegen Geld anzubieten. Das ist aus seiner Sicht konsequent. Natürlich wäre es für alle Verlage besser, wenn es niemanden gäbe, der journalistische Inhalte umsonst anböte, und alle Leser also gezwungen wären, dafür zu bezahlen. Ich glaube nur nicht, dass das auch im Interesse der Gesellschaft wäre.

Wolf-Dieter Ring, der Präsident der Bayerischen Landesmedienanstalt, ist natürlich niemand, der im Verdacht steht, das Interesse der Gesellschaft im Blick zu haben. Er spielt schon lange eine lustige Doppelrolle als Aufseher über die Privatsender und ihr Lobbyist. Im vergangenen Herbst rief er die Verlage dazu auf, geschlossen auf Paid-Content-Konzepte zu setzen, und forderte von der Politik, die Öffentlich-Rechtlichen in Zaum zu halten: Kostenlose Angebote wie tagesschau.de unterliefen die möglichen neuen Erlösmodelle der Verlage im Netz.

Warum soll es gesellschaftlich erstrebenswert sein, journalistische Inhalte nur denen zugänglich zu machen, die dafür zahlen können? Inwiefern ist es gut, wenn Menschen ohne Geld schlecht informiert werden? Wäre es nicht gerade dann, wenn die Verlage ihre Online-Angebote kostenpflichtig machen (müssen), erstrebenswert, ein kostenloses, aber dennoch zuverlässiges Angebot zu haben? „Kostenlos“ ist natürlich der falsche Ausdruck, denn ARD und ZDF werden ja von uns bezahlt, aber Leute ohne Einkommen sind von der Gebühr befreit — eine solidarische, soziale Konstruktion, diese Rundfunkgebühr, die zudem dafür sorgt, dass nicht nur das produziert und finanziert wird, was eine Mehrheit sehen will.

Die Konkurrenten der öffentlich-rechtlichen Sender haben durchgesetzt, dass ARD und ZDF viele Inhalte aus dem Netz löschen müssen — und keineswegs nur zweifelhafte Angebote wie Kochrezepte oder Kontaktbörsen. Seitdem sind diverse Leute in den Anstalten mit etwas beschäftigt, das den schönen Namen „Depublizieren“ trägt. Inwiefern dient es dem Gemeinwohl, wenn ARD und ZDF teuer produzierte Inhalte nur für eine begrenzte Zeit (in der Regel sieben Tage) zugänglich machen dürfen? Inwiefern ist es in meinem Interesse, dass Inhalte, die ich mit meinen Gebühren bezahlt habe, mir nur vorübergehend und nicht auf allen Plattformen angeboten werden?

Eine der lächerlichsten Äußerungen im Zusammenhang mit der geplanten iPhone-Anwendung der „Tagesschau“ war die der Springer-Pressesprecherin Edda Fels, die im vergangenen Advent pikiert formulierte: „Wir gingen davon aus, dass die vorhandenen Gebühren schon nicht mehr zur Finanzierung des bestehenden Angebots ausreichen. Deshalb wundern wir uns, dass im Vorfeld der geplanten Gebührenumstellung das Angebot sogar erweitert werden soll.“ Was wäre es für ein Quark, wenn die ARD erst teure Inhalte produzierte und dann an den im Vergleich lächerlich winzigen Kosten sparen würde, um diese Inhalte möglichst vielen Leuten möglichst bequem zugänglich zu machen? Wie sehr muss man die Welt durch eine eigene PR-Brille sehen, um nicht zu merken, dass ein zickiges „Ach dafür ist also noch Geld da?“ völlig an der Realität vorbeigeht?

Neben der iPhone-Anwendung ist ein Interview von tagesschau.de mit Kathrin Passig zum unwahrscheinlichen Symbol für den ungehemmten Expansionsdrang der Öffentlich-Rechtlichen geworden, der uns alle unter sich begraben wird. Das nette Gespräch (als bekennender Passig-Fan bin ich natürlich nicht objektiv) lief nämlich nicht im Fernsehen und bezog sich auch auf kein bestimmtes Programm, sondern war einfach nur informativ, verstieß damit also gegen die nur in bestimmten Fälllen aufgehobene Pflicht von ARD und ZDF, im Internet ausschließlich sendungsbezogene Inhalte zu veröffentlichen. Bei anderen Web-Formaten wie „Deppendorfs Woche“ (auf das ich persönlich gut verzichten könnte, aber das ist ja nicht die Frage) umgeht die ARD diese Vorgabe dadurch, dass sie sie auch in einem ihrer Digital-Kanäle ausstrahlt. Aber, Verzeihung, was ist das alles für ein Irrsinn?

Was den Tinnitus, der über der Diskussion liegt, noch unerträglicher macht, ist die Parteilichkeit der Medien. In vielen Redaktionen scheinen als Journalisten getarnte PR-Leute in eigener Sache zu arbeiten. Bei „Bild“ als Kampagnenorgan blieben natürlich als erstes die Fakten auf der Strecke. Zur Zeit findet sie fast jeden Tag Platz auf ihrer Seite 2 für einen kleinen Bericht, in dem irgendein üblicher Verdächtiger (im Zweifel auch nur der automatische Anrufbeantworter von Jürgen Doetz) sagt, wie schlimm die iPhone-Anwendung ist. Am vergangenen Montag reichte schon die Tatsache, dass, Zitat: „eine FDP-Kommission für Internet und Medien sich am Wochenende einstimmig gegen die Einführung eines Apps ausgesprochen hat“ für eine größere Meldung. Eine FDP-Kommission, holla!

„Spiegel Online“ kämpft ebenfalls an vorderster Front. Dort werden die öffentlich-rechtlichen Internetangebote schon seit Jahren bösartig als „GEZ-Web“ oder „GEZ-Netz“ bezeichnet. Seit Monaten ergänzt „Spiegel Online“ seine Artikel zum Thema mit einer Tabelle über die meistgenutzten deutschen Medienangebote, in denen ARD.de mit 34,5 Mio Visits auf Platz 3 liegt und tagesschau.de mit 20,2 Mio Visits auf Platz 6 — was höchst irreführend ist, weil die tagesschau.de-Visits in den ARD.de-Visits schon enthalten sind. ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke hat das schon vor über sechs Wochen öffentlich moniert. Irgendwann vergangene Woche muss „Spiegel Online“ die Tabelle endlich korrigiert haben. Klammheimlich, natürlich. Nachtrag/Korrektur: Stimmt gar nicht. Steht immer noch so da.

Leider hat auch die ARD noch nicht verstanden, dass es nicht nur ihre Pflicht ist, in eigener Sache ganz besonders korrekt zu berichten, sondern auch eine Chance darin läge, sich unangreifbar zu machen und von der Pro-Domo-Berichterstattung anderer Medien abzusetzen, wenn sie ihren Kritikern breiten Raum geben würde. Die BBC demonstriert regelmäßig, wie das geht. Über Kritik an der BBC kann man sich zuverlässig im Online-Nachrichtenangebot der BBC informieren. Nicht so in Deutschland. Dass die „Tagesschau“ kürzlich aus Anlass des KEF-Berichtes anstelle eines journalistischen Beitrages einen PR-Bericht in eigener Sache sendete, war ein Skandal und nicht nur frech, sondern dumm.

Denn das muss man von den Öffentlich-Rechtlichen verlangen, wenn sie von uns viele Milliarden Euro jährlich bekommen: Dass sich dieser Vorteil gegenüber der privaten Konkurrenz auch in entsprechender Qualität zeigt — und dazu gehört zu allererst vorbildlicher Journalismus.

Das einzig Gute an der hysterischen Debatte ist, dass sie sich langsam dem Kern der Auseinandersetzung nähert. Früher haben sich die Konkurrenten von ARD und ZDF an irgendwelchen Kochrezept-Seiten und Kontaktbörsen der Öffentlich-Rechtlichen abgearbeitet. Nun lenkt nur noch die scheinheilige Fixierung auf die iPhone-Application davon ab, dass die Verleger auch grundsolide Angebote wie tagesschau.de nicht hinnehmen wollen. „Tagesschau“-Chef Gniffke hat Recht, wenn er schreibt:

Seit 15 Jahren gibt es tagesschau.de, seit vielen Jahren auch mobil. Soll das jetzt zurückgedreht werden? Das wäre der Tod der Tagesschau auf Raten, da muss man kein Medienexperte sein. Dann soll man aber offen sagen: Die Tagesschau soll weg, weil wir sie 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik nicht mehr brauchen. Diese Diskussion kann man ehrlich führen. Aber sie hinter einer Diskussion um eine Tagesschau-App zu verstecken, damit habe ich ein Problem.

Kai Biermann hat es bei „Zeit Online“ auf die schlichte, treffende Formel gebracht: Matthias Döpfner will die Öffentlich-Rechtlichen abschaffen.

Ich wünsche mir starke, freie Öffentlich-Rechtliche im Netz. Ich glaube, dass sie der Qualität und der Vielfalt des Online-Journalismus gut tun können. Und ich glaube, anders als offenbar die Verleger selbst, dass gute private journalistische Angebote trotz dieser Konkurrenz bestehen können.

Vor allem aber wünsche ich mir, dass dieser Tinnitus wieder weggeht.

[Offenlegung: Ich arbeite nicht nur für Verlage, sondern gelegentlich auch für ARD und ZDF.]

 

Die Grenzen der Satire beim ZDF: Sonneborns Chinesenwitze und Schächters Kotau

Ein vermutlich lustig gemeinter Beitrag der „heute show“ hat die Beziehungen zwischen dem ZDF und dem chinesischen Volk belastet. Eine satirische Umfrage von Martin Sonneborn auf der Frankfurter Buchmesse, bei der Chinesen mit mangelnden Deutschkenntnissen vorgeführt wurden, ist nach chinesischen Protesten aus dem Online-Archiv des Senders entfernt worden. In einem Brief an den chinesischen Botschafter drückte ZDF-Intendant Markus Schächter sein Bedauern aus, dass der Beitrag „die Gefühle vieler Chinesen verletzt hat und als beleidigend empfunden wurde“.

Der Satiriker Sonneborn hatte sich einen Spaß daraus gemacht, den Chinesen Aussagen über Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land in den Mund zu legen und ihnen für sie unverständliche Fragen über Folter und Massenerschießungen zu stellen. Er machte Witze über Produktpiraterie und „gegrillte Labradorsteaks“.

In China fanden das nicht alle lustig. Als eine untertitelte Version des Beitrags auf dem chinesischen Videoportal todou.com veröffentlicht wurde, löste er Reaktionen aus, die der in Taiwan lebende Journalist Klaus Bardenhagen in seinem Blog als „übliche Flut von ‚wir sind in unserem Nationalstolz verletzt und ganz furchtbar traurig, außerdem finden die bösen Ausländer uns sowieso alle böse‘-Kommentaren“ beschreibt. Auch das chinesische Staatsfernsehen CCTV berichtete über den vermeintlichen Skandal, verschwieg dabei aber offenbar, dass es sich nicht um eine Nachrichtensendung, sondern eine Satireshow handelte.

Die Propagandaseite des „China Internet Network Information Center“ (die Sonneborn ebenfalls einen „Journalisten“ nennt) meldete, dass sich das Außenministerium und die Botschaft in Deutschland beim ZDF beschwert hätten. Intendant Schächter habe sich daraufhin entschuldigt.

Ganz so war es nicht. Beim ZDF legt man Wert darauf, dass es sich bei dem Brief an den Botschafter nicht um eine Entschuldigung, sondern nur den Ausdruck des Bedauerns handele. „Satire ist eine Gattung mit langer Tradition“, doziert der Intendant in dem Schreiben. „Solange es Satire gibt, war und ist sie ‚Stein des Anstoßes‘. Deswegen löst sie auch hierzulande immer wieder Kritik, Verärgerung und intensive Diskussionen aus.“

Offenbar hat die Freiheit dieser Ausdrucksform aber hinter persönlichen oder nationalen Empfindlichkeiten zurückzustehen, denn Schächter fährt fort: „In Gesprächen mit der zuständigen Redaktion und den Autoren wurde deutlich gemacht, dass der Beitrag die Gefühle von Chinesen verletzt hat, damit es dazu keine Wiederholung gibt.“

Das ist ein erstaunlicher Kotau – und ein untaugliches Kriterium. Wenn Satire verletzend sein darf, dann muss sie auch Chinesen verletzen dürfen. Dass ein deutscher Intendant sich dem Druck chinesischer Regierungskreise beugt und einen Film aus dem Online-Archiv entfernen lässt, ist ein schlechtes Zeichen.

Und das, obwohl der „heute show“-Beitrag eine erbärmliche Form von Humor ist: Sonneborn demonstriert Überlegenheit gegenüber den Chinesen dadurch, dass er ihre fehlenden Sprachkenntnisse ausnutzt. Er missbraucht zufällige Buchhändler, die das Pech haben, ihm vors Mikrofon zu laufen, für etwas, das man nur mit viel gutem Willen als eine Kritik am chinesischen Staat oder der umstrittenen Politik der Buchmesse deuten kann. Nicht auszuschließen, dass Sonneborn durch die Instrumentalisierung der chinesischen Gäste zeigen wollte, wie die chinesischen Gäste durch die Medien instrumentalisiert werden. Wahrscheinlicher ist, dass es eine gute Gelegenheit war, ein paar Chinesenwitze zu machen.

Das ist traurig und geschmacklos – aber auf meine Gefühle nimmt die „heute show“ ja auch keine Rücksicht, wenn sie regelmäßig jemanden wie den Komiker Olaf Schubert beschäftigt. (Andererseits habe ich natürlich auch keine 100 Millionen Zuschauer für „Wetten dass?“ zu bieten.)

Markus Schächters Brief an den chinesischen Botschafter endet mit der Bitte, sein Bedauern „auch nach China zu übermitteln“. Und dem Satz: „Die Grundlage der langjährigen Beziehungen des ZDF zum chinesischen Volk und seinen chinesischen Partnern sollte, so hoffe ich, stabil und solide genug sein für ihre gedeihliche Weiterentwicklung in der Zukunft.“

Nikolaus Brender und die Heuchler

Vor siebeneinhalb Jahren, im Juni 2002, haben Wolfgang Clement und Heide Simonis ihre Sitze im Verwaltungsrat des ZDF niedergelegt. Einen Platz hätten die beiden damaligen SPD-Ministerpräsidenten ohnehin räumen müssen, weil die CDU gerade die Mehrheit im Bundesrat und damit einen zusätzlichen Sitz im obersten ZDF-Gremium erobert hatte — ihn bekam ein Mann namens Roland Koch. Aber Simonis und Clement gaben einen weiteren Sitz auf, um für mehr Staatsferne des Senders zu demonstrieren. „Es kann nicht richtig sein, dass Politiker, namentlich Regierungsmitglieder, die Gegenstand kritischer Berichterstattung sind, gleichzeitig die Entscheidungsgewalt über einen Sender innehaben“, hatte Clement gesagt. Eine unabhängige, politikferne und sachkompetente Persönlichkeit solle den vakanten Platz anstelle des üblichen Ministerpräsidenten übernehmen. Es wurde der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm. Er lehnte es auch ab, in einem der berüchtigten „Freundeskreise“ der beiden früheren Volksparteien Mitglied zu werden.

Es war eine gute Aktion der beiden SPD-Leute, an die in diesen Tagen aus aktuellem Anlass erinnert wird. Leider wird zu selten daran erinnert, was passierte, als Grimm nach fünf Jahren wieder aus dem Verwaltungsrat ausschied: Als seinen Nachfolger bestimmte die SPD eine Person, die weder unabhängig noch politikfern noch sachkompetent war: Matthias Platzeck, den brandenburgischen Ministerpräsidenten.

Soviel zum Willen der Sozialdemokratischen Partei, das ZDF dem direkten Zugriff der Parteien zu entziehen.

Wenn die Medien also wenigstens darauf verzichten könnten, im Fall Brender den Heucheleien eines Klaus Wowereit eine Plattform zu geben — es wär‘ schon viel gewonnen.

Ich hoffe, dass Nikolaus Brender am kommenden Freitag keine Mehrheit im Verwaltungsrat bekommt. Dass die CDU-Schergen für einen Eklat sorgen und den Vorschlag von ZDF-Intendant Markus Schächter für eine weitere Amtszeit des Chefredakteurs ablehnen.

Denn wenn Roland Koch ohne gute Gründe einen Chefredakteur abwählen lässt, nur weil er es kann, ist das schlimm. Der eigentliche Skandal ist es aber, dass er es kann.

Und um daran etwas zu ändern, muss die Sache noch viel mehr eskalieren. Wenn aber durch irgendein Wunder oder späte Einsicht einiger Unionsvertreter Brender doch noch im Amt bestätigt würde, könnten alle wieder zur Tagesordnung zurückkehren. In den vergangenen Wochen und Monaten haben so viele Menschen öffentlich erklärt, dass die Nicht-Wiederwahl Brenders das Ende der Rundfunkfreiheit symbolisieren würde, dass man Brenders Bestätigung fälschlicherweise für den Beweis der Staatsferne des ZDF halten könnte.

„Welt“-Kommentator Eckhard Fuhr, dem ich in fast allen Punkten seiner Analyse dieses Falls widersprechen würde, hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass sich die Frage, ob ein öffentlich-rechtliches Gremium in seiner Zusammensetzung verfassungsgemäß ist, nicht daran messen lässt, welche Beschlüsse es fasst. Auch wenn der ZDF-Verwaltungsrat dem angekündigten Vorschlag des Intendanten zur Besetzung der Chefredaktion folgen sollte, würde es nichts daran ändern, dass es unerträglich ist, dass Regierungsvertreter über diese Frage entscheiden.

Deshalb stimmt auch Christian Bartels ironischer Einwurf im „Altpapier“, dass man sich gut überlegen soll, ob man den offenen Brief von Juristen und Bloggern an den Verwaltungsrat unterschreiben will, der mit dem Aufruf endet, „die Unabhängigkeit des Rundfunks zu bewahren“:

Wer unterschreibt, unterschreibt also sozusagen, dass derzeit, zumindest bis zum Freitag, diese Unabhängigkeit des Rundfunks noch besteht.

All die fast ermüdenden offenen Briefe und Solidaritätsbekundungen sind trotzdem gut, denn sie tragen zu einer Eskalation bei und schneiden Intendant Schächter den Rückzug auf halbgare Kompromisse ab. Schächter ist Meister im Kungeln (oder wie man das freundlicher nennt: im Machtpoker hinter den Kulissen). Vermutlich hätte er sich längst auf einen anderen Kandidaten festgelegt, wenn die Auseinandersetzung nicht von außen zu einer solchen Grundsatzfrage hochstilisiert worden wäre. Schächter beherrscht blendend die Spielregeln solcher Auseinandersetzungen, bei denen das oberste Gebot „Gesicht wahren“ lautet. Es ist schwer zu erkennen, wie ihm das angesichts der zugespitzten Konfrontation gelingen soll, und das ist gut so.

Man darf nicht vergessen, dass Schächter heute nur deshalb Intendant des ZDF ist, weil das ZDF so im Griff der Parteien ist. Nach einem monatelangen Gezerre der Parteipolitiker stellte er sich 2002 als der einzige mehrheitsfähige Kandidat heraus. Mein Kollege Nils Minkmar schrieb damals in der „FAS“:

Es wurde der gewählt, den zwar lange Zeit alle verhindern wollten, der aber als einziger Unions-Kandidat die Stimmen der SPD-Minderheit im Fernsehrat bekommen würde, weil durch seinen Aufstieg ein Posten für einen SPD-Mann frei wird.

Das sollte sich als große Täuschung herausstellen, denn wenige Monate später wurde klar, dass auch der neue Programmdirektor ein CDU-Mann sein müsse, und das Gezerre war einem Ausmaß unwürdig, dass man denken konnte, alle Beteiligten würden aus reiner Scham schon von weiteren Wiederholungen absehen, aber damit würde man den Machthunger der Partien natürlich absurd unterschätzen.

Wenn die SPD so massiv den Chefredakteur Nikolaus Brender verteidigt, der in den vergangenen Monaten zu einem merkwürdig übersteigerten Symbol für journalistische Unabhängigkeit geworden ist, darf man das nicht mit einem Unabhängigkeitskampf verwechseln. Die SPD muss die Pläne der Union auch deshalb so massiv abwehren, weil die Besetzung des Chefredakteursposten beim ZDF traditionell den Sozialdemokraten zusteht. Die politische Geschäftsgrundlage sieht vor, dass die Union Intendant und Programmdirektor bestimmt, die SPD Verwaltungsdirektor und Chefredakteur. Deshalb konnte auch Hans Janke 2002 nicht als Nachfolger Schächters Programmdirektor werden, denn Janke galt zwar (im Gegensatz zu Thomas Bellut, der es dann wurde) als besonders kompetent, aber aus irgendwelchen Gründen auch (ebenfalls im Gegensatz zu Thomas Bellut) als SPD-nah. Wie wenig sich der hessische Ministerpräsident Roland Koch damals schon für die Besetzung nach Parteipräferenzen genierte, verdeutlichte epd-Medien damals in einem Bericht über die Sitzung des Verwaltungsrates:

Nach epd-Informationen reagierten die Unionsvertreter — namentlich der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel und dessen hessischer Amtskollege Roland Koch — ungehalten auf das Vorgehen der sozialdemokratisch orientierten Seite.

Koch kritisierte dabei u.a. auch den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden des ZDF-Verwaltungsrates, Kurt Beck, weil er öffentlich für Janke als neuen Programmdirektor eingetreten sei und damit die vorherige Vereinbarung mit Vogel, dass für diese Position der Union die Präferenz zustehe, aufgekündigt worden sei.

Das Eins-links-eins-rechts-einen-fallenlassen-Spiel wird auch in den Niederungen der Hierarchie fortgesetzt, wie ein weiterer Satz aus derselben Meldung verdeutlicht:

Unter parteipolitischen Gesichtspunkten sei bei den Personalien Ekkehardt Gahntz als neuer Leiter Wirtschaft, Soziales und Umwelt für die „rote“ Seite ein Problem gewesen, umgekehrt habe die „schwarze“ Seite Schwierigkeiten mit dem Vorschlag Bettina Schausten als neue Innenpolitik-Chefin gehabt.

Wenn die SPD so besorgt ist um das Hineinregieren der Politik in das ZDF, warum zieht sie dann nicht einseitig ihre Parteivertreter oder wenigstens die Regierungsvertreter aus den Gremien des Senders zurück — insbesondere Kurt Beck, den Vorsitzenden des Verwaltungsrates und Ministerpräsidenten des Landes, in dem das ZDF seinen Sitz hat, eine besonders enge Verbindung? Was hält sie davon ab, ihre Plätze mit unabhängigen Persönlichkeiten zu besetzen oder gar von unabhängigen Gremien bestimmen zu lassen? Die Sorge, dass die CDU dann durchregieren würde und sich einen peterhahnesken Sender ganz nach dem Geschmack von Roland Koch basteln könnte?

Aber das wäre doch wunderbar, dann wäre für jeden sichtbar, in welchem Maße das ZDF im Griff der Parteipolitik ist — und der unerträgliche Zustand wäre endlich wirklich unerträglich. Wenn hingegen Nikolaus Brender am Freitag gewählt wird, ist wieder Ruhe, und Union und SPD können weitermachen wie bisher, und bei der nächsten Wahl geht alles wieder von vorne los.

Nein, Markus Schächter muss in diese Auseinandersetzung mit den Partei- und Regierungsvertretern gezwungen werden — und zur Aufgabe des traditionellen Konsens mit diesen Leuten. NDR-Justiziar Werner Hahn hat in einem Beitrag für die FAZ mehrere Varianten erklärt, wer gegen die Zusammensetzung des Verwaltungsrates klagen könnte. Keine der Varianten ist sehr realistisch. Ein Drittel der Bundestagsabgeordneten wäre zum Beispiel ausreichend, also etwa SPD plus Grüne: „Mit Blick auf die Machtinteressen auch der SPD in Rundfunkfragen dürfte aber dieses Szenario ebenfalls äußerst unwahrscheinlich sein“, schreibt Hahn. Bliebe, unter bestimmten Voraussetzungen, der ZDF-Intendant, wenn er es wagte, sich offen mit den Politikern anzulegen, was ganz etwas Neues wäre.

Irgendjemand muss den Parteien sagen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht ihnen gehört, sondern uns. Irgendjemand muss ihnen das ZDF wegnehmen. Nicht nur dem Koch, auch dem Beck.

 

Blut und Esskastanien

Es hat ja auch sein Gutes, wenn man sich stundenlang das Elend der Fernseh-Berichterstattung der vergangenen Tage ansieht. Ich habe dabei einen Ausschnitt aus der ZDF-Sendung „Drehscheibe Deutschland“ vom vergangenen Mittwoch gefunden, der in gerade einmal 50 Sekunden alles zeigt, was man über dieses tägliche Mittagsmagazin und sein journalistisches Selbstverständnis wissen muss:

So und so ähnlich geht das jeden Tag, und ich würde schätzen, dass das ZDF nicht nur der größte Abnehmer von Beiträgen über Zubereitungsideen von Herbstfrüchten, sondern auch von Filmen der professionellen Unfallgaffer ist. Einen Eindruck davon, was für ein Geschäft das ist, bekommt man zum Beispiel auf der Seite der Firma „TVR News“, von der auch die Bilder aus dem „Drehscheibe“-Beitrag stammen, wie ein Schwerverletzter aus seinem Auto geborgen gerettet wird.

(Aber, hey, sein Gesicht ist verpixelt. Das ist schließlich öffentlich-rechtliches Fernsehen!)

Johannes B. Kerner sucht den „Mini-Mini-Mini-Sinn“ im Tod von Robert Enke

Es ging auf Mitternacht zu, die Medien hatten schon über 24 Stunden lang aus der Sprachlosigkeit über Robert Enkes Tod ein dröhnendes, nicht enden wollendes Geplapper gemacht, als Johannes B. Kerner es schaffte, diese Sprachlosigkeit doch noch einmal kurz wieder herzustellen. Er ließ eine Karte zeigen und sagte zu Jörg Sievers, dem Torwarttrainer von Enke:

„Wir können hier anhand einer Grafik noch einmal darlegen, wie nah [Enkes] Todesort dem Ort ist, wo seine Tochter begraben ist. Das ganze ist ein paar Kilometer nordwestlich von Hannover, Neustadt am Rübenberge, da ist der Friedhof, und ungefähr zwei Kilometer, 2200 Meter entfernt, in Eilvese hat Robert Enke gestern sein Leben beendet. Jörg, glauben Sie, dass es irgendwas miteinander zu tun hat, dass er diesen Ort in der Nähe der Grabstätte seiner vor drei Jahren gestorbenen kleinen Tochter gewählt hat, um sein Leben zu beenden?“

Jörg Sievers, der Torwarttrainer, schnappte einen stillen Moment lang nach Luft, bevor er sich fasste und antwortete:

„Das wäre reine Spekulation, was ich jetzt sage. Wir spekulieren eh sehr, sehr viel. Deswegen möchte ich auf diese Frage nicht antworten.“

Es wäre ein Augenblick gewesen, innezuhalten und kurz zu reflektieren, in welchem Maß sich alle in einen Rausch spekuliert hatten, auf der Suche nach Erklärungen für das Unerklärliche und rationalen Gründen für die Irrationalität einer Krankheit, zu deren Komplikationen der Suizid gehört. Aber Kerner zuckte nicht mit der Wimper, sondern hatte schon ein neues Spekulations-Angebot für Jörg Sievers: Ob nicht vielleicht hinter der rätselhaften Darmerkrankung Enkes vor ein paar Monaten in Wahrheit auch nur die Depression gesteckt habe…

Ein „Fraeulein Tessa“ hatte schon am Dienstagabend, nachdem bekannt wurde, dass Robert Enke sich das Leben genommen hat, getwittert: „Könnte man nun bitte präventiv Kerner und Beckmann absetzen? Danke.“ Es half nichts. Sat.1 kündigte prompt ein „Kerner Spezial“ und wies darauf hin, dass der Fernsehmann den Toten ja von seinen Länderspielen-Moderationen her kenne. Er kam dann aber nicht so schlimm, wie es hätte kommen können.

Dank Kerner hat Sat.1 nun erstmals seit längerer Zeit die Möglichkeit, aktuelle Themen aufmerksamkeitsstark im Programm zu behandeln – und muss die heillosen Spekulationen, das übertriebene Pathos, die pseudojournalistische Aufarbeitung (und vielleicht: die Quote) nicht mehr den Konkurrenten überlassen.

Kerners Gäste Jörg Sievers und Martin Kind, der Präsident von Hannover 96, waren vom NDR herübergekommen, wo sie kurz zuvor in der Sendung „Menschen & Schlagzeilen“ schon von Susanne Stichler zum Spekulieren aufgefordert worden waren. Bei Kerner musste das Drama des Dramas natürlich noch größer werden. Nicht nur von einem trauernden, sondern gleich einem „traumatisierten Land“ sprach er zur Begrüßung, rühmte die Pressekonferenz von Enkes Witwe als „beeindruckenden Auftritt einer wirklich starken Frau“ und stellte dem Vereinspräsidenten zum Einstieg die programmatische Frage: „Herr Kind, wie haben Sie diese Stärke empfunden?“

Nach einem Tag, an dem auf allen Kanälen viel mehr zu dem Thema gesagt wurde, als es zu sagen gab, der Nachrichtensender n-tv selbst die Bilder der Pressekonferenz noch mit dramatisch-kitschiger Musik unterlegte und sich im DSF Sportreporter über Stunden als Experten für das Krankheitsbild Depression versuchten, war dieses „Kerner Spezial“ ein fast unauffälliger Abschluss.

Kerner bemühte sich rührend, das Gespräch vom unbegreiflichen Thema Depression zum viel handlicheren Thema Überforderung und Druck zu lenken, worunter ja nicht nur Profi-Fußballer leiden würden, sondern zum Beispiel auch Geschäftsleute. Und er versuchte, der Tat etwas Gutes abzugewinnen und fragte in seiner unnachahmlichen Art, „ob wir möglicherweise damit rechnen müssen, dass wir in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten vermehrt Fälle hören, wo Fußballprofis den Mut finden zu sagen: Auch ich war einmal in der Situation, wo ich, ganz ehrlich, das Gefühl hatte, ich kann nicht mehr.“ Und wenn nun eine offene Diskussion entstehe über die Notwendigkeit, auch Schwächen zeigen zu können: Ob das „möglicherweise einen Mini-Mini-Mini-Sinn des Freitodes von Robert Enke gewesen sein könnte“? Dabei legte er den Kopf ganz treuherzig schief, bevor jemand auf die Idee kommen konnte, dass auch die Medien mit ihrer Gnadenlosigkeit gerade im Sport zu dem unmenschlichen Druck beitragen könnten.

Und dann schaffte er es, dass Sievers und Kind ganz am Schluss noch die Tränen in die Augen stiegen, als sie den großen Robert Enke auf Kerners Bitte hin noch einmal rühmten, und so gesehen muss man es wohl als eine gelungene Sendung bezeichnen.

Andreas Englisch

Gott sei Dank war Jürgen Fliege da. Das ist ein Gedanke, den man sonst auch nicht so oft hat, aber an diesem Donnerstag war Andreas Englisch, der Vatikan-Korrespondent der „Bild“-Zeitung, in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz zu Gast, um von den angeblich wundersam erfüllten „Prophezeiungen“ der katholischen Kirche zu schwärmen, und als er gerade richtig in Fahrt gekommen war und sich das Glück des Leichtgläubigen in seinem wirren Blick materialisierte, unterbrach ihn Fliege mit einer wirschen Handbewegung und sagte den schönen Satz: „Mit welcher Leichtfertigkeit jeder Pups, der da gelassen wird, als Heiliger Geist offenbart wird . . .!“

Es ist jedes Mal ein Ereignis, wenn Andreas Englisch im Fernsehen zu sehen ist. Er sitzt dann da wie ein Sechsjähriger beim Abendessen, übersprudelnd von all den wundersamen Dingen, die er wieder erlebt hat, glucksend, hibbelig. Die Füße hat er rechts und links hinter die Stuhlbeine geklemmt, weil es ihn sonst vermutlich gar nicht über mehrere Minuten ruhig am Platz halten würde, mit großen Augen staunt er das an, was um ihn passiert. Jede Art von Distanz, Fassung oder Besinnung ist ihm fremd, weshalb es auch fast ganz normal ist, dass er anfängt zu weinen, als er vom Tod seiner Mutter erzählt und davon, dass er durch eine Eingebung wusste, wann sie sterben würde, und deshalb alle wichtigen Termine im Vorhinein abgesagt hatte.

Heide Simonis, die frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin, saß auch in der Runde, aber zu ihrer entspannten Rationalität, der alles Spirituelle fremd ist, gibt es von dem Planeten, auf dem Englisch lebt, keine Verbindung. Neulich habe es bei ihr in der Küche geknackt, da habe sie gesagt: „Teufel, hau ab, sonst mach‘ ich ein Kreuzzeichen“, und danach sei es ruhig gewesen, erzählte sie gutgelaunt. Englisch aber missverstand die Lehre, die in dieser kleinen Geschichte stecken sollte, drehte sich zu Simonis und fragte mit sich hysterisch überschlagender Stimme: „Also? ALSO? AL-SO?!“

Das war ein bisschen beunruhigend – nicht nur, wenn man wusste, dass das ZDF mit diesem Mann einen dreiteiligen Film über Wunder dreht.

Wenn wenigstens Fliege als Co-Autor mit dabei wäre! Als Englisch mit glänzenden Augen erzählte, dass auch Ärzte und weltliche Kommissionen sich fragten, warum es zum Beispiel an Orten wie Lourdes so oft zu Heilungen komme, unterbrach der ihn: „Weil es auf dem Kölner Hauptbahnhof nicht gemessen wird!“

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