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Christian Nienhaus und die große Ignoranz

Christian Nienhaus ist einer der beiden Geschäftsführer der WAZ-Gruppe („Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, „Westfälische Rundschau“, „Die Aktuelle“) und Landesvorsitzender des nordrhein-westfälischen Zeitungsverlegerverbands. Er kommt von „Bild“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat heute ein erstaunliches Interview mit ihm geführt.

Herr Nienhaus, die WAZ-Gruppe klagt mit sieben Verlagen gegen die Tagesschau-App der ARD. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH gehört dazu. Was haben Sie denn gegen die öffentlich-rechtliche App?

Nienhaus: Der Rundfunkänderungsstaatsvertrag verbietet die Presseähnlichkeit der öffentlich-rechtlichen Internetdienste. Doch darüber entscheiden die Rundfunkräte, also die eigenen Gremien. Und diese verstehen sich häufig als Beschützer ihrer Rundfunkanstalten. Sie identifizieren sich mit der Anstalt statt diese zu kontrollieren. (…) Wir halten zudem die Kostenfreiheit der Apps für nicht korrekt. Hier wird, finanziert durch Quasi-Steuern, das Geschäftsmodell der privaten Presse angegriffen.

Interessant. In der Klage der Verlage geht es allerdings weder um die Frage, wie und von wem die Öffentlich-Rechtlichen kontrolliert werden sollen, noch um die Kostenfreiheit des Angebots.

Ist das ein Hilfeschrei an die Politik?

Nienhaus: Es gibt eine große Ignoranz der Politik und auch eine Angst der Politik. Führende Politiker haben mir gesagt: „Sie haben Recht, aber ich lege mich mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr an.“ Bei jeder kritischen Frage würden Politiker sofort mit kritischer Berichterstattung in ganz anderen Punkten überzogen. Im Landtag von Nordrhein-Westfalen wurde Abgeordneten gedroht, wenn Sie gegen die Mediengebühr stimmten, würde das in der WDR-Berichterstattung Folgen haben.

Holla. Im Landtag wurde den Abgeordneten gedroht? Und wem genau? Und von wem? Wenn das stimmte, wäre es ein gewaltiger Skandal. Nienhaus nennt keine Namen, keine Quelle, keine Belege, behauptet es aber als Tatsache.

Andererseits nehmen die Politiker Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten, weil sie in deren Gremien sitzen und die wichtigsten Personalentscheidungen treffen.

Nienhaus: Es ist nicht so, dass die Politik die Rundfunkanstalten beeinflusst.

Schön wär’s. Wenn Nienhaus ARD und ZDF von politischem Einfluss freispricht, ist das doppelt erstaunlich. Nicht nur, weil sich leicht Indizien für das Gegenteil finden lassen und das ein entscheidender prinzipieller Kritikpunkt an den Öffentlich-Rechtlichen ist. Sondern, weil er im FAZ-Interview den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland gleich viermal (falsch) als „Staatsrundfunk“ bezeichnet.

Nienhaus: Riesige Heerscharen von Lobbyisten, Beamten und Juristen aus den Rundfunkanstalten beeinflussen die Politik. Solange wir knappe Frequenzen hatten, war dieses System in Ordnung. Aber im Internet ist überhaupt nichts knapp.

Geld.

Geld ist knapp im Internet. Weshalb man auf die Idee kommen könnte, dass es eine gute Idee wäre, wenn ARD und ZDF, die viel Geld haben und viele Inhalte davon produzieren, diese Inhalte auch im Internet entsprechend anbieten und aufbereiten dürfen.

Nienhaus: Der Staatsrundfunk macht im Internet den Markt kaputt. Ich schätze die Qualität der öffentlich-rechtlichen Angebote sehr, aber sie produzieren diese mit Gebührengeld und machen damit Unternehmen ihr Geschäftsmodell im Internet kaputt.

ARD und ZDF machen auch im Fernsehen den Markt kaputt. Rumpelsender wie n-tv oder N24 zum Beispiel könnten sicher leichter überleben, wenn die ARD nicht viele Male am Tag eine — bei allen Schwächen — ordentliche Nachrichtensendung namens „Tagesschau“ zeigen würde. Es handelt sich auch hier um eine Marktverzerrung, und sie ist gewollt, um sicherzustellen, dass Sendungen hergestellt werden, deren Qualität selbst ein WAZ-Geschäftsführer „sehr schätzt“.

Sollen ARD und ZDF gar nicht online vorkommen?

Nienhaus: (…) Wenn die Nutzer einfach Videos herunterladen können, ist das kein Problem. Aber was die alles machen: Partnerschaftsportale, Jugendseiten, alles Mögliche!

„Die“ machen keine Partnerschaftsportale. Der WDR-Jugendsender Eins Live hatte mal eine Flirtcommunity namens „Liebesalarm“. Es gibt sie nicht mehr, weil ARD und ZDF solche Angebote mit dem 12. Rundfunkstaatsvertrag verboten wurden.

Wenn es nur ein öffentlich-rechtliches Videoportal gäbe, fänden Sie das in Ordnung?

Nienhaus: Wir als Verleger hätten nichts dagegen. Zwischen den Verlegern und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gab es früher nie Streit.

Falsch. Seit sechzig Jahren haben die deutschen Zeitungsverleger und vor allem Axel Springer den öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer wieder und dauerhaft angegriffen, weil sie seine nicht-privatrechtliche Konstruktion für widernatürlich, unzulässig und existenzgefährdend hielten und selbst Rundfunk veranstalten wollten. Jahrelang kämpften Verleger auch dagegen, dass ARD und ZDF einen Teletext anbieten dürfen.

Nienhaus: Das Lesen der gedruckten Ausgaben ist rückläufig: Wenn wir als Zeitungsleute eine Zukunft haben wollen, müssen wir nicht nur Journalismus umsetzen, sondern auch unser Geschäftsmodell. Journalismus funktioniert ja im Internet. Das ist kein Versagen der Journalisten. Aber keiner bezahlt dafür, alles ist umsonst.

Das ist falsch, wird ungefähr täglich falscher und selbst wenn es richtig wäre, wäre das nicht die Schuld von ARD und ZDF.

Es wird sich kaum ändern, dass Menschen nicht zahlen wollen. Wie soll ein sinnvolles Modell mit Bezahl-Inhalten aussehen?

Nienhaus: Ich bin optimistisch — gerade bei mobilen Geräten. Aber der Markt wird zerstört. Wir können nicht ein Sportportal der WAZ kostenpflichtig machen, wenn in der Sportschau nicht nur alles gezeigt, sondern eben auch beschrieben wird.

Die Frage hat er natürlich nicht beantwortet. Aber wenn die Zukunft der WAZ davon abhängt, dass niemand im Internet kostenlos beschreibt, was in der „Sportschau“ zu sehen ist, ist die WAZ tot.

Sie haben in den vergangenen Jahren 300 Stellen in der Redaktion gestrichen. Planen Sie auch wieder in Journalismus und in Köpfe zu investieren?

Ich glaube, man tut Nienhaus nicht unrecht, wenn man die vielen Sätze, die er anstelle einer Antwort sagt, mit „Nein.“ zusammenfasst. Als Euphemismus für „Stellen streichen“ benutzt er „kreativ werden“.

Wie sieht es mit Ihren Internetaktivitäten unter DerWesten aus? Können Sie mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten mithalten?

Nienhaus: Nein, in keiner Weise können wir konkurrieren. Das ist ja gerade das Ärgernis. Der Staatsrundfunk hat zig Millionen zur Verfügung, die haben wir natürlich nicht.

Die „WAZ“ kann im Internet „in keiner Weise“ mit ARD und ZDF konkurrieren? Nicht einmal bei der Lokalberichterstattung aus dem Einzugsgebiet, die ich jetzt naiv für die ureigene journalistische Aufgabe der „WAZ“ und ihres Internetangebots gehalten hätte?

Und: Meint Nienhaus eigentlich, wenn ARD und ZDF nur Filme im Internet zeigen dürften, bekäme „der Westen“ ein großes Stück von den Millionen des „Staatsrundfunks“? Oder wäre es dann nur so, dass sich das Publikum eher mit der — nach seiner eigenen Aussage — minderwertigen Qualität der „WAZ“-Produkte abgeben würde und müsste?

Ich halte viele der Positionen der Verlagslobby im Kampf gegen ARD und ZDF oder Google für falsch, aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass man über diese Positionen kaum ernsthaft streiten kann, weil die Debatte beherrscht wird von ahnungslosen Lautsprechern wie Nienhaus, der eigentlich nicht satisfaktionsfähig ist und dem tatsächlich in einem Interview über ARD und ZDF im Internet auf die Frage, was ARD und ZDF Schlimmes im Internet machen, nur einfällt: „Partnerschaftsportale, Jugendseiten, alles Mögliche!“

Und Nienhaus ist ja nicht allein — obwohl neben ihm ein Mann wie Springer-Außenminister Christoph Keese fast vernünftig und kenntnisreich wirkt. Keeses Satisfaktionsfähigkeit können Sie aktuell an einem Eintrag in seinem Privatblog überprüfen, in dem er eine lustige Verschwörungstheorie um die Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht (IGEL) entwickelt (ich unterstütze IGEL).

[Offenlegung: Ich arbeite frei für die FAZ. Dies ist meine private Meinung.]

Das „Eigentor“ der ARD

Eigentlich produziert die ARD genug echte Skandale — man müsste ihr nicht noch zusätzliche Aufreger unterschieben. Aber wer will schon zurückstehen, wenn es so leicht scheint, einen Skandal zu erfinden, der all die Zutaten enthält, die dieser Tage das Blut des interessierten Publikums und besonders der unermüdlichen anti-öffentlich-rechtlichen Lobby in Wallung bringen.

Auslöser war unwahrscheinlicherweise ein Artikel in der „Financial Times Deutschland“ vom vergangenen Donnerstag, der eigentlich nur noch einmal all das aufwärmte, was zum Streit um Digitalkanäle und Smartphone-Anwendungen längst bekannt war, und mit ein bisschen Alarmismus („Es geht um die Zukunft der Medienbranche“) würzte. Darin standen die Sätze:

Die Öffentlich-Rechtlichen dagegen haben ihre sicheren Einnahmen. Und werden in diesem Jahr ihre Internetinvestitionen in etwa verdoppeln.

Das ist natürlich falsch. Die ARD will in diesem Jahr 113,9 Millionen Euro für Telemedien ausgeben — gegenüber 109,9 Millionen 2010. Beim ZDF ist ein Anstieg von 38,8 Millionen Euro auf 40,6 Millionen Euro geplant.

Was die FTD vermutlich meint: Der Gesamtaufwand für Online ist in der Gebührenperiode von 2009 bis 2013 ist mehr als doppelt so hoch wie in den vier Jahren zuvor. Das liegt aber zu einem großen Teil daran, dass die Systematik geändert wurde, welche Ausgaben der öffentlich-rechtlichen Sender dem Internet zugeordnet werden.

Die ARD hat in einer Stellungnahme auf den Fehler hingewiesen. Der Medienaggregator turi2 macht daraus nun einen Skandal und ein „Eigentor“. Die ARD habe:

mit ihrem Dementi bestätigt, was Insider schon lange vermutet hatten: Dass die ARD ihre Web-Investitionen jahrelang kleingerechnet hat.

Ich nehme mal an, dass Peter Turi sich diese „Insider“ der Einfachheit halber ausgedacht hat. Denn jeder Interessierte konnte die Zahlen und die Änderung der Systematik, die die ARD vermeintlich jetzt „bestätigt“ hat, immer schon öffentlich nachlesen.

Im 17. Bericht der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Sender KEF heißt es:

In den Telemedienkonzepten weisen die Anstalten darauf hin, dass den Meldungen des Aufwands eine neue, gegenüber dem letzten KEF-Bericht deutlich erweiterte Systematik zugrunde liegt. Die Beträge seien deshalb mit den Zahlen in früheren Berichten der Kommission nicht mehr vergleichbar. Durch die neue Systematik soll der Aufwand für Telemedien vollständig erfasst werden.

Dieser Bericht stammt aus dem Dezember 2009. Nun kann man es tatsächlich problematisch finden, dass ARD und ZDF in den Jahren zuvor viele Ausgaben, die ihre Online-Aktivitäten betrafen, nicht in ihre Internet-Etats einberechnet hatten. Die Öffentlich-Rechtlichen hatten ein Interesse daran, diese Etats möglichst kleinzurechnen, weil damals noch Selbstverpflichtungen galten, die die Ausgaben deckeln sollten.

Nichts an dieser Tatsache ist aber neu oder bislang nur von „Insidern“ „vermutet“ worden. Es war, im Gegenteil, detailliert bekannt, wie ARD und ZDF vorgegangen sind. So berichtete etwa die „Zeit“ am 22. November 2007 unter der Überschrift:

ARD und ZDF geben offenbar mehr für ihre Online-Angebote aus als versprochen — die private Konkurrenz schäumt.

Nicht nur die privaten Fernsehsender protestierten damals; auch die KEF war damit nicht einverstanden, wie ARD und ZDF Posten aus den Internet-Etats (teils mit besseren, teils mit schlechteren Argumenten) herausrechneten. Umstritten war zum Beispiel etwas, das den schönen Namen „Überwiegenheitsprinzip“ trug: Die ARD rechnete nur solche Kosten als Internet-Kosten, wenn sie überwiegend für das Internet entstanden sind.

So entstehen Branchennachrichten und Kampagnenstoff im Sommer 2011: Die „FTD“ macht einen Fehler; turi2 entdeckt einen Skandal aus dem Jahr 2007 als neu; „Meedia“, das nicht Abschreibedienst genannt werden will, schreibt ab: „ARD machte falsche Angaben zu Online-Investitionen“.

Und der einschlägig bekannte Ekkehard Kern nutzt es als Munition für die Springer-Propaganda gegen die Öffentlich-Rechtlichen und fragt in der „Berliner Morgenpost“ treuherzig: „Hat die ARD ihre Onlineausgaben kleingerechnet?“

Man könnte sich jetzt noch streiten, ob der Versuch der ARD, die Behauptung der FTD richtigzustellen, tatsächlich, wie Turi behauptet, ein „Eigentor“ war. Oder ob die scheinbaren Schiedsrichter nur, aus Ignoranz oder Eigeninteresse, fälschlicherweise behaupten, dass da ein Ball eine Linie überquert habe. Das Ergebnis ist natürlich leider dasselbe.

ARD-Aktion „BILDstörung“

Die ARD ist bereit, im Kampf gegen die „Bild“-Zeitung zum Äußersten zu gehen. Wenn das Blatt mit seiner erwarteten Anti-ARD-Kampagne beginnt, droht der WDR, mit einer täglichen einminütigen Comedy auf 1Live zu antworten. Titel: „1LIVE — Brüllt dir deine Meinung“. Zwei Folgen der Reihe, die „satirisch den Alltag in der Redaktion“ zeigen soll, sind nach internen Angaben bereits fertig; weitere würden dann kurzfristig realisiert.

Er ist in mancher Hinsicht furchteinflößend, der Themenplan der „Redaktion BILDstörung“, die den publizistischen Gegenangriff der ARD-Anstalten koordiniert. 30 Themen umfasste er, Stand letzte Woche, wobei nicht alle gleich originell sind.

Viele Beiträge sind — bis auf Statements von „Bild“, die dann noch eingeholt werden würden — bereits fertig produziert, darunter:

Zum Konzept der Operation „BILDstörung“ gehört auch Eigenlob. Ein Beitrag des NDR lässt unter anderem einen „Roger Wilhelmsen“ zu Wort kommen, der die Orchester und Chöre der ARD rühmt. Ein weiterer Bericht behauptet, dass die umstrittene „Tagesschau-App“ „in Wahrheit kein Geld extra“ koste. In dem Kampf gegen die App sieht die ARD offenbar den Anlass für „Bild“, bei ihrem regelmäßigen ARD-Bashing in diesem Jahr besonders heftig zuzuschlagen. Ein anderer geplanter „BmE“ (Beitrag mit Einspielern) soll erklären, warum die „Verlegerträume vom Geldverdienen mit der App platzen könnten“.

Die ARD hat sich intern verboten, von einer „Kampagne“ und entsprechend einer „Gegenkampagne“ zu sprechen. Immerhin dementiert der Senderverbund inzwischen nicht mehr, dass es solche Planungen gibt, wie sie es Anfang der Woche noch getan hatte. Am Dienstag zitierte die „Berliner Zeitung“ aus Papieren der „virtuellen Medienredaktion“, die die ARD gegründet hatte, und pulverisierte damit die offenkundige Strategie von ARD-Sprecher Stefan Wirtz, das Thema mit einer Mischung aus Schweigen und Leugnen zu erledigen — sowie mit der erstaunlichen Argumentation, es sei ganz normal, Anfragen an die Pressestelle an die hauseigene Medienredaktion zu weiterzureichen.

Wolfgang Schmitz, der Hörfunkdirektor des WDR, nennt die detaillierten Themenpläne ein „Brainstorming von Redaktionskollegen“. Nichts davon sei bereits zur Sendung freigegeben; kein einziger Beitrag liege auf Halde bereit. Der Umfang der Anfragen von „Bild“ in den vergangenen Wochen deute darauf hin, dass „Bild“ „nicht nur einen Einspalter“ plane. „Wir wären schlecht beraten, wenn wir uns nicht darauf einstellen würden.“ Man bereite sich vor, wie man auf Themen reagieren könne, die offensichtlich bei „Bild“ in der Recherche sind. Und all das stehe unter dem Vorbehalt, dass es zu einem solchen Angriff von „Bild“ überhaupt komme.

Aber wenn er kommt, reiche es nicht, darauf nur mit Pressemitteilungen zu antworten; man müsse natürlich auch im Programm reagieren. Schmitz sagt, er habe eine „Einladung“ an die Medienredaktionen ausgesprochen, sich Gedanken zu machen. Aber es gebe „kein angeordnetes Programm mit vorgegebenem Ergebnis“. Dazu würde sich auch kein ARD-Redakteur hergeben, auch nicht im Auftrag des Hörfunkdirektors. „Wir instrumentalisieren keine Journalisten für Kampagnen, die einem Unternehmensziel dienen“, beteuert Schmitz.

Die redaktionellen Standards würden durch eine solche koordinierte Aktion nicht außer Kraft gesetzt — selbstverständlich müsse zum Beispiel die Gegenseite gehört werden. Schmitz sagt, er werde sich an den tatsächlichen, gesendeten Beiträgen messen lassen. Aber die Vorbereitung solcher Maßnahmen sei noch kein Kampagnenjournalismus.

Das mag nicht ganz falsch sein. Und doch ist die Aufweichung einer klaren Grenze zwischen Unternehmenskommunikation und Medienjournalismus ein prinzipielles Problem. Tatsächlich aber kann die ARD in der Reaktion auf die erwartete „Bild“-Kampagne Punkte machen, wenn sie es schafft, sich nicht in eine Schlammschlacht zu stürzen, sondern journalistisch angemessen und, ja: unabhängig über die Vorwürfe, ihre Berechtigung und ihre vermuteten verlagspolitischen Hintergründe zu berichten. Das mit der Unabhängigkeit ist schon unter normalen Bedingungen schwierig und mit einer solchen Vorgeschichte wie hier fast unmöglich. Es sei denn, die Verantwortlichen insbesondere um die ungeschickte ARD-Vorsitzende Monika Piel lernten etwas aus der (auch internen) Aufregung um ihr Vorgehen.

Übrigens hat der RBB in seinem Politmagazin „Kontraste“ gestern gezeigt, dass es möglich ist, in eigener Sache unvoreingenommen und fair zu berichten: Selbst Springer-Außenminister Christoph Keese war zumindest als Privatperson einigermaßen zufrieden mit dem Beitrag über den Kampf um die „Tagesschau“-App. „Es verlangt Mut, als Journalist über das eigene Haus zu berichten und dabei auch Kritikern angemessenen Raum zur Stellungnahme zu geben“, bloggte er. Was vermutlich auch der Grund ist, weshalb es etwa bei der „Welt“ niemand tut.

Nachtrag, 23.00 Uhr. Die ARD leugnet nach wie vor. Gegenüber „Spiegel Online“ sagt Sendersprecher Wirtz, die ARD plane keine Gegenkampagne gegen „Bild“. Das Papier (das detailliert Themen, Autoren, Gesprächspartner, den aktuellen Recherche- oder Produktions-Fortschritt, das Fertigungsdatum und den verantwortlichen Sender nennt) sei bloß Ergebnis eines Brainstormings. Keineswegs habe man die Produktion der Beiträge daran geknüpft, dass in der „Bild“ die erwartete Artikelserie zur ARD erscheine, sagt er — in direktem Widerspruch zur Aussage von Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz mir gegenüber.

Ich wette, er liebt Magritte.

Thomas Gottschalk

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Das Gute für ihn ist: Er kann immer wieder zurückgehen. Wäre ja nicht das erste Mal, dass er sich groß verabschiedet von „Wetten, dass“, um dann nach kurzer Zeit einfach wieder zurückzukommen, fragen Sie mal Wolfgang Lippert. Ab einer bestimmten Liga wirkt das nicht unentschlossen oder unsouverän, sondern als Beweis echter Größe. Hans-Joachim Kulenkampff hat sich schon 1966 zum ersten Mal von „Einer wird gewinnen“ verabschiedet. Vielleicht könnte man sogar eine jährliche Gottschalk-Verabschiedungs- und Rückkehr-Routine daraus machen, quasi eine Meta-Show, mit den Berichterstattern als Kandidaten, die erraten müssen, zu welchem Sender er das nächste Mal geht, wohin er dafür seinen Wohnsitz verlegt und ob Michelle Hunziker ihn begleiten wird.

Vorerst aber zerbrechen sich die Medienprofis und -laien im Land rührend den Kopf, wie genau die ARD denn Platz finden soll für eine fast-werktägliche halbstündige Gottschalk-Show vor der „Tagesschau“, wo diese Strecke doch zugerümpelt ist mit Programmhinweisen, Werbung, einem Miniwissensmagazin, Werbung, einem Minibörsenmagazin, Werbung und dem Wetterbericht. Dabei ist das leicht: Das wird einfach alles Teil der neuen Show.

Gottschalk sitzt also auf dem Sofa und begrüßt die Zuschauer zuhause und die Moni aus Pirmasens, die per Facebook zugeschaltet ist und über deren knappes Kleid er ein paar anzügliche Witze macht, die Kamera zieht auf, man sieht, dass Steffi zu Guttenberg schon neben Gottschalk sitzt, er bietet ihr auf die Frage, wie es so war in Amerika, drei Antwortmöglichkeiten und erkundigt sich, ob sie sich auch schon mal gefragt hat, wie ein Fahrstuhl funktioniert, aha, soso, na dann soll uns das der Ranga mal erklären; es folgt ein Einspielfilm über eine Familie aus der Pfalz, die kleine Nougat-Guttenberge verkauft, ein Quiz, bei dem Moni gegen irgendeinen Twitter-Typ um einen Audi spielt, eine Schalte zur Börse, der Lustige-YouTube-Clip des Tages, die Nachfrage bei Moni, wie denn das Wetter in Pirmasens ist, Überleitung zu Claudia Kleinert, die Moni sagt, dass sie die Grillparty am Wochenende knicken kann, Verabschiedung Steffi zu Guttenberg, morgen auf dem Sofa: Fritz Wepper!

Kampagnen-Kamikaze bei der ARD

Ich habe ein bisschen den Überblick verloren, wie viele ARD-Leute mich in den vergangenen Wochen angerufen haben, um mich zu fragen, ob ich nicht in ihren Sendungen erzählen möchte, wie schlimm die „Bild“-Zeitung ist. Der halbe WDR scheint mit der Recherche (oder jedenfalls: Akquise) beschäftigt zu sein; neben mehreren Radiosendern wollen offenbar auch Fernsehsendungen wie „Monitor“ und „Aktuelle Stunde“ dringend mal etwas über „Bild“ und ihre Methoden und Macher bringen. Hinzu kommen Anfragen aus dem Hauptstadtstudio und vom MDR. Insgesamt sind es sicher ein gutes halbes Dutzend, zwei weitere gingen bei BILDblog-Chef Lukas Heinser ein.

Es klingt undankbar, sich über soviel Aufmerksamkeit und Interesse zu beklagen, und eigentlich freue ich mich, wenn sich jemand kritisch mit der „Bild“-Zeitung beschäftigen möchte. Aber hinter der Flut von Anfragen steht kein journalistisches Interesse an „Bild“, sondern die prophylaktische Munitionierung gegen eine erwartete „Bild“-Kampagne. Sie rechnen bei der ARD mit dem Schlimmsten — wobei nicht ganz klar ist, ob das Schlimmste vernichtende Wahrheiten oder schamlose Lügen wären.

Jedenfalls wurde offenbar flächendeckend Panik angeordnet, um auf einen Angriff mit einem Gegenangriff reagieren zu können. Das Ausmaß des Aktionismus ist in jüngerer Zeit einzigartig, und auch den Kollegen, die deshalb ausschwärmen, um Kronzeugen wie mich anzusprechen, ist nicht allen wohl bei dem, was sie da tun (müssen).

Ulrike Simon berichtet heute in der „Berliner Zeitung“, dass die ARD-Intendanten beschlossen hätten, eine „virtuelle Medienredaktion“ einzurichten, die eine Kampagne gegen „Bild“ koordiniere. Sie schreibt: „Der Verdacht liegt nah, dass die Intendanten der ARD Medienjournalismus als probates Mittel zur Instrumentalisierung für eigene Interessen sehen.“

Das ist auf Seiten der meisten Verlage insbesondere im Kampf gegen ARD und ZDF nicht anders, aber das macht die Sache nicht besser.

Am Schlimmsten wäre es, wenn das stimmt, was Ulrike Simon noch schreibt: Die ARD-Intendanten wollten mit ihrer Anti-„Bild“-Kampagne „den ersten Schuss“ von „Bild“ gegen den Senderverbund abwarten: „Sollte das Blatt die Serie unter Verschluss halten, werde auch die virtuelle Medienredaktion wieder in der Versenkung verschwinden.“ Wie entlarvend: Die ARD-Oberen wollen die zweifelhaften Methoden der „Bild“-Zeitung nur dann anprangern, wenn sie selbst davon betroffen sind? Solange „Bild“ sich nur an anderen Opfern abarbeitet, ist das kein großes Thema? Schlimm ist an „Bild“ aus ARD-Sicht vor allem, dass sie die ARD angreift?

Der Fairness halber muss man sagen, dass es in der ARD durchaus Medienjournalismus gibt, der sich nicht als Unternehmenskommunikation mit anderen Mitteln versteht, bei „Zapp“ und im Medienmagazin von Radio Eins, zum Beispiel.

Ist es legitim, auf eine Kampagne mit einer Gegenkampagne zu antworten? Insbesondere dann, wenn der Verdacht naheliegt, dass die „Bild“-Kampagne ihrerseits nicht journalistisch motiviert ist, sondern die aktuelle juristische und publizistische Großoffensive des Springer-Verlags begleiten und unterstützen soll?

Natürlich kann die ARD, wenn die Vorwürfe der „Bild“ unberechtigt sind, ihr die Fehler um die Ohren hauen (und ich bin dabei, wenn ich kann, gerne behilflich). Und natürlich kann sie, falls die Vorwürfe der „Bild“ berechtigt sein sollten, ihre Hörer und Zuschauer darauf hinweisen, wie einseitig die Berichterstattung seit Jahren ausfällt und was der Grund dafür ist. Das könnte aber — je nachdem, über was für Vorwürfe wir hier reden — schon nicht mehr ganz so überzeugend sein. Aber auf Kritik reflexartig mit Gegenkritik zu reagieren, ist eigentlich nicht zufällig eine Spezialität der „Bild“-Zeitung. (Als der „Spiegel“ vor ein paar Monaten versucht hat, groß und kritisch über „Bild“ zu schreiben, standen in „Bild“ danach unvermittelt tagelang Abgesänge auf das Magazin. Vielleicht hat das die ARD-Intendanten positiv beeindruckt.)

Der gegenwärtige Aktionismus der ARD ist vor allem eines: sensationell ungeschickt. Man muss die geplante Gegenkampagne nicht einmal medienethisch würdigen, sondern kann sich allein auf die Frage beschränken, ob sie hilfreich ist. Spätestens seit ihrem Bekanntwerden heute lässt sich das klar verneinen.

Die Tagesschau-App und die Pfeife der Verlage

„Die Axel Springer AG oder Mathias Döpfner verbreiten keine ‚Untergangsstimmung‘, und schon gar nicht aus ’strategischen Gründen‘.“

Christoph Keese, Außenminister der Axel Springer AG.

„Wir kämpfen um unsere Existenzgrundlage.“

Mathias Döpfner, 25. Juni 2011, „Süddeutsche Zeitung“

„Wenn sich bezahlte Applikationen auf mobilen Geräten nicht durchsetzen, wird dies Tausende Arbeitsplätze in der Verlagsbranche kosten.“

Mathias Döpfner, 28. Dezember 2009, „Focus“.

Obwohl interplanetare Kommunikation schwierig ist, muss man sich, fürchte ich, mit dem auseinandersetzen, was Christoph Keese sagt. Als Außenminister der Axel Springer AG ist er der amtierende Lautsprecher einer leider großen Allianz von Verlagen im Kampf gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dieser Kampf wird einerseits juristisch geführt, mit einer Klage gegen die Aufbereitung der Inhalte von tagesschau.de für Smartphones. Und andererseits publizistisch.

Steffen Grimberg hat in der „taz“ dazu vor einigen Tagen festgestellt:

Ein Kollateralschaden der Debatte liegt jetzt schon auf der Hand: der Medienjournalismus. Die klageführenden Blätter beherbergen das Gros der relevanten Medienseiten in diesem Land. Und so wird die Tagesschau-App ganz nebenbei zum Elchtest für die innere Pressefreiheit.

Keese erwidert:

Warum sagt [Grimberg] nicht, was er damit sagen will? Unterstellt er seinen Kollegen, dass sie nach der Pfeife ihrer Verlage tanzen und willfährig über deren geschäftliche Interessen berichten? Dann müsste er Belege für die Beschuldigung anführen, was er aber nicht tut. Eine Sammlung von Belegen würde zeigen, dass die Zeitungen durchaus unterschiedlich auf die Klage ihrer Verlage reagiert haben. Von nachrichtlicher Berichterstattung über abwägende Kommentare bis hin zur leidenschaftlichen Verteidigung. Einen der härtesten Angriffe auf die Öffentlich-Rechtlichen hat Konrad Lischka bei Spiegel Online geschrieben — der Spiegel Verlag gehört jedoch gar nicht zu den Klägern.

Es ist ein typisches Beispiel für die argumentative Unredlichkeit von Christoph Keese. Die Tatsache, dass ein Medium, das nicht an der Klage beteiligt ist, besonders scharf gegen ARD und ZDF schießt, sagt exakt nichts darüber aus, ob und wie die Klage der Verlage die redaktionelle Berichterstattung der dort arbeitenden Journalisten beeinflusst.

Aber ich will Keese gern den Gefallen tun und hiermit meinen und Grimbergs Kollegen unterstellen, dass sie nach der Pfeife ihrer Verlage tanzen und willfährig über deren geschäftliche Interessen berichten. Belege? Bitteschön:

„Die Welt“

22. Juni. Die Überschrift der vermeintlich nachrichtlichen Meldung auf Seite 1 nimmt das Ergebnis der Klage schon vorweg:

Verleger klagen gegen die ARD
„Tagesschau“-App verzerrt Wettbewerb

Am selben Tag erscheint ein langer Artikel von Ekkehard Kern: „Die aggressive Expansionspolitik von ARD und ZDF im Internet torpediert den deutschen Medienmarkt“. Er schreibt:

Sinnvolle Investitionen ins Fernseh-Programm zum Beispiel — das wäre für alle Zuschauer ein Gewinn. Stattdessen fließen bei den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunksendern seit geraumer Zeit Millionen an Gebührengeldern in Online- und Mobil-Portale. Doch davon profitiert lediglich eine geringe Anzahl von Smartphone- und Tablet-Benutzern.

Die „Tagesschau“-App, von der lediglich eine so geringe Anzahl von Menschen profitiert, ist zu diesem Zeitpunkt 1,7 Millionen Mal installiert worden. Zum Vergleich: Das ist knapp sieben Mal soviel wie die tägliche Verkaufsauflage von gedruckter „Welt“ und „Welt kompakt“.

Der juristische Vorstoß kann als ein erster Schritt gesehen werden, um auf die von ARD und ZDF geschaffenen Zustände in der Verlagsbranche öffentlich aufmerksam zu machen.

Die von ARD und ZDF geschaffenen Zustände in der Verlagsbranche. Das steht da wirklich. Und er schreibt es gleich noch einmal:

In Anbetracht des vielfältigen Online- und Mobilangebots der deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenlandschaft ist der aggressive Expansionskurs der Öffentlich-Rechtlichen in diesem Bereich ebenso unverständlich wie überflüssig. Die wirtschaftlichen Folgen für die deutsche Medienbranche waren schon im vergangenen Jahr vielerorts zu spüren. Die von ARD und ZDF künstlich und ohne ersichtlichen Grund herbeigeführte Konkurrenzsituation mit der Privatwirtschaft sorgt für einen verzerrten Wettbewerb. Dadurch oft nötig gewordene finanzielle Einsparungen auf Seiten der Verlage sorgen mittelfristig dafür, dass die deutsche Medienlandschaft insgesamt ärmer wird.

Weil ARD und ZDF einfach ins Internet gegangen sind, mussten die Verlage bereits sparen und können deshalb nicht mehr so gut sein wie früher oder wie sie sein könnten?

Die Tatsache, dass sich ARD und ZDF neben — so lautet die Definition von Rundfunk — Fernsehen und Radio seit geraumer Zeit auf unnachgiebige Weise als Konkurrent der Print-Branche gebärden, sorgt schon seit Jahren bei vielen Branchenexperten für Unbehagen.

Man beachte, dass Kerns Definition von Rundfunk das elektronische Medium Internet ausschließt, seine implizite Definition von Print aber das elektronische Medium Internet einschließt. Ganz abgesehen davon, dass er — falsch — suggeriert, ARD und ZDF würden schon durch ihre Existenz im Internet ihren rechtlichen und gesellschaftlichen Auftrag überschreiten.

Ekkehard Kern ist übrigens der lustige Mensch, unter dessen Namen bei „Welt Online“ immer noch unkorrigiert die nicht nur falsche, sondern völlig abwegige Behauptung steht, der ZDF-Kulturkanal wolle einen eigenen Jugendkanal. Schon Ende April hatte er in diesem Zusammenhang herrlich unbeschwert getextet:

Schelte für ihre oft wenig durchschaubare Expansionspolitik haben ARD und ZDF reichlich kassiert. Man denke nur an die herrlich überflüssige „Tagesschau“-App für das iPad und überhaupt die digitale Ausbreitung im Internet — einem Terrain, das die Öffentlich-Rechtlichen unangetastet lassen müssten, denn „Rundfunk“ beinhaltet eben schon per definitionem nur Radio und Fernsehen.

„Süddeutsche Zeitung“

22. Juni. In einem scheinbar nachrichtlichen kurzen Artikel, in dem Medienredakteurin Katharina Riehl über die Klage der Verlage gegen die „Tagesschau“-App berichtet, bezeichnet sie ARD und ZDF als „quasi staatlichen Rundfunk“.

25. Juni. Medienredakteur Christopher Keil betätigt sich als Stichwortgeber für Mathias Döpfner und attestiert ihm unter anderem: „Bisher sind Sie immer wieder zu Kompromissen bereit gewesen.“ Er erklärt das nicht.

„Hamburger Abendblatt“

22. Juni. Kai-Hinrich Renner kommentiert:

Der Streit zwischen Zeitungsverlagen und der ARD über die „Tagesschau“-App ist das Symptom eines grundsätzlichen Problems: In der digitalen Welt können bisher — bis auf ganz wenige Ausnahmen — nur gebührenfinanzierte Sender aufwendigen, rechercheintensiven Journalismus finanzieren.

Wirklich? Wenn es so wäre, spräche das nicht dafür, die Position der gebührenfinanzierten Sender im Internet zu stärken? Um aufwendigen, rechercheintensiven Online-Journalismus zu ermöglichen? Andererseits: Kann mir jemand ein Beispiel dafür zeigen, wo ARD und ZDF in der digitalen Welt aufwendigen, rechercheintensiven Journalismus finanzieren?

Nun zeichnet sich ab, dass die Nutzer bereit sind, zumindest für Inhalte auf mobilen Medien zu zahlen. Die Befürchtung der Verlage ist berechtigt, dass es mit dieser Bereitschaft schnell vorbei sein könnte, sollten sich Gratis-Apps wie die der „Tagesschau“ durchsetzen. Wer aber auf die „Tagesschau“-App — die ja nicht wirklich kostenlos, sondern gebührenfinanziert ist — nicht verzichten will, muss sagen, wie sich die Wettbewerber der Öffentlich-Rechtlichen künftig finanzieren sollen. Denn die unabhängige Presse wird in diesem Land vom Grundgesetz garantiert. Sie hat einen hohen Stellenwert: Es gibt keinen Grund, daran etwas zu ändern.

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“

22. Juni. Michael Hanfeld kommentiert auf Seite 1 unter der Überschrift „Für eine unabhängige Presse“:

Mit der Klage und der Beschwerde bei der Europäischen Wettbewerbskommission ergreifen die Verlage die letzte Möglichkeit, ihre Position zu behaupten. Sie kämpfen für das Überleben der unabhängigen Presse.

26. Juni. Im Leitartikel der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (für die ich regelmäßig arbeite)  schreibt Alard von Kittlitz:

Es geht bei der Klage ganz sicher nicht darum, dass die Presse die Konkurrenz von Funk und Fernsehen furchtet. Die Presse hat sich nie darüber beklagt, dass der Staat per Gebühren Anstalten finanziert, die Leute vom Lesen zum Hören, Sehen bringen. Jetzt aber treiben die Öffentlich-Rechtlichen selbst Printjournalismus, und zwar im großen Stil.

Stimmt doch nicht, könnte man einwenden. Gibt es etwa eine gedruckte Tagesschau-Zeitung, ein Tagesthemen-Magazin? Nein. Gegenfrage: Was ist eine App? Apps sind alles Mögliche, aber sie erinnern eher an Papier denn an einen Bildschirm. Die Geräte, auf denen sie laufen, bedient man mit dem Finger. Wie ein Buch, wie eine Zeitung. Man blättert. Man kauft Apps wie Zeitungen an einem digitalen Kiosk. (…)

Die Presse in Deutschland hat schon so zu kämpfen. Staatliche Konkurrenz, aus einem üppigen öffentlichen Topf finanziert, macht ihr das Leben schwer. Dabei erfüllt gerade die Presse den Auftrag, mit dem die Gebührenfinanzierung eines öffentlich-rechtlichen Journalismus in Deutschland begründet wird: dass die Bürger sich vernünftig informieren können.

„Bild“

Die „Bild“-Zeitung hat bislang nur in Form einer kurzen Meldung über die Klage berichtet. Man darf annehmen, dass der Seite-1-Aufmacher von Paul Ronzheimer von Ende 2009 noch Bestand hat, Schlagzeile: „Der Irrsinn mit unseren TV-Gebühren“.

Die nächste große „Bild“-Kampagne ist allerdings in Arbeit. In der ARD bereitet man sich auf das Schlimmste vor und rechnet damit, dass die echten oder vermeintlichen Enthüllungen der „Bild“-Zeitung in den nächsten Tagen oder Wochen maßgeschneidert zum juristischen Vorgehen der Verlage erscheinen werden.

Fazit

Zur Erinnerung noch einmal Keese:

Eine Sammlung von Belegen würde zeigen, dass die Zeitungen durchaus unterschiedlich auf die Klage ihrer Verlage reagiert haben. Von nachrichtlicher Berichterstattung über abwägende Kommentare bis hin zur leidenschaftlichen Verteidigung.

… und bis hin zu beeindruckender Beklopptheit wie in der „Welt“. Ja, das Temperament der Reaktionen und die journalistische Qualität ist unterschiedlich; die Stoßrichtung aber ist identisch.

Ja, ich glaube, dass die Journalisten der klagenden Verlage keine Chance hätten, gegen deren Position zu schreiben. Es bedarf dazu gar keines Pfiffs aus einer Pfeife, weil sie wissen, welcher Tanz von ihnen erwartet wird. Ich glaube  nicht an eine große Abstimmung der Beteiligten untereinander, aber es fällt schon auf, wie oft nun bei jeder Gelegenheit der Begriff „öffentlich-rechtlich“ durch „staatlich“ ersetzt und dass plötzlich Online-Artikel in einer fast orwellschen Umdefinition „Print“-Journalismus“ darstellen sollen.

Das bedeutet nicht, dass jeder einzelne der Journalisten von ihnen gegen seine eigene Überzeugung anschreiben muss, wenn er gegen die ARD wettert. Keese suggeriert in seiner gut gelaunt perfiden Art ohnehin, dass die Erklärung für den Gleichklang ist, dass man in dieser Sache als Journalist, der nicht bei ARD und ZDF angestellt ist, gar nicht anderer Meinung sein könne.

Die Gretchenfrage ist eine andere. Wenn der Journalismus der Verlage so gut ist, wie sie behaupten, wenn gerade die Presse, wie Kittlitz behauptet, den Auftrag erfüllt, „dass die Bürger sich vernünftig informieren können“ — warum zeigen sie der Öffentlichkeit und der ARD nicht, was das bedeutet? Warum machen sie sich nicht unangreifbar und lassen — gerade weil ihre Verlage bei diesem Thema selbst Partei sind — die Gegenseite ausführlich zu Wort kommen? Warum führt die „Süddeutsche“, wenn sie schon mit ihrem Klagepartner Döpfner so viel Raum gibt, nicht ein Interview, das an kritischen Nachfragen keine Wünsche offen lässt? Warum schafft die „Welt“ es nicht einmal, eine Nachricht zu dem Thema streng nachrichtlich zu formulieren? Warum ist es undenkbar, dass in einem Objekt eines der beteiligten Verlage ein Kommentar erschiene, der der Position der Kläger widerspricht?

Was wäre das für ein Beweis für die Qualität des privat finanzierten Journalismus, wenn man sich darauf verlassen könnte, trotz der Parteilichkeit der Verlage in dieser Sache, umfassend und fair und vielleicht sogar sauber nach Nachricht und Meinung getrennt über den Komplex informiert zu werden! Gerade der Verlag, dessen Außenminister Keese ist, scheitert an diesem Test jedesmal.

ARD-Generalsekretärin: „Zugang für alle“

Die Generalsekretärin der ARD, Verena Wiedemann, hat sich in der Debatte über die verstörenden Äußerungen der WDR-Intendantin und neuen ARD-Vorsitzenden Monika Piel zu Wort gemeldet. Piel hatte kostenlose journalistische Online-Angebote von Verlagen als „Holzweg“ bezeichnet und angekündigt, sich „vehement“ dafür einzusetzen, dass die öffentlich-rechtlichen Anwendungen auf mobilen Geräten kostenpflichtig werden, wenn es auch die Anwendungen der Verlage sind.

Wiedemann geht in ihrem Kommentar hier im Blog kaum direkt auf Piel ein, setzt aber markant andere Akzente. Die Präsenz auf mobilen Endgeräten sei für die ARD „keine Frage ihres Beliebens, sondern eine Frage ihres Programmauftrags und damit ihrer Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit und gegenüber den Gebührenzahlern. Für das Privileg, von den Marktkräften ebenso journalistisch unabhängig zu sein wie von staatlicher Kontrolle, ist die ARD im Gegenzug verpflichtet, qualitätsvolle und vielfältige Inhalte anzubieten und den optimalen Zugang zu ihnen für alle Bürger sicherzustellen.“

Innerhalb der Grenzen, die der Rundfunkstaatsvertrag ARD und ZDF im Internet setze, müssten die gebührenfinanzierten Inhalte „ohne zusätzliches Entgelt für jedermann, der sich für den einen oder anderen Empfangsweg entscheidet, frei zugänglich“ sein, das gelte auch für Computer oder Smartphones. Die von Piel ins Spiel gebrachte Möglichkeit, dass „eines Tages alle Inhalte der Verleger im Internet kostenpflichtig sein könnten“, sei „theoretischer Natur“, formuliert sie diplomatisch und dennoch als deutliche Abgrenzung zur WDR-Intendantin.

Wiedemann versucht, den vielfältigen Protest gegen Piels durchschaubaren Anbiederungsversuch an die Verleger umzulenken auf einen gemeinsamen Kampf für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und gegen die Lobby der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger: „Es wird wichtig bleiben, öffentlich wieder und wieder deutlich zu machen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein gesamtgesellschaftliches Anliegen ist. Denn er gehört uns allen.“

Inzwischen rudert auch Piel zurück. Ein ARD-Sprecher sagte, sie „wäre falsch verstanden worden, wenn ihre Äußerungen als generelle Absage an kostenlose Apps interpretiert worden wären“. Angebote, die vorhandene, bereits über die Rundfunkgebühren bezahlte Internet-Inhalte lediglich „optimieren“ wie die „Tagesschau“-App, müssten nach Meinung von Frau Piel selbstverständlich auch weiterhin kostenfrei bleiben.

Verena Wiedemanns Kommentar im Wortlaut:

Die ARD hat seit jeher die unverzichtbare Rolle der Presse für unsere Demokratie und für die Zukunft der Qualitätsmedien in Deutschland betont. Und so macht auch die neue ARD-Vorsitzende, Frau Piel, deutlich, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Printmedien in der Aufgabe ergänzen, den Bürgern glaubwürdige und umfassende Informationen und das ganze Meinungsspektrum unserer Gesellschaft zu vermitteln. Dort, wo dies sinnvoll und möglich erschien, haben wir bereits seit Jahrzehnten auf vielfältige Kooperationen mit den Verlagen gesetzt: Etwa bei der Berichterstattung über kulturelle Ereignisse oder bei Buchprojekten und in neuerer Zeit auch im Internet, wenn die ARD ausgesuchte audiovisuelle Inhalte für die Webseiten lokaler und regionaler Zeitungen zur Verfügung stellt. All dies stärkt unsere Medienlandschaft insgesamt und trägt zu einem optimalen flächendeckenden Informationsangebot für alle Bürger bei.

Wie aber verhält es sich nun mit den Apps? Mit ihnen optimiert die ARD ihre Internet-Angebote für die Welt der mobilen elektronischen Endgeräte, so wie dies alle anderen Medien auch tun, die künftig noch publizistisch relevant sein wollen. Nur ist die Präsens auf mobilen Endgeräten im Falle der ARD keine Frage ihres Beliebens, sondern eine Frage ihres Programmauftrags und damit ihrer Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit und gegenüber den Gebührenzahlern. Für das Privileg, von den Marktkräften ebenso journalistisch unabhängig zu sein wie von staatlicher Kontrolle, ist die ARD im Gegenzug verpflichtet, qualitätsvolle und vielfältige Inhalte anzubieten und den optimalen Zugang zu ihnen für alle Bürger sicherzustellen. In der analogen Welt war dieser Zugang noch übersichtlich: Für die Verbreitung gab es neben der Terrestrik nur noch Satellit und Kabel. Längst aber haben sich die publizistisch relevanten elektronischen Verbreitungswege vervielfacht. Zugang für alle zu gewährleisten ist heute komplexer und aufwendiger als jemals zuvor.

Der Gesetzgeber hat — übrigens mit ausdrücklicher Zustimmung der Europäischen Kommission — aus dieser Entwicklung die einzige zukunftsfähige Konsequenz gezogen: Der öffentlich-rechtliche Programmauftrag gilt grundsätzlich für alle elektronischen Verbreitungswege und Plattformen. Es kommt also zunächst nicht darauf an, ob der gebührenfinanzierte Inhalt im Radio zu hören oder am Fernseh-, Computer- oder Smartphone-Bildschirm zu sehen ist: Er ist ohne zusätzliches Entgelt für jedermann, der sich für den einen oder anderen Empfangsweg entscheidet, frei zugänglich.

Aber ebenso gilt: Der deutsche Gesetzgeber hat dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Internet — weit mehr als in Hörfunk und Fernsehen — auch massive Grenzen gesetzt. Die Verbotsliste der Inhalte, die die ARD gar nicht oder zeitlich nur sehr eng begrenzt ins Internet stellen darf, ist lang. Und ein wesentliches Motiv für diese Zugangsschranken der Bürger zu den von ihnen finanzierten Inhalten waren die Proteste der publizistischen Konkurrenten, allen voran der Verleger, aber auch des kommerziellen Rundfunks. Sie machten geltend, ihre Geschäftsmodelle im Internet könnten durch die öffentlich-rechtlichen frei zugänglichen Inhalte Schaden nehmen.

Diese Befürchtungen haben sich allerdings als unbegründet erwiesen. Seit dem Sommer 2009 gilt ein Rundfunkstaatsvertrag, der ARD, ZDF und DLR verpflichtet, jedes neue oder wesentlich veränderte Internet-Angebot einem sog. Dreistufentest zu unterziehen. Das heißt, wir dürfen den Nutzern nur Angebote machen, die die Aufsichtsgremien zuvor genehmigt haben. Im Rahmen dieser Prüfung müssen die Rundfunkgremien auch die potenziellen Auswirkungen des geplanten Angebots auf den Wettbewerb mit in Betracht ziehen. Bei den zahlreichen Dreistufentests zum Bestand unserer Telemedien in 2009/2010 hat sich jedoch herausgestellt, dass von unseren Angeboten keine oder allenfalls nur sehr geringe Marktauswirkungen ausgehen. Dennoch dürfte die ARD mit ihren Angeboten auf mobilen Endgeräten überhaupt nicht vertreten sein, wenn es allein nach den Forderungen der Verbände der Zeitungs- und der Zeitschriftenverleger gehen würde.

Es ist deshalb ermutigend zu lesen, mit welcher Leidenschaft sich inzwischen viele Stimmen erheben, die ein frei zugängliches vielfältiges ARD-Angebot auf allen publizistisch relevanten Plattformen für notwendig erachten und dies auch öffentlich einfordern. Und natürlich haben diejenigen Recht, die darauf verweisen, dass die Hypothese, wonach eines Tages alle Inhalte der Verleger im Internet kostenpflichtig sein könnten, theoretischer Natur ist. Ist es nicht allen voran der Axel Springer Verlag selbst, der seit vielen Jahren sogar in seinem klassischen Geschäftsfeld der gedruckten Presse noch verbliebene unabhängige Lokalzeitungen mit „kostenlosen“ Anzeigenblättern bedrängt? Und der längst im werbefinanzierten Internet enorme Umsatzsteigerungen und Gewinne realisiert?

Ich würde mir sehr wünschen, dass sich alle, die sich in Ihrem Blog zu unserem Thema zu Wort melden und auch sonst alle, die das Telemedienangebot der ARD mit Interesse verfolgen, beim nächsten Dreistufentest auch gegenüber unseren Aufsichtsgremien äußern. Denn die Rundfunkräte haben die Aufgabe, das Gemeinwohl insgesamt abzuwägen. Schon bei den Dreistufentests zu unseren bestehenden Telemedien haben sich zahlreiche Organisationen und Internet-Nutzer zu Wort gemeldet und freien Zugang zu „ihren“ Inhalten gefordert. Es wird wichtig bleiben, öffentlich wieder und wieder deutlich zu machen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein gesamtgesellschaftliches Anliegen ist. Denn er gehört uns allen. Und die Fans von Tagesschau- und Sportschau-App können beruhigt sein: Diese Apps haben den Dreistufentest mit Erfolg bestanden. Und das heißt, dass die ARD diese Angebote nicht nur machen darf, sondern auch machen muss.

Dr. Verena Wiedemann
ARD-Generalsekretärin

Frau Piel, wir müssen reden

Sehr geehrte Frau Piel,

Sie haben zu Beginn Ihrer zweijährigen Amtszeit als Vorsitzende der ARD eine Flut von Interviews gegeben, in denen sie viele erstaunliche Dinge gesagt haben. Ein Satz aber ist ganz besonders bemerkenswert. Er lautet:

Wenn der Verlegerverband die Apps kostenpflichtig macht, dann werde ich mich auch vehement dafür einsetzten, dass unsere öffentlich-rechtlichen Apps kostenpflichtig sind.

Ich dachte erst, dass ich mich verlesen hätte. Oder dass die Medien, die diese Stelle zitieren, einen Fehler gemacht haben müssen. Aber genau so scheinen Sie das gegenüber der „Frankfurter Rundschau“ autorisiert zu haben. Im Zusammenhang:

Man ist offensichtlich von Seiten der Verlage auf dem Holzweg, wenn man journalistische Inhalte kostenlos anbietet. Diese Kostenloskultur kann nicht Ziel führend sein. Das kann für die Verlage nur heißen, man muss dahin kommen, die journalistischen Inhalte zu verkaufen. Da sind kostenpflichtige Apps der richtige Anfang. Bei diesen fühlen sich die Verleger jedoch im Markt behindert. Wenn der Verlegerverband die Apps kostenpflichtig macht, dann werde ich mich auch vehement dafür einsetzten, dass unsere öffentlich-rechtlichen Apps kostenpflichtig sind.

Ich halte diese Äußerung für einen Skandal.

Ich weiß nicht, warum Sie der Meinung sind, dass die Verlage ihre journalistischen Inhalte nicht kostenlos anbieten dürfen. „Spiegel Online“ müsste der Teufel reiten, seine Inhalte nur noch gegen Geld anzubieten. Das Geschäftsmodell, möglichst viele Leser zu erreichen und sich über Werbung zu finanzieren, scheint dort gut zu funktionieren. Es hat den Vorteil, nicht nur lukrativ zu sein, sondern zu einem enormen publizistischen Einfluss zu führen.

In Großbritannien macht gerade der Online-Auftritt der Zeitung „Daily Mail“ Furore. Die Besucherzahlen von „Mail Online“ sind im vergangenen Jahr um rund 50 Prozent gestiegen. Während Rupert Murdoch die Inhalte der „Times“ nur noch zahlenden Kunden zugänglich macht, setzt die „Mail“ (mit durchaus zweifelhaften journalistischen Mitteln) ganz darauf, mit einem kostenlosen Angebot möglichst viele Leser zu erreichen, bricht Besucherrekorde und macht Gewinn.

Ich verstehe nicht, inwiefern „Spiegel Online“, „Mail Online“ und viele andere mit dieser Strategie auf dem „Holzweg“ sind oder welche „Ziele“ sie nicht erreichen können. Ich glaube auch nicht, dass das Ihre Sorge sein müsste, Frau Piel. Aber wenn Sie der Meinung sind, dass es im Internet eine schädliche „Gratiskultur“ gibt und dass es gut ist, wenn die Verlage jetzt über den Umweg des iPads versuchen, ihre fehlenden Werbeerlöse online durch Vertriebserlöse auszugleichen, dann ist das halt so.

Wir bekommen aber ein Problem miteinander, wenn Sie auf meinem Rücken und dem von Millionen Gebührenzahlern den Verlegern bei dieser Strategie helfen wollen. Unter bestimmten Bedingungen wollen Sie öffentlich-rechtliche Inhalte, die für Geräte wie das iPad aufbereitet wurden, nur noch gegen Geld zugänglich machen. Ich habe Neuigkeiten für Sie, Frau Piel: Wir haben diese Inhalte schon bezahlt.

Diese Inhalte gehören uns. Nicht im juristischen Sinne, aber in jedem anderen.

Von 2012 2013 an muss jeder Haushalt Rundfunkgebühren zahlen. Egal, ob er ein Fernsehgerät hat. Egal, ob er Fernsehen guckt. Egal, ob er ARD oder ZDF guckt.

Die Logik dahinter ist die, dass es gut für eine Gesellschaft ist, wenn die Produktion von Inhalten in einem Massenmedium nicht vollständig den Gesetzen des Marktes unterworfen ist. Ich bin ein großer Verteidiger dieser Logik und der Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks — auch in Zeiten, in denen es leichter und günstiger denn je ist, Menschen publizistisch zu erreichen.

Zu dieser Logik gehört es aber auch, dass die von allen bezahlten Inhalte dann auch allen zur Verfügung stehen. Das ist ein Kern der Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und eine große Chance gerade im digitalen Zeitalter. ARD und ZDF müssen sich nicht dagegen wehren, wenn ihre Inhalte auf Plattformen wie YouTube weiter verbreitet werden, denn diese Inhalte sind schon bezahlt. Im Gegenteil ist es in ihrem Interesse, wenn sie so viele Menschen wie möglich erreichen.

Die Verleger sehen in der Präsenz von ARD und ZDF in der digitalen Welt eine Wettbewerbsverzerrung. Es ist eine Wettbewerbsverzerrung, und zwar eine gewollte. Sie bietet die Möglichkeit, frei von den Zwängen, denen kommerzielle Anbieter ausgesetzt sind, gute Inhalte zu produzieren. Öffentlich-rechtliche Anbieter sollen auch dann, wenn es privaten Medien schlecht geht, für Qualität bürgen.

Gerade wenn alle anderen Medien hochwertige journalistische Inhalte nur noch gegen Geld anböten, müsste der öffentlich-rechtliche Rundfunk kostenlos bleiben: damit auch diejenigen Menschen, die sich die kostenpflichtigen Angebote nicht leisten können, gut versorgt werden.

(Das Wort „kostenlos“ im Satz vorhin ist natürlich falsch. Wir alle haben diese Inhalte bereits bezahlt. Ich wiederhole mich.)

Anscheinend ist Ihnen das immerhin nicht völlig unbekannt. Sie haben der „Frankfurter Rundschau“ noch im Zusammenhang mit einer möglicherweise kostenpflichtigen „Sportschau-App“ gesagt:

(…) es gibt hundert kostenlose Sport-Apps in Deutschland. In so einer Situation können wir, die wir gebührenfinanziert sind, nicht sagen, bei den Kommerziellen kriegt ihr das alles kostenlos, bei uns, für die ihr Gebühren gezahlt habt, müsst ihr das noch mal bezahlen. Wir könnten das in dem Augenblick machen, in dem andere Angebote auch kostenpflichtig wären.

Nein. Sie können das auch in dem Augenblick nicht machen. Mal abgesehen davon, dass es eine Illusion ist, dass alle Sportseiten kostenpflichtig werden, und vor allem abgesehen davon, dass es erstaunlich ist, dass eine Vorsitzende der ARD von einem Gerät träumt, auf dem alle Inhalte nur noch gegen Geld zugänglich sind, die eigenen eingeschlossen: Der Eindruck, den Sie hier erwecken, dass unter dem Motto „Kostenpflichtige Apps von allen“ ein fairer Wettbewerb stattfände, ist falsch. Sie können die Inhalte Ihrer „Sportschau-App“ aus den Gebühren finanzieren. Die Privaten können das nicht. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist per se eine Wettbewerbsverzerrung.

Sie meinen, wenn es keine kostenlose Alternative mehr gibt, können Sie die Menschen für die Inhalte der ARD „noch mal“ zur Kasse bitten? Das Wort, das ein solches Verhalten beschreibt, wird inflationär gebraucht, hier stimmt es aber: Abzocke.

Über die „Tagesschau-App“ sagen Sie:

Auch die Tagesschau-App kann nicht funktionieren, wenn gleichzeitig im Netz jede Zeitung auch ein kostenloses Info-Internetangebot hat.

Ich vermute, Sie meinen, dass die „Tagesschau-App“ nicht als kostenpflichtiges Angebot funktionieren könnte. Dieser Satz ist gleich doppelt falsch. Erstens glaube ich, dass die „Tagesschau-App“ auch in einer kostenpflichtigen Variante funktionieren könnte, weil die Marke „Tagesschau“ so stark ist und in einem Maß für Seriösität und Relevanz steht, mit dem nicht viele kostenlose Online-Angebote der Zeitungen mithalten können. Zweitens ist der Gedanke, die „Tagesschau-App“ kostenpflichtig zu machen, wenn nur die kostenlose Konkurrenz nicht wäre, sehr abwegig. Wenn der oft missverstandene Gedanke der „Grundversorgung“ im digitalen Zeitalter noch irgendeine Bedeutung haben soll, dann doch den, solide Inhalte frei verfügbar anzubieten und dafür zu sorgen, dass man nicht gut verdienen muss, um gut informiert zu werden.

Ich bin mir bewusst, dass ich hier mit großer Redundanz denselben Sachverhalt viele Male aufschreibe. Ich habe nur das Gefühl, dass das nötig sein könnte, weil Ihnen offenbar zentrale Gedanken des dualen Systems in Deutschland nicht bekannt sind.

Wenn Sie anfangen, Inhalte wie die „Tagesschau“ kostenpflichtig anzubieten, wird es Ihnen noch schwerer fallen, die Rundfunkgebühren zu legitimieren. Die Forderung von Verlegern und Politikern nach der Privatisierung wenigstens eines Teils des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben Sie dann schon selbst halb erfüllt.

[via Dirk von Gehlen]

„Gut, jetzt können Sie sagen, es ist Winter, das ist halt so“: Das Schneechaos der ARD

Wenn es schneit in Deutschland, schaltet die ARD in den Katastrophenmodus: Kurzfristig wird das reguläre Programm geändert, um in Sondersendungen unter Einsatz der geballten föderalen Infrastruktur des Senderverbundes und in erschütternden Live-Schaltungen ein umfassendes Bild davon zu zeichnen, wie das Leben im Lande zum Erliegen kommt. Das Erliegen des Lebens im Lande ist dafür keine Voraussetzung, wie die folgende FAZ.net-Fernsehblog-Collage aus einem „ARD-Brennpunkt“, einem „NDR aktuell extra“ und einem „WDR extra“ vom vergangenen Donnerstag und Freitag zeigt:

Exklusiv: „Jan Hofer“ ersetzt „Tagesschau“! Das neue Programmschema des Ersten

Die Intendanten der ARD haben heute eine weitreichende Programmreform beschlossen. Wie der Senderverbund bekannt gab, gibt es vom kommenden Jahr an fast täglich eine Talkshow im Ersten. Neuzugang Günther Jauch kommt am Sonntag, dafür wechselt Anne Will vom Sonntag auf den Donnerstag, Frank Plasberg vom Mittwoch auf den Montag, Reinhold Beckmann vom Montag auf den Donnerstag, „Report“ und „Fakt“ vom Montag auf den Dienstag, „Plusminus“ vom Dienstag auf den Mittwoch. Sandra Maischberger bleibt am Dienstag, und der einzig prominente semipolitische Dokumentationsplatz im Ersten am Montagabend entfällt.

Nach Informationen, die diesem Blog exklusiv vorliegen, ist das jedoch nur der Anfang. Eingeweihte bestätigen, dass die Intendanten beschlossen haben, keine halben Sachen zu machen und auf talkfreie Fremdkörper im Programm zukünftig ganz zu verzichten. Der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust wird mit den Worten zitiert: „In einer Zeit, in der Talkshows bei der kommerziellen Konkurrenz kaum mehr eine Rolle spielen, nicht einmal mehr im Tagesprogramm, setzt die ARD mit der Vereinheitlichung ihres Angebots, mit fast fünfhundert excellenten Talks und festen Sendeplätzen für Gesprächsrunden, Talkshows und Redeformaten ein klares Signal für den Mehrwert öffentlich-rechtlichen Fernsehens.“ Volker Herres, der Programmdirektor des Ersten, sagte offenbar, angesichts der Programmkosten, der Zuschauerakzeptanz und der geradezu sensationellen Optimierung des Audience Flows wäre es geradezu „töricht“, den Sender nicht komplett auf Talkshows umzustellen.

Und so sieht das bislang noch geheime Ergebnis der Programmreform aus: