Schlagwort: ARD

Programmhinweis (27)

Die Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ der Bundeszentrale für politische Bildung beschäftigt sich in ihrer aktuellen Ausgabe mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk — und ich durfte das Eröffnungs-Essay dazu beitragen:

Selbstbewusst anders sein

Es ist nicht so, dass es den öffentlich-rechtlichen Fernsehveranstaltern in Deutschland an Profil mangelte. Die ARD zum Beispiel ist der deutsche Seifenopern-Sender. Sie zeigt mehr Daily Soaps als jeder andere, vier verschiedene an jedem Werktag, und sie wiederholt sie teilweise auch häufiger als jeder andere: Ein eingefleischter „Sturm der Liebe“-Fan kann die aktuelle Folge dank der Ausstrahlung in den Dritten Programmen elf mal täglich sehen. Das ZDF profiliert sich als Schaulustigen-Kanal. Die freien Reporter, die ihr Geld damit verdienen, als erste an jedem Unfallort zu sein und Blut- und Ölspuren, Wiederbelebungsversuche und den Abtransport der Leichen zu filmen, haben in den Magazinen „Drehscheibe“ und „Hallo Deutschland“ ihre besten Abnehmer.

Das ist natürlich nichts alles. Das ZDF ist auch der Kanal, in dem Verona Pooth und Dieter Bohlen regelmäßig Auskunft über ihre Leben geben, das Erste ist Deutschlands Quizsender Nummer eins und die erste Adresse für Freunde der volkstümlichen Musik, beide sorgen zusammen mit den Dritten Programmen in ungezählten Zoo-Doku-Soaps dafür, dass kein niedliches Tier in einem deutschen Zoo betäubt, gekrault, gewaschen oder gewogen wird, ohne dass ein Millionenpublikum am Bildschirm dabei sein kann, und mit ihren Freitags- und Sonntags-Fernsehfilmen dominieren sie die Süßstoffproduktion in Deutschland.

(…)

Mit Mistelpräparaten gegen Krebs: Die ARD wirbt wieder für Pharma-Unternehmen

Vor dreieinhalb Jahren deckte der Journalist Volker Lilienthal auf, dass in Serien, die von ARD-Firmen produziert und im Ersten ausgestrahlt worden waren, jahrelang systematisch und rechtswidrig Schleichwerbung betrieben wurde. Gegen Geld konnten zum Beispiel Pharma-Unternehmen in der Krankenhaussoap „In aller Freundschaft“ ganze Handlungsstränge bestimmen. Bis zu 30.000 Euro pro Folge zahlten die Firmen dafür, dass zu bestimmten Krankheitsbildern passende Wirkstoffe genannt wurden.

Das war 2005 – zufällig dem gleichen Jahr, in dem die ARD damit begann, nachmittags die Telenovela „Sturm der Liebe“ auszustrahlen. Deren Handlung wird in diesen Tagen von der Leukämie-Erkrankung der Figur der Viktoria Tarrasch bestimmt. Oder genauer: von der angeblich viel versprechenden Wirkung von Mistel-Präparaten im Kampf gegen den Krebs.

„Sturm der Liebe“, Folge 789, 18. Februar 2009:

Viktoria: Du hast mir doch von der Misteltherapie erzählt. Wie funktioniert die genau?
Fred: Möchtest du dir doch keine dritte Chemo antun?
Viktoria: Jedenfalls keine hochdosierte, die mein Knochenmark komplett zerstört.
Fred: Transplantation.
Viktoria: Die letzte Chance, sagt meine Ärztin.
Fred: (lacht) Jaja, die lieben Möchtegerngötter in Weiß. (ernst) Was eine Mistel ist, weißt du.
Viktoria: Die Zweige mit den weißen Beeren, die man zu Weihnachten aufhängt.
Fred: Unter denen der Herr die Dame küssen darf, genau. Aus denen wird ein Extrakt gewonnen. Das kannst du entweder als Tropfen einnehmen oder unter die Haut spritzen.
Viktoria: Und das hilft gegen Krebs?
Fred: Die Krankheit schreitet langsamer voran oder bildet sich im günstigsten Fall sogar zurück, ja.
Viktoria: Im Ernst?
Fred: Was nicht heißt, dass du schmerzfrei bist. Dagegen musst du noch was andere nehmen.
Viktoria: Aber es ist erwiesen, dass die Misteltherapie anschlägt?
Fred: Es gibt Studien dazu, ja, und vor dir sitzt ein lebender Beweis.
Viktoria: Weil die Ärzte dir vor einem Jahr nur noch ein paar Wochen gegeben haben.
Fred: Genau. Und jetzt sitze ich hier mit dir in diesem wunderschönen Hotelzimmer und genieße das Leben.

(Später. Fred besucht Viktoria und bringt ihr ein Paket mit.)

Fred: Für dich.
Viktoria: Was ist das?
Fred: Das Mistelpräparat. Ich war grad in der Apotheke und da dachte ich, ich bring dir gleich mal was mit.
Viktoria: Danke.
Fred: Du warst gestern so interessiert, und ich hatte mir überlegt, bevor du dich in die Klauen der klassischen Medizin begibst, kannst du’s ja einfach mal ausprobieren.
Viktoria: Wenn bei mir die Therapie genau so gut anschlägt wie bei dir, sehen mich die Ärzte nie wieder.
(Beide lachen.)

„Sturm der Liebe“, Folge 790, 19. Februar 2009:

(Viktorias Bruder Felix versucht, seiner Schwester ins Gewissen zu reden und sie zu der Knochenmarkstransplantation zu raten.)

Felix: Bitte, überleg dir, was du machst!
Viktoria: Recherchier du lieber im internet. Es gibt tausend Studien zur Misteltherapie. Und ihre Erfolge.

(Viktorias Bruder Felix besucht ihre Ärztin.)

Felix: Ich versteh‘ nicht, wieso Sie meiner Schwester diesen Unsinn nicht schon längst ausgeredet haben.
Ärztin: Ich wusste nichts davon!
Felix: Dieser Neumann verblendet sie total mit seinem Humbug.
Ärztin: Naja. Misteltherapie. Ist bei Leukämie kein geeigenetes Mittel, da geb ich Ihnen Recht.
Felix: Aber?
Ärztin: Naja, es gibt Tumorerkrankungen, da hat man tatsächlich eine Besserung feststellen können. Aber immer nur als begleitende Therapie.
Felix: Das hab ich auch gelesen.

(Die Ärztin besucht Viktoria.)

Ärztin: Ich habe gehört, dass Sie sich selbst behandeln mit einem Mistelpräparat.
Viktoria: Stimmt.
Ärztin: Darf ich mir das mal ansehen?
Viktoria: Wozu? Sie halten es sicherlich auch für wirkungslos.
Ärztin: Nein, das würde ich so nicht sagen. Welche Dosierung nehmen Sie denn?
Viktoria: Ich halte mich genau an die Anweisungen im Beipackzettel.
Ärztin: Da kann man nämlich viel falsch machen, und dann ist das Präparat wirkungslos.
Viktoria: Sie denken also nicht, dass die Misteltherapie unsinnig ist?
Ärztin: Neinnein, bei manchen Krebserkankungen hat man ganz gute Erfolge damit.
Viktoria: Also kann ich es weiter nehmen?
Ärztin: Sie haben es von einem anderen Patienten?
Viktoria: Ja. Fred Neumann. Er ist Gast hier im Haus. Er ist wirklich unglaublich. Fred hatte einen Hirntumor, und die Ärzte haben ihn vor über einem Jahr abgeschrieben. Seitdem er es nimmt, geht es ihm wieder gut. Ja, und ich fühl mich auch schon wieder viel besser.
Ärztin: Frau Tarrasch, das freut mich. Aber Ihr Körper erholt sich gerade von der letzten Chemotherapie, und das empfinden Sie als Besserung. Die Mistel-Therapie schützt die noch gesunden Zellen, deshalb kann sie in manchen Fällen begleitend zur Schulmedizin angewendet werden.

Nun muss man wissen, dass die Wirkung von Misteln in der Krebstherapie sehr umstritten ist. Das Deutsche Krebsforschungszentrum urteilt: „Bis heute fehlen zweifelsfreie wissenschaftliche Beweise dafür, dass Mistelpräparate das Tumorwachstum hemmen oder gar Tumore heilen können.“ Dass dank Misteltherapie Krebspatienten länger lebten, sei „nicht belegt“, mögliche Nebenwirkungen seien nicht erforscht. Fazit: „Nach wie vor ist umstritten, ob und wie die Mistelpräparate Krebserkrankungen überhaupt beeinflussen – mit guten wie mit schlechten Folgen für den Patienten.“

Mistelpräparate, die Linderung und mögliche Hemmung der Tumorbildung versprechen, sind in Deutschland rezeptfrei in Apotheken erhältlich. Die Dialoge aus „Sturm der Liebe“ lesen sich bis ins Detail wie Werbefilme für diese Produktgattung – bis hin zum ins Drehbuch eingearbeiteten Hinweis, dass die Misteltherapie selbstverständlich nur ergänzend zu einer klassischen Therapie angewandt werden darf.

Alles, was sich ein Hersteller wünschen würde, ist vorhanden: Immer wieder, sogar in den Programmtexten, fällt der zentrale Begriff „Misteltherapie“. Empfohlen wird das Mittel von einem Krebskranken, der ihm die Verantwortung dafür gibt, überhaupt noch am Leben zu sein. Er demonstriert gleich, wie einfach das Präparat in der Apotheke zu bekommen ist. Später wird der betroffene Zuschauer fast unverhohlen dazu aufgefordert, im Internet nach vermeintlichen Beweisen für die Wirksamkeit zu suchen. Und selbst die Schulmedizinerin behauptet am Ende, dass die Mistel „ganz gute Erfolge“ verzeichnen könne – und ihre ganze Skepsis lässt sich auf die Warnung reduzieren, die Packungsbeilage zu beachten und den Arzt oder Apotheker zu fragen.

Eine Zuschauerin, die sich beim SWR und der ARD über die Schleichwerbung beschwerte, bekam von der Zuschauerredaktion unter anderem zur Antwort, um Schleichwerbung könne es sich ja deshalb schon nicht handeln, weil Schleichwerbung Werbung für ein Produkt sei: „Eine Misteltherapie ist jedoch kein Produkt und wird auch nicht im Zusammenhang mit einem bestimmten Firmennamen erwähnt.“ Die ARD bekomme „auf keinen Fall Geld dafür“, dass sie die Misteltherapie in „Sturm der Liebe“ erwähne, denn: „Dafür hat die ARD eigens eine Clearing-Stelle gegen Schleichwerbung aufgebaut.“

In der Tat. Das war eine Konsequenz aus der Aufdeckung des Schleichwerbeskandals 2005. Man fragt sich, was diese Stelle wohl macht, wenn ihr nicht einmal komplette Handlungsstränge und minutenlange Dialoge auffallen, die so offenkundig im Dienst der Pharma-PR stehen wie die Mistelkampagne im „Sturm der Liebe“.

Produziert wird „Sturm der Liebe“ von der Bavaria. Das ist die ARD-Tochterfirma, die 2005 im Zentrum des Schleichwerbeskandals stand.

Warum ist die „Zeit“ nicht besser? (2)

Ich muss nochmal kurz auf das etwas verunglückte „Zeit“-Dossier zum anhaltenden Niedergang von ARD und ZDF zurückkommen. Die beiden Autoren Stephan Lebert und Stefan Willeke schreiben nämlich auch:

Als der Hamburger Dokumentarfilmer Hubert Seipel im Auftrag des NDR nach Afghanistan fliegt, weil er einen Beitrag über den Einsatz der Bundeswehr vorbereiten will, sucht er sich in Kabul als Erstes einen zuverlässigen Fahrer und schaut sich das Land an. Mai 2008. Seipel will die Lage sondieren. Er hat erfahren, dass die Sendeanstalt ihm keinen eigenen Kameramann stellen wird, zu gefährlich. Seipel wird selbst einen Kameramann engagieren, und er wird noch drei weitere Male nach Afghanistan reisen, immer für ein bis zwei Wochen.

Der Norddeutsche Rundfunk nennt diese Darstellung „schlicht falsch“:

„Tatsache ist: Der Autor hat keinen eigenen Kameramann engagiert, selbstverständlich hat der NDR dies für Hubert Seipel getan. Der NDR hat als Kameramann einen erfahrenen Kollegen beauftragt, der in Afghanistan bereits mehrfach gedreht hat. Der NDR nimmt seine Fürsorgepflicht für das gesamte Team bei einem so gefährlichen Einsatz sehr ernst.“

Auch Seipel selbst soll der Darstellung der „Zeit“ in einem Brief widersprochen haben.

Und ganz übersehen hatte ich diese bezeichnende Stelle in dem Artikel:

Von ihrem Publikum ist den Öffentlich-Rechtlichen nach 25 Jahren Privatfernsehen nicht einmal die Hälfte geblieben, aber noch immer haben die Anstalten ihre Gebühreneinzugszentrale, noch immer all ihre Funkhäuser. 1983, im letzten Jahr des öffentlich-rechtlichen Monopols, hatten die ARD-Sender 18400 Angestellte, heute sind es 23000.

Die Zahlen sind offenbar nicht falsch (obwohl man sich natürlich den Hinweis hätte erlauben können, dass vielleicht die Funkhäuser noch da sind, aber zum Beispiel die beiden Anstalten SWF und SDR zum SWR fusionierten). Nur ist zwischen 1983 und 2009 etwas passiert, das für die Angestellten-Explosion vielleicht eine mindestens so gute Erklärung ist wie die scheinbar grenzenlose Molochhaftigkeit der ARD: Es nennt sich deutsche Einheit. Von 1991 an sendete die ARD für ein Viertel mehr Bürger.

Stephan Lebert ist übrigens einer der Reportagechefs der „Zeit“, Stefan Willeke vielfach preisgekrönter Chef des „Zeit“-Dossiers.

Warum ist „Die Zeit“ nicht besser?

Alle paar Jahre veröffentlicht die „Die Zeit“ einen großen, wuchtigen Artikel, in dem der Untergang des guten öffentlich-rechtlichen Fernsehens beklagt wird. Im Grunde reicht es, einen davon zu kennen, zum Beispiel Jens Jessens Seite-1-Kommentar vom 31. August 2000:

Die Quoten-Idioten
Warum ARD und ZDF die Zuschauer verachten

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat sich in eine ausweglose Lage manövriert. Schon jetzt verstehen die Bürger nur noch mühsam, warum sie staatliche Sendeanstalten mit zwangsweise erhobenen Gebühren unterstützen sollen, während sich die privaten allein durch Werbung finanzieren. Bald werden die Zuschauer das Gebührenprivileg gar nicht mehr verstehen. Denn ARD und ZDF arbeiten planmäßig daran, die letzten Unterschiede in Programmangebot und „Bildungsauftrag“ (so lautete ein längst vergessener Rechtfertigungsgrund) zu tilgen, mit denen erklärt werden konnte, warum das eine Fernsehsystem bezahlt werden muss, während das andere gratis ist. (…)

In diesem Jahr hatten Stephan Lebert und Stefan Willeke die Aufgabe, das einfach alles noch einmal aufzuschreiben, als Titelgeschichte:

Und als vierseitiges Dossier unter dem Titel:

Unser Gott, die Quote

Und vieles von dem, was sie schreiben, ist ja nicht falsch. Ein großer Teil der Kritik an der Verzagtheit, Ideenlosigkeit und Quotenfixiertheit von ARD und ZDF ist immer noch und immer wieder berechtigt.

Es ist nur so, dass Fernsehen ein Thema ist, mit dem sich die Autoren der rituellen ARD-ZDF-Qualitäts-Untergangs-Geschichten der „Zeit“ chronisch schlecht auskennen. Lebert und Willeke scheinen zwar einen umfangreichen Reiseetat gehabt, sämtliche Funkhäuser dieser Republik bereist und mit ungefähr jedem in der Branche gesprochen zu haben. (Herausgefunden haben sie dabei unter anderem, wie abgehoben die Fernsehmacher sind: ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut sitzt laut „Zeit“ in „Büro 1454, Hochhaus am Lerchenberg, 14. Stock“, NDR-Kulturchefin Patricia Schlesinger im „Eckbüro im 13. Stock des NDR-Hochhauses“.) Aber manches haben sie einfach nicht verstanden.

Zum Beispiel die Sache mit dem Marktanteil. Sie schreiben über die Dokumentation „Das Schweigen der Quandts“, die die ARD „erst um 23.30 Uhr“ gesendet habe:

(…) dass die Einschaltquote trotz der Nachtzeit noch bei 14 Prozent lag, ermutigte den Sender zu keinem Umdenken, im Gegenteil. Erzielen späte Filme Überraschungserfolge, ist das kein Argument für den Film, sondern für die Uhrzeit.

Nun ja, das ist der Fluch mit der Messgröße Marktanteil: Sie bezieht sich nicht auf alle Zuschauer, sondern nur auf die Zahl derer, die gerade den Fernseher eingeschaltet haben. Später am Abend, wenn bei der Konkurrenz nicht mehr so viel läuft, ist es leichter, einen hohen Marktanteil zu erzielen — aber die absolute Zahl der Zuschauer wird natürlich kleiner. Zu formulieren, dass die Einschaltquote „trotz der Nachtzeit“ noch bei 14 Prozent lag, ist jedenfalls völliger Unsinn.

(Dass der NDR „Das Schweigen der Quandts“ kurz darauf in einer XXL-Version immerhin um 21.15 Uhr zeigte, erwähnt die „Zeit“ sicherheitshalber gar nicht. Die Ausstrahlung spät abends im Ersten hatte übrigens 1,3 Millionen Zuschauer; die Ausstrahlung im NDR-Fernsehen immerhin 0,9 Millionen — bei einem bundesweiten Marktanteil von nur 2,9 Prozent.)

Die „Zeit“ schreibt:

Der erfolgreiche Produzent Oliver Berben lässt sich immer nachts um drei die Quoten mailen, wenn einer seiner Filme am Abend vorher lief.

Das wäre allerdings erstaunlich. Die offiziellen Zahlen, die die GfK im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung erhebt, gibt es jedenfalls auch für die Fernsehmacher erst am nächsten Morgen so gegen neun Uhr.

Rüdiger Schawinski, ehemaliger Chef des privaten Senders Sat.1, beginnt noch heute seinen Tag damit, die Quoten anzuschauen, obwohl es ihm schon lange egal sein könnte.

Rüdiger Schawinski, der kleine Bruder von Roger Schawinski?

Bis zum Jahr 1984 sprach niemand vom Quotendruck. Erst als die Privatsender zugelassen wurden, änderte sich das.

Dieser Mythos ist ebenso weit verbreitet wie falsch. Man lese in alten „Spiegel“-Artikeln nach, wie dramatisch zum Beispiel im Herbst 1973 oder im Sommer 1976 die internen und öffentlichen Diskussionen über den Quotendruck waren.

Erstaunlich ist auch, dass die Autoren bei ihrem Wunsch nach mehr gutem öffentlich-rechtlichen Fernsehen indirekt anregen, dass die ARD doch „Wer wird Millionär“ hätte kaufen und dafür „mehrere Plätze zur Primetime freischlagen“ sollen. Bei aller berechtigten Kritik an der Trägheit und dem föderalen Alptraum der ARD und bei aller Liebe zu „Wer wird Millionär?“: Ich glaube, dass das ein ganz gesunder Unterschied zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Fernsehen ist, dass RTL für ein solches Quiz drei Primetime-Plätze freischlagen kann — und die ARD nicht.

Zum „Dossier“ gehören neben dem langen Artikel noch ein paar Tabellen und Statistiken, zum Beispiel diese:

Ja, das ist nicht uninteressant, was die Menschen 2007 so im Fernsehen geguckt haben, und vermutlich muss man froh sein, dass die „Zeit“ nicht die meistgesehenen Sendungen von 2005 oder 1998 dort präsentierte. Die Zahlen von 2008 liegen ja auch erst seit sieben Wochen vor.

So gesehen ist die „Zeit“-Übersicht über die Reichweite der Fernsehnachrichten immerhin scheinbar aktuell:

außer, dass die „Newstime“ von ProSieben schon seit Anfang 2007 nicht mehr gegen 20 Uhr läuft, sondern um kurz vor sechs, dafür aber die „Sat.1 News“ seit fast einem Jahr unter dem Namen „Sat.1 Nachrichten“ um 20 Uhr zu sehen sind.

Man kann das alles natürlich als Kleinigkeiten und Nachlässigkeiten abtun, aber wir reden hier immerhin vom Dossier der „Zeit“. Mich bestätigt das alles eher in meiner These, dass man keinen Artikel über ARD und ZDF zu lesen braucht, in dem die Wörter „Zwangsgebühren“ und „Staatsfernsehen“ vorkommen.

Ich hätte übrigens eine These, warum die „Zeit“ alle paar Jahre groß auf Seite 1 den Niedergang von ARD und ZDF beschreibt. Gut, bei Zeitungen nennt man es nicht „Quote“.

Nachtrag, 20. Februar: mehr hier.

Die Winterkatastrophe der ARD

Es gibt Tage, da ist die Nachrichtenlage so krass, dass nur eine Organisation wie die ARD mit ihrer föderalen Struktur und ihrer Informationskompetenz ihr angemessen Herr werden kann.

Gestern war so ein Tag, wo einiges zusammen kam. Gestern war es nämlich ganz schön kalt in Deutschland, weshalb das Erste sein Programm änderte und um 20.15 Uhr, nach der „Tagesschau“, einen „Brennpunkt“ sendete. Es war aber auch in Hessen ganz schön kalt, weshalb das Hessen-Fernsehen sein Programm änderte und um 20.15 Uhr, nach der „Tagesschau“, ein „Hessen-Extra“ sendete. Und zu allem Überfluss war es auch in Nordrhein-Westfalen ganz schön kalt, weshalb der WDR sein Programm änderte und um 20.15 Uhr, nach der „Tagesschau“, ein „WDR-Extra“ sendete. (In Berlin und Brandenburg war es zwar auch ganz schön kalt, aber der RBB ließ sich aus irgendwelchen Gründen Zeit bis 21 Uhr, bis er sein Programm änderte und ein „RBB-Spezial“ sendete.)

Der „Brennpunkt“ im Ersten kam vom MDR. Wahrscheinlich weil in seinem Sendegebiet der Ort Oderwitz liegt, in dem es noch kälter war als an all den anderen schon ganz schön kalten Orten. Eventuell aber auch nur, weil der ehemalige ZDF- und Sat.1-Nachrichtenmann Thomas Kausch endlich auch mal einen „Brennpunkt“ moderieren wollte. (Womöglich gab es sogar einen ARD-internen Losentscheid oder eine Kampfabstimmung und der WDR und der HR haben einfach bockig ihre eigenen Sendungen ausgestrahlt, obwohl sie unterlegen waren.)

Eigentlich müsste Radio Bremen noch gute Karten gehabt haben müssen, den „Brennpunkt“ veranstalten zu dürfen, denn die dortige Müllabfuhr meldete, dass der Müll in den Tonnen festfriere, was sich als die dramatischste Nachricht dieser Sondersendung herausstellte.

Aus Dippoldiswalde, wo es auch ganz schön kalt war, vermeldete ein Reporter: „Auch der Bürgermeister war überrascht, dass ausgerechnet seine Stadt vergangene Nacht zu den kältesten gehörte.“ Es gebe aber, erklärte besagter Bürgermeister, keine Probleme mit irgendwelchen Leitungen. In einem Ort namens Langewiesen fiel das Gas aus, weshalb es keine Brötchen gab, was einige seiner Kunden, wie der Bäcker berichtete, nicht so gut fanden.

ARD-Reporter berichteten vom Hamburger Flughafen, dass hier routinemäßig Flugzeuge enteist würden, und vom Frankfurter Flughafen, dass es kaum Verspätungen gebe. Der Kapitän eines Eisbrechers auf der Elbe murmelte unbeeindruckt an der Kamera vorbei: „Ja, es ist schon mehr Eis als in den letzten Jahren.“ Moderator Thomas Kausch selbst konnte immerhin beisteuern, dass sein Zug von Berlin nach Leipzig auf freier Stecke stehen geblieben sei, weil der Lokführer die Scheibe freikratzen musste.

Die ARD schaltete schließlich live an die Raststätte Osterfeld an der A9 für einen Lagebericht. „Die Situation ist relativ gut“, meldete der Reporter. „Der Verkehr rollt.“ Die Brummi-Fahrer hätten ihm erzählt, dass er sich keine Sorgen um sie machen müsse („Standheizung!“), und ein Polizist, den der Reporter noch ins Bild zog, vermutlich in der Hoffnung, dass er von einem schlimmen Chaos wusste, das ihm bislang entgangen war, erklärte punktum, es habe „recht wenig“ Unfälle gegeben und es würden auch nicht mehr werden, wenn es kälter wäre.

Der WDR hingegen hatte – wie sich herausstellte – sein Programm offenbar deshalb kurzfristig geändert, um seine Zuschauer über die Möglichkeiten zu informieren, dass man auf diesem Eis, das man jetzt überall findet, Dinge tun kann. Schlittschuhlaufen zum Beispiel. Die Außenreporterin machte das auf einer sogenannten Eisbahn einmal vor und ließ sich dabei gründlich von einem Mann beraten, der diese Betätigung offenbar schon mehrmals erfolgreich durchgeführt hatte: Leicht vornüber beugen müsse man sich, war sein Tipp, weil: Man fällt besser nach vorne, auf alle Viere, als nach hinten. Als Alternative bietet sich offenbar sogenanntes Eisstockschießen an. Aber „die Königsdiziplin“, meldeten die Nachrichtenleute des Westdeutschen Rundfunks, „bleibt das Schlittenfahren.“ Es handelt sich, wie man vielen Aufnahmen entnehmen konnte, um einen Spaß für Jung und Alt, vor allem aber für Jung, was der Reporter mit den Worten kommentierte: „Wenn sie groß sind, können diese Kinder sagen: Damals, da gab es noch richtige Winter.“

Die Kollegen aus Hessen hatten richtige Opfer der kalten Witterung gefunden. Einen Mann zum Beispiel, der nur dachte, dass seine Autobatterie leer wäre, in Wahrheit aber vergessen hatte, beim Anlassen, wie durch die Automatik vorgeschrieben, das Bremspedal zu treten! Eine Art Grinsekater moderierte die Sondersendung, auf die der HR schon während der „Tagesschau“ mit einer Laufschrift hingewiesen hatte – vermutlich, damit niemand auf die Idee kam, sich diesen blöden „Brennpunkt“ im Ersten über das kalte Wetter anzusehe. Jedenfalls begann der Grinsekater die Sendung mit den Worten: „Was ist das kalt draußen! Und selbst im Haus muss man die Heizung voll aufdrehen, wenn man es kuschlig warm haben will.“ Ja.

Die Nachrichtenlage war auch hier unüberschaubar. Ein Mann ist irgendwo gestürzt und hat sich den Oberschenkel gebrochen. Irgendwo anders sind Wasserrohre eingefroren. „Zahlreiche Pendler kamen heute zu spät zur Arbeit.“ Bei Autounfällen kam es zu „Blechschäden“. Der HR fragte bei einem KFZ-Mechaniker nach, was eigentlich die Ursache für solche Unfälle ist. Er antwortete: „Meist, weil die Leute nicht vorsichtig fahren.“ Ein Meteorologe des HR sagte versehentlich, dass es gestern teilweise bis minus 23 Grad kalt war und der historische Rekord bei minus 27 Grad liege (die Sendung hieß: „Kälterekord in Hessen“). Und dann schaltete das HR-Fernsehen live in die Rhein-Main-Therme, wo ein Außenreporter berichtete, dass es auch dort ganz schön kalt sei, aber warmes Wasser gebe. Für eine zweite Schaltung war er sogar in die Sauna gegangen (die ganze Sendung verzögerte sich, bis er endlich angekommen war), um von dort zwischen halbnackten Körpern den Zuschauern zu sagen: „Schauen Sie sich das mal an, was Sie machen können, in den nächsten Tagen, wenn Ihnen warm werden soll.“

Vorteil dieser Live-Aufnahmen war immerhin, dass sie nicht gerade vorher schon zu sehen waren, in der „Hessenschau“, wie Teile der Straßenumfrage, die der HR durchgeführt hatte und zum Ergebnis kam, dass es die Menschen ganz schön kalt fanden.

Der RBB recylete dafür in seinem „RBB-Spezial“ die Reportage von dem „Kältebus“, der durch Berlin fährt und Obdachlosen hilft und im „Brennpunkt“ schon gewürdigt worden war. „Eiskalt erwischt – Berlin und Brandenburg im Dauerfrost“, hieß die Sendung hier, die mit der Standardklage aller Neurodermitis-Geplagten aufwartete: „Ohne Kratzen ging heute gar nichts.“ Die Nachrichtenlage sonst: Die Zahl der Unfälle ging deutlich zurück, der Braunkohletagebau verläuft „noch“ „problemlos“. Eine Straßenumfrage ergab, dass ein Mann fast ausgerutscht wäre und ein anderer sicherheitshalber das Auto hat stehen lassen.

Ein Außenreporter und eine Meteorologin berichteten live von der Lage an der Friedrichstraße, wo die Temperatur innerhalb der letzten Stunde von minus drei auf minus vier Grad gefallen sei. Die Moderatorin sagte, man werde später, in der regulären Nachrichtensendung, noch einmal zu den beiden schalten.

In der Sauna ist es wärmer als draußen

Drei Sondersendungen gleichzeitig hat die ARD gestern nach der „Tagesschau“ zum kalten Wetter ausgestrahlt. Der ARD-„Brennpunkt“ schaltete live zur Autobahnraststätte Osterfeld, wo ein Reporter berichtete, dass es keine Probleme gebe:

Das „Hessen Extra“ (Video) schaltete live in eine Sauna, wo ein Reporter herausfand, dass es dort viel wärmer sei als draußen:

Und ein „WDR-Extra“ schaltete live zu einer Eisbahn, wo eine Reporterin ausprobierte, was es mit diesem Schlittschuhlaufen auf sich hat, von dem man jetzt so viel hört:

(Der RBB schaltete erst, als die anderen fertig waren, in seinem „RBB-Spezial“ live zur Friedrichstraße, wo der Reporter meldete, dass die Temperaturen von minus drei auf minus vier Grad gesunken seien, die Bevölkerung auf diese Entwicklung aber erstaunlich gelassen reagiert habe.)

Das muss sie sein, die berühmte Informationskompetenz der ARD: an einem Abend gleich vier Programme kurzfristig ändern, um um die Wette Straßenumfragen zu machen und mit dem Aufwand, der einem Terrorangriff angemessen wäre, zu melden, dass es ein unspektakulärer kalter Tag war in Deutschland.

Die ganze Geschichte habe ich im Fernsehblog auf FAZ.net aufgeschrieben. (Und wo ich schon bei Werbung in eigener Sache bin, würde ich Ihnen da auch noch Peers Beobachtungen, wie die Kälte ins ZDF- und RTL-Programm einzog, ans Herz legen und meine Bildergeschichte über den sympathischen Raben, der sich von Uri Geller nicht verbiegen ließ.)

Von Bambis, Beben, Blutbädern und Brennpunkten

Die eigentliche Frage, warum die ARD sich Jahr für Jahr dafür hergeben muss, eine Werbeveranstaltung des Burda-Verlages namens „Bambi“ zu übertragen, hat sich natürlich kein ARD-Verantwortlicher zu stellen getraut (dafür aber mit genüsslicher Boshaftigkeit das Magazin „Der Tag“ von hr2). Stattdessen gab es nur ein halböffentliches Geraune einiger Chefredakteure, dass es wenigstens vor der Show einen „Brennpunkt“ zu den Anschlägen in Bombay hätte geben müssen. Der sei ihnen vom neuen ARD-Programmdirektor Volker Herres aber verweigert worden.

Um daraus einen echten Aufreger zu machen, fehlte allerdings die Fallhöhe, denn der ARD-„Brennpunkt“ ist schon lange nicht mehr, was er war: eine Art öffentliches Hyperventilieren, mit dem der Sender, sobald ein bisschen Wind mehr als zwei Bäume umknickte, das Publikum nach der „Tagesschau“ noch eine Viertelstunde länger bei sich halten konnte – zum Ärger der privaten Konkurrenz. Und bei dem am Ende nicht immer klar war, ob die größere Katastrophe sich gerade in der Welt, oder auf dem Bildschirm abgespielt hatte.

So sparsam geht das Erste inzwischen mit seinem Sonderprogramm um:

ARD-„Brennpunkte“ 2007

18.01.2007: „Orkan über Deutschland“ / „Stoiber gibt auf“
19.01.2007: „Orkan über Deutschland“
17.04.2007: „Blutbad in Blacksburg“
24.05.2007: „Alles nur gedopt?“ (Geständnisse von Zabel und Aldag)
18.06.2007: „Tod im Reisebus“
26.08.2007: „Flammenhölle in Griechenland“
05.09.2007: „Al Kaida in Deutschland?“
13.11.2007: „Der Rücktritt“ (Müntefering)

ARD-„Brennpunkte“ 2008

28.01.2008: „Regieren – Aber wie?“ (Hessen-Wahl)
14.04.2008: „Milbradt tritt zurück“
13.05.2008: „Tod unter Trümmern – China nach dem Beben“
14.05.2008: „Tod unter Trümmern – Wettlauf mit der Zeit“
20.08.2008: „Flugzeugabsturz in Spanien“
07.09.2008: „Chaos in der SPD“ (Rücktritt Beck)
29.09.2008: „Beben in Bayern – Was passiert mit der CSU?“
10.10.2008: „Kippt jetzt die Wirtschaft?“ (Kursstürze an den Börsen)
03.11.2008: „Machtwechsel geplatzt – Wie weiter in Hessen?“
05.11.2008: „Der neue Mann im Weißen Haus“ / „Todesfalle Bus“
28.11.2008: „Tod und Terror in Bombay“

Den Indien-„Brennpunkt“ gab es dann also doch noch, nur einen Tag später. Besser als umgekehrt: Im September war das Erste nach der Bayern-Wahl mit seinem „Brennpunkt“ einen Tag zu früh dran, weil Erwin Huber partout nicht zurücktreten wollte. BR-Chefredakteur Sigmund Gottlieb blieb deshalb viel, viel Zeit, um in ein oberbayerisches Wirtshaus zu schalten, wo der Reporter bei einem zünftigen Bier mit CSU-Anhängern reden durfte.

Einen Tag später ist Huber dann tatsächlich zurückgetreten. Dafür gab’s dann aber keinen „Brennpunkt“ mehr.

Bislang fehlt in diesem Jahr sogar noch der obligatorische Schneechaos-„Brennpunkt“. Nach unbestätigten Informationen verhandelt ARD-Chef Volker Herres noch mit dem Wetter über einen passenden Termin. Donnerstags wär‘ ganz schlecht.

Olympia und die Fragen der Journalisten

Channel 4 News, 14. August 2008:

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Thomas Kistner, „Süddeutsche Zeitung“, 19. August 2008:

Die Luft war täglich dicker geworden im Hauptpressezentrum der Spiele, jetzt verhängten Internationales Olympisches Komitee (IOC) und das Veranstalterbüro Bocog einen Presseboykott light. Nachdem die Sprecher beider Organe am Samstag und auch am Sonntag die täglich terminierten Konferenzen mit der Weltpresse gestrichen hatten, beendete Bocog-Sprecher Sun Weide die wie üblich stark kontroverse Gesprächsrunde am Montag mit dem Hinweis: „Die nächste Konferenz ist Mittwoch, die übernächste am Freitag.“ Fragen nach dem Grund der restriktiven Informationspolitik brachten IOC-Sprecherin Giselle Davies in Rage: „Es gibt doch Handys und E-Mail, oder?“ (…)

Der Bocog-Vize findet, es sei Zeit für die Gegenattacke. Er muss hier ein Problem lösen, das er dem IOC solange dargelegt hat, bis die es begriffen haben: Es geht nicht um die Ausländer, es geht um die eigene Presse, die von den Fremden infiziert werden könnte. Das ausländische Publikum hat man fern- und das Gros der Stadien halbwegs leerhalten können – die tägliche gemeinsame Medienkonferenz von Bocog und IOC aber ist das letzte gefährliche Fenster zur Außenwelt. Was hier abläuft vor all den Kameras und Mikros, ist offiziell und könnte nach innen berichtet werden, sofern sich einer traut. Das Fenster muss geschlossen werden, die Fragen der Weltpresse sind wie ein Virus geworden, das täglich in den Staatskörper einzudringen versucht. (…)

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Thomas Kistner, „Süddeutsche Zeitung“, 21. August 2008:

(…) Irgendwann (…) die Chance für eine Frage: „Warum sind die Transkripte der Konferenzen hier nie korrekt verfasst, wer entscheidet über die Veränderung der Inhalte?“

Bocog-Vize Wang Wei pariert die Peinlichkeit vorbildlich: „Das entscheidet die Internet-Redaktion, wir akzeptieren es.“

Der Nächste, bitte.

Der Nächste will zwecks Nachfrage das Mikrofon nicht wieder rausrücken, das ihm der Volunteer gereicht hat. Seine Frage gilt den 77 Protestaktionen, die bei Pekings Behörden für die freizügig angekündigten Protestzonen in der Stadt beantragt worden sind. 77 davon wurden abgeschmettert, zwei mit der Begründung, dass Kinder dabei gewesen wären, die sind vor Missbrauch zu schützen. Da blitzt sie auf, die neue Offenheit. Chinas Kinder werden ja sonst gern von klein auf zu harter Arbeit rangezogen, manche sogar in olympischen Drillcamps, dies ist bei den Spielen hier gut an den Gold-Küken um Turnerin Ke Hexin zu erkennen.

„Geben Sie das Mikro zurück!“, bellt Presseoffizier Sun Weide vom Podium, „Volunteers! Sie haben zu arbeiten!“

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Und ARD und ZDF senden Propagandafilme des IOC. Nicht irgendwo, nachts, versteckt im Digitalprogramm. Sondern zum Beispiel vor der „Tagesschau“. Anscheinend sind sie zur Ausstrahlung vertraglich verpflichtet. Aber sie senden sie nicht mit einem Vor- und Abspann, in dem es heißen könnte: „ARD und ZDF sind zur Ausstrahlung dieser Olympia-Werbespots verpflichtet. Verantwortlich für den Inhalt ist allein das IOC.“ Sie geben nicht einmal den Absender der Werbefilme an.

Auf Nachfrage von „Welt Online“ sagt Rudolf Küffner, Sprecher des Bayerischen Rundfunks, über die PR-Spots:

„Es handelt sich nicht um PR-Spots, sondern um redaktionell abgenommene Sendungen.“

Weiter berichtet „Welt Online“:

Eine Sprecher der bei der ARD verantwortlichen Sendeanstalt NDR sagte WELT ONLINE zu der Frage, wie oft die Spots schon verbreitet worden seien: „Wir haben die Trailer passend zum Programmfluss eingesetzt und werden dies auch weiterhin an geeigneter Stelle tun.“ Das ZDF antwortete auf eine schriftliche Anfrage gar nicht.

Auch Fragen des Branchendienstes epd-Medien zur Olympia-Berichterstattung wollte das ZDF in dieser Woche übrigens nicht beantworten. Man muss anscheinend aufpassen, wenn man vom ZDF Antworten haben will, dass man nicht die falschen Fragen stellt. Oder dass nicht der Falsche die Fragen stellt.

Ich weiß, dass der Vergleich hinkt, aber ich werde den Gedanken nicht los, dass manche Leute bei den öffentlich-rechtlichen Sendern den Umgang des IOC mit kritischen Journalisten ganz inspirierend fanden.

Hademar Bankhofer, der Melissa-Mann (2)

Genau genommen ist Hademar Bankhofer natürlich nicht von Bloggern zu Fall gebracht worden, sondern von seiner eigenen Dusseligkeit. Der bloße Anschein, dass der Medizinjournalist den ein oder anderen Markennamen ein bisschen zu häufig genannt haben könnte, hätte vermutlich nicht dazu geführt, dass der WDR sich von seinem Gesundheitsexperten trennt, schon gar nicht so schnell. Aber Bankhofer war offenbar so ungeschickt, am Mittwoch kategorisch zu bestreiten, einen PR- oder Werbevertrag mit der Firma MCM Klosterfrau zu haben, und erst auf weitere Nachfrage am Donnerstag einzuräumen, dass er aber einen Beratervertrag mit dieser Firma hat. Zufällig exakt jener Firma, die den Namen „Klostermelisse“ als Markenzeichen hat eintragen lassen, den Bankhofer gerne erwähnte — angeblich ohne diesen Zusammenhang zu kennen.

Vielleicht gehört Bankhofer auch zu den Menschen, von denen man in den letzten Tagen so viel hört, die eine Zeitschrift namens „Der Spiegel“ lesen. Die berichtete in dieser Woche, dass Blogger in Deutschland ohne Relevanz und Wirkung seien: „David hat keinen Stein in der Schleuder. Also schmeißt er mit Dreck.“

Das mit der Wirkungslosigkeit würde Bankhofer heute vermutlich nicht unterschreiben, aber das mit dem Dreck, das sieht er genauso. Gegenüber stern.de klagte er: „Das Internet ist furchtbar!“ Das Video, in dem markante Szenen aus dem Schaffen Bankhofers zusammengeschnitten und kommentiert waren, bestätige ihm, dass das Netz „praktisch, aber auch sehr schlimm sein kann“. Sein Anwalt werde sich der Sache annehmen. Und per E-Mail schrieb er „Handelsblatt“-Blogger Thomas Knüwer: „Mit einem Wort: Da ist jemand, der den Bankhofer weghaben will und der mit allen Tricks dafür auffährt… Mir würde sehr interessieren, wer dahinter steckt.“

Walter Holiczki findet den Video-Zusammenschnitt der Blogger laut stern.de rufschädigend. Er produziert mit seiner Werbeagentur die Sendung „Die gesunde halbe Stunde“ mit Hademar Bankhofer im österreichischen Sender TW1, die das lustige Konzept hat, finanziert von den Produzenten irgendwelcher Gesundheitsprodukte, die auch redaktionellen Einfluss auf die Sendung nehmen können, über eben diese Produkte zu, äh: informieren. (Weiterlesen bei stern.de.)

Der Blogger Marcus Anhäuser (der auch schon die Wirksamkeit der Namen „Klostermelisse“ und „Königsartischocke“ mit einem schlichten Selbsttest bewiesen überprüft hat) zeigt derweil in seinem Blog „Plazeboalarm“, wie Hademar Bankhofer für Produkte der MCM Klosterfrau Vertriebsgesellschaft mbH warb: Er gab den Gesprächspartner in PR-Interviews für Klosterfrau-Produkte und bestätigte jeweils deren Wirksamkeit. Wenn Bankhofer darin keine PR- oder Werbetätigkeit für das Unternehmen sehen mag, ist er sehr dumm oder hält uns dafür.

(Und noch einmal fürs Protokoll (und den „Spiegel“) — in diesen Blogs hat die ganze Geschichte ihren Anfang genommen: „Stationäre Aufnahme“ und „Boocompany“.)