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Der „Subway“-Journalismus von ProSieben

Vor einigen Monaten habe ich, eher nebenbei, darüber geschrieben, mit welch erstaunlicher Gründlichkeit ProSieben seine Zuschauer über die faszinierende Welt der Sandwichkette „Subway“ informiert. Über den tollen Teig und die tollen Restaurants, über die tollen Ausbildungsplätze und das tolle Prinzip.

Die Sendersprecherin hatte mir allerdings auf Nachfrage erklärt, diese Berichte hätten „ausschließlich etwas mit journalistischen Gründen zu tun“.
was frag ich auch den Sender! Ich hätte natürlich die PR-Agentur „foleys“ fragen sollen — oder einfach auf ihre Homepage gucken. Dort veröffentlichte sie im April folgende Pressemitteilung:

12,91 Millionen TV-Einschaltquote in vier Monaten

Schon im letzten Jahr ist es foleys PR gelungen, SUBWAY® Sandwiches in bekannten TV-Formaten wie „Galileo“ oder „Deine Chance — 3 Bewerber, 1 Job“ auf PRO7 zu platzieren. Auch in 2008 zeigt sich die Ulmer Agentur auf diesem Gebiet sehr erfolgreich: foleys PR realisierte bereits im ersten Quartal des neuen Jahres mehrere Projekte mit „Abenteuer Leben“ auf Kabel 1 und „Galileo“ auf PRO7.

Das Team von foleys PR initiierte und begleitete dabei alle Drehs, bereitete deren Inhalte vor, briefte die Protagonisten und TV-Teams und stand ihnen und den jeweiligen Franchisepartnern vor ORt mit Rat und Tat als verantwortliche Kontrollinstanz (und Pressesprecher) zur Seite. Das Resultat: Über 73 Minuten kostenlose TV-Präsenz für SUBWAY® Sandwiches, mit 12,91 Millionen Gesamteinschaltquote und einem Mediagegenwert von über zwei Millionen Euro. Doch damit ist noch lange nicht Schluss: foleys PR hat bereits weitere spannende TV-Projekte für die Sandwichmacher in Arbeit.

foleys PR achtet dabei auf Ausgewogenheit: Nicht nur die Produkte der Sandwichmacher sollen dem deutschen Fernsehpublikum präsentiert werden. Die PR-Spezialisten legen auch Wert darauf, dass alle Facetten ihres Kunden gut beleuchtet werden. So lag der Fokus der Beiträge „Galileo Existenzgründung“ (Pro7) und „Abenteuer Wissen“ (Kabel 1) auf dem Franchisesystem SUBWAY® Sandwiches. Zukünftige Projekte werden zum Beispiel die Arbeit im einzelnen Restaurant beleuchten. foleys PR ermöglicht es seinem Kunden somit, (kostengünstig) seine Bekanntheit und Beliebtheit durch umfassende und redaktionell sehr glaubwürdige Einblicke in das System zu steigern — natürlich mit positivem Effekt auf Umsätze und Zahlen von Franchiseinteressierten.

Man soll ja skeptisch sein bei solchen PR-Meldungen. Aber komisch: Ich glaube denen jedes Wort. (Und worauf sie so stolz sind, kann man sich zum Beispiel hier angucken).

[Mit Dank an Benjamin Gasser]

Nachtrag, 14:10 Uhr. Die Agentur foleys scheint die Pressemitteilung von ihrer Seite entfernt zu haben.

Nachtrag, 16:00 Uhr. Axel Roggmann, Geschäftsführer von foleys, schreibt in den Kommentaren u.a.:

Wir möchten fest halten, dass foleys PR weder in eigenem noch im Namen dritter Schleichwerbung betrieben hat noch dieses beabsichtigt hat. Es gab keinerlei Zuwendungen an den Sender oder die Produktionsfirma. Jeder Beitrag wurde stets von einem Redakteur des Senders bzw. der von ihm beauftragten Produktionsgesellschaft unabhängig durchgeführt. Selbstverständlich wurde jedoch jeder Dreh von foleys PR (im Auftrag von SUBWAY® Sandwiches) vor Ort professionell begleitet, was bedeutet, dass z.B. evtl. vorhandene Drehpläne z.T. vorab gelesen wurden um evtl. sachliche Fehler eines Redakteurs und des Filmteams zu vermeiden (denn nachträglich festgestellte sachliche Fehler sind kaum zu korrigieren). Natürlich wurde auch den jeweiligen Franchisepartnern
(allesamt TV-unerfahren und entsprechend auf Unterstützung angewiesen) vor und während des Drehs zur Seite gestanden. Es ist die Aufgabe einer PR-Agentur sie bei solch einem Dreh zu unterstützen. Den Vorwurf von „Dauerwerbesendung“ und Schleichwerbung weisen wir von uns. Wir entschuldigen uns für evtl. missverständlich formulierte Aussagen auf unserer Website und bedauern, wenn diese evtl. zu Irritationen geführt haben.

Dauerwerbesendung mit G.

Der Peer dokumentiert drüben aufopferungsvoll, wie die Sendergruppe ProSiebenSat.1 sich bis zuletzt mit allen Kräften dagegen gestemmt hat, ihre „Dauerwerbesendungen“ als „Dauerwerbesendungen“ zu kennzeichnen — und jetzt doch einen Gerichtsbeschluss kassiert hat, der ihnen den verschleiernden Ersatzbegriff „Promotion“ untersagt.

Er verrennt sich da in was. Das Wort, an dem man seit Jahren die meisten Dauerwerbesendungen bei ProSieben erkennt, ist nicht „Promotion“, sondern „Galileo“.

So informierte das gleichnamige tägliche „Wissensmagazin“ seine Zuschauer gestern darüber, dass es einen neuen Sommer-Eis-Trend gebe: Man kaufe sein Eis in dieser Saison bei einer Kette namens „Australian Homemade“ (Video der Sendung, ab 18:15).

Das kommt für Berliner einigermaßen überraschend, wo der „Australian Homemade“-Laden an der Friedrichstraße 2002 auf- und 2007 wieder zugemacht hat, aber es wird schon stimmen, das mit dem Trend, sowas denken die sich ja nicht aus.

Die „Galileo“-Reporterin jedenfalls ist der Sache mal auf den Grund gegangen und kann feststellen: „Sie nennen sich Australian Homemade und verkaufen in ihren In-Läden exquisite, handgemachte Pralinen, hochwertige Eiscreme und fruchtige Sorbets.“ Alles, was sie herstellen, scheint ausschließlich mit Adjektiv im Angebot zu sein: „exquisite Pralinen“, „edles Sorbet“, „besonders wertvolles Marzipan“.

Im Stil einer investigativen Reportage hat die „Galileo“-Filmemacherin, die im Beitrag „Dr. Nicole Rettenwender“ genannt wird, einen „Australian Homemade“-Produktionsort nach dem anderen besucht und ist offenbar so lange hartnäckig geblieben, bis man ihr endlich einen unternehmenseigenen PR-Film ausgehändigt hat. (Kann natürlich auch sein, dass die Filme erst zu unternehmenseigenen PR-Filmen wurden, nachdem „Galileo“ sie gedreht hat, das lässt sich schlecht unterscheiden.)

Nach Betrachten dieser sieben Minuten kann ich jedenfalls bestätigen: Das sind ganz tolle Pralinen und Eissorten, die die da machen, bei „Australian Homemade“, mit mehr Gutem und weniger Schlechtem drin als bei anderen Pralinen- und Eis-Anbietern, und wer hätte mich sonst so verlässlich darüber aufgeklärt (also, außer der Pressestelle des Unternehmens selbst natürlich, das auf den schönen Film auch auf seiner Homepage hinweist — mit den Worten: „Wir wünschen uns allen viel Spaß“).

Ich hatte neulich in einer anderen Sache mal bei der Pressestelle von ProSieben angefragt: Wegen der Leidenschaft des Senders, über die Sandwich-Firma „Subway“ zu berichten. „Galileo“ informiert seine Zuschauer seir Jahren kontinuierlich über dieses tolle Unternehmen (Das Rezept des Subway-Brotes, 13. März 2006; Wie wird das Subway-Brot so lecker, 27. Juli 2007; „Sandwich XXL“, 10. Februar 2008; „Existenzgründer Subway“, 18. Februar 2008; „Knochenjob Subway“, 17. April 2008) unterstützt durch Sendungen wie „Deine Chance“, die in diesem Jahr schon zweimal Kandidaten bei der Bewerbung für die Sandwich-Kette begleitete (3. Januar und 28. Februar).

Die Unternehmenssprecherin teilte mir mit, die Berichterstattungen hätten „ausschließlich mit journalistischen Gründen zu tun“. Die ProSieben-Zuschauer interessiere auch die gesamte Logistik hinter solchen Systemgastronomien, wovon „Galileo“ sehr profitiere: „Galileo“ habe neben „Subway“ natürlich auch „McDonalds“-Logistik und „Burger King“-Logistik „seziert“ — „und eine der erfolgreichsten Reportagen bei ‚Galileo‘ war ein Logistik-Stück über ‚Nordsee'“.

Der Eindruck trügt also, dass „Galileo“ nur für „Australian Homemade“ oder „Subway“ wirbt. Und wenn sich jemand beschwert und sagt, das sei doch eine Dauerwerbesendung, die müsse doch entsprechend gekennzeichnet sein, kann ProSieben sagen: Ist doch. Das blaue „Galileo“-Logo unten links und die kleine Sieben oben rechts.

Die lustige Welt der Mediennichtkontrolle

Vor drei Jahren habe ich zusammen mit Peer Schader für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ einen Artikel geschrieben: „Schafft die Landesmedienanstalten ab!“ Die Überschrift war nicht nur eine rhetorische Zuspitzung. Ich bin überzeugt, dass das besser wäre, denn dann käme niemand auf den falschen Gedanken, es gebe in diesen Land so etwas wie eine funktionierende Medienaufsicht.

Peer hat für die FAS jetzt eine Art Update geschrieben, das sich mit dem Satz zusammenfassen lässt: Es ist alles noch schlimmer.

Wussten Sie zum Beispiel, dass ProSieben und Sat.1 sich an die „Gemeinsamen Richtlinien der Landesmedienanstalten für die Werbung, zur Durchführung der Trennung von Werbung und Programm und für das Sponsoring im Fernsehen“ (pdf) nicht nur nicht halten (was offenkundig ist), sondern überzeugt sind, sich auch nicht daran halten zu müssen, weil diese Richtlinien nicht verbindlich seien?

Oder können Sie erraten, was ProSieben gemacht hat, nachdem der Sender dazu gezwungen wurde, seine Dauerwerbesendung „Mein Styling, meine Quelle“ bis zu einer gerichtlichen Entscheidung nicht mehr auszustrahlen? Der Sender reichte die Show einfach an Schwestersender Sat.1 weiter.

Weitere Beispiele aus der lustigen Welt der Mediennichtkontrolle direkt beim Peer.

Wenn „Bild“ das schreibt, wird’s stimmen

Kommen wir zu weiteren Antworten auf die beliebte Frage: „Wer glaubt schon, was in der ‚Bild‘-Zeitung steht?“

Die Nachrichtenagentur AP glaubt es. Sie übernahm bekanntlich aus „Bild“ die ebenso doofe wie falsche Behauptung, das „Gerangel um die Aust-Nachfolge … zieht offensichtlich auch die Auflage [des ‚Spiegel‘] nach unten“, die „Bild“ zufällig einfiel, nachdem der „Spiegel“ über den Auflagenrückgang von „Bild“ berichtete.

Die „taz“ glaubt es auch. Sie ließ die Quelle „Bild“ weg, machte sich die Interpretation aber zu eigen und vermeldete sie sogar unter der Überschrift „Nach Posse um Chefredaktion / „Spiegel“-Verkauf bricht ein“:

(…) Die Einzelverkäufe sind im vierten Quartal 2007 auf 337.500 Exemplare gesunken. (…) Ein Einbruch von fast 20 Prozent und das schlechteste Ergebnis seit 2003. Möglicherweise liegt das an der schlechten Presse, die im vierten Quartal ordnerweise über den Spiegel erschien und nicht gut fürs Image war.

Und im Zweifel glaubt es auch „turi2“, der „Aufsteiger unter den Branchendienst für Medien und Kommunikation“ und BILDblog-Kritiker, der gestern berichtete:

Übrigens hat die dilettanische [sic] Nachfolgersuche für Aust dem „Spiegel“ einen erheblichen Imageschaden verpasst: Im vierten Quartal 2007 ging der Einzelverkauf laut IVW um 20 Prozent zurück.

(Von einem Rückgang um 20 Prozent zu sprechen, wie „taz“ und „turi2“ es tun, ist ohnehin unzulässig, weil nur ein Vergleich mit dem Vorjahresquartal aussagekräftig ist; nicht der des Herbstes mit dem Sommer.)

taz.de und turi2.de demonstrieren auch schön die Attrappenhaftigkeit vieler Kommentarfunktionen. Unter beiden Artikeln stehen Kommentare von Lesern, die unter Verweis auf BILDblog schreiben, dass der behauptete Zusammenhang zwischen der Personalie Aust und dem Auflagenrückgang nicht stimmen könne. Und bei beiden Artikeln gibt es keine Reaktion auf diese Hinweise: Keine Korrektur, Ergänzung oder wenigstens Antwort eines Redakteurs oder Mitarbeiters in den Kommentaren. Das ist so interaktiv und Web-2.0-ig wie ein Anrufbeantworter.

Und wer glaubt noch, was in der „Bild“-Zeitung steht? Das Fernsehen natürlich. Die Mär, dass der Hai, der auf einem „Bild“-Leserreporter-Video zu sehen ist, 3,50 Meter lang sein soll, verbreiteten nach Informationen von BILDblog-Lesern gestern „Brisant“ (ARD) und „Hallo Deutschland“ (ZDF), ProSieben und der „Nachrichtensender“ N24 — und betonten dabei teilweise auch noch diese unglaubliche Länge, die schon bei einem Blick auf das Video selbst noch unglaublicher wird.

Uri Geller

Ab Dienstag sucht ProSieben acht Wochen lang den „Nachfolger von Uri Geller“, und das ist schon im Ansatz ein Mysterium: Gesucht wird also jemand, der nicht nur ungeschickt genug ist, versehentlich einen seiner Tricks zu verraten, sondern sogar so ungeschickt, hinterher mit allen Mitteln zu versuchen, das Video davon aus dem Internet zu entfernen? Jemand, der aufmerksamkeitsgeil und gefährlich genug ist, sich nicht damit abzugeben, ein großer Illusionist zu sein, sondern zu behaupten, seine angeblichen Fähigkeiten von Außerirdischen bekommen zu haben? Jemand, der traurig genug ist, schon vor über dreißig Jahren in der „Tonight Show“ als Witzfigur überführt worden zu sein, als er nicht in der Lage war, seine berühmten Tricks vorzuführen, nachdem die Fernsehleute die zu manipulierenden Gegenstände selbst besorgt hatten? Jemand, der verzweifelt genug ist, sich bei der britischen Fernsehaufsicht über eine Sendung zu beschweren, die das esoterische Brimborium Gellers und anderer von Wissenschaftlern entzaubern ließ, und einen Kritiker zu verklagen, der behauptete, einen der von Geller verwendeten Zaubertricks vor Jahren auf der Rückseite einer Cornflakes-Packung gelesen zu haben? Jemand, der dreist genug ist, sich im Fall einer verschwundenen Frau als Helfer engagieren zu lassen und vorherzusagen, dass sie noch lebt und bald wieder auftauchen wird (sie ist nie wieder aufgetaucht und war zu diesem Zeitpunkt wohl längst tot)? Jemand, der größenwahnsinnig genug ist, zu behaupten, das Ende des Kalten Krieges dadurch mit herbeigeführt zu haben, dass er Michail Gorbatschow mit „friedvollen Gedanken“ bombadierte? Jemand, der soviel Pech bei seinen sportlichen Vorhersagen und behaupteten Einflussnahmen auf Ergebnisse hat, dass man, wenn man schon an übersinnliche Kräfte glauben wollte, von einem „Fluch des Uri Geller“ ausgehen muss, weil Sportler, denen er Siege vorhersagt, regelmäßig verlieren? Jemand, der dumm genug ist, bei der britischen Dschungelshow mitzumachen, langweilig genug, als erster herausgewählt zu werden, und weltfremd genug, hinterher zu sagen, er sei der einzige „international Prominente“ unter all den B- und C-Promis gewesen: „Ich war nie unten“?

Im israelischen Original zeigte eine Kamera versehentlich, wie sich Geller offenbar einen Magneten an den Finger klebt, um einen Kompass wie von Zauberhand zu bewegen. Dass ProSieben das Format trotzdem gekauft hat, von „übersinnlichen, übernatürlichen, unerklärlichen“ Phänomenen faselt, die zehn Kandidaten als „Auserwählte“ bezeichnet [avi] und wie so viele andere diesen ekligen Hochstapler hofiert: Das ist das einzige unerklärliche Phänomen des Uri Geller.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Weiterführende Links:

Sebastian Kamps

Wenn man einem jungen Paar wie der Fernsehmoderatorin Gülcan Karahanci und dem Bäckersohn Sebastian Kamps Woche für Woche auf ProSieben bei den Heiratsvorbereitungen zuschaut, fragt man sich ja spätestens beim dritten Streit der beiden, was sie wohl aneinander finden. Im Fall von Gülcan liegt die Antwort auf der Hand: Sie hat jemanden gefunden, der nicht mehr sagt, als in die Atempausen ihres Redeschwalls passt. Die Auswahl muss überschaubar gewesen sein.

Aber was findet der Mann an ihr? Sebastian Kamps ist ein wohlhabender 24-jähriger Mann, der sich exakt eines vom Leben wünscht: Ruhe. Er wirkt abwechselnd sediert und griesgrämig, letzteres immer dann, wenn er dazu gezwungen wird, etwas zu tun, was er nicht tun will, also etwas anderes, als auf dem Sofa zu sitzen. Dauernd ist aber auch irgendwas: Mal soll er einkaufen, mal reden, mal heiraten, mal sich um die schlimmen Wasserflecken an der Decke kümmern. Als seine zukünftige Frau die entdeckt, hüpft sie aufgeregt wie ein Flummi durch die Wohnung. Und Kamps tut, was er ungefähr immer tut in Krisensituationen, die schnelles Handeln erfordern: Er setzt sich aufs Sofa, macht den Fernseher an und wartet, dass sich jemand anderes drum kümmert.

Man muss ihn bewundern für sein Talent, den neben ihm weiterhüpfenden Flummi zu ignorieren, und wenn es gar nicht mehr geht, sagt er: „Lackier dir die Nägel“, nimmt die Autoschlüssel und geht. Vielleicht ist das auch gar kein Talent, sondern ein Defekt; ihm fehlen einfach ein paar Sensoren, was den Umgang nicht nur mit Gülcan, sondern auch den Herausforderungen des Lebens überhaupt erleichtert. Warum sich von der Frau ein paar Stunden durch die nervigen Gassen von irgendwo in der Türkei schieben lassen, um ein passendes Geburtstagsgeschenk für den Schwiegervater zu suchen? „Wir holen ihm ’ne Stange Zigaretten.“

Seine Mutter sagt, das komme von seinem Opa, „dieses Langatmige, das Brummige, das Nicht-so-Flexible hat er geerbt, da kann er auch nichts dran machen.“ Die Stellen, an denen bei anderen Männern vereinzelte Höflichkeits- und Romantik-Gene sitzen, sind bei Sebastian Kamps vollständig von Sofasitz- und Autosgeilfind-Genen belegt. Gülcans Schwester nennt er wegen ihrer Figur eine „Dampfwalze“, wenn Gülcan stöhnt: „Mir ist schlecht“, sagt er: „Kotz da raus“, und als sie nochmal von ihm hören will, was ihre Lieblingsblumen sind für den Brautstrauß (richtige Antwort: Orchideen), antwortet er: Rosetten.

Unter normalen Umständen würde man diesen Kerl unausstehlich finden. Aber neben der hyperaktiven, dauerschwätzenden und allestollfindenden Gülcan wirkt der Schweiger und Nichtmitmacher Sebastian Kamps sensationell sympathisch. Und vielleicht ist das ja die Antwort auf die Frage, warum er mit ihr zusammen ist.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Monica Ivancan

Sie war für RTL die „Bachelorette“ und durfte sich unter den Augen der Öffentlichkeit aus 25 Schönlingen einen Mann aussuchen. Andere Menschen zerbrechen an solchen Erfolgen. Was soll danach noch kommen? Wie kann man noch Ziele haben im Leben, wenn man schon ganz oben ist?

Monica Ivancan wusste, was sie tun musste, um nicht depressiv zu werden vor lauter Glück: Sie teilte es mit anderen. Sie zog sich aus für ein Männermagazin. Und dann für ein anderes Männermagazin. Sie liierte sich mit einem bekannten Komiker und schenkte dadurch „Bild“ Sätze wie: „An ihr darf nur der Oli pochern.“ Und nun hilft sie anderen Menschen, die nicht schön genug sind, um so erfolgreich zu sein wie sie, und zeigt ihnen, dass es auch für sie Hoffnung gibt: Wenn sie es irgendwie schaffen, ein bisschen weniger scheiße auszusehen. Nebenbei zeigt sie freundlicherweise, dass sie nicht nur gut aussieht, sondern auch eine blöde Kuh ist. Ein Leben für die gute Sache.

Entschuldigung. Es ist schwer, über die ProSieben-Sendung „Das Model und der Freak“ zu schreiben, ohne beleidigend zu werden. Ohne dem dringenden Bedürfnis nachzugeben, alle Beteiligten mit Exkrementen zu bewerfen. Man fühlt sich nach dem Ansehen selbst so schmutzig. Und so hilflos.

Mit unfassbarer Lust und Selbstverständlichkeit macht die Show schwächere Menschen, kontaktscheue, gescheiterte, unsichere Außenseiter verächtlich. Als Menschen kommen die „Freaks“ nicht vor – bis sie den Crashkurs der „Models“ absolviert haben, die mit ihrer hohlen Schönheit zu engelsgleichen Rollenmodellen überhöht werden, die dadurch, dass sie sich überhaupt mit den Freaks abgeben, schon einen Mutter-Theresa-Barmherzigkeitspreis verdient hätten. Aus jeder Szene trieft die Herablassung, die Abscheu. Vor einer Kunstaktion heißt es aus dem Off: „Steckt in dem Arbeitslosen vielleicht ein Kreativer?“ Und: „Freak Ivan soll lernen, seine Hemmungen bei Frauen zu verlieren; Körperlichkeit lässt er nämlich so gut wie nie zu. Das soll Tänzerin Sharon jetzt ändern.“

Die Therapie besteht darin, dass „Tänzerin“ Sharon dem Ivan an ihrem Arbeitsplatz, einer Tabledance-Bar, ausgiebig ihren nackten Hintern ins Gesicht schüttelt.

Und Monica Ivancan holt einen der Männer zu sich in die Umkleidekabine, demonstriert ihm im Detail, woran er ihre Körbchengröße erkennt, und als er später unsicher kichert, weil ihm gesagt wird, er rieche und solle sich die Augenbrauen rasieren, ermahnt sie ihn streng, das sei kein Spaß hier.

Sie hat sich unsere Verachtung redlich verdient.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Heidi Klum

Dann geht sie rüber zu den Mädchen, die gerade noch Rouge und Mascara vor ihr geheult haben, junge, hübsche, hoffnungsvolle, ehrgeizige, emotionale Wracks, die sie allesamt wieder bis kurz vor den totalen Zusammenbruch gebracht hat, zwängt sich zwischen sie aufs Sofa, als wäre sie ihre Freundin, und fragt: „Und? Seid ihr alle superhappy? Dass ihr alle noch hier seid? Dass keine Tränen geflossen sind?“

So ist Heidi Klum.

In ihrer Pro-Sieben-Erfolgsshow, die auf der Illusion beruht, „Germany’s Next Topmodel“ zu suchen, ist sie eine fiese Ober-Schickanöse, die ihre Schutzbefohlenen erfolgreich glauben lässt, sie sei die Vertrauenslehrerin. Als eines der Mädchen eher beiläufig erzählt, dass andere manchmal keinen Bock mehr hätten, reagiert Klum mit der Sensibilität eines Panzers: „Wer sagt das, der nach Hause will?“, fragt sie und fordert erfolgreich Denunziation. Eine Woche später spricht sie über eines der geschassten Mädchen den Satz: „Anja hat uns leider letzte Woche verlassen“ und schafft es wie üblich nicht, zum Wort „leider“ eine passende Gefühlsregung anzuknipsen. Sie sagt über eine Fotografin: „Ich habe vor sechs Jahren zum ersten Mal mit ihr fotografiert“, was eine lustig anmaßende Verdrehung der Rollen ist. Einmal kontrolliert sie in Abwesenheit der jungen Rekrutinnen ihre Stuben, kommentiert einzelne dahingeworfene Kleidungsstücke oder offene Schminkutensilien, als handele es sich um einen Kriegsschauplatz, und erklärt mit großer Ernsthaftigkeit, dass man so ganz sicher kein Top-Model werde. Und ich weiß nicht, was erschütternder war: Die unfassbare Spießigkeit dieser Rolle oder der unfassbare Stolz, mit dem Heidi Klum sie ausfüllte.

Sie ergänzt das schlimme Leistungs- und Ihr-müsst-es-nur-wollen-Mantra der anderen Castingshows um eine ungehemmte Zuhälter-Mentalität: Hier wird getan, was verlangt wird, und nicht gezickt und gezögert. Als ein Mädchen es nicht auf Anhieb das natürlichste von der Welt findet, sich an einem Strand bemalt, aber vollständig nackt, breitbeinig und auf allen Vieren in Pose zu bringen, kommentiert Klum das gleichzeitig in die Kamera: „Hana schämt sich so’n kleinen bisschen vor den Leuten hier. Ich mein‘, so was muss man auch abschütteln können, ne?“ — und aus jeder Pore strömt Herablassung. „Die Hana tut so, als ob hier ein ganzes Fußballfeld voll mit Jungs gewesen wär“, sagt sie noch. Kurz darauf sind überall Paparazzi.

Warum war es eigentlich der vergleichsweise liebenswürdige und, vor allem: irgendwie aufrichtige Dieter Bohlen, der sich wegen „sozialethischer Desorientierung von Kindern und Jugendlichen“ rechtfertigen musste?

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Wok-WM 2015 gefährdet!

Man tut Fernsehsendern manchmal Unrecht. Dass diese Wok-WM, die Stefan Raab seit vier Jahren veranstaltet, randvollgestopft ist mit Werbung — das darf man wirklich nicht Pro Sieben in die Schuhe schieben. Denn Pro Sieben veranstaltet die Wok-WM nicht, sondern überträgt die Sendung nur. Pro Sieben wird diese Werbung auf den Leibchen, den Geräten, den Kulissen und in den Namen der teilnehmenden Teams, nur „aufgedrängt“, wie der Sender gegenüber epd Medien erklärte.

Pro Sieben hat das Senderecht von Stefan Raabs Produktionsfirma Brainpool erworben. Aber auch Brainpool ist nicht direkt Veranstalter der Wok-WM, sondern hat dafür der Firma PS Event eine Lizenz erteilt. Die durfte sich dafür exklusiv darum kümmern, die Werbeflächen vor Ort zu vermarkten.

Warum dieser Aufwand? Ganz einfach: Der Sender oder die Produktionsfirma dürfen nicht von den Markenpräsentation im Programm profitieren — das wäre unzulässige Schleichwerbung. Aber wenn man so tut, als handele es sich gar nicht um eine Fernsehsendung, die da verkauft wird, sondern um ein ohnehin stattfindendes Event, das vom Fernsehen nur zufällig bzw. zusätzlich übertragen wird, ist die Situation eine andere. Dann hätte Pro Sieben so wenig Einfluss auf den Verkauf von Werbung durch den Veranstalter vor Ort wie RTL bei der Formel 1 oder die ARD bei der Fußball-Bundesliga. Und würde natürlich auch nicht davon profitieren.

Das „PS“ im Namen der Firma „PS Event“, die sich um die Vermarktung vor Ort kümmerte und Pro Sieben die Werbung „aufdrängte“, steht übrigens, wer hätte das gedacht, für Pro Sieben. Es handelt sich um eine 67-prozentige Tochter der 100-prozentigen Pro-Sieben-Tochter PSH Entertainment.

Tja: Man sollte die kriminelle Energie geschäftliche Kreativität von deutschen Privatsendern nicht unterschätzen.

epd-Medien-Chef Volker Lilienthal hat all das vor vier Wochen schon aufgeschrieben. Sein Artikel beginnt mit dem schönen Satz:

Vier Jahre, nachdem ProSieben mit der Übertragung der „TV Total Wok-WM“ begonnen hat, beschäftigt die Sendung nun auch die Landesmedienanstalten.

Am Mittwoch dieser Woche berichtet epd, aufgrund der Recherchen hätten die Landesmedienanstalten nun einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer damit beauftragt, festzustellen, inwieweit Pro Sieben direkt von der Werbung vor Ort profitierte. Dass die PS Event eine Pro-Sieben-Tochter ist, sei den Landesmedienanstalten „bis dahin“, also bis zu dem epd-Bericht, unbekannt gewesen.

Gott ja, wer soll denn auch drauf kommen, dass solche Informationen im Geschäftsbericht der ProSiebenSat.1 Media AG stehen!

Nun wartet die fünfköpfige „Prüfgruppe“ der zuständigen Medienanstalt Berlin-Brandenburg auf das Votum des Wirtschaftsprüfers, gibt dann ein Votum an die Gemeinsame Stelle Programm, Werbung und Medienkompetenz der Landesmedienanstalten ab, die dann ein Votum abgibt, bevor die Medienanstalt Berlin-Brandenburg entscheidet, ob sie eine Beanstandung ausspricht.

Und wenn es ganz schlecht läuft für Pro Sieben und Stefan Raab, würde ich schätzen, dass sie sich schon in acht, neun Jahren ein neues Werbekonzept für ihre Wok-WM überlegen müssen.

Max Giermann

Es ist ja nicht so, dass es im deutschen Fernsehen an Parodien mangeln würde. Wesentliche Teile des Abendprogramms scheinen genau dafür reserviert zu sein. Ein ausländischer Besucher, dem man versuchsweise das „Frühlingsfest der Volksmusik“ zeigen würde, käme doch im Leben nicht darauf, dass es sich bei diesem Florian Silbereisen nicht um die lustig überdrehte Karikatur eines Volksmusik-Moderators handelt. Stefan Raabs Idee, aus einem sechs Runden kurzen Promi-Boxkampf einen vierstündigen Marathon zu machen, kann doch nur ein selbstreferenzieller Kommentar auf das unerträgliche Auswalzen eigentlich überschaubarer Inhalte im Fernsehen sein. Und was ist „Kerners Köche“ anderes als die wöchentliche Satire auf den Koch-Wahn im deutschen Fernsehen?

Kein Wunder also, dass sich das Genre der Parodie anderer Fernsehformate gerade ein bisschen schwertut. Jeder, der Reinhold Beckmann parodieren will, muss erst einmal besser sein als die wöchentliche Reinhold-Beckmann-Parodie montags um 22.45 Uhr im Ersten. Es gibt einen, der das schafft. Er ist immer kurz vorher bei Pro Sieben zu sehen und heißt Max Giermann. Wie er sich in seinen Gesprächspartner hineinlehnt, wie er seine Stirn in Falten legt und das Kinn nach vorne schiebt, wie er beckmannesk seine Stimme moduliert und bedeutungsschwanger knarzen lässt — das ist entlarvend, komisch und zutiefst beunruhigend. Der fleischgewordenen Schnoddrigkeit eines Oliver Geißen, der längst auch von seiner eigenen Parodie nicht mehr zu unterscheiden ist, fügt Giermann ebenfalls eine neue Dimension zu. Und Tim Mälzer und Günther Jauch kann er auch.

Giermann arbeitet sonst als Schauspieler, Clown und Straßenkünstler, improvisiert bei „Frei Schnauze“ auf RTL — und hatte schon in der vergessenen RTL-Show „goXX“ feine Auftritte als Imitator. Gemeinsam mit den grandiosen Peter-Kloeppel-Parodien von Michael Kessler sind Giermanns Glanzlichter schon Grund genug, sich trotz einiger Längen jeden Montag „Switch Reloaded“ anzuschauen. Statt „Beckmann“, zum Beispiel.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung