Schlagwort: Focus Online

Stoff für Fremdenfeinde: die erfolgreiche Social-Media-Strategie von „Focus Online“

Am Dienstag vergangener Woche meldete „Focus Online“ an prominentester Stelle, dass ein islamisches Bündnis in Duisburg getrennte Schwimmzeiten für Muslime im Hallenbad fordere. Die Geschichte ist über ein halbes Jahr alt und überholt: Die Stadt hat den Vorschlag längst abgelehnt.

„Focus Online“ hat einen Artikel aus der WAZ vom Februar genommen und den Inhalt einfach als neu ausgegeben. Inzwischen steht unter dem Text eine als „Update“ verbrämte Korrektur.

Man könnte das für einen peinlichen Fehler halten. Für „Focus Online“ ist es ein großer Erfolg. Die alte, überholte Geschichte wurde in den sozialen Netzwerken zehntausendfach geteilt. Laut der Auswertung von Storyclash war es die siebtmeistgeteilte Medien-Geschichte der vergangenen Woche in Deutschland.

Mit dem Satz „Soweit kommt es noch“ verbreiteten verschiedene Pegida-Ableger das „Focus Online“-Stück auf Facebook. Die AFD machte es zum Teil ihrer „Herbstoffensive 2015“:

Auf der Facebook-Seite von „Focus Online“ kommentierte die „Focus Online“-Leserschaft u.a. so:

Seid wann haben die Forderungen zu stellen???

Ich kann nur noch die Frage stellen „“ Was verlangt dieses PACK eigentlich noch alles von uns „“ ?

Ihr seit zu gast in Deutschland wenn ihr das nicht möchtet dann geht zurück in euer Land eigene Schwimmzeiten sind wir Christen so schmutzig aber euere Männer gehen mit Christen ins bett da kann ich nur PFUI sagen

Was mich ganz furchtbar ärgert, ist die Tatsache, dass Muslime immer nur fordern. Die haben hier nichts zu fordern!

Ich glaube, wir sind hier im Irrenhaus. Wo lebe ich denn? Ist das hier noch Deutschland oder bin ich in der Nacht im Schlaf abtransportiert worden in den Orient? Langsam geht mir diese Quatscherei von Muslime derart auf die Nerven und diese Feigheit von uns selber. Ja, ich bin Deutsche und esse Schweinefleisch und ja, ich rauche und trinke Alkohol und ja ich liebe „Negerküsse“ und ja ich esse „Zigeunerschnitzel“ und ich bin Christ. Leck mich am Arsch mit den Luftballonträgern, ich kann es nicht mehr hören.

Bitte schickt dieses Volk zurück in seine so friedvolle Heimat, in der ja alles so perfekt zu sein scheint, was wohl vergessen wurde!!!
Es ist wirklich lächerlich!!!!!

man sollte das Bad enteignen und NUR Muslime baden lassen. Für uns reicht es völlig wenn wir alles zahlen dürfen – mehr Bildung würde dem Islam nicht schaden – und jedem ein BMW und geregeltes Harz 4 Einkommen dazu

Zum großen und wachsenden Erfolg von „Focus Online“ in den sozialen Medien trug in der vergangenen Woche auch ein Video bei, das ursprünglich unter dem Titel „De Maiziére sagt: ‚Wegen Flüchtlingen müssen wir die Bildungsstandards in Deutschland senken'“ von „Focus Online“ verbreitet wurde. Auf der eigenen Facebook-Seite moderierte die Redaktion es süffisant mit den Worten an: „Er bezeichnet es als ‚Improvisation'“.

Grundlage für das Video ist eine Meldung der Katholischen Nachrichtenagentur KNA vom 5. November, die lautete:

De Maiziere: Müssen bei Ausbildungsstandards improvisieren

Berlin (KNA) Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) sieht angesichts der weiter steigenden Zahl an Flüchtlingen und Asylbewerbern die Notwendigkeit für mehr Improvisation. Deutschland könne etwa an Schulen oder bei der beruflichen Ausbildung derzeit kaum an seinen Standards festhalten, erklärte der Minister am Donnerstag in Berlin. Das bedeute nicht eine „dauerhafte Absenkung von Standards“, sondern sei ein „improvisierter, mit gesundem Menschenverstand“ gewählter Zugang zu Lösungen.

Grundsätzlich sei es wichtig, Menschen möglichst schnell in Arbeit zu bringen. Er sehe aber keinen Grund, neue Regeln für legale Erwerbsmigration zu schaffen, betonte der Minister.

Aus der expliziten Ablehnung einer dauerhaften Absenkung von Standards macht „Focus Online“ also in der Überschrift die Forderung nach einer Absenkung der Standards. (Inzwischen wurde nachträglich in die Überschrift ein „kurz“ eingefügt. Beim Schwesterangebot „Huffington Post“ ist die Faktenverdrehung noch original.)

Zu denen, die dieses Video auf Facebook teilen und damit „Focus Online“ zum stolzen Social-Media-Überflieger machen, gehören Leute, die dazu schreiben:

was Deutschland fehlt ist ein Oesterreicher mit Charisma und Eiern in der Hose…

Sowie die NPD und natürlich wiederum die AFD, die dafür gleich ein passendes kampagnenfähiges Motiv gefunden hat:

Zu den besonderen Tricks, mit denen die Burda-Tochter ihre Reichweite in den sozialen Medien erhöht, gehört es, selbst Beiträge, die sich explizit gegen Vorurteile gegenüber Flüchtlingen wenden, in einer Pegida-Fan-tauglichen Form anzukündigen. Ein Video, das in der „Focus Online“-üblichen Nacherzählungsform einen ironischen Facebook-Eintrag bebildet, in dem sich jemand erschüttert zeigt, dass sein Leben noch nicht von Ausländern zerstört wurde, verkauft „Focus Online“ so:

Passend zu der Zeile „So benehmen sich Asylsuchende in Deutschland wirklich“ zeigt „Focus Online“ übrigens ein tatsächliches Nachrichtenfoto von einem zerstörten Raum in einer Flüchtlingsunterkunft in Suhl, nachdem es dort zu einer heftigen Massenschlägerei gekommen war.

Wenn die Strategie sein sollte, Fremdenfeinde mit der Anmoderation einzufangen und mit dem Video zum Nachdenken zu bringen, geht sie nicht auf. Der Kommentar, der die meiste Zustimmung erhielt (484 Likes), lautet:

Was habt ihr Plüschtier verteiler erwartet…wartet es ab…kommt noch viel schlimmer…das sind andere, ganz andere mentalitäten deren ihr nicht gewachsen seit…bin seit 35 Jahre Türsteher….kann nur sagen …au backe….deutschland wird sich gewaltig ändern…wenn nicht sofort was passiert…sprich…stopp mit der flüchtlingswelle…!!!

Unter den von Facebook-Nutzern geteilten Einträgen finden sich Kommentare wie:

manoman das drecks Pack muss raus

Auf Nachfrage des Kollegen Jens Twiehaus an den „Focus Online“-Chefredakteur Daniel Steil antwortete der treuherzig:

Darüber, wie „Focus Online“ Fremdenfeinde gezielt anspricht, hatte ich bereits im August berichtet. Jens Schröder schreibt in seiner Oktober-Auswertung der sozialen Interaktionen auf „Meedia“:

Den großen Erfolg – inklusive des neuen Rekordes von 3,142 Mio. Interaktionen mit den innerhalb des Monats veröffentlichten Artikeln – hat Focus Online fast einzig und allein der Flüchtlings-Thematik zu verdanken. 18 der 20 erfolgreichsten Focus-Online-Artikel hatten im Oktober mit der Flüchtlingskrise zu tun – und fast alle waren populistisch und machten Stimmung in eine bestimmte Richtung.

Die sogenannte Fachzeitung „Horizont“ nennt die „Focus Online“-Strategie nicht „rassistisches Clickbaiting“, sondern: Setzen von „nachrichtlichen Schwerpunkten wie der Flüchtlingskrise“.

Terroristen unter Flüchtlingen? Wie man mit Fehlalarmen Alarm schlägt

Das sind beunruhigende Nachrichten: Unter die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, sollen sich auch Terroristen mischen. Innenminister Thomas de Maizière habe entsprechende Hinweise.

So melden es diverse Medien:



Die Quelle dafür ist ein Interview, das der Innenminister den Zeitungen der Funke-Gruppe gegeben hat. Darin sagt er, angesprochen Sorgen der Bürger, „ob Deutschland ein sicherer Ort bleibt“, tatsächlich:

Es gab und es gibt Hinweise von Nachrichtendiensten aus dem Ausland, dass sich Terroristen unter die Flüchtlinge mischen.

Seine Antwort geht aber weiter:

Das zeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit mit anderen Nachrichtendiensten ist, auch wenn sie zum Teil aus Staaten kommen, die nicht ganz unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung haben. Wir nehmen all diese Hinweise ernst und gehen ihnen nach. Bisher hat sich keiner dieser Hinweise irgendwie bewahrheitet.

Es gab Hinweise, sagt der Innenminister, aber bislang waren sie alle falsch. Es war jedes Mal falscher Alarm. Das schließt nicht aus, dass es in Zukunft anders sein wird, aber bisher hat sich kein Hinweis bewahrheitet.

Und daraus machen deutsche Medien – nicht nur solche wie „Focus Online“, sondern auch solche wie „Zeit Online“ – dass der Innenminister Hinweise auf Terroristen unter den Flüchtlingen hat? Das ist natürlich in einem wortwörtlichen Sinne korrekt, so wie jeder Fehlalarm ja auch ein Alarm ist. Es verkehrt die Aussage des Innenministers aber in ihr Gegenteil.

Die „Thüringische Landeszeitung“ hat die Sache mit den „Hinweisen“ der Einfachheit halber in der Überschrift gleich ganz weggelassen und titelt schön knackig:

Die Einschränkung de Maizières, dass sich keiner der Hinweise bewahrheitet habe, findet sich zwar auch in allen Meldungen im Kleinergedruckten. Aber beim Texten von Überschriften und Vorspännen spielte das offenkundig keine Rolle, wie etwa die „Hannoversche Allgemeine“ beweist, die grob irreführend formuliert: 


Hinweise auf „Terroristen“ unter Flüchtlingen

Die Bundesregierung verfügt nach Angaben von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) über Informationen, dass mit den Flüchtlingen auch mutmaßliche Terroristen nach Deutschland kommen.

Die Nachrichtenagentur dpa hatte das Interview in der Nacht mit dem gegensätzlichen Titel verbreitet:

Hinweise auf Terroristen unter den Flüchtlingen nicht bewahrheitet

Die Konkurrenz von AFP schickte dann aber drei Stunden später die ungleich aufregendere Variante über die Ticker:

De Maizière: Hinweise auf „Terroristen“ unter den Flüchtlingen – Deutschland „im Fokus des internationalen Terrorismus“

Auch das zweite Zitat aus diesem Titel verliert an Brisanz, wenn man es im Original liest. De Maizière sagte:

Aber wir waren und sind im Fokus des internationalen Terrorismus. Wir hatten Anschlagsversuche, man denke nur an die sogenannte Sauerlandgruppe.

Der Innenminister spricht hier also nicht, wie man als Leser denken müsste, von einer neuen Gefährdung, sondern formuliert, dass „wir“ im Fokus des Terrorismus „waren und sind“. Diese Formulierung lässt AFP gleich ganz weg.

Heute Nacht schickte dpa übrigens auch einen Korrespondenten-Bericht „‚Die Stimmung kippt!‘ – Der Faktor Angst in der Flüchtlingskrise“. Und in ein paar Tagen können all die Medien, die jetzt aus Fehlalarmen Alarme gemacht haben, staatstragend-besorgt fragen, wie das nur passieren konnte, dass die Stimmung so schnell kippte, und woher die nur kommt, die ganze Angst.

Nachtrag, 18.50 Uhr. Die „Hannoversche Allgemeine“ hat Überschrift und Vorspann geändert:

Keine Hinweise auf Terroristen unter Flüchtlingen

Hinweise ausländischer Nachrichtendienste auf Terroristen unter den nach Deutschland kommenden Flüchtlingen haben sich nach Worten von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) bisher nicht bewahrheitet.

Unglaublich: SO macht „Focus Online“ Stimmung gegen Flüchtlinge

Vor drei Wochen veröffentlichte der österreichische Privatsender ATV auf seiner Facebook-Seite einen Spendenaufruf. Er bat darum, Dinge wie Hygieneartikel, Handtücher und Windeln bei der Caritas in Wien abzugeben, damit Flüchtlinge damit versorgt werden können.

Wir sammeln fleißig für Flüchtlinge. Hilf‘ auch du mit und bring Dinge, die du nicht mehr benötigst, andere aber…

Posted by ATV on Dienstag, 14. Juli 2015

 
Als Reaktion gab es viele wütende Proteste und Kommentare wie diese:

Wäre besser ihr sammelt/ spendet zuerst für Österreicher die Hilfe brauchen!

Einen feuchten furtz könnt ihr haben meinetwegen!!!! Wir müssen schauen wie wir allein zurecht kommen weil uns keiner hilft und denen alles in Arsch stecken? Ihr spinnt doch alle!

Ich spenden für die Österreicher aber nicht für die Asylanten!

Es ist nicht meine Aufgabe etwas für das Bildungssystem, Öffis, Obdachtlose etc zu tun. Dafür bezahle ich die Regierungsverbrecher. Es ist auch nicht die Aufgabe von ATV für Flüchtlinge zu sammeln, denn die Aufgabe von ATV ist es OBJEKTIV Bericht zu erstatten, doch das wird leider schon lange nicht mehr wahr genommen.

Wenns a Seife ham brauchen sie kein Duschgel ,können sich mit der Seife waschen oder was für ein Theater da gemacht wird ,lächerlich!

Schenkt Ihnen doch Autos auch noch und gebt jeden noch 10000euro als start kapital wir Österreicher zahlen das gerne

Der Sender selbst äußerte sich dann „erschrocken“ darüber, „welche Reaktionen ein paar Windeln, Zahnbürsten und Duschgel auslösen können“. Andere Medien machen in diesen Tagen ähnliche erschreckende Erfahrungen, wie ihre Beiträge über Flüchtlinge wütende fremdenfeindliche Kommentatoren anziehen.

Nun ist so ein fremdenfeindlicher Mob aber letztlich ja auch nur eine große Zahl von potentiellen Lesern. Mit der richtigen Ansprache kann man deren Zorn in etwas Produktives verwandeln: Klicks.

Und wenn es darum geht, aus Scheiße Klicks zu machen, macht „Focus Online“ so schnell keiner was vor.

Im konkreten Fall nahm das gestern folgende Form an:

Der verlinkte Artikel selbst ist einfach ein Hintergrundstück der Nachrichtenagentur dpa, eine sachliche Darstellung der Ansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Aber mit der entsprechenden Anmoderation auf Facebook — „Unglaublich: DAS bekommt jeder Flüchtling monatlich!“ — erhält so ein Stück natürlich einen ganz anderen Schwung. Geteilt wurde es unter anderem mit Sätzen wie:

KEINE BARGELDLEISTUNG, NUR SACHLEISTUNGEN !!! WOZU BRAUCHEN DIE BARGELD? TABAK, NUTEN UND ALKOHOL GEHÖREN NICHT ZUM LEBENSUNTERHALT !!!

Und die beliebtesten Kommentare lesen sich zum Beispiel so:

Wieso Bargeld. Eintopf und gebrauchte Sachen. Fertig. Die eigenen leute bekommen noch nicht mal das.

Bargeld ist vollkommen überflüssig…ne Dose Eierravioli und gebrauchte Sachen reichen vollkommen aus..
Asylanten haben es besser in Deutschland als manch deutsche..echt traurig

Wusste gar nicht, dass iPhone und die neuesten Markenklamotten als Existenzminimum gelten. So laufen nämlich die Gelderschleicher hier bei uns rum.

Ob die „Focus Online“-Redaktion auch „erschrocken“ ist über die Reaktionen, ist nicht bekannt. In der Diskussion meldet sie sich nicht zu Wort; antwortet auch nicht auf die – immerhin auch von vielen mit „gefällt mir“ markierte – Frage der „taz“-Journalistin Helke Ellersiek:

Ist das jetzt „unglaublich“ weil es unglaublich wenig ist oder weil man so mehr Klicks (von Rechtspopulisten) bekommt?

Sie nennt es „rassistisches Clickbaiting“.

Nachdem gestern Nacht Kritik an dem Eintrag laut wurde, wurde heute die Anmoderation immerhin stillschweigend geändert:

Vermutlich waren da aber eh kaum mehr Klicks zu holen.

Folge 3911 der Serie „Der irre Varoufakis“ ist eine Wiederholung

Es muss, um es mit dem Online-Liveticker des Nachrichtensenders n-tv zu sagen, ein wirklich denkwürdiges Treffen der Euro-Finanzminister gewesen sein am Donnerstag:

Zumindest, wenn man einem Bericht der

Die Kollegen vom Online-Liveticker des „Focus“ finden es fast schon nicht mehr denkwürdig in seiner Denkwürdigkeit:

Der Auftritt von Janis Varoufakis beim Treffen der Finanzminister scheint einem Bericht der

Und so steht es auch in der „Welt“, auf die sich „Focus Online“ und n-tv.de beziehen. Jedenfalls im Vorspann und auf der Startseite:

Athens Reformliste ist eine Sammlung von Stichworten. Mit einem Kamerateam im Schlepptau und einer 30-minütigen Rede erschien Janis Varoufakis beim Finanzministertreffen. Doch seine Vorschläge reichen den Euro-Kollegen nicht. Sie setzen ihm eine Frist.

Im Artikel selbst zeigt dann aber eine interessante Sollbruchstelle:

Der griechische Finanzminister Janis Varoufakis schätzt es, Licht in die Treffen der Amtskollegen zu bringen, die doch eigentlich hinter verschlossenen Türen stattfinden. Zu seinem ersten Treffen mit den Finanzministern der Euro-Gruppe erschien er Schilderungen zufolge mit einem Kamerateam im Schlepptau, was ihm eine Rüge von Euro-Gruppe-Chef Jeroen Dijsselbloem einbrachte. Und wie man hört, neigt er zu langen Reden in dem Gremium.

So auch am Donnerstag. …

Da steht genau genommen gar nicht, dass Varoufakis jetzt ein Kamerateam mitbrachte, sondern dass er das bei „seinem ersten Treffen mit den Finanzministern“ tat. Der „Welt“-Korrespondent hat das nur nochmal erzählt, um zu illustrieren, was für ein bizarrer Typ dieser Varoufakis ist (neigt zu langen Reden!), der Dinge gern für die Öffentlichkeit dokumentiert, wie er das auch diese Woche tat, indem er seinen Redetext „auf seinem Internetblog“ veröffentlichte.

Tatsächlich ist die Geschichte mit dem Kamerateam alt. Am 17. Februar, vor über vier Monaten also, berichtete dpa:

Der forsche Stil der neuen griechischen Regierung sorgte beim Eurogruppen-Treffen für reichlich Irritationen. Als Varoufakis erst eine halbe Stunde nach Verhandlungsbeginn den Raum betrat, sprach gerade der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi. Varoufakis platzte nach Angaben aus Verhandlungskreisen mit einem Kameramann im Schlepptau ins Zimmer – der dann zügig herauskomplimentiert wurde.

Oder in der Schilderung der „Stuttgarter Zeitung“ von damals:

Zu Sitzungsbeginn um 15 Uhr, berichten Diplomaten übereinstimmend, fehlte die Hauptperson. Als der griechische Kollege Giannis Varoufakis auch nach einer halben Stunde noch nicht erschienen war, weil er die Ergebnisse seiner Vorgespräche mit Premier Alexis Tsipras besprach, fing die Runde ohne ihn an. Athens Vertreter betrat erst um 15.58 Uhr den Saal, entgegen den Gepflogenheiten verfolgt von einem Kameramann. Sitzungspräsident Jeroen Dijsselbloem musste den gerade redenden Zentralbankchef Mario Draghi unterbrechen und Varoufakis darum bitten, den Fernsehmenschen abzuschütteln. „Das kam gar nicht gut an“, berichtet einer, der die Sitzung verfolgen konnte. Dann habe Varoufakis „wieder nur lange geredet, statt endlich etwas Konkretes auf den Tisch zu legen“.

Der „Welt“-Korrespondent hat gestern einfach die alte Geschichte noch einmal erzählt, und in der Redaktion haben sie nicht gemerkt, dass das eine alte Geschichte ist und sie als neue Geschichte verkauft, und in den Newsticker-Abteilungen von n-tv.de und „Focus Online“, wo man vermutlich ohnehin nicht viel merkt, wurde das gleich ein aufregender neuer Punkt.

Und bei „Focus Online“ haben sie bei der Gelegenheit noch Varoufakis‘ Äußerung, das einzige Gegenmittel gegen „Propaganda und bösartige Informationslecks“ sei Transparenz, die sich auf die Veröffentlichung des Redetextes in seinem Blog bezog, in den falschen Kontext mit dem Kamerateam gestellt.

Nur ein weiteres, winziges falsches Detail in der besinnungslosen Berichterstattung über die Griechenland-Krise. Falls es Ihnen also so vorkommt, als würde seit Monaten immer wieder dasselbe vermeldet, kann es auch daran liegen, dass es tatsächlich so ist.

Sie haben bisher immer das falsche Online-Angebot gelesen!

Es gibt Menschen, die alles, aber auch wirklich alles in ihrem Leben falsch machen. Das sind die Leser von „Focus Online“.

Profitieren Sie von der geballten Wissenskompetenz von „Focus Online“!

Vergangene Woche habe ich etwas Verrücktes gemacht: Ich habe Artikel von „Focus Online“ gekauft. Richtig für Geld.

Das Angebot klang aber auch zu verlockend:

Möchten Sie Sie [sic!] sich von all Ihren Rechtschreibfehlern verabschieden? In diesem Wissensdossier zeigt Ihnen FOCUS Online die Fallschlingen der neuen deutschen Rechtschreibung und hilft Ihren [sic!], mit einer ausgezeichneten Rechtschreibung zu glänzen. Denn mit der deutschen Sprache, die über fünf Millionen Wörter verfügt, ist es nicht immer einfach. Deutsch birgt viele Tücken in sich. Vor allem bereitet sie Erwachsenen viele Schwierigkeiten. (…) Ein weiteres Problem auf dem Gebiet der neuen Rechtschreibung ist das „scharfe ß“ [sic!] sowie der Bindestrich, ein für viele [sic!] fremd vorkommendes Element. Anhand der Regel [sic!], die wir zusammengestellt haben, können Unsichere ihre Rechtschreibung überprüfen und texten wie aus dem Duden.

Wer wollte angesichts dieses Ankündigungstextes nicht der Aufforderung folgen:

Profitieren Sie von unserer geballten Wissenskompetenz, bleiben Sie gut informiert!

Das „exklusiv zusammengestellte“ PDF-Dossier mit den „wichtigsten Infos zum richtigen und guten Deutsch auf 38 Seiten“ kostet nur 7,49 Euro. Und es besteht nicht zu 75 oder 81 Prozent aus Qualität, nein: Es ist reine Qualität. Das garantiert „Focus Online“.

Tatsächlich stammen die Texte in dem Heft von namhaften Autoren. Also, von der einen:

Und dem anderen:

Um dem hier, na, dem Dings:

Anscheinend ist die deutsche Sprache keine einfache Sprache, und offenbar gibt es sogar eine Redensart, die genau das besagt und im PDF deshalb auf den Seiten 2, 5, 18 und 28 zitiert wird. „Richtige Zeichensetzung ist nach wie vor vielen ein Rätsel“, heißt es an anderer Stelle – unter anderem, möchte man hinzufügen, der Redaktion dieser „Focus Online“-Broschüre, wie sie an mehreren Stellen belegt:

Im Wesentlichen besteht das PDF neben einem Diktat aus Quizfragen, die aus verschiedenen Duden-Heften stammen und hier, nach der Verwendung als kostenlose „Focus Online“- Artikel, noch einmal drittverwertet werden, allerdings in der überaus unpraktischen Form von Tabellen …

… und mit eingebauten Fehlern:

Was kann man von einem Ratgeber „deutsche Sprache“ verlangen? Vielleicht mindestens dies: dass in ihm das Wort „Rechtschreibung“ richtig geschrieben ist.

Wenigstens in den Überschriften.

Jetzt frage ich mich, ob ich vielleicht mein Geld zurückverlangen kann. Andererseits lautet das „Qualitätsversprechen“ bei genauerem Hinsehen, dass es sich um das „garantiert Beste von FOCUS Online“ handelt und um „vertraute Qualität“ dieser Redaktion. Da könnte es mit einer Reklamation schwierig werden.

Griechenland will den Euro verlassen oder nicht oder ist auch egal.

Ich fürchte, dass selbst Sisyphos den Auftrag ablehnen würde, all die Fehler, Irrtümer, Boshaftigkeiten, Unterstellungen, Voreingenommenheiten, Verdrehungen und Ressentiments in der Berichterstattung deutscher Medien über die neue griechische Regierung richtigzustellen, aus Sorge, die Aufgabe könnte ihn zu einem unglücklichen Menschen machen. Und natürlich wäre es komplett absurd, damit ausgerechnet bei einem Medium von der Seriosität von „Focus Online“ anzufangen.

Aber aus irgendeinem Grund bin ich über ein Video dort gestolpert und fand es auf noch mal besondere Art ekelhaft. Die „Focus Online“-Redakteurin Antonia Schäfer belehrt darin in einem Tonfall großer Herablassung den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tispras, dass er ein Idiot ist. Die Pläne der neuen Regierung seien

in etwa so, als würde ich zu meinem Bankberater gehen und sagen: Sie sind ein mieses Arschloch, ich behalte ihr Geld aber trotzdem und will noch mehr haben.

Sie erklärt, was ein „Dirty Grexit“ sei, ein „schmutziger Austritt Griechenlands“ aus dem Euro, und sagt:

Das bezieht sich darauf, dass der griechische Finanzminister angekündigt hat, die Eurozone verlassen zu wollen und nicht mehr mit der Troika zu kooperieren. Sollte Griechenland aber wirklich aus dem Euro austreten wollen, schadet das Griechenland. Und nicht dem Rest Europas.

Dem ließe sich nun einiges entgegnen. Ich möchte es bei dem Offensichtlichsten belassen: Der griechische Finanzminister hat nicht angekündigt, die Eurozone zu verlassen. Er wird, im Gegenteil, nicht müde, zu betonen, dass er die Eurozone nicht verlassen will.

Ich habe Daniel Steil, den Chefredakteur von „Focus Online“ gefragt, wie Frau Schäfer darauf kommt. Er antwortete mir, „Focus Online“ sei hier ein „Fehler unterlaufen“:

Die Aussagen des Finanzminsters wurden am Wochenende zwar dahingehend interpretiert, im O-Ton hat er das aber nicht gesagt. Wir ändern das ab.

Und tatsächlich: „Focus Online“ hat den ersten Satz unauffällig aus dem Video herausgeschnitten. Nun sagt Frau Schäfer folgendes:

Das bezieht sich darauf, dass der griechische Finanzminister angekündigt hat, die Eurozone verlassen zu wollen und nicht mehr mit der Troika zu kooperieren. Sollte Griechenland aber wirklich aus dem Euro austreten wollen, schadet das Griechenland. Und nicht dem Rest Europas. Direkt nach dem Vorstoß seines Finanzministers wendete Tsipras sich an die Führer der EU.

Nun ist also von einem „Vorstoß seines Finanzministers“ die Rede, von dem nicht mehr die Rede ist. „Focus Online“ hat aus einem grotesk falschen ein komplett unverständliches Video gemacht. Mehr kann man von diesem Angebot aus dem Hause Burda nicht verlangen.

Und die Frau, die einen Austritt aus dem Euro nicht von keinem Austritt aus dem Euro unterscheiden kann, erklärt dem Publikum weiter kindgerecht, was da gerade (nicht) passiert.

(Kann es eigentlich sein, dass Burda seine rein werbefinanzierten Online-Angebote „Focus Online“ und „Huffington Post“ in Wahrheit heimlich im Auftrag von Springer betreibt, um täglich anschaulich für Paid Content zu werben?)

Wie „Bild“ versucht, „Focus Online“ in die Bezahlschranken zu weisen

Eine tolle Sache, dieser Streit zwischen „Bild“ und „Focus Online“. Seit Wochen schon kann man auf Twitter eine größere Zahl von Wut-Rülpsern von „Bild“-Leuten vernehmen. Sie ärgern sich schwarz, dass „Focus Online“ mit großer Konsequenz ihre exklusiven und für die Leser kostenpflichtigen „Bild plus“-Geschichten übernimmt und gratis anbietet.

Gestern hat sich Bild.de-Chef Julian Reichelt dann in den Branchendienst turi2 übergeben. Er bezichtigt den „Focus Online“-Chef Daniel Steil des Diebstahls und der Hehlerei. Steil hat früher in leitender Position bei „Bild“ gearbeitet, weshalb Reichelt ihm nachtrauert: „Er ist auf die dunkle Seite gewechselt.“ (Reichelt meint vermutlich: auf die andere dunkle Seite.)

Die „Bild“-Zeitung ist übrigens das Blatt, das vor drei Jahren 60.000 Euro Schadensersatz an die Zeitschrift „Lettre International“ zahlen musste, weil es ohne Genehmigung lange Passagen aus einem Interview mit Thilo Sarrazin abgedruckt hatte, aber das nur am Rande.

Um die Aufregung der „Bild“-Leute zu verstehen, muss man sich ansehen, wie hemmungslos „Focus Online“ die fremden Inhalte ausschlachtet. Nehmen wir den gestern veröffentlichten „Focus Online“-Artikel „TV-Moderatorin streitet versuchten Mord ab“. Er beruht auf zwei „Bild plus“-Artikeln („Staatsanwalt ermittelt gegen ‚Big Brother‘-Star“, „Jetzt spricht das Unfall-Opfer“). Ich habe dem kompletten „Focus Online“-Artikel mal die entsprechenden Original-Passagen gegenüber gestellt:

„Focus Online“

„Bild“

Der Unfall liegt schon eine Weile zurück, doch für einen Lastwagenfahrer hatte er schreckliche Folgen: Der 47-Jährige erlitt lebensgefährliche Verletzungen an der Halswirbelsäule und den Beinen. Zudem wurde er von den bleibenden Schäden berufsunfähig. Was ist passiert? Wie konnte das geschehen? Die Polizei ermittelte und glaubt nun die Täterin gefunden zu haben. Nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung, soll es sich um eine TV-Moderatorin handeln. Demnach soll die 32-Jährige nicht nur die Verursacherin des tragischen Autounfalls zu sein, sondern auch Fahrerflucht und einen Vertuschungsversuch begangen haben.

Der Unfall ist fast ein Jahr her.

Der Lkw-Fahrer kam mit lebensgefährlichen Verletzungen an der Halswirbelsäule und an den Beinen ins Krankenhaus.

Jetzt will die Polizei die kaltblütige Unfall-Fahrerin ermittelt haben!
Nach BILD-Informationen soll es sich um die TV-Moderatorin und „Big Brother“-Star […] handeln.

Der Unfall ereignete sich am 26. Juli 2013. An diesem Morgen war ein Lkw-Fahrer kurz vor sechs Uhr früh dabei, seinen Lastwagen an einer Straße im Berliner Stadtteil Altglienicke zu überprüfen. Damals sei der 47-Jährige von einem unbekannten Fahrzeug erfasst worden, berichtet ein Polizeisprecher „Bild“ gegenüber. Der Autofahrer flüchtete jedoch und ließ den schwerverletzen Mann auf der Fahrbahn liegen.

Es war in den Morgenstunden des 26. Juli 2013. Der Lkw-Fahrer (47) war kurz vor 6 Uhr dabei, seinen Lastwagen an der Straße Am Falkenberg im Berliner Stadtteil Altglienicke fahrbereit zu machen.

Ein Polizeisprecher: „Der 47-Jährige wurde von einem damals unbekannten Fahrzeug erfasst. Der Autofahrer flüchtete und ließ den schwerverletzen Mann auf der Fahrbahn liegen.“

„Als ich aufgewacht bin, konnte ich mich nicht mal mehr an meinen Namen erinnern“, erzählte der Mann jetzt der „Bild“-Zeitung. Er müsse immer noch fünf Mal in der Woche zur Reha und Schmerzmittel nehmen. „Ich kann heute mit meinen Wunden leben. Aber kann das der Täter mit seinem schlechten Gewissen?“

Der LKW-Fahrer zu BILD: „Als ich aufgewacht bin, konnte ich mich nicht mal mehr an meinen Namen erinnern.“ Sein rechtes Bein war 18-mal gebrochen. Bis heute muss er fünfmal wöchentlich zur Reha, dreimal täglich Schmerzmittel nehmen. Die nächste OP steht im Herbst an. Er sagt: „Ich kann heute mit meinen Wunden leben. Aber kann das der Täter mit seinem schlechten Gewissen?“

Ähnlich äußert sich ein Polizeisprecher. „Die Behandlungen dauern bis heute an. Zudem ist von bleibenden Schäden und Berufsunfähigkeit infolge des Tatgeschehens auszugehen“, sagte er dem Blatt. „Der Fahrer hatte das Opfer mit lebensgefährlichen Verletzungen seinem Schicksal überlassen.“ Der Unfallort sei eine wenig befahrene Straße. Deshalb werde wegen versuchten Mordes ermittelt.

„Die Behandlungen dauern bis heute an. Zudem ist von bleibenden Schäden und Berufsunfähigkeit infolge des Tatgeschehens auszugehen“, sagt der Polizeisprecher.

Der Unfallort ist eine wenig befahrene Straße. „Der Fahrer hatte das Opfer mit lebensgefährlichen Verletzungen seinem Schicksal überlassen“, sagt der Polizeisprecher.

Deshalb wird wegen versuchten Mordes ermittelt.

Den Informationen von „Bild“ zufolge sei es Kriminaltechnikern erst mehrere Monate nach dem dramatischen Unfall geglückt, das Fahrzeugmodell zu bestimmen. Laut einem Beamten sei ein Fahrzeug in den Fokus der Ermittlungen geraten, das zwei Tage nach der Tat in Sachsen als gestohlen gemeldet worden war. „Der Wagen wurde wenig später in Polen mit Unfallspuren sichergestellt und steht im Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchungen als unfallverursachendes Fahrzeug zweifelsfrei fest“, erklärte ein Polizeisprecher.

Monate nach dem Horror-Crash gelang es den Kriminaltechnikern, das Fahrzeugmodell zu bestimmen.

Der Beamte: „Es geriet ein Fahrzeug in den Fokus der Ermittlungen, was zwei Tage nach der Tat in Sachsen als gestohlen gemeldet worden war.“

„Der Wagen wurde wenig später in Polen mit Unfallspuren sichergestellt und steht im Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchungen als unfallverursachendes Fahrzeug zweifelsfrei fest“, sagt der Polizeisprecher.

Der Mercedes konnte schließlich einer deutschen Fersehmoderatorin zugeordnet werden. Mittlerweile geht die Staatsanwaltschaft nach Informationen der „Bild“-Zeitung davon aus, dass der angezeigte Diebstahl als „ein Versuch des Vertuschens der Unfallbeteiligung“ zu werten ist. Deshalb werde gegen […] nun wegen versuchten Mordes ermittelt. Auch ihr 41 Jahre alter Verlobter geriet angeblich ins Visier der Polizisten. Er soll dem Ex-„Big-Brother“-Star geholfen haben, das Unfallauto nach der Tat aus dem Land nach Polen zu schmuggeln. Gegen ihn werde wegen Betruges zum Nachteil einer Versicherung und Vortäuschen einer Straftat ermittelt.

Es ist der Mercedes der TV-Moderatorin […]!

Die Staatsanwaltschaft geht mittlerweile davon aus, dass der angezeigte Diebstahl als „ein Versuch des Vertuschens der Unfallbeteiligung“ zu werten ist.

Deshalb wird gegen […] jetzt wegen versuchten Mordes – und gegen ihren Verlobten (41) wegen Betruges zum Nachteil einer Versicherung und Vortäuschen einer Straftat ermittelt.

Ihr Verlobter soll […] geholfen haben, dass Unfallauto nach der Tat nach Polen zu bringen.

Die TV-Moderatorin dementiert den Verdacht. Sie äußerte sich gegenüber „Bild“: „Wir waren das nicht. Wir haben damit nichts zu tun. Ich habe zu diesem Zeitpunkt gearbeitet.“ Ein Ermittler aber glaubt die Wahrheit zu kennen: „In den Vernehmungen zeigt sie sich eiskalt und ohne Anflug von Reue“, zitiert ihn „Bild“.

Die TV-Moderatorin am Dienstag zu BILD: „Wir waren das nicht. Wir haben damit nichts zu tun. Ich habe zu diesem Zeitpunkt gearbeitet.“

Ein Ermittler zu BILD: „In den Vernehmungen zeigt sie sich eiskalt und ohne Anflug von Reue.“

Das entspricht einer quasi-vollständigen Übernahme der Informationen aus den beiden „Bild“-Artikeln. Jedes Zitat eines der Beteiligten wurde verwertet. Wer auf einen der Links zu „Bild“ klickte, erführe dort nichts Wesentliches, was nicht schon bei „Focus Online“ steht.

(Lustigerweise haben die „Focus Online“-Leute beim Kopieren an einer Stelle sogar den Namen der Beschuldigten übernommen, den sie sonst aus ihrem Text getilgt hatten. Man unterschätzt sie leicht, die Tücken des Copy & Paste.)

„Focus Online“ kopiert alles. Nicht nur aus „Bild“-Artikeln, aber natürlich ist „Bild“ eine besondere Fundgrube für ein solches konsequent auf Reichweitenmaximierung angelegtes Online-Angebot.

Wenn Uli Hoeneß vor seinem Haftantritt noch einmal kurz einen „Bild“-Mann zurückruft und ihm ein paar Sätze sagt, steht all das hinterher nicht nur (kostenpflichtig) auf „Bild plus“, sondern auch (frei) auf „Focus Online“, mit ausführlichsten Original-Zitaten, gekürzt nur um das unwesentlichste Drumherum und ein paar eitle Belanglosigkeiten. Wenn ein angeblicher „WhatsApp“-„Insider“ mit „Bild“ über die Probleme und Pläne bei dem Nachrichtendienst spricht, pickt sich „Focus Online“ daraus nicht die vermeintliche Nachricht oder ein, zwei knackige Zitate, sondern erzählt den kompletten Artikeln, fast ohne Auslassung, nach.

Das wird nicht besser dadurch, dass „Focus Online“ immer und immer wieder die Quelle nennt und geradezu übertrieben oft darauf verlinkt — es gibt ja tatsächlich keinen Grund, auf den Link zu klicken.

Das alles ist, ohne Frage, extrem dreist.

Es scheint aber, erstaunlicherweise, nicht rechtswidrig zu sein. Zumindest räumt Julian Reichelt das ein, was ihn nicht daran hindert, „Focus Online“ zu bezichtigen, Straftaten zu begehen. In der Logik eines „Bild“-Menschen geht das problemlos: Jemanden, der etwas tut, was nicht strafbar ist, einer Straftat bezichtigen und auf Nachfrage auch darauf beharren.

Dass das umfangreiche, fast vollständige Kopieren von Inhalten, wie es „Focus Online“ betreibt, laut „Bild“ rechtlich nicht angreifbar ist, ist aber auch deshalb erstaunlich, weil man jahrelang so getan hatte, als ob es gegen genau das doch ein Mittel gebe: Ein Leistungsschutzrecht.

Nun ist dieses Leistungsschutzrecht da — und es hilft doch nicht gegen „Diebe“ und „Hehler“? Sollte es etwa so sein, dass es bei dem Leistungsschutzrecht gar nicht um den Schutz vor solchen Leuten ging, die sich systematisch an eigenen, womöglich teuer erstellten Inhalten bedienen und darauf ein eigenes Geschäftsmodell aufbauen? Sondern dass das nur ein Vorwand war, um ein Gesetz zu bekommen, mit dem sich (womöglich, bestenfalls, wie auch immer) ein Teil der Einnahmen von Google abzwacken lässt?

Okay, das ist gar keine überraschende Erkenntnis. Aber schön, dass das gerade in dieser Anschaulichkeit der Öffentlichkeit vorgeführt wird. Und das auch noch am Beispiel von „Focus Online“, einem Unternehmen aus dem Hause Hubert Burda, dem Präsidenten des Verbandes deutscher Zeitschriftenverleger, der an vorderster Front für das Leistungsschutzrecht gekämpft hat und dabei Sätze formulierte, die vor dem Hintergrund des „Focus Online“-Geschäftsmodells nachträglich ganz besonders schön schimmern:

[…] wer die Leistung anderer kommerziell nutzt, muss dafür bezahlen. Dieses ökonomische Grundprinzip muss auch im digitalen Zeitalter mit seiner „Link-Ökonomie“ gelten. Sonst sehen wir der schleichenden Enteignung der Inhalte-Produzenten tatenlos zu.

Der Zorn der „Bild“-Leute über die Ausbeutung ihrer Inhalte ist nachvollziehbar. Sie sind besonders wütend, weil sie so machtlos sind und weil der Gegner einer der ihren ist (die Möglichkeit, dass Verlage die Ausbeuter sind und nicht die Ausgebeuteten, war in der ganzen Leistungsschutzrecht-Debatte irgendwie gar nicht vorgesehen). Und besonders auf die Palme muss sie treiben, dass der Gegner so gut ist.

Im Interview mit turi2 beklagt Bild.de-Chef Reichelt ausdrücklich, dass „Focus Online“ die ausgeschlachteten „Bild“-Inhalte „durch die berüchtigte Focus.de-Google-Optimierung laufen“ lässt. „Berüchtigt“ ist diese Optimierung aus Bild.de-Sicht natürlich nur, weil sie so gut funktioniert. Als ob Bild.de nicht selbst gerne seine Inhalte, zumindest die freien, so optimiert hätte wie „Focus Online“. Reichelt und seine Kollegen nehmen dem „Focus“ nicht nur übel, dass er ihnen etwas wegnimmt, sondern dass er auch noch das meiste daraus macht.

Im Gegensatz dazu hat „Bild“ mit seiner selbstgewählten Paid-Content-Strategie dafür gesorgt, dass seine Inhalte für den flüchtigen Suchmaschinenbenutzer unsichtbar sind. Reichelt sagt im Turi2-Interview: „Paid-Inhalte werden von Google nicht angezeigt.“ Tatsächlich stimmt das — auf „Bild plus“-Inhalte bezogen. Paid-Inhalte zum Beispiel vom „Hamburger Abendblatt“ werden durchaus von Google angezeigt, und zwar sowohl in der Web- als auch in der News-Suche. Letzteres liegt daran, dass das „Abendblatt“ der „Erster Klick gratis“-Vorgabe folgt und Besuchern, die auf diesem Weg kommen, einen Blick hinter die Bezahlschranke gestattet. Aber selbst die britische „Times“, die das nicht tut, wird mit ihren Paid-Inhalten bei Google und Google News gelistet.

Vielleicht kann Herr Reichelt mal erklären, warum „Bild“ das mit seinen „Plus“-Inhalten nicht gelingt — und so zur Profitmaximierung der angeblichen „Hehler“ noch beiträgt.

Vermutlich sind sie bei „Bild“ aber ohnehin noch mit dem Auswechseln all der Sicherungen beschäftigt, die ihnen in den vergangenen Wochen im Streit mit „Focus Online“ durchgebrannt sind. Neulich haben sie sich sogar ganz besonders darüber aufgeregt, dass der, äh, Mitbewerber es wagte, eine „Bild“-Exklusiv-Nachricht nicht nur selbst zu melden, sondern sogar als „Eilmeldung“ an seine App-Nutzer zu verschicken. Anscheinend gilt: Über Dinge, die „Bild“ rauskriegt, darf nur „Bild“ seine Leser mit der gebotenen übertriebenen Dringlichkeit informieren.

Wie „Focus Online“ die Kritik der Schumacher-Managerin fälscht

Da waren die Menschen, die im Schutze der Anonymität bei „Focus Online“ seit Wochen den Michael-Schumacher-Live-Ticker befüllen, vielleicht doch für einen Moment ins Schwitzen gekommen. Denn natürlich live-tickerten sie auch die Sendung „Günther Jauch“, in der es um Michael Schumacher und vor allem den Umgang der Medien mit seinem Unfall ging.

Und dann, es war 22:04 Uhr, nannte Sabine Kehm als Negativ-Beispiel für die Berichterstattung vermeintlich seriöser Medien ausgerechnet: „Focus Online“.

Kehm: Es gibt in der Tat auch die sogenannten seriösen Medien, wo man vielleicht sagen muss… Gerade deren Online-Ableger, die leben dann von dem Ruf, den das Mutterblatt hat.

Jauch: Können Sie mal ein Beispiel nennen?

Kehm: In unserem konkreten Fall kann ich natürlich konkret das Beispiel „Focus Online“ nennen. Die haben, seit der Unfall passiert ist, einen sogenannten… anfangs nannte es sich Live-Ticker, jetzt nennt es sich, glaube ich, mittlerweile News-Ticker. Der jeden Tag, ähm, ja, „Fakten“ in Anführungsstrichen liefert. Die „Fakten“ sehen dann teilweise so aus, dass es an manchen Tagen einfach nichts zu berichten gibt. Und dann wird irgendwas ausgegraben, was teilweise, muss ich leider sagen, sehr hanebüchen ist. Was dann aber auch immer wieder die anderen Medien, die Print-Medien… Und was sehr oft mich dann dazu bringt, dass ich jeden Tag mit Sachen konfrontiert werde, die da ein bisschen ausgegraben wurden, aus tiefen Tiefen.

Es wurde 22:05 Uhr, 22:08 Uhr, 22:10 Uhr, aber im „Focus Online“-Live-Ticker, in dem sonst minutiös das Nichts protokolliert wird, tauchte dieser Teil der Diskussion nicht auf.

Erst mit dem Zeitstempel 22:16 Uhr erschien dann die folgende Burda-Version der Wirklichkeit:

22.16 Uhr: Sabine Kehm kritisiert die Rolle der Medien in diesem Fall, den ständigen Durst nach Berichterstattung. „FOCUS Online hat beispielsweise einen News-Ticker, der jeden Tag mit Informationen gefüllt wird.“ Da gebe es auch Tage mit weniger Informationsgehalt. Und durch den dauernden Run auf Neuigkeiten, die dann wieder von anderen Medien übernommen würden, entstünden auch Gerüchte, die eher hanebüchener Natur sind.

Man muss das würdigen: In nur zwölf Minuten hatten es die „Focus Online“-Leute geschafft, eine Version aufzuschreiben, die nicht ganz falsch ist und sogar einen Hauch von Kritik an „Focus Online“ enthält, und doch den Kern des Vorwurfs dramatisch reduziert und weiterschiebt. Das Hanebüchene entsteht nun zum Beispiel in irgendeinem gemeinsamen „Run“ in Zusammenarbeit mit anderen Medien, nicht schon in den Live-Ticker-Stuben von „Focus Online“.

Ich habe Daniel Steil, den Chefredakteur von „Focus Online“, angesichts der Verspätung auf Twitter gefragt:

Klingt plausibel, ist aber gelogen. Denn in der Zeit, in der der Live-Ticker nicht über die Kritik von Kehm an „Focus Online“ berichtete, berichtete er schon über andere Dinge, die erst später passiert sind. Bei den Einträgen um 22:09 Uhr, 22:12 Uhr und 22:13 Uhr ist der Zeitstempel im Ticker korrekt. Die Kritik von Kehm hat „Focus Online“ hingegen vordatiert. Mit den normalen Verzögerungen („schreiben, Seite brennen, veröffentlichen“) hat das nichts zu tun.

Vermutlich brauchte man einfach eine Zeit, bis man sich entschieden hatte, die Sache nicht komplett unter den Tisch fallen zu lassen, sondern nur halb.

Nachtrag, 14. April, 2:00 Uhr. Mit Zeitstempel 01:34 Uhr hat „Focus Online“ die Kritik von Kehm im Wortlaut im Ticker nachgereicht.