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Lügen fürs Leistungsschutzrecht (3)

Unter dem Namen „Verteidige dein Netz“ hat Google vor einigen Wochen eine große Kampagne gegen das geplante Leistungsschutzrecht für Zeitungs- und Zeitschriften-Verlage begonnen. Vor einigen Tagen veröffentlichte der Verband der Zeitschriftenverleger unter dem Titel „Verteidige deine Presse“ eine Antwort. Punkt für Punkt werden darin die Behauptungen von Google „dekonstruiert“.

Zum Beispiel die Aussage: „Das geplante Leistungsschutzrecht wird auch innerhalb der schwarz-gelben Koalition in Berlin kritisch gesehen.“ Das ist zwar zweifellos wahr. Aber der VDZ erwidert:

Letztendlich übersteigt die Zahl der Befürworter die Zahl der Kritiker. Sowieso wäre ohne Kritik eine politische Debatte nicht möglich. Dank der Pro- und Contra- Meinungen im politischen Feld wurde letztendlich ein Konsens erzielt, der sich im befürwortenden Votum des Bundestags für das Leistungsschutzrecht ausspricht. Wer, wenn nicht die Abgeordneten, ist repräsentativer dafür?

Moment: Es gibt ein „befürwortendes Votum des Bundestages“ für das geplante Leistungsschutzrecht?

Der VDZ scheint davon überzeugt, denn er wiederholt das später noch einmal in anderer, aber ähnlich pathetischer Form, nämlich um der Google-Aussage zu widersprechen, dass das Leistungsschutzrecht „von weiten Teilen der deutschen Gesellschaft abgelehnt“ werde:

Wenn Google die angeführten Beispiele für repräsentativer hält, als der vom deutschen Volk gewählte Bundestag, der sich für das Leistungsschutzrecht in einem Votum ausgesprochen hat, dann weist der Suchmonopolist hier eine gehörige Verzerrung bezüglich seines Gesellschaftsbild aus.

Die Verleger suggerieren, dass Google undemokratisch handelt, weil der Konzern einen Beschluss des deutschen Parlaments ignoriere, nur: Welchen Parlamentsbeschluss? Wann hat der vom deutschen Volk gewählte Bundestag sich in einem Votum für das Leistungsschutzrecht ausgesprochen?

Auf meine entsprechende Frage antwortet mir der Sprecher des VDZ:

Der Bundestag hat sich in der ersten Lesung mit dem Gesetzentwurf beschäftigt und dann in die Ausschüsse überwiesen. Bei der Debatte in der ersten Lesung überwogen positive Bewertungen.

Mit anderen Worten: Es gibt kein Votum. Der Deutsche Bundestag hat über das geplante Leistungsschutzrecht noch nicht abgestimmt. Er hat es nur, wie vorgesehen in unserem Gesetzgebungsverfahren, in die Ausschüsse überwiesen. Dabei hat keine Abstimmung stattgefunden, schon gar nicht in der Sache.

Und selbst wenn die überwiegende Zahl von Bewertungen in der Aussprache zur ersten Lesung schon gleichbedeutend wäre mit einem „Votum“ (was sie nicht ist), hätte der VDZ unrecht. Für das Leistungsschutzrecht sprachen sich drei Redner aus (Max Stadler, Ansgar Heveling, Thomas Silberhorn), dagegen bzw. für Alternativen fünf (Martin Dörmann, Petra Sitte, Tabea Rößner, Lars Klingbeil, Jimmy Schulz).

Und wir merken uns: Die deutschen Zeitschriftenverleger erfinden im Kampf für ihr eigenes Gesetz ein parlamentarisches Votum, das es nicht gibt, um die angeblichen Unwahrheiten und die Demokratiefeindlichkeit von Google anzuprangern.

Nachtrag, 17:50 Uhr. Der VDZ hat seine falsche Darstellung auf Twitter mit der Formulierung „Wenn der Wunsch Vater des Gedankens ist“ erklärt und die betreffenden Stellen jetzt so verändert:

Dank der zahlreichen Pro- und Contra- Meinungen im politischen Feld wird auf einen Konsens hingearbeitet, der sich hoffentlich im befürwortenden Votum des Bundestags für das Leistungsschutzrecht ausspricht. (…)

Wenn Google die angeführten Beispiele für repräsentativer hält, als der vom deutschen Volk gewählte Bundestag, der in der Entscheidung letztendlich das letzte Wort haben wird, dann weist der Suchmonopolist hier eine gehörige Verzerrung bezüglich seines Gesellschaftsbild aus.

(Hervorhebungen von mir.)

Das ergibt zwar weder sprachlich, noch als Erwiderung auf Google Sinn, ist aber wenigstens nicht mehr komplett falsch.

Ausgewogenheit, wie sie Hubert Burda meint

„Kritisch und ausgewogen“ hätten sich die Journalisten und Redakteure der deutschen Zeitungen und Zeitschriften zum Thema Leistungsschutzrecht geäußert, schrieb Verlegerpräsident Hubert Burda den Bundestagsabgeordneten. Das ist ein guter Anlass, ausnahmsweise in den „Focus“ zu schauen, den er herausgibt.

Auch der hat sich in dieser Woche mit dem Leistungsschutzrecht befasst. Der Artikel trägt die Überschrift: „Bald Fairness im Netz?“ Er ist mit einer Karikatur illustriert, die Google als Spinne in einem Netz zeigt, in dem schon mehrere Fliegen mit Euro-Zeichen und ein Schmetterling mit Dollar-Zeichen festhängen. Die Google-Spinne trägt ein Protestschild mit der Aufschrift „FÜR DIE FREIHEIT IM NETZ!“

„Focus“-Medienredakteur Robert Vernier berichtet unter dieser Zeichnung, dass das geplante Leistungsschutzrecht „ungeachtet der massiven Kampagne des Internet-Riesen Google die erste parlamentarische Hürde“ genommen hätte. Das Gesetz solle Verlage vor dem „unberechtigten und unbezahlten Zugriff“ auf ihre Inhalte schützen, behauptet er und fasst seine Bedeutung so zusammen:

Es hätte Vorbildcharakter für viele Länder, in denen sich Verlage — wie etwa in Frankreich und Brasilien — gegen die ungenierte Selbstbedienung von Google & Co. bei Zeitschriften- und Zeitungsinhalten wehren. (…)

Per Internet-Kampagne und Zeitungsanzeigen schürte der US-Konzern vergangene Woche mit unwahren Behauptungen und bizarren Andeutungen Ängste. Google erklärte die Freiheit des Internets für bedroht und forderte dessen Nutzer auf, Bundestagsabgeordnete mit einer Flut von E-Mails auf Konzernkurs zu zwingen.

Vernier zitiert dann aus der Bundestagsdebatte jeweils mehrere Äußerungen von Max Stadler (FDP) und Ansgar Heveling (CDU). Beide sind Befürworter des neuen Gesetzes.

Argumente gegen das Leistungsschutzrecht aus der Debatte werden im „Focus“ nicht erwähnt. Ein Gegner des Gesetzes kommt im „Focus“ nicht zu Wort. Von der Kritik namhafter Wissenschaftler an dem Gesetz erfährt der „Focus“-Leser nichts.

Diese, äh, nachrichtliche Berichterstattung wird durch einen Kommentar hinten im Heft ergänzt. In der Rubrik „Montag ist Zeugnistag“ gibt „Focus“ Google eine 6.

FAZ: Was wissen Professoren schon vom Geldverdienen?

Die deutsche Presse setzt ihre Desinformations- und Diffamierungskampagne fort. Im publizistischen Kampf für ihr eigenes Leistungsschutzrecht setzt heute Reinhard Müller auf der Titelseite der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ einen drauf drunter.

Zunächst überrascht er mit der Feststellung, dass Google „kein internationaler Wohlfahrtsverband“ sei, „sondern auch mächtiger Arm der amerikanischen Regierung“. Das war mir tatsächlich neu.

Dann erwähnt Müller immerhin, dass es noch andere Kritiker an dem Gesetzesvorhaben gibt:

Aber sind nicht auch die Jugendorganisationen aller Parteien dagegen? Erklärt uns nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die Verlage müssten eben mehr investieren? Weisen nicht Professoren auf das angeblich überholte „Geschäftsmodell Zeitung“ hin? Gewiss: Wer sein Geld nicht selbst verdienen muss oder vom Staat bezahlt wird (also von allen Steuerzahlern unabhängig von seiner Leistung getragen wird), der kann leicht den Marktliberalen spielen. Es kostet ja nichts.

Das ist ja praktisch. Die FAZ muss sich nicht inhaltlich mit der Kritik auseinandersetzen, weil sie eh nur von Schnorrern und Soziale-Hängematten-Bewohnern kommt. Weil in den Jugendorganisationen von CDU/CSU, FDP, SPD, Grünen und Piraten, die gemeinsam vor dem Leistungsschutzrecht warnen, auch Schülerinnen und Schüler sind, die möglicherweise noch keine Zeitung austragen, kann man ihre Äußerungen getrost ignorieren. Und Professoren sollen erst mal schön in der privaten Wirtschaft ihr Geld verdienen, ehe sie uns mit ihrem Expertentum belästigen.

Die FAZ hat — ebenso wie die „Süddeutsche Zeitung“ — ihre Leser bis heute nicht darüber informiert, dass es eine gemeinsame Erklärung namhafter Urheber- und Medienrechtler gibt, in der sie vor „unabsehbaren negativen Folgen für die Volkswirtschaft und die Informationsfreiheit in Deutschland“ warnen, wenn das Leistungsschutzrecht kommt. In dieser Erklärung ist übrigens in keiner Weise von einem angeblich überholten „Geschäftsmodell Zeitung“ die Rede.

Die FAZ verschweigt ihren Lesern relevante Kritik und diffamiert pauschal die Kritiker. Ausgerechnet die FAZ, die bei diesem Thema seit Jahren beweist, dass sie zu einer unabhängigen, ausgewogenen, fairen Berichterstattung nicht willens oder fähig ist, spricht den Professoren ab, vernünftig urteilen zu können, weil sie ja vom Staat bezahlt werden.

Reinhard Müller verantwortet bei der FAZ die Seite „Staat und Recht“, auf der vor drei Jahren Jan Hegemann, ein bezahlter Interessensvertreter von Axel Springer, als scheinbar unabhängiger Experte für das Leistungsschutzrecht werben durfte. An gleicher Stelle erschien in diesem Jahr erneut versteckte Eigenpropaganda: ein weiterer Gastkommentar pro Leistungsschutzrecht von einem vermeintlich unabhängigen Experten, der in Wahrheit ein Verlagsvertreter ist.

Laut Reinhard Müller diskreditiert es Teilnehmer an der Debatte, wenn sie möglicherweise vom Staat (oder von ihren Eltern) bezahlt werden. Es diskreditiert sie nicht, wenn sie von den Verlagen bezahlt werden.

Frederic Schneider hat vor drei Tagen sein FAZ-Abo gekündigt, weil deren einseitige Berichterstattung über Google und das Leistungsschutzrecht „der journalistischen Institution FAZ nicht würdig“ sei. Aber Schneider ist ja bloß Kreisvorsitzender der Jungen Union Main-Taunus. Auf solche Leute, die womöglich nicht einmal ihr eigenes Geld verdienen, können die FAZ und Reinhard Müller gut verzichten.

Zwischenstand im Presse-Limbo zum Leistungschutzrecht

Das Wettrennen um die verlogenste, einseitigste, falscheste und irrste Berichterstattung in der deutschen Presse über das Leistungsschutzrecht ist noch im vollen Gang. Insofern wäre es voreilig, heute schon einen Gewinner küren zu wollen, selbst wenn man sich kaum vorstellen kann, dass die bisherigen Teilnehmer noch zu übertreffen sind.

Bis vorhin zum Beispiel dachte ich, dass der „Mannheimer Morgen“ unmöglich einzuholen sein würde. Der hat einen Kommentar von Rudi Wais veröffentlicht, der auch in „Augsburger Allgemeiner“, „Main Post“, „Straubinger Tagblatt“ und „Landshuter Zeitung“ erschienen ist und mit den Worten beginnt:

Diesen Kommentar gibt es nicht umsonst.

Das ist ein Satz, der auf den ersten Blick nicht sehr spektakulär wirkt, es sei denn, man liest den Kommentar auf den Internetseiten von „Mannheimer Morgen“, „Augsburger Allgemeine“ oder „Main Post“. Dort gibt es ihn umsonst.

Diesen Kommentar gibt es nicht umsonst. Unsere Leser bezahlen am Kiosk oder im Abonnement für ihre Zeitung — und unser Verlag bezahlt den Autor, der diesen Kommentar schreibt, das Papier, auf dem der nachts gedruckt wird, die Druckmaschinen und natürlich auch Fahrer und Zusteller, die die Zeitungen dann in aller Frühe ausliefern. Im Idealfall haben am Ende alle fünf etwas von diesem Kommentar: Leser, Verlag, Journalist, Fahrer und Zusteller. Sie leben mit der Zeitung oder von ihr. Nur Google will nicht bezahlen.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber für mich verlieren diese Sätze ein bisschen ihre Überzeugungskraft dadurch, dass sie alle auf dem ersten Satz aufbauen, der so eindeutig falsch ist.

Wie übrigens auch der nächste:

Der amerikanische Internetriese sammelt Texte ohne Rücksicht auf Urheber- und Verlagsrechte in speziellen Nachrichtenportalen.

Nein. Was Google macht — Texte indizieren und mir kurzen Ausrissen verlinken — verstößt nicht gegen das Urheberrecht. Und wenn die Verlage es trotzdem nicht zulassen wollen, könnten sie es einfach verhindern, sogar ohne darauf verzichten zu müssen, über Google trotzdem gefunden zu werden. Die falsche Behauptung ist Teil der gezielten Desinformation der Leser durch die Verlage, was insofern ironisch ist, weil der Kommentator ein paar Sätze weiter schreibt, dass „unkundige Besucher“ von Google „gezielt desinformiert“ würden.

Der Kommentar endet mit den Worten:

Guter Journalismus kostet Geld — und deshalb darf ihn auch Google nicht umsonst bekommen.

Bevor Sie jetzt ein schlechtes Gewissen bekommen, falls Sie auf den Link geklickt und den Text umsonst gelesen haben: Keine Sorge. Es handelt sich ja nachweislich bei ihm nicht um „Guten Journalismus“.

Dieser Kommentar also, dachte ich, wäre schwer zu unterbieten. Andererseits hat sich die „Sächsische Zeitung“ wirklich alle Mühe gegeben. Die schreibt heute:

Nun ruft uns Google auf, für die Freiheit im Netz zu kämpfen. Auf wessen Kosten der Konzern das tut, ist doch egal, solange er es für unsere Freiheit tut. Dafür darf er auch beliebig viel Wissen über uns sammeln und an ihm beliebige Stellen weiterreichen. Oder beliebig geklaute Inhalte zum eigenen Nutzen verwerten. Ja, Google ist toll und für die Freiheit. Wie gaga — oder eben google — muss man eigentlich sein, um an ein solches Märchen zu glauben?

Als Laie würde ich sagen, dass das justiziabel sein dürfte. Nein, nicht das lustige Wortspiel am Ende, sondern die Unterstellung, dass Google Straftaten begeht und mit „beliebig geklauten Inhalten“ handelt. Aber mal angenommen, der Suchmaschinenkonzern würde dagegen vor Gericht ziehen, dann wär aber was los! Es wäre, jede Wette, für die deutschen Print-Medien und ihre Lobbyisten und Verbündeten ein Angriff auf die Pressefreiheit und der letzte fehlende Beweis, dass Google schlimmer ist als Hitlerkrebs.

Im übrigen ist die „Sächsische Zeitung“ in bester Gesellschaft: Auch der Zeitungsverlegerverband BDZV hat Google neulich mit einem Ladendieb verglichen.

Aber reicht das, um das publizistische Wettrennen in den Kategorien Unverfrorenheit und Wahnwitz zu gewinnen? Oder hat Stephan Richter, Sprecher der Chefredakteure des Schleswigholsteinischen-Zeitungsverlages, bessere Chancen? Er kommentiert unter dem Titel „Freiheit des Ausschlachtens“ und stellt gleich im zweiten Satz fest, dass „jeder halbwegs vernünftige Mensch“ für ein Leistungsschutzrecht sein müsse (das nicht zuletzt von führenden Urheberrechtsexperten, wir erinnern uns, abgelehnt wird).

Richter punktet vor allem damit, dass er es auf kürzestem Raum schafft, jedes einzelne Feld auf der netzpolitischen Bullshit-Bingo-Karte anzukreuzen:

Der parlamentarische Gang des Leistungsschutzrechtes wäre schnell beendet, lebte das Internet nicht von einer Scheinfassade, die die Netzjünger im Schlepptau der Suchmaschine Google glauben retten zu müssen. Die wichtigste Lüge: Im Internet herrscht Freiheit, die durch das Gesetz bedroht wird. Doch wo — bitteschön — ist die Freiheit im Netz? Allein der illegale Datenklau, mit dem täglich Geschäfte gemacht werden, verletzt Persönlichkeitsrechte und ist Bespitzelung. Hinzu kommt die Manipulation — auch bei den Suchmaschinen. Keiner kennt die Algorithmen, nach denen die Treffer bei Google angezeigt werden. Und schließlich ist da noch die Kostenlos-Mentalität, die es Internetanbietern erlaubt, mit dem puren Ausschlachten von Inhalten anderer Geld zu verdienen. Modernes Raubrittertum nennt man dies.

Zu würdigen ist auch die zugehörige Karikatur, die sich, um es positiv zu formulieren, um eine innovative Umsetzung des Themas bemüht und deshalb zeigt, wie Google einen Internetbenutzer dazu zwingt, die harte Nuss Leistungsschutzrecht zu knacken. Man kann es schlecht erklären, vielleicht schauen Sie einfach selbst.

Weitere Kandidaten-Vorschläge werden gern entgegengenommen.

Dann reden wir mal über „Zensur“

Die Präsidenten der deutschen Verlegerverbände haben einen gemeinsamen Brief an die Bundestagsabgeordneten geschickt. Sie beklagen sich darin über die angeblich „irreführenden Aussagen und unbegründeten Behauptungen“, mit denen der Suchmaschinenanbieter Google Stimmung gegen das Leistungsschutzrecht macht. Sie schreiben:

Jeder sollte wissen, Google ist noch zu viel mehr im Stande – ohne sich wie die deutsche Presse der Wahrheit verpflichtet zu fühlen.

Die zweite Hälfte dieses Satzes ist erstaunlich. Die erste aber auch. Was wollen Hubert Burda und Helmut Heinen mit diesem Geraune andeuten? Wovor sollen wir Angst und Panik haben?

Der Text, der gleichzeitig beklagt, dass Google „perfide mit Angst und Panik arbeite“, lässt das bezeichnenderweise offen. Aber einen Hinweis, was gemeint sein könnte, liefert heute das „Handelsblatt“. Es schreibt:

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte wegen der Onlinekampagne von Google indirekt zum Boykott des Suchmaschinenbetreibers aufgerufen: „Es gibt noch andere Suchanbieter als Google“, sagte sie dem Handelsblatt.

Google hat offenbar darauf auf seine Weise reagiert. Auffällig war, dass gestern über Stunden die aktuelle Debatte über das Leistungsschutzrecht und den Boykottaufruf gegen Google der Justizministerin über eine Google-Suche nicht zu finden war. Bei Yahoo hingegen gab es bei gleichen Stichworten sofort Treffer zur aktuellen Debatte. Manch einer im Justizministerium sprach darum gestern von „Zensur“.

Darin steckt ein ungeheurer Vorwurf: Google soll Nachrichten, die dem Unternehmen nicht genehm sind, verschwinden lassen. Das wäre in höchstem Maße alarmierend. Falls das „Handelsblatt“ diesen Verdacht belegen können sollte, wäre es erstaunlich, ihn nur eher unauffällig am Ende eines Textes zu bringen, der die unscheinbare Überschrift „RTL fordert klares Bekenntnis zum Urheberrecht“ trägt.

Ein Google-Sprecher wies die „Handelsblatt“-Behauptung auf meine Anfrage zurück: „Ein solcher Vorwurf ist durch nichts begründet und absurd.“

Aber dann reden wir doch mal über „Zensur“. Oder genauer: über das Verschwindenlassen missliebiger Informationen.

Am Dienstagnachmittag hat der geschäftsführende Direktor des Max-Planck-Institutes für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht eine Pressemitteilung verschickt. Sein Institut, die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) sowie mehrere weitere Wissenschaftler üben in einer Stellungnahme vernichtende Kritik an dem Gesetzentwurf, der heute Nacht in erster Lesung im Bundestag beraten werden soll.

Die führenden deutschen Zeitungen haben ihren Lesern die Existenz dieser Kritik namhafter Fachleute an dem geplanten Gesetz bis heute verschwiegen.

Es ist unwahrscheinlich, dass sie ihnen nicht bekannt ist. Die Nachrichtenagentur dpa hat erstmals gestern Vormittag in einer Meldung darüber berichtet („Wissenschaftler: Leistungsschutzrecht ’nicht durchdacht'“). In mindestens vier weiteren dpa-Meldungen ist die Stellungnahme erwähnt.

Trotzdem steht kein Wort davon in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in der „Süddeutschen Zeitung“, in der „Welt“, im „Handelsblatt“ — alles Blätter, deren Verlage für ein Leistungsschutzrecht kämpfen und deren Redakteure gestern und heute teilweise wuchtigst Google für seine vermeintliche Desinformation kritisiert haben.

Es scheint nicht nur eine Platzfrage gewesen zu sein. Auch auf den Online-Seiten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Welt“ ist nichts von der Kritik zu lesen. (Nachtrag: Ausnahme sind die automatischen Newsticker, die automatisch alle dpa-Meldungen übernehmen.) Immerhin bildet das „Handelsblatt“ hier eine überraschende positive Ausnahme; auch „Spiegel Online“ hat über die Kritik berichtet.

Aber in den überregionalen Zeitungen ist es, als gäbe es diese Stellungnahme gar nicht. Als wäre die missliebige Information „zensiert“ worden.

Das ist kein Einzelfall.

Als vor gut zwei Jahren in einem außergewöhnlichen Schritt 24 Wirtschaftsverbände unter Federführung des Bundesverbandes der Industrie (BDI) eine „gemeinsame Erklärung“ herausgaben, in der sie ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger „vollständig“ ablehnten, berichteten darüber weder die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ noch die „Süddeutsche Zeitung“ noch die „Welt“.

Die Leser der FAZ erfuhren von der Existenz dieser Kritik nur indirekt zwei Monate später. In einem Interview wies der Verlegerpräsident Hubert Burda die Vorwürfe des BDI zurück — Vorwürfe, über die die FAZ nie berichtet hatte.

So ist das: Was den großen renommierten deutschen Zeitungen bei ihrem Kampf für ein Leistungsschutzrecht im Weg steht, findet in den großen renommierten deutschen Zeitungen im Zweifel nicht statt. Eine unabhängige, von Eigen-Interessen unbeeinflusste Berichterstattung kann man von ihnen nachweislich nicht erwarten. Manch einer irgendwo könnte da schon von „Zensur“ sprechen.

PS: Ich habe heute beim Zeitungsverlegerverband BDZV nachgefragt, wie man denn die furchteinflößende Äußerung zu verstehen hat, dass Google „noch zu viel mehr im Stande“ ist als die aktuelle Kampagne. Die Antwort:

Google hat in Deutschland unbestritten eine marktbeherrschende Stellung. Das versetzt das Unternehmen in die Lage, diese Kampagne im eigenen wirtschaftlichen Interesse massenwirksam zu fahren. Zugleich zeigt Google damit das Instrumentarium vor, das nötig ist, jede wie auch immer geartete Kampagne mit höchster Aufmerksamkeitswirkung durch den digitalen Flaschenhals zu lancieren.
 
Man kann das, sehr geehrter Herr Niggemeier, völlig in Ordnung finden, man kann das, wie die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, aufgrund der Vormachtstellung der Suchmaschine im Internet aber auch für einseitig und deshalb bedenklich halten. Unser Ziel ist es, eine ernsthafte Debatte anzustoßen und die von Google gesetzten Bedingungen nicht einfach nach dem Prinzip „Friss Vogel oder stirb“ zu akzeptieren.

Lügen fürs Leistungsschutzrecht (2)

Genau genommen, hätte ich anstelle der „(2)“ im Titel auch „(1)“ schreiben können, denn die Lügen, die Christoph Keese, Außenminister der Axel Springer AG, gerade wieder verbreitet, sind keine neuen Lügen, sondern wieder die alten.

Im Deutschlandfunk diskutierte er heute mit dem Google-Sprecher Kay Oberbeck:

Oberbeck: Sie selber können selbst bestimmen, ob Sie entweder durch Google indiziert werden wollen, ob Sie gefunden werden wollen oder nicht. Sie können selber festlegen, welche Teile von Seiten, welche Teile Ihres Angebotes überhaupt auffindbar gemacht werden sollen oder gar nicht. Also insofern haben hier die Verlage schon jetzt sämtliche Hebel in der Hand, um selber festzulegen, was hier im Internet von ihren Angeboten sichtbar ist oder was auch nicht. (…)

Keese: (…) Was Herr Oberbeck auch gerade sagt, dass man angeblich frei die Möglichkeit hätte einzustellen, was man veröffentlicht sehen möchte: Genau das Gegenteil ist der Fall, und da liegt sozusagen der Kern des Problems. Google bietet einen einfachen Lichtschalter an, und diesen Lichtschalter kann man auf „An“ oder „Aus“ setzen. Wenn man ihn auf „An“ setzt, ist man im Internet sichtbar, erteilt damit nach Interpretation von Google aber die Einwilligung, dass alles kopiert werden darf, was man macht. Umgekehrt kann man sagen, ich möchte den auf Null setzen, ausschalten, diesen Lichtschalter; dann bin ich mit nichts, was ich mache, im Internet sichtbar. Ich bin gar nicht mehr auffindbar, ich bin für niemanden mehr auffindbar, selbst für Google nicht. Es wäre schön, wenn es solche differenzierten Möglichkeiten gäbe, wie Herr Oberbeck sie gerade schildert, aber die gibt es im Augenblick nicht.

Oberbeck hat Recht, Keese hat Unrecht.

Der Schalter, den Google (und die anderen Suchmaschinen) anbieten, kennt nicht nur die Positionen „An“ und „Aus“. Er kennt auch die Position „Nimm meine Inhalte in Deinen Suchindex auf, mach sie auffindbar, aber zeige keinen Textausschnitt daraus an“. Durch diese Vorgabe („no snippet“) können Verlage, wenn sie das wollen, Google veranlassen, keine kurzen Anrisse der Artikel zu zeigen, ohne dass sie unsichtbar werden.

Und diese Vorgaben lassen sich für jeden Artikel einzeln einstellen.

(Ganz abgesehen davon, dass die Position „An“ natürlich nicht bedeutet, dass Google ganze Artikel kopieren und veröffentlichen darf. Es geht immer nur um kurze Ausschnitte.)

Keese weiß das natürlich. Er verbreitet diese Lüge schon länger und macht, wenn er damit konfrontiert wird, verrückte Ausflüchte. Den Punkt, den Keese selbst den „Kern des Problems“ nennt, stellt er immer wieder falsch dar.

Christoph Keese, meine Damen und Herren, Wortführer der deutschen Verlage im Kampf für ein Leistungsschutzrecht, der Wahrheit verpflichtet.

Google-Anzeigen jetzt auch in Print

Der Suchmaschinenkonzern Google unterstützt mit seinem Kampf gegen ein Leistungsschutzrecht die großen Zeitungsverlage finanziell. Er hat heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der „Süddeutschen Zeitung“, in „Welt“, „taz“, „Zeit“, „Berliner Zeitung“, „Tagesspiegel“ sowie in „Bild“ folgende ganzseitige Anzeige geschaltet:

Der Listenpreis für eine solche Anzeige in der FAZ (Seite 5) beträgt 71.810,00 Euro und in der SZ (Seite 9) 75.200,00 Euro. Eine ganze „Bild“-Seite bundesweit zu buchen, kostet laut Anzeigenpreisliste 414.500,00 Euro.

Nachtrag, 13:45 Uhr. Nach Angaben von Google läuft die Kampagne auch in Online-Medien, und zwar:

  • Mobile: Spiegel und Stern
  • Desktop: Spiegel, Stern, Focus, SZ, Handelsblatt, Zeit, WiWo, FTD, FAZ, Neon, Zeitjung, CNN, Berliner Zeitung
  • Soziale Netzwerke und Portale: FB, Jappy, Localisten, Xing, LinkedIn, T-Online, Web.de, freenet, GMX

Google ist nicht das Netz, und Verlage sind nicht der gute Journalismus

Die Kampagne von Google gegen das Leistungsschutzrecht ist, um mal mit dem rein Faktischen zu beginnen, natürlich nicht „beispiellos“, wie Konrad Lischka auf „Spiegel Online“ schreibt.

Der Suchmaschinen-Konzern hatte Anfang dieses Jahres — die Älteren werden sich erinnern — einen schwarzen Balken über sein Logo gelegt und seine Nutzer dazu aufgefordert, gegen zwei Gesetze zu kämpfen. Der amerikanische Kongress plante unter dem Vorwand, gegen Urheberrechtsverstöße zu kämpfen, gravierend ins Internet einzugreifen. Google warnte die Nutzer vor einer angeblich drohenden „Zensur des Netzes“ — und sorgte sich natürlich gleichzeitig ums eigene Geschäft.

Insofern ist es also nichts Neues, dass der Konzern seine Startseite jetzt für eine Kampagne in eigener Sache nutzt. Und auch nicht, dass er beim Versuch, die Nutzer zu mobilisieren, nicht diese eigene Sache in den Vordergrund stellt, sondern die Interessen der Nutzer und sogar die angebliche Sorge um das Gemeinwohl. (mehr …)

Die Scheinargumente für ein Leistungsschutzrecht

Das Leistungsschutzrecht beweist, dass die Regierung den Springer-Verlag mehr fürchtet als das Netz. Das sollte man ändern.

(Sascha Lobo)

Es sind im Kern nicht mehr als zwei Argumente, mit denen die Verlage ihr Leistungsschutzrecht herbeireden: ein rationales Scheinargument und ein emotionales Hilfsargument.

Das rationale Scheinargument lautet: „Es kann nicht sein, dass profitorientierte Anbieter gratis auf Inhalte zugreifen.“ In dieser knappen Form hat es zum Beispiel Kulturstaatsminister Bernd Neumann mit minimalen Variationen immer wieder formuliert.

Es sei unzulässig, geht das Argument, auf den Leistungen anderer ein eigenes Geschäftsmodell aufzubauen. Und wenn es nicht unzulässig ist wie die Praxis der Suchmaschinen, kurze Ausschnitte von Fundstellen anzuzeigen, dann müsse es sich um eine Gesetzeslücke handeln, die zu schließen sei.

Was wirkt wie ein juristisches Argument, ist in Wahrheit bloß ein moralisches: Es sei ungerecht, sich bei der Arbeit eines anderen zu bedienen, um selbst daraus Profit zu schlagen. Und das umso mehr, wenn dieser Profit sogar höher ausfällt als der desjenigen, der die ursprüngliche Leistung erbracht hat.

Denn das ist das eigentliche Problem. Keine Verfassungsgrundsätze, keine Rechtsprinzipien, nicht der Schutz des sogenannten „geistigen Eigentums“, sondern die schlichte Tatsache, dass zur Zeit im Internet das Betreiben einer Suchmaschine lukrativer ist als das Erstellen journalistischer Inhalte. (mehr …)

Ein Kartell nutzt seine Macht: Wie die Verlage für das Leistungsschutzrecht kämpfen

Es ist kein Spaß, sich mit dem Kartell aller großen Häuser anzulegen. Wer will Springer, Burda, „Süddeutsche“, „FAZ“, DuMont und die „WAZ“-Gruppe gegen sich haben? Natürlich sagen Mathias Döpfner, Frank Schirrmacher oder Hubert Burda ihren Redakteuren nicht, was sie schreiben sollen. Das wissen die schon von allein.

(Jakob Augstein)

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Morgen Demnächst will das Bundeskabinett über ein Presse-Leistungsschutzrecht entscheiden. Wenn man den Verlagen glaubt — wozu kein Anlass besteht — geht es um nichts weniger als um Leben und Tod der freien Presse in Deutschland.

Seit gut dreieinhalb Jahren kämpfen die Verlage öffentlich für ein solches Recht, mit dem die geschäftliche Nutzung ihrer frei zugänglichen Inhalte im Internet lizenzpflichtig gemacht werden soll. Ursprünglich sollte schon das Lesen von Online-Medien auf geschäftlichen Computern Geld kosten; inzwischen ist nur noch eine Lex Google übrig geblieben, die Suchmaschinen dafür zahlen lassen will, dass sie kurze Anrisse aus Verlagstexten zeigen, um Nutzer zu deren Seiten zu leiten.

Es sieht im Moment nicht so aus, als ob die Geschichte, wie die Verlage die Bundesregierung dazu brachten, ihre Rechte und potentiell ihre Einnahmen durch ein neues Gesetz deutlich auszuweiten, am Ende aus Verlagssicht eine Erfolgsgeschichte sein wird. Sie ist trotzdem ein Lehrstück: Dafür, wie die führenden deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage ein politisches Klima herstellten, in dem ein solches Gesetz notwendig erschien, und wie sie ihre publizistische Macht dazu benutzten, ihre politische Lobbyarbeit zu unterstützen. (mehr …)